TE Vfgh Beschluss 2012/9/20 U1740/11

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Veröffentlicht am 20.09.2012
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Index

41 INNERE ANGELEGENHEITEN
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht,
Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144a Abs1
AsylGHG §16 Abs2
EU-Grundrechte-Charta Art47

Leitsatz

Unzulässigkeit einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Präsidenten des Asylgerichtshofes über die Zurückweisung des Antrags auf Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit; Abspruch über einen solchen Ablehnungsantrag mangels Qualifikation als gesondert anfechtbare Entscheidung nicht unmittelbar beim VfGH bekämpfbar

Spruch

              Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

              I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

              1. Dem Beschwerdeführer, einem tschetschenischen Staatsangehörigen, wurde zunächst mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. September 2007 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und am 23. September 2008 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Mit der Begründung, die Verhältnisse in Tschetschenien hätten sich "normalisiert", wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. November 2011 der Status des subsidiär Asylberechtigten von Amts wegen aberkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof.

              2. Im Zuge deren Behandlung führte der Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer mit dem ihn vertretenden Rechtsanwalt persönlich erschien. Im Laufe der Verhandlung - nach Angaben des Beschwerdeführers in etwa 20 Minuten nach deren Beginn - beantragte der Beschwerdeführer durch den ihn vertretenden Rechtsanwalt den Ausschluss des (dem aus dem Vorsitzenden und einem Beisitzer bestehenden Senat) vorsitzenden Richters wegen Befangenheit, weil sich dieser offenbar bereits ein Urteil gebildet habe. Der Vorsitzende teilte dem Beschwerdeführer mit, er werde diesem Antrag "nicht nachkommen", dem Beschwerdeführer stehe es jedoch frei, sich im Falle einer - noch keineswegs feststehenden - negativen Entscheidung in der Sache an den Verfassungsgerichtshof zu wenden. Danach wurde die mündliche Verhandlung - weiterhin unter dem Vorsitz des Richters, dessen Ausschluss beantragt worden war - fortgesetzt.

              3. Acht Tage nach der mündlichen Verhandlung langte beim Asylgerichtshof ein undatierter Schriftsatz des Beschwerdeführers ein, mit dem dieser auf den während der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Ablehnung des vorsitzenden Richters verwies und eine Entscheidung über diesen Antrag beantragte.

              4. Mit Beschluss vom 1. August 2011 wies der Asylgerichtshof durch seinen Präsidenten den Ablehnungsantrag als unzulässig zurück. Begründend wird darin ausgeführt, aus §16 Abs2 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008 (in der Folge: AsylGHG), ergebe sich, dass Ablehnungsanträge spätestens zu Beginn der ersten mündlichen Verhandlung zu stellen seien. Da dies im gegenständlichen Fall nicht erfolgt sei, sei der Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers jedenfalls verspätet und daher unzulässig.

              5. Gegen diesen Beschluss des Präsidenten des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des Beschlusses wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte begehrt wird.

              6. Der Asylgerichtshof legte die Akten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

              II. Rechtslage

              §16 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008, hat folgenden Wortlaut:

"Befangenheit der Richter

              §16. (1) Die Richter des Asylgerichtshofes haben sich unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten

              1. in Sachen, an denen sie selbst, einer ihrer Angehörigen (§36a AVG) oder einer ihrer Pflegebefohlenen beteiligt sind;

              2. in Sachen, in denen sie als Bevollmächtigte einer Partei bestellt waren oder bestellt sind;

              3. wenn sie in dem dem Verfahren vor dem Asylgerichtshof vorausgegangenen Verfahren mitgewirkt haben;

              4. wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die

geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

              (2) Aus den im Abs1 angeführten Gründen können

Richter des Asylgerichtshofes auch von den Parteien, und zwar spätestens zu Beginn der ersten mündlichen Verhandlung, abgelehnt werden. Stützt sich die Ablehnung auf Abs1 Z4, so hat die Partei die hiefür maßgebenden Gründe glaubhaft zu machen. Über die Ablehnung entscheidet in Abwesenheit des Abgelehnten der Präsident.

              (3) Werden der Vorsitzende oder so viele Richter

eines Kammersenates abgelehnt, dass nicht wenigstens drei verbleiben, so hat der Präsident die Beschlussfassung über den Ablehnungsantrag dem Geschäftsverteilungsausschuss zuzuweisen. Beschließt der Geschäftsverteilungsausschuss, dass die Ablehnung begründet ist, so hat der Präsident den Eintritt der Ersatzmitglieder zu verfügen."

              III. Erwägungen

              1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:

              2. Gemäß Art144a Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes, soweit der Beschwerdeführer durch die Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

              3. Als Entscheidungen, die mit auf Art144a B-VG gestützter Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden können, sind jedenfalls als "Erkenntnisse" bezeichnete Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache, aber auch bestimmte in Form von "Beschlüssen" ergehende prozessuale Entscheidungen, wie etwa die Zurückweisung einer an den Asylgerichtshof erhobenen Beschwerde, zu qualifizieren. Es sind jedoch nicht alle in Beschlussform ergehenden Absprüche des Asylgerichtshofes "Entscheidungen" iSd Art144a B-VG. So sind insbesondere bloße Verfahrensanordnungen oder auch sonstige als "Beschlüsse" titulierte Akte, durch die das Verfahren über die Asylsache als solches nicht abgeschlossen wird, in der Regel nicht gesondert beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar. Nur dann, wenn ein bloß nachträglicher Rechtsschutz dem Rechtsschutzbedürfnis der Asylwerber im Asylverfahren nicht gerecht wird, muss auch ein das Verfahren in der Sache nicht beendender "Beschluss" gesondert anfechtbar sein (vgl. VfSlg. 19.188/2010).

              4. §16 AsylGHG regelt in seinen Abs2 und 3 das Verfahren zur Entscheidung über Anträge auf Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit. Der Umstand, dass für einen bestimmten im Zuge eines Asylverfahrens gestellten Antrag ein eigenes gesetzlich geregeltes Verfahren vor einem anderen als dem das betreffende Verfahren leitenden Organ vorgesehen ist, bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass ein Abspruch über einen solchen Antrag auch eine gesondert beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbare Entscheidung iSd Art144a B-VG darstellt (vgl. VfSlg. 19.081/2010).

              5. Durch einen Abspruch über einen Ablehnungsantrag gemäß §16 Abs2 AsylGHG wird keine Verwaltungsangelegenheit in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ geregelt und für den Einzelfall kein Rechtsverhältnis bindend gestaltet oder festgestellt (vgl. zB VfSlg. 17.291/2004). Ob bei einem Richter, der an einer Entscheidung in der Sache mitgewirkt hat, ein Befangenheitsgrund vorliegt, lässt sich auch feststellen, nachdem eine Sachentscheidung getroffen wurde. Erachtet sich ein Asylwerber in seinem durch Art47 GRC verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal dadurch verletzt, dass ein befangener Richter an der Entscheidung über seine Asylsache mitgewirkt hat, so kann er dies ebenso wie eine allfällige Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art83 B-VG mit einer auf Art144a B-VG gestützten Beschwerde gegen die das Verfahren beim Asylgerichtshof abschließende Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof geltend machen. Das Rechtschutzbedürfnis von Asylwerbern erfordert daher im Hinblick auf Absprüche über Ablehnungsanträge nicht, dass das Verfahren nicht beendende Beschlüsse im Asylverfahren gesondert gem. Art144a B-VG bekämpft werden können müssen.

              6. Mangels Qualifikation als Entscheidung im Sinne des Art144a B-VG können Beschlüsse des Präsidenten des Asylgerichtshofes gemäß §16 Abs2 AsylGHG nicht unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden.

              7. Die Beschwerde ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

              8. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita

VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Asylgerichtshof, Behördenzusammensetzung, Tribunal, Befangenheit, Rechtsschutz, EU-Recht, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:U1740.2011

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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