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41 INNERE ANGELEGENHEITENNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung des Antrags einer Asylwerberin auf internationalen Schutz in nichtöffentlicher Sitzung wegen unrichtiger Zusammensetzung des Spruchkörpers des Asylgerichtshofes; zuständigkeitsbegründende Wirkung der Behauptung eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung; inhaltliche Entscheidung über das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung durch ein mit Richtern desselben Geschlechts besetztes Organ zu treffenSpruch
I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die
angefochtene Entscheidung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Erstbeschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,- sowie der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine kosovarische Staatsangehörige, stellte für sich und ihre beiden minderjährigen Töchter (die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin) nach gemeinsamer illegaler Einreise am 29. November 2010 Anträge auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin brachte dabei vor, nach ihrem in Österreich vorangegangenen, am 25. September 2008 rechtskräftig negativ beendeten Asylverfahren mit ihren Kindern im Oktober 2008 in die Republik Kosovo zurückgekehrt zu sein. Dort hätte sie mit ihren beiden Töchtern zunächst in Priština gelebt und bei einem kleinen Unternehmen, welches mit Eisen handeln würde, gearbeitet. Im Februar 2009 wäre jedoch ihr Haus von unbekannten Personen beschossen worden, wobei die Erstbeschwerdeführerin davon ausginge, dass dieser Vorfall in Verbindung mit dem im ersten Asylverfahren erstatteten Vorbringen - den Problemen ihres vormaligen Lebensgefährten - stünde. Trotz Übersiedelung in ihren Heimatort hätten unbekannte Personen nach dem Aufenthaltsort ihrer Töchter gefragt, weshalb sie sich im November 2010 zur erneuten Ausreise entschlossen hätte.
Das Bundesasylamt ließ auf Basis dieser Angaben Recherchen durch den Polizeiattache an der Österreichischen Botschaft Priština durchführen. Dieser hielt in seinem Bericht vom 15. Juni 2011 fest, dass die Erstbeschwerdeführerin tatsächlich im Februar 2009 bei einer Polizeistation in Priština einen Vorfall angezeigt hätte, wonach ein unbekannter Täter mit einem Gewehr aus näherer Entfernung auf ihr Haus geschossen hätte. Auch gäbe es jenes Unternehmen, von dem die Erstbeschwerdeführerin behauptete, in diesem gearbeitet zu haben; sie wäre dort ungefähr ein Jahr als Buchhalterin beschäftigt gewesen. Polizeilich wäre der frühere Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin nicht bekannt. Der Direktor der Volksschule der Heimatortschaft der Beschwerdeführerinnen hätte den Schulbesuch der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin bestätigt.
1.1. Mit Bescheiden vom 24. Februar 2012 wies das Bundesasylamt die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005, idF BGBl. I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte ihnen den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Kosovo gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 nicht zu und wies sie gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo aus. Unter einem wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß §38 Abs1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass die Beschwerdeführerinnen vor der behaupteten Verfolgung, die von nichtstaatlicher Seite ausginge, wirksamen Schutz der Sicherheitsbehörden ihres Herkunftsstaates in Anspruch nehmen könnten. Auch wiese die behauptete Bedrohung nicht den erforderlichen Konnex zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen auf. Es lägen keine refoulementschutzrechtlich relevanten Umstände oder ein durch die Ausweisung bewirkter unzulässiger Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens vor. Das Bundesasylamt stützte die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde darauf, dass die Beschwerdeführerinnen aus einem sicheren Herkunftsstaat stammten.
1.2. In der gegen diese Bescheide fristgerecht
erhobenen Beschwerde beantragten die Beschwerdeführerinnen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das Fluchtvorbringen hielten die Beschwerdeführerinnen dabei im Wesentlichen aufrecht. Unter anderem wurde in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin festgehalten, dass es im Kosovo zu sexuellen Übergriffen unbekannter Personen gegen sie gekommen wäre. Es wäre der Erstbeschwerdeführerin bewusst, dass es sich hiebei um ein neues Vorbringen handelte und sie dies im Zuge ihrer Einvernahmen vor dem Bundesasylamt nicht vorgebracht hätte. Es wäre ihr allerdings aus psychischen Gründen nicht möglich gewesen, eher über diese Vorkommnisse zu sprechen; dies wäre ihr erstmals gegenüber einer Psychotherapeutin gelungen. In einer der Beschwerde angeschlossenen psychotherapeutischen Stellungnahme wird eine posttraumatische Belastungsstörung in Bezug auf die Erst- und Drittbeschwerdeführerin diagnostiziert.
Die Rechtssache wurde am Asylgerichtshof der Gerichtsabteilung "B/1", bestehend aus einem vorsitzenden Richter und einer beisitzenden Richterin, zugewiesen. Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies dieser Senat am 19. März 2012 mit der angefochtenen Entscheidung die Beschwerde betreffend alle drei Beschwerdeführerinnen "gemäß §§3, 8, 10, 38 Abs1 Z. 1 AsylG [2005]" ab. Der AsylGH geht im Ergebnis von der mangelnden Asylrelevanz des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin aus: Zwar hätten Recherchen vor Ort ergeben, dass tatsächlich auf ihr Haus geschossen worden sei, jedoch sei eine unmittelbare Gefährdung aus diesem Umstand nicht ableitbar, weil die Beschwerdeführerinnen nach dem Vorfall noch über eineinhalb Jahre im Kosovo verblieben seien. Dasselbe gelte für das erst in der Beschwerde erhobene Vorbringen, die Erstbeschwerdeführerin sei vergewaltigt worden: Selbst wenn man ihre Angaben als wahr erachtete, lägen die sexuellen Übergriffe offensichtlich mehrere Jahre zurück und seien "nicht geeignet [...], aktuelle Verfolgungsgefahr für die Erstbeschwerdeführerin darzutun". Insgesamt könne jedenfalls von der Schutzfähigkeit und -willigkeit der kosovarischen Sicherheitsbehörden ausgegangen werden. Weiters seien keine exzeptionellen Umstände zutage getreten, die im Rahmen einer Abschiebung der Beschwerdeführerinnen die Verletzung ihrer Rechte nach Art2 oder 3 EMRK bedeuten würden. Die Erstbeschwerdeführerin könnte im Haus ihrer Eltern Unterkunft und allenfalls Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Aus den psychotherapeutischen Stellungnahmen betreffend die Erst- und Drittbeschwerdeführerin gingen keine außergewöhnlichen Erkrankungen hervor, die im Falle ihrer Verbringung in den Kosovo eine Verletzung von Art3 EMRK bedeuten würden. Die Beschwerdeführerinnen seien alle von der Ausweisung betroffen. Da zur in Österreich lebenden Mutter bzw. den hier ebenfalls aufhältigen Geschwistern der Erstbeschwerdeführerin kein besonderes Naheverhältnis bestehe, liege kein Eingriff ins Familienleben vor. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen seit ihrer neuerlichen Einreise im November 2010 sei als kurz zu bezeichnen, eine besondere wirtschaftliche Integration sei nicht ersichtlich. Soweit sie die deutsche Sprache gut beherrschen würden, sei dies auf den langjährigen Aufenthalt während des ersten Asylverfahrens zurückzuführen, was ebenfalls keine außergewöhnliche Integration indiziere.
2. Gegen diese Entscheidung erhoben die Beschwerdeführerinnen am 4. April 2012 (Erstbeschwerdeführerin) bzw. - nach stattgegebenem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe - am 1. Juni 2012 (Zweit- und Drittbeschwerdeführerin) Beschwerden nach Art144a B-VG. Darin wird jeweils die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art3 und 8 EMRK, Art18 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRC), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Unter anderem wird in den Beschwerden davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall auf Grund der - durch die Ermittlungen vor Ort größtenteils bestätigten - Angaben der Erstbeschwerdeführerin jedenfalls eine Verhandlung vor dem Asylgerichtshof stattfinden hätte müssen. Durch das Unterlassen einer Verhandlung sei §41 Abs7 AsylG 2005 in denkunmöglicher Weise angewandt und Art47 GRC verletzt worden. In Bezug auf das in der Beschwerde an den Asylgerichtshof erhobene Vorbringen, die Erstbeschwerdeführerin sei im Kosovo sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen, wird weiters vorgebracht, der Asylgerichtshof hätte gemäß §20 Abs2 AsylG 2005 eine mündliche Verhandlung zwingend durchführen müssen; jedenfalls hätte die Gerichtsabteilung "B/1", die aus einem männlichen Vorsitzenden bestehe, die vorliegende Rechtssache gemäß der genannten Bestimmung an einen aus zwei Richterinnen bestehenden Senat zur Verhandlung und Entscheidung abtreten müssen. Die Erstbeschwerdeführerin sei somit in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden, was gemäß den in §34 AsylG 2005 enthaltenen Bestimmungen über das Familienverfahren auch auf die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin durchschlage.
3. Der Asylgerichtshof erstattete zu den Beschwerden jeweils eine Gegenschrift und übermittelte die Verfahrensakten. Im Wesentlichen wird in den Gegenschriften davon ausgegangen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus näher genannten Gründen im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen sei. Was das in der Beschwerde an den Asylgerichtshof erhobene Vorbringen, die Erstbeschwerdeführerin sei im Kosovo sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen, betrifft, stütze sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung darauf, dass selbst bei Zugrundelegung des Wahrheitsgehalts dieses Vorbringens keine Asylrelevanz zu ersehen sei. Soweit die Beschwerde auf die Bestimmung des §20 Abs2 AsylG 2005 Bezug nehme, verkenne sie deren normativen Inhalt: Da eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Asylgerichtshof nicht stattgefunden habe, sei "der vorsitzende Richter daher nicht durch Verpflichtungen im Sinne von §20 AsylG 2005 von der Vornahme einer solchen Einvernahme bzw. von einer Entscheidung im Verfahren ausgeschlossen". Der vorliegende Fall unterscheide sich somit grundsätzlich von der Entscheidung VfGH 29.11.2011, U1913-1915/10. Insbesondere sei §20 Abs2 zweiter Satz AsylG 2005 nicht als generelle Verhandlungspflicht in jenen Fällen, in denen ein Asylwerber sein Verfolgungsvorbringen auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung stütze, zu verstehen, sondern bloß als "Festlegung für die Durchführung einer Verhandlung durch einen Spruchkörper aus Richtern desselben Geschlechts wie der Asylwerber für solche Fälle, in denen mangels Vorliegens der Voraussetzungen des §41 Abs7 AsylG 2005 eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat". Auch aus dem Beschluss Nr. 64 (XLI) über Flüchtlingsfrauen und internationalen Rechtsschutz des Exekutivkomitees des UNHCR gehe keine zwingende Verhandlungspflicht für alle Fälle hervor, in denen eine Asylwerberin einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung behauptet.
II. Rechtslage
1. Art129e B-VG lautet auszugsweise:
"Artikel 129e. (1) Der Asylgerichtshof erkennt durch Einzelrichter oder in Senaten, die von der Vollversammlung oder einem aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss, in dem der Präsident den Vorsitz führt, aus den Mitgliedern des Asylgerichtshofes zu bilden sind. Rechtsfragen, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werden würde, eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird, sowie Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von Verfahren stellen, sind auf Antrag des Einzelrichters oder Senates in einem verstärkten Senat zu entscheiden (Grundsatzentscheidung). Auf Antrag des Bundesministers für Inneres ist eine Grundsatzentscheidung zu treffen.
(2) Die Geschäfte sind durch die Vollversammlung oder deren Ausschuss auf die Einzelrichter und die Senate für die durch Bundesgesetz bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Eine nach dieser Geschäftsverteilung einem Mitglied zufallende Sache darf ihm nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.
(3) [...]"
2. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgerichtshofgesetzes, BGBl. I 4/2008 (im Folgenden: AsylGHG), haben nachstehenden Wortlaut:
"Senate und Kammersenate
§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
(2) Jeder Senat besteht aus einem Richter als Vorsitzenden und einem weiteren Richter als Beisitzer. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens ein Ersatzmitglied (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
(3) - (5) [...]
[...]
Aufgaben des Vorsitzenden und des Beisitzers eines Senates
§11. (1) Der Vorsitzende leitet die Geschäfte des Senates und führt das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Verfahrensanordnungen bedürfen keines Senatsbeschlusses. Er entscheidet, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt wird, eröffnet, leitet und schließt diese. Er verkündet die Beschlüsse des Senates, unterfertigt die schriftlichen Ausfertigungen, arbeitet den Erledigungsentwurf aus und stellt im Senat den Beschlussantrag.
(2) - (4)"
3. Die im gegebenen Zusammenhang bedeutsamen
Bestimmungen des AsylG 2005 lauten (Hervorhebung durch den Verfassungsgerichtshof):
"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verfahren vor dem Asylgerichtshof gilt Abs1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesasylamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.
(3) Abs1 gilt nicht für Verfahren vor dem Kammersenat.
(4) Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung eines Senates oder Kammersenates auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt §67e AVG.
[...]
Familienverfahren im Inland
§34. (1) - (3) [...]
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) - (6) [...]
[...]
Verfahren vor dem Asylgerichtshof
§41. (1) Zu Verhandlungen vor dem Asylgerichtshof ist das Bundesasylamt zu laden; diesem kommt das Recht zu, Anträge und Fragen zu stellen (§67b Z1 AVG).
(2) Der Asylgerichtshof erkennt über Beschwerden
gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde gegen die mit der Entscheidung verbundenen Ausweisung die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.
(3) In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen
eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist §66 Abs2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, der diese von Gesetz wegen nicht zukommt (§37) oder der diese vom Bundesasylamt aberkannt wurde (§38), und über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren kann der Asylgerichtshof ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden. In anderen Verfahren gilt §67d AVG.
(5) - (6) [...]
(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben,
wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt §67d AVG.
(8) Für den Ausschluss der Öffentlichkeit von Verhandlungen gilt, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, §67e AVG.
(9) Für die Erlassung der Entscheidung des Asylgerichtshofes gilt Folgendes:
1. Das Erkenntnis oder der Beschluss des Asylgerichtshofes und seine wesentliche Begründung sind auf Grund der Verhandlung, und zwar wenn möglich, sogleich nach deren Schluss zu beschließen und öffentlich zu verkünden. Die Verkündung des Erkenntnisses oder des Beschlusses ist von der Anwesenheit der Parteien unabhängig. §62 Abs2 und 4 AVG gilt.
2. Die Verkündung entfällt, wenn
a) eine Verhandlung nicht durchgeführt oder
fortgesetzt worden ist oder
b) das Erkenntnis oder der Beschluss nicht sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen werden kann und jedem die Einsichtnahme in das Erkenntnis oder den Beschluss gewährleistet ist.
3. Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses oder des Beschlusses zuzustellen.
[...]
Asylgerichtshof
§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) Beschwerden gemäß Abs1 Z2 sind beim
Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch
Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß §4;
b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß §5;
c) wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG, und
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene
Ausweisung.
(3a) Der Asylgerichtshof entscheidet weiters durch Einzelrichter über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß §41a.
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende."
4. Zur Entstehungsgeschichte und zum Verständnis des §20 AsylG 2005 in der aktuellen Fassung BGBl. I 4/2008 ist zunächst auf §20 AsylG 2005 in seiner Stammfassung, BGBl. I 100/2005, hinzuweisen:
"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verhandlungen vor dem unabhängigen Bundesasylsenat ist das Verlangen nach Abs1 spätestens zum Zeitpunkt der Berufung zu stellen. Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit in diesen Fällen von der Verhandlung auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt §67e AVG."
4.1. Den Erläuterungen zur RV 952 BlgNR 22. GP, 45, zufolge ließ sich der Gesetzgeber von nachstehenden Erwägungen leiten:
"Ausdrücklich wird normiert, dass Asylwerber, die behaupten Opfer von sexuellen Misshandlung zu sein oder solchen Gefahren ausgesetzt zu werden, von Personen desselben Geschlechts einzuvernehmen sind. In diesem Sinne hat etwa das Exekutiv-Komitee für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen die Staaten aufgefordert, wo immer dies notwendig ist, ausgebildete weibliche Anhörer in den Verfahren zur Feststellung des Flüchtlingsstatus zur Verfügung zu stellen, und den entsprechenden Zugang der weiblichen Asylsuchenden zu diesen Verfahren, auch wenn die Frauen von männlichen Familienmitgliedern begleitet werden, zu sichern (Beschluss Nr. 64 [XLI] über Flüchtlingsfrauen und Internationalen Rechtsschutz lita Abschnitt iii). Dass die Gefahr, vergewaltigt oder sexuell misshandelt zu werden, in aller Regel unter den Tatbestand des Art1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention fällt, liegt auf der Hand und Bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. dazu insbesondere den Beschluss des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen Nr. 73 [XLIV] betreffend Rechtsschutz für Flüchtlinge und sexuelle Gewalt). Unberührt bleibt von der Neufassung der Bestimmung die Absicht des Gesetzgebers hiermit internationale Beschlüsse umzusetzen (in diesem Sinne auch VwGH Erk. 2001/01/0402 vom 03.12.2003); daher sind, wenn es notwendig und möglich ist, etwa auch weibliche Dolmetscher für entsprechende Verfahren zu bestellen.
Abs2 stellt auf die zeitliche Komponente ab. Das Ersuchen ist spätestens mit der Berufung zu stellen um vor allem dem Recht auf den gesetzlichen Richter entsprechen zu können. Der unabhängige Bundesasylsenat hat nach den vorgeschlagenen Bestimmungen zur Änderung des UBASG bei seiner Geschäftseinteilung auf diese Fälle Bedacht zu nehmen. Klargestellt wird auch, dass bei Opfern von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit über Wunsch des Asylwerbers besteht. Über diese Möglichkeit sind Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen."
4.2. Durch BGBl. I 4/2008 wurde §20 AsylG 2005
letztmalig geändert. Den Materialien, AB 371 BlgNR 23. GP, 8, lässt sich dabei Folgendes entnehmen:
"Die bestehende, für Verhandlungen vor dem
unabhängigen Bundesasylsenat geltende Regelung des Abs2 war auf die Erfordernisse des Asylgerichtshofes anzupassen. Dabei soll zur Vermeidung von unnötigen Verfahrensverzögerungen und im Interesse der Verfahrensökonomie die Regelung des Abs1 nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt oder in der Beschwerde an den Asylgerichtshof behauptet hat (Abs2).
Weiters soll Abs1 dann nicht gelten, wenn
nachträglich ein Kammersenat befasst wird (Abs3).
Die bisherige Sonderregelung über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird beibehalten (Abs4)."
5. Die vom Geschäftsverteilungsausschuss des Asylgerichtshofes nach §13 AsylGHG beschlossene Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2012 sieht in Entsprechung des §20 Abs2 AsylG 2005 näher genannte, jeweils aus zwei Richterinnen bestehende Gerichtsabteilungen vor:
"§3
Kammern
(1) - (4) [...]
(5) Die Gerichtsabteilungen A/5, A/6, A/13, A/14,
B/13, B/18 bis B/20, D/7, D/8, D/16, D/17, D/18 und E/15 bis E/19 sind zuständig für Rechtssachen gemäß §20 AsylG, in denen eine Antragstellerin einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung behauptet hat und eine mündliche Verhandlung für erforderlich erachtet wird, nach Maßgabe der in §4 genannten Herkunftsstaaten."
6. In Bezug auf das Familienverfahren gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 sieht die Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2012 die folgenden - für den vorliegenden Fall maßgeblichen - Bestimmungen vor:
"§2
Annexsachen
(1) Annexsachen sind Rechtssachen, die im Verhältnis zu einer oder mehreren anderen, früher zugeteilten Rechtssachen im Verhältnis der Annexität stehen.
(2) - (4) [...]
(5) Annexität liegt weiters vor, wenn sich eine Rechtssache auf ein Familienmitglied einer Person bezieht, auf die sich ein anderes Verfahren bezieht oder bezogen hat (Bezugsperson). Familienmitglieder in diesem Sinne sind:
1. der Ehegatte der Bezugsperson oder eine Person, die mit der Bezugsperson im Sinne des Art8 EMRK ein Familienleben in Form einer Lebensgemeinschaft führt, sowie die Geschwister, Eltern und Kinder des Ehegatten oder Lebensgefährten;
2. Vorfahren und Nachkommen der Bezugsperson sowie die Ehegatten (und Lebensgefährten) dieser Vorfahren und Nachkommen und die Geschwister und Kinder dieser Ehegatten (und Lebensgefährten);
3. Geschwister der Bezugsperson sowie die Ehegatten (und Lebensgefährten) und Kinder dieser Geschwister.
(6) Ist eine Rechtssache im Sinne des Abs5 zu
mehreren Rechtssachen annex, so hat Vorrang in der folgenden Reihenfolge: die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache, mit der sie gemäß §34 Abs4 AsylG 'unter einem' zu führen ist, sodann die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache und die Annexität zur zuletzt abgeschlossenen Rechtssache.
(7) Ist eine Rechtssache zu mehreren Rechtssachen
annex, und zwar nach Abs2 und nach Abs5, so hat Vorrang in der folgenden Reihenfolge: die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache, mit der sie gemäß §34 Abs4 AsylG 'unter einem' zu führen ist, sodann die Annexität nach Abs2 und die Annexität nach Abs5.
[...]
§17
Zuteilung an die Richter
(1) Die Rechtssachen sind nach den folgenden Absätzen und in der in §16 festgesetzten Reihenfolge den Richtern zuzuteilen, die sie entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen als Vorsitzende oder als Einzelrichter zu führen haben.
(2) Eine Annexsache wird dem Richter zugeteilt, dem jene Rechtssache zugeteilt worden war, zu der die Rechtssache annex ist, vorausgesetzt, sie fällt in seinen Zuständigkeitsbereich. Ist sie zu einer anhängigen Rechtssache annex, mit der sie gemäß §34 Abs4 AsylG 'unter einem' zu führen ist, so ist sie ihm ohne Rücksicht auf seinen Zuständigkeitsbereich zuzuteilen. In diesem Fall gilt als Herkunftsstaat iSd §1 Z6 - bis zu einer allfälligen Abnahme - der Herkunftsstaat der zuvor zugeteilten Rechtssache. Der zweite und der dritte Satz gelten auch bei einer Annexität nach §2 Abs2 zu einer anhängigen Rechtssache.
(3) - (26) [...]"
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).
2. In ihrer Beschwerde an den Asylgerichtshof brachte die Erstbeschwerdeführerin erstmals vor, dass es im Kosovo zu sexuellen Übergriffen unbekannter Personen gegen sie gekommen wäre und sie aus psychischen Gründen nicht eher über diese Vorkommnisse sprechen hätte können. Am Asylgerichtshof wurde die Rechtssache der Geschäftsabteilung "B/1", bestehend aus einem vorsitzenden Richter und einer beisitzenden Richterin, zugewiesen. Unter Berufung auf §41 Abs7 AsylG 2005 entschied dieser Senat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung, dass der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt gewesen wäre. In der Beschwerde fände sich kein neues bzw. ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich etwaiger sonstiger Fluchtgründe der Beschwerdeführerinnen; den beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes wäre auch nicht in ausreichend konkreter Weise entgegengetreten worden.
2.1. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, aus §20 Abs2 leg.cit. ergäbe sich schon wegen der Behauptung eines Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof. Der Asylgerichtshof hält dem auf Basis seiner Rechtsprechung (vgl. für viele AsylGH 15.5.2009, S 17 406229-1/2009) entgegen, dass die genannte Bestimmung erst dann greife, wenn mangels Vorliegens der Voraussetzungen des §41 Abs7 AsylG 2005 eine mündliche Verhandlung stattzufinden habe; §20 Abs2 leg.cit. sei insoweit keine generelle Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entnehmen.
Es ist dem Asylgerichtshof zuzustimmen, dass sich aus §20 Abs2 AsylG 2005 keine Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt, wenn ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung behauptet. Hätte der Gesetzgeber nämlich jene Fälle, in denen ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung behauptet, von der allgemeinen Regelung des §41 Abs7 leg.cit.
ausschließen wollen, hätte er dies in der genannten Bestimmung explizit normiert, zumal sowohl §20 Abs2 als auch §41 Abs7 leg.cit. in ihrer derzeitigen Fassung gleichzeitig mit dem den Asylgerichtshof ausgestaltenden BGBl. I 4/2008 geschaffen wurden.
2.2. Die Erstbeschwerdeführerin ist aber in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb verletzt, weil über ihre Beschwerde durch einen aus zwei Richterinnen bestehenden Senat abzusprechen gewesen wäre. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
2.2.1. Ein Asylwerber muss einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung als Teil seines Fluchtvorbringens spätestens in der Beschwerde an den Asylgerichtshof geltend machen, damit §20 Abs2 AsylG 2005 anwendbar ist.
Korrespondierend hat der Asylwerber auch spätestens in der Beschwerde das Verlangen zu stellen, dass trotz behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung eine mündliche Verhandlung nicht von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen ist. Der Gesetzgeber hat damit in einer Art83 Abs2 B-VG entsprechenden Weise festgelegt, dass der Behauptung des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung des Asylwerbers - in Zusammenhalt mit der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes - zuständigkeitsbegründende Wirkung zukommt. Wird diese Behauptung spätestens in der Beschwerde an den Asylgerichtshof aufgestellt, ist das Verfahren von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder vor einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Das AsylG 2005 (in Verbindung mit dem AsylGHG) sieht für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als wesentlichen Bestandteil dieses Verfahrens vor. Dies geht aus den in §41 AsylG 2005 enthaltenen Bestimmungen hervor, die größtenteils auf eine durchzuführende mündliche Verhandlung Bezug nehmen; vor allem erlaubt Abs7 leg.cit. das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei die Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens ergibt. Das AsylG 2005 sieht somit prinzipiell eine Verhandlung durch den Asylgerichtshof über eine an ihn gerichtete Beschwerde vor.
Die Bestimmung des §20 Abs2 AsylG 2005 legt nun in Bezug auf diese prinzipielle Verhandlungspflicht fest, dass eine Verhandlung vor einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen ist. Eine Beschwerde in einem Fall, in dem der Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung stützt, muss also einem Richter desselben Geschlechts oder einem aus Mitgliedern desselben Geschlechts zusammengesetzten Senat zur Behandlung und - grundsätzlich vorgesehenen - Verhandlung zugewiesen werden. Dieser Richter oder Senat hat sodann erst zu entscheiden, ob unter den Voraussetzungen des §41 Abs7 leg.cit. eine Verhandlung unterbleiben kann.
2.2.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes verbietet sich die Auslegung, dass sich die Zuständigkeit eines Richters desselben Geschlechts oder eines aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senates erst dann ergibt, wenn sich nach Prüfung des jeweiligen Beschwerdefalles die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als notwendig erweist. Es würde nämlich gegen das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verstoßen, wenn ein nicht mit Richtern desselben Geschlechts besetztes Organ des Asylgerichtshofs darüber entscheiden soll, ob eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist oder nicht und dann im Fall der Notwendigkeit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Angelegenheit einem Richter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat zuzuweisen ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob gemäß §41 Abs7 AsylG 2005 von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, handelt es sich um eine inhaltliche Entscheidung, zumal es bei der Anwendung der genannten Bestimmung um die - in erster Linie materielle - Bewertung geht, ob der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei die Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens ergibt. Es würde somit der ursprünglich zuständige Richter oder Senat eine inhaltliche Entscheidung treffen, die nach der - verfassungsrechtlich zutreffenden - Festlegung des Gesetzgebers nur das entsprechend der Behauptung in der Beschwerde des Asylwerbers betreffend einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung von Anfang an richtig zusammengesetzte Organ des Asylgerichtshofes treffen darf.
2.2.3. Eine Rechtssache, in der ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde geltend macht, ist - sofern der Asylwerber nichts anderes verlangt - demgemäß gleich bei Beschwerdeanfall einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat zur Behandlung zuzuweisen. Die Zuständigkeit eines solchen Spruchkörpers wird bereits durch die entsprechende Behauptung vor dem Bundesasylamt bzw. in der Beschwerde begründet, ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder ein Zusammenhang mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hat.
2.3. Indem der Asylgerichtshof durch einen aus einem vorsitzenden Richter und einer beisitzenden Richterin bestehenden Senat über die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin, in der sie behauptete, in ihrem Herkunftsstaat sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen zu sein, in nichtöffentlicher Sitzung entschied, wurde sie in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil auf Grund der dargelegten Überlegungen über ihre Beschwerde durch einen aus zwei Richterinnen bestehenden Senat abzusprechen gewesen wäre.
3. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter
einem über die Beschwerde betreffend die minderjährigen Töchter der Erstbeschwerdeführerin abgesprochen. Da die Entscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin aber durch einen unrichtig zusammengesetzten Spruchkörper getroffen wurde, schlägt dieser Mangel gemäß §17 Abs2 und §2 Abs5 Z2 der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes für das Geschäftsjahr 2012 iVm §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin durch.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Da die Beschwerdeführerinnen durch die
angefochtene Entscheidung sohin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden, war die Entscheidung aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen wäre.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88
VfGG. In den der Erstbeschwerdeführerin zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten. Die in ihrer Beschwerde beantragte "gerichtliche Entscheidungsgebühr" in der Höhe von € 220,- ist nicht zuzusprechen, weil die Eingabengebühr auf Grund der diesbezüglich bewilligten Verfahrenshilfe nicht geschuldet war (und auch tatsächlich nicht entrichtet wurde). In den der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,- sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, Behördenzuständigkeit, Behördenzusammensetzung, Asylgerichtshof, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:U688.2012Zuletzt aktualisiert am
11.01.2013