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95 TECHNIKNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung der Disziplinarstrafe des Verweises über einen Ziviltechniker auf Grund nicht eingetretener Verfolgungsverjährung; keine Bedenken gegen das System des Ziviltechnikerkammergesetzes betreffend die zeitliche Zulässigkeit der Verfolgung sowie der Fällung oder Vollstreckung eines Straferkenntnisses wegen eines DisziplinarvergehensSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Disziplinarausschuss, Disziplinarsenat 1 der Sektion Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland (im Folgenden: Disziplinarausschuss) verhängte mit Erkenntnis vom 22. November 2011 über den Beschwerdeführer auf Grund eines Verstoßes gegen §17 Abs7 Z2 ZTG und gegen Punkt 1.1. der Standesregeln für Ziviltechniker die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises. Der Beschwerdeführer habe am 6. Mai 2009 einen Befund und ein Gutachten erstellt und dieses unter Anbringung eines Stempels unterzeichnet, der auf seine Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für näher bestimmte Fachgebiete hinwies. Den Befund und das Gutachten habe der Beschwerdeführer auch auf einem Briefpapier ausgeführt, dessen Kopf auf seine Eigenschaft als Architekt hingewiesen und den "Bundesadler" enthalten habe. Obwohl die Befugnis des Beschwerdeführers als Architekt ruhend gestellt gewesen sei, habe der verwendete Briefkopf keinen Hinweis auf das Ruhen der Befugnis des Beschwerdeführers als Architekt enthalten. Dadurch habe der Beschwerdeführer ein Disziplinarvergehen verwirklicht.
2. Die dagegen erhobene Berufung wies die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (im Folgenden: Berufungskommission) mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Mai 2012 ab und hielt dabei fest, dass - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung - kein Verfolgungshindernis hinsichtlich des von ihm begangenen Disziplinarvergehens vorliege, weil die Disziplinaranzeige des Disziplinaranwaltes der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland in der Geschäftsstelle der Vorsitzenden des Disziplinarausschusses (erst) am 28. Jänner 2011 eingelangt und die Einleitung des Disziplinarverfahrens am 9. Juni 2011 erfolgt wäre. Aus diesem Grund sei die Einleitung des Disziplinarverfahrens innerhalb der in §55 Abs4 ZTKG normierten Verfolgungsverjährungsfrist von sechs Monaten erfolgt.
3. In der gegen diesen Bescheid gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG, auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK sowie die Inanspruchnahme einer Strafbefugnis ohne gesetzliche Grundlage im Sinne des Art7 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, die belangte Behörde habe trotz eingetretener Verfolgungsverjährung mit dem angefochtenen Bescheid das Erkenntnis des Disziplinarausschusses bestätigt und somit Art83 Abs2 B-VG verletzt. Darüber hinaus sei die belangte Behörde bei Erlassung des Berufungserkenntnisses willkürlich und somit in Widerspruch zu Art7 B-VG und Art2 StGG vorgegangen, weil sie durch unrichtige Gesetzesauslegung (konkret des §55 Abs4 ZTKG) zur Ansicht gelangt sei, eine Verfolgungsverjährung sei in gegenständlichem Fall nicht eingetreten. Darüber hinaus handelte die belangte Behörde nach Ansicht des Beschwerdeführers auch in Widerspruch zu Art6 und Art7 EMRK, indem sie eine Strafbefugnis ohne gesetzliche Grundlage in Anspruch nahm. Letztlich erachtet sich der Beschwerdeführer auch auf Grund der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt, weil §55 Abs4 ZTKG eine sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist zwischen dem Einlangen der Disziplinaranzeige beim Disziplinarausschuss und der Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorsehe, hingegen keine vergleichbare, durch den Disziplinaranwalt einzuhaltende Frist zur Einbringung einer Anzeige beim Disziplinarausschuss ab Kenntnis von einem Disziplinarvergehen verankert sei. Nach Ansicht des Beschwerdeführers müsste das Eingehen einer Anzeige bei der jeweiligen Länderkammer als fristenauslösendes Moment für die sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist betrachtet werden und nicht erst das Einbringen einer Anzeige bei der Geschäftsstelle des Vorsitzenden des Disziplinarausschusses durch den Disziplinaranwalt. §55 Abs4 ZTKG ermögliche dem Disziplinaranwalt daher ein willkürliches und somit verfassungswidriges Vorgehen hinsichtlich der Einbringung einer Disziplinaranzeige.
4. Die Berufungskommission sah von der Erstattung
einer Gegenschrift ab und übermittelte dem Verfassungsgerichtshof die Verwaltungsakten. Gleichzeitig mit dem Verwaltungsakt wurde eine Stellungnahme der Vorsitzenden des Disziplinarausschusses abgegeben. Darin wurden im Wesentlichen die in der Begründung des angefochtenen Bescheides angeführten Punkte erneut bekräftigt.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Kammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten (Ziviltechnikerkammergesetz 1993 - ZTKG), BGBl. 157/1994, in der Fassung BGBl. I 55/2011, lauten:
"Disziplinarvergehen
§55. (1) Ziviltechniker begehen ein Disziplinarvergehen, wenn sie das Ansehen oder die Würde des Standes durch ihr Verhalten beeinträchtigen oder die Berufs- oder Standespflichten verletzen.
(2) Die Tatsache, daß dieselbe Handlung oder
Unterlassung auch von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde zu ahnden ist, schließt die disziplinäre Verfolgung nicht aus.
(3) Die Organe der Kammern gemäß §1 Abs1, die von Disziplinarvergehen eines Ziviltechnikers Kenntnis erhalten, haben dies der Länderkammer, deren Mitglied der Ziviltechniker ist, mitzuteilen.
(4) Ein Ziviltechniker darf wegen eines Disziplinarvergehens nicht mehr verfolgt werden, wenn gegen ihn nicht innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von jenem Zeitpunkt, ab dem der Disziplinarausschuß von einem Disziplinarvergehen Kenntnis erlangt hat, ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist; sind seit der Beendigung des Disziplinarvergehens zehn Jahre verstrichen, so darf ein Erkenntnis nicht mehr gefällt oder vollstreckt werden.
Disziplinarstrafen
§56. (1) Disziplinarstrafen sind:
1. der schriftliche Verweis;
2. Geldstrafen bis zur Höhe von 18 150 €;
3. Entzug des aktiven und passiven Wahlrechtes für Kammerwahlen bis zur Dauer von fünf Jahren;
4. der Verlust der Befugnis.
(2) Die Disziplinarstrafe gemäß Abs1 Z3 kann neben den Disziplinarstrafen gemäß Abs1 Z2 ausgesprochen werden.
(3) Bei Bestimmung der Disziplinarstrafe ist im
einzelnen Fall auf die Schwere des Disziplinarvergehens und die daraus entstandenen Folgen sowie auf den Grad des Verschuldens und das bisherige Verhalten des Ziviltechnikers Rücksicht zu nehmen. Es ist ferner Bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Ziviltechniker von der Begehung weiterer Disziplinarvergehen abzuhalten. Ferner sind Milderungsund Erschwernisgründe und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ziviltechnikers zu berücksichtigen.
Disziplinarausschüsse
§57. (1) Bei jeder Länderkammer ist ein Disziplinarausschuß einzurichten. Dieser erkennt in erster Instanz über Disziplinarvergehen.
(2) Der Disziplinarausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die beide rechtskundig sein müssen, und aus je vier Mitgliedern und einem Ersatzmitglied je Sektion. Die Mitglieder (Ersatzmitglieder) werden von den Sektionsangehörigen gewählt.
(3) Der Vorsitzende und sein Stellvertreter werden vom Kammervorstand bestellt.
(4) Der Disziplinarausschuß verhandelt und
entscheidet in dreigliedrigen Senaten unter Leitung des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Vom Vorsitzenden sind für Dauer der Funktionsperiode für jede Sektion zwei Senate einzurichten, denen er zwei Angehörige der Sektion als Beisitzer zuzuteilen hat. Der Vorsitzende hat die Zuständigkeit der Senate festzulegen.
(5) Kann für eine Sektion kein Senat gebildet werden, der den Bestimmungen des Abs4 entspricht, hat der Vorsitzende den Fall einem anderen Senat zuzuweisen.
(6) Die Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab.
(7) Die Mitglieder des Disziplinarausschusses sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden.
Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten
§58. (1) Über Berufungen gegen Entscheidungen eines Disziplinarausschusses erkennt in zweiter und letzter Instanz die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten.
(2) Die Berufungskommission besteht aus einem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die beide Richter des Aktivstandes sein müssen, und aus zwölf Beisitzern. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter sind vom Vorstand der Bundeskammer zu bestellen. Die Beisitzer sind vom Kammertag aus den Reihen der aktiv wahlberechtigten Mitglieder der Länderkammern, die ihre Befugnis ausüben, zu wählen. Sie dürfen nicht gleichzeitig Mitglieder eines Disziplinarausschusses sein.
(3) Die Berufungskommission verhandelt und
entscheidet in fünfgliedrigen Senaten unter dem Vorsitz des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Die vier weiteren Mitglieder jedes Senates sind vom Vorsitzenden für die Dauer der Funktionsperiode in fortlaufender alphabetischer Reihenfolge aus der Liste der Beisitzer in der Weise zu bestimmen, daß mindestens zwei Mitglieder des Senates der Befugnisgruppe (Architekten, Ingenieurkonsulenten) des Beschuldigten angehören.
(4) Die fünfgliedrigen Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab.
(5) Die Mitglieder der Berufungskommission sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Erkenntnisse der Berufungskommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege.
Ausschließung und Ablehnung
§59. (1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Mitglieder der Disziplinarausschüsse und der Berufungskommission gelten die Bestimmungen des VII. Hauptstückes der Strafprozeßordnung 1975, BGBl. Nr. 631 in der jeweils geltenden Fassung, sinngemäß.
(2) Der Angezeigte (Beschuldigte) hat das Recht,
binnen einer Woche nach Zustellung des Verweisungsbeschlusses ein Mitglied des Senates ohne Angabe von Gründen abzulehnen.
Disziplinaranwalt
§60. (1) Die Kammervorstände der Länderkammern und der Vorstand der Bundeskammer haben je einen Disziplinaranwalt sowie einen oder mehrere Stellvertreter zu bestellen, die rechtskundig sein müssen.
(2) Der Disziplinaranwalt hat die Anzeige über Disziplinarvergehen als Partei zu vertreten. Der Disziplinaranwalt der Länderkammer hat bei Verdacht eines Disziplinarvergehens Anzeige an den zuständigen Senat zu erstatten. Er hat dem Präsidenten laufend über seine Tätigkeit zu berichten.
Verteidigung
§61. Der Angezeigte (Beschuldigte) kann sich selbst verteidigen oder durch einen Ziviltechniker oder einen Verteidiger in Strafsachen verteidigen lassen. Die Bestellung eines Verteidigers schließt nicht aus, daß er im eigenen Namen Erklärungen abgibt.
Einleitung des Disziplinarverfahrens
§62. (1) Der zuständige Senat des Disziplinarausschusses hat nach Anhörung des Disziplinaranwaltes ohne mündliche Verhandlung zu beschließen, ob das Disziplinarverfahren einzuleiten ist.
(2) Der Beschluß ist dem Angezeigten (Beschuldigten) und dem Disziplinaranwalt zuzustellen.
(3) Gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist kein Rechtsmittel zulässig. Gegen den Beschluß des Disziplinarausschusses, mit dem die Einleitung abgelehnt wird, steht dem Disziplinaranwalt die Berufung an die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten offen."
2. Die besonders relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über Ziviltechniker (Ziviltechnikergesetzes 1993 - ZTG), BGBl. 156/1994, in der Fassung BGBl. I 58/2010, lauten:
"§4. (1) Ziviltechniker sind, sofern bundesgesetzlich nicht eine besondere Berechtigung gefordert wird, auf dem gesamten, von ihrer Befugnis umfassten Fachgebiet zur Erbringung von planenden, prüfenden, überwachenden, beratenden, koordinierenden, mediativen und treuhänderischen Leistungen, insbesondere zur Vornahme von Messungen, zur Erstellung von Gutachten, zur berufsmäßigen Vertretung vor Behörden und Körperschaften öffentlichen Rechts, zur organisatorischen und kommerziellen Abwicklung von Projekten, ferner zur Übernahme von Gesamtplanungsaufträgen, sofern wichtige Teile der Arbeiten dem Fachgebiet des Ziviltechnikers zukommen, berechtigt.
(2) - (5) [...]
[...]
Erlöschen, Aberkennung und Ruhen der Befugnis
§17. (1) - (6) [...]
(7) Während des Ruhens der Befugnis sind
Ziviltechniker nicht berechtigt:
1. öffentliche Urkunden (§4 Abs3) zu errichten oder
2. Ziviltechnikerleistungen (§4 Abs1 und 2) zu
erbringen oder anzubieten.
(8) - (10) [...]"
3. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, mit der die Standesregeln festgesetzt werden, in der Fassung der 114. Verordnung mit den Änderungen der 124., 142., 187., 194. und 203. Verordnung der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (Standesregeln der Ziviltechniker) lauten:
"1. Allgemeine Pflichten
1.1. Der Ziviltechniker hat die ihm verliehene
Befugnis unter Beachtung der einschlägigen Gesetze gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb seines Berufes der Achtung und des Vertrauens der Öffentlichkeit gegenüber seinem Stand würdig zu erweisen."
III. Erwägungen
1. Die in der Beschwerde vorgebrachten Bedenken ob der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bzw. ob der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes erweisen sich aus folgenden Gründen als nicht stichhaltig:
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8900/1980 und 16.550/2002 mwN) wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter etwa dann verletzt, wenn die Behörde eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, die ihr wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr zukommt.
2.1. §55 Abs4 ZTKG normiert, dass ein Ziviltechniker wegen eines Disziplinarvergehens nicht mehr verfolgt werden darf, wenn gegen ihn nicht innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von jenem Zeitpunkt, ab dem der Disziplinarausschuss von einem Disziplinarvergehen Kenntnis erlangt hat, ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Gemäß §60 Abs2 zweiter Satz ZTKG hat der Disziplinaranwalt der Länderkammer bei Verdacht eines Disziplinarvergehens Anzeige an den zuständigen Senat des Disziplinarausschusses zu erstatten. Eine spezifische Frist, innerhalb welcher der Disziplinaranwalt ab Kenntnis eines möglichen Disziplinarvergehens eine Anzeige an den Disziplinarausschuss zu erstatten hat, ist dem Ziviltechnikerkammergesetz nicht zu entnehmen.
2.2. Wie sich aus dem Beschwerdevorbringen und dem Verwaltungsakt zur Feststellung des vorliegenden Sachverhaltes ergibt, ist beim Disziplinaranwalt am 16. Februar 2010 eine "Disziplinaranfrage" hinsichtlich eines möglichen standeswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers eingegangen. Der Disziplinaranwalt ersuchte den Beschwerdeführer in weiterer Folge mit Schreiben vom 22. November 2010 um Stellungnahme zu den vorgeworfenen Standesverletzungen und wies auf die gegebenenfalls drohende Erstattung einer Disziplinaranzeige an den Disziplinarausschuss hin. Der Beschwerdeführer erstattete mit Schreiben vom 28. November 2010 eine Stellungnahme zu den Vorhalten. Seitens des Disziplinaranwalts erging am 28. Jänner 2011 die Disziplinaranzeige an den Disziplinarausschuss hinsichtlich eines Disziplinarvergehens gemäß §17 Abs7 Z2 ZTG iVm Punkt 1.1. der Standesregeln der Ziviltechniker.
2.3. Da der Disziplinarausschuss als Behörde erster Instanz betreffend die am 28. Jänner 2011 vom Disziplinaranwalt erstattete Disziplinaranzeige innerhalb der in §55 Abs4 ZTKG normierten Frist von sechs Monaten, nämlich am 27. Juni 2011 den - durch Hinterlegung am 30. Juni 2011 zugestellten - Beschluss fasste, gemäß §62 ZTKG ein Disziplinarverfahren über den Beschwerdeführer einzuleiten, ist im vorliegenden Fall die Verfolgungsverjährung in Bezug auf das dem Beschwerdeführer vorgehaltene, in Widerspruch zu den Standesregeln der Ziviltechniker stehende Verhalten nicht eingetreten. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
3. Auch das geltend gemachte Bedenken, der
angefochtene Bescheid verletzte den Beschwerdeführer in Rechten, weil er sich auf ein verfassungswidriges Gesetz stütze, erweist sich als unzutreffend.
3.1. Gegen die Bestimmung des §55 Abs4 erster
Halbsatz ZTKG, wonach als maßgeblicher Zeitpunkt, ab dem die sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist (erst) zu laufen beginnt, der Zeitpunkt der Erstattung der Disziplinaranzeige durch den Disziplinaranwalt an den Disziplinarausschuss heranzuziehen ist und keine Frist zur Einbringung einer Anzeige durch den Disziplinaranwalt beim Disziplinarausschuss ab Kenntnis von einem Disziplinarvergehen verankert ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken:
Nach dem Sinn und Zweck des §55 Abs4 ZTKG soll der Disziplinaranwalt hinsichtlich eines ihm zur Kenntnis gelangten Verdachts betreffend das Vorliegen eines Disziplinarvergehens ein "Vor"- bzw. "Ermittlungsverfahren" durchführen, von dessen Ergebnissen er die Erstattung einer Disziplinaranzeige abhängig macht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss diese "Ermittlungstätigkeit" des Disziplinaranwaltes nicht an Verjährungsfristen gebunden sein, weil es sich um die (Plausibilitäts-)Prüfung des Vorliegens eines Disziplinarvergehens handelt. Es obliegt dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsermessens, ob er die ("Ermittlungs"-)Tätigkeit einer Stelle - wie in gegenständlichem Fall des Disziplinaranwalts - an bestimmte Fristen bindet oder nicht.
3.2. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht geboten, dass bereits das Eingehen einer "Disziplinaranfrage" bei der jeweiligen Länderkammer (und nicht erst die Kenntnisnahme durch den Disziplinarausschuss) die Verfolgungsverjährungsfrist, ähnlich der in §55 Abs4 ZTKG geregelten, auszulösen hat, weil zu einem Zeitpunkt, in dem der Disziplinaranwalt die - oft von dritter Seite - eingebrachten Vorhalte noch nicht kennen und noch nicht prüfen konnte, das tatsächliche Vorliegen eines Disziplinarvergehens nicht beurteilt werden kann. Dazu kommt, dass erst mit dem Einleitungsbeschluss des Disziplinarausschusses etwaige negative Wirkungen für den Betroffenen verbunden sind und bis dahin das Verfahren keine rechtlichen negativen Wirkungen entfalten kann.
3.3. Im Übrigen ist auf §55 Abs4 zweiter Halbsatz
ZTKG zu verweisen, der eine absolute Strafbarkeits- und Vollstreckungsverjährungsfrist von zehn Jahren seit der Beendigung des Disziplinarvergehens vorsieht. Angesichts dieser klaren Verjährungsregelung kann der Verfassungsgerichtshof keinen Anhaltspunkt für eine Verfassungswidrigkeit des Systems des Ziviltechnikerkammergesetzes betreffend die zeitliche Zulässigkeit der Verfolgung sowie der Fällung oder Vollstreckung eines Straferkenntnisses wegen eines Disziplinarvergehens erkennen.
4. Auch dem Bedenken, der angefochtene Bescheid würde in Widerspruch zu Art7 B-VG und Art2 StGG stehen, weil die belangte Behörde durch unrichtige Gesetzesauslegung das Nichteintreten der Verfolgungsverjährung angenommen habe, ist - wie dem Bedenken, die belangte Behörde habe gegen Art6 und Art7 EMRK verstoßen, indem sie eine Strafbefugnis ohne gesetzliche Grundlage in Anspruch genommen hätte - nicht beizutreten. Da das Ziviltechnikerkammergesetz - verfassungsrechtlich unbedenklich - keine spezifischen Fristen normiert, innerhalb derer der Disziplinaranwalt eingelangte "Disziplinaranfragen" prüfen und in weiterer Folge eine Anzeige betreffend ein Disziplinarvergehen an den Disziplinarausschuss erstatten muss, ist dem Disziplinaranwalt kein willkürliches und somit verfassungswidriges Vorgehen zu unterstellen. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der belangten Behörde ein Verstoß gegen Art6 und 7 EMRK zur Last gelegt werden sollte. Sie hat ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde mangels eingetretener Verfolgungsverjährung zu Recht wahrgenommen und über das Berufungsbegehren, das - wie auch die gegenständliche Beschwerde - auf das Vorliegen des Verfolgungshindernisses der Verjährung gerichtet war, rechtsrichtig abgesprochen.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1.1. Die behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten hat sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
1.2. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ziviltechniker Kammer, Disziplinarrecht, Verjährung, Verfolgungsverjährung, fair trial, Klarheitsgebot, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B924.2012Zuletzt aktualisiert am
08.03.2013