Index
25/02 Strafvollzug;Norm
StVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Vollzugsdirektion (Direktion für den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen) in 1070 Wien, Kirchberggasse 33, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz vom 8. August 2012, Zl. Vk 106/12-4, betreffend Strafvollzug (weitere Partei:
Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: H B in S, vertreten durch Dr. Franz Essl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit (seit 31. Oktober 2007) rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 11. Jänner 2007 wurde der Mitbeteiligte (im Folgenden: M) unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 201 Abs. 1 StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs. 3 StGB ein Strafenteil von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Strafvollzugsanordnung vom 23. November 2007 ordnete das Landesgericht Salzburg den Vollzug der unbedingt verhängten Freiheitsstrafe von 8 Monaten (ohne Abzug einer Anrechnung) an.
Einem nach dieser Aufforderung zum Strafantritt gestellten Antrag um Aufschub des Strafvollzuges gab das Landesgericht Salzburg mit Beschluss vom 18. Dezember 2007 Folge; dem M wurde danach gemäß § 6 Abs. 1 Z. 2 lit. a Strafvollzugsgesetz (StVG) Strafaufschub bis 2. Mai 2008 gewährt.
Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 28. April 2008 wurde - nachdem der M die Wiederaufnahme des Strafverfahrens und die Hemmung des Strafvollzuges beantragt hatte - der Strafvollzug gemäß § 357 Abs. 3 StPO vorläufig gehemmt.
Nachdem (letztlich) mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 23. November 2011 der (mit Schriftsatz vom 25. April 2008 gestellte) Wiederaufnahmeantrag rechtskräftig abgewiesen worden war, beantragte der M am 21. Dezember 2011 die nachträgliche Milderung der Strafe sowie den Aufschub des Strafvollzuges bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag.
Mit (auf Grund der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 2. März 2012) rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 30. Jänner 2012 wurde (dem Antrag des M teilweise Folge gegeben und derart) die über den M verhängte Freiheitsstrafe gemäß § 31a Abs. 1 StGB dahin gemildert, dass der unbedingt verhängte Teil der Freiheitsstrafe auf 6 Monate herabgesetzt wurde; gleichzeitig war der Strafvollzug bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die beantragte nachträgliche Milderung der Strafe aufgeschoben worden.
Am 19. März 2012 beantragte der M die Bewilligung des Vollzuges des unbedingt verhängten Teiles der Freiheitsstrafe von 6 Monaten - nachdem er mit Strafvollzugsanordnung des Landesgerichtes Salzburg vom 15. März 2012 zum Antritt dieser Strafe aufgefordert worden war - in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes (EÜH).
Mit Bescheid vom 3. Juli 2012 lehnte der Leiter der Justizanstalt Salzburg diesen Antrag des M ab.
Dagegen erhob der M das Rechtsmittel der Beschwerde.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 8. August 2012 hat die belangte Behörde (Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz) über diese Beschwerde des M wie folgt entschieden:
"Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:
Der Antrag des H B vom 19. März 2012 auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 11. Jänner 2007, GZ 40 Hv 147/06a-16, verhängten (unbedingten Teil) Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes wird gemäß §§ 156b ff StVG iVm der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den Vollzug von Strafen und der Untersuchungshaft durch elektronisch überwachten Hausarrest (HausarrestV BGBl. II Nr. 279/10) bewilligt.
Zugleich werden ihm die sich aus der einen Bestandteil dieses Bescheides bildenden Einverständniserklärung (Anlage 1, ON 2 der Aktenübersicht EüH) ergebenden Pflichten, erweitert um die nachstehend angeführten Verhaltenspflichten, als Bedingungen seiner Lebensführung während des elektronisch überwachten Hausarrestes auferlegt; über das bei Beginn der Durchführung des elektronisch überwachten Hausarrestes zugrunde zu legende Aufsichtsprofil hat der Anstaltsleiter zu entscheiden.
Dem Antragsteller wird gemäß §§ 156b Abs 2, 156d Abs 2 StVG iVm § 3 Z 7, 11 HausarrestV aufgetragen,
1. sich alkoholischer Getränke zur Gänze zu enthalten (absolutes Alkoholverbot) und
2. dem Anstaltsleiter wöchentlich Zeitbestätigungen über die Präsenz am Arbeitsplatz und monatlich einen Nachweis über den Eingang der Gehaltszahlung vorzulegen, und
3. den V E zugesprochenen Ersatzbetrag iHv EUR 5.000,- nach Kräften gutzumachen und monatlich Zahlungsbelege dem Anstaltsleiter vorzulegen.
H B hat gemäß §§ 156b, 156d Abs 2 StVG iVm der HausarrestV die mit dem elektronisch überwachten Hausarrest verbundenen Kosten mit einem Betrag iHv EUR 22,00 (in Worten: zweiundzwanzig Euro) pro angefangenem Kalendertag zu ersetzen."
Begründend führte die belangte Behörde - nach Darstellung des Verfahrensverlaufs und der Rechtslage - aus, sie lege den nachfolgend festgestellten Sachverhalt ihrer Entscheidung zugrunde. Ab 1999/2000 sei der M Händler für Futtermittel (für Hunde und Katzen) sowie Ausrüstung und Zubehör gewesen; er sei zu den Tatzeiten als Kursleiter in einem Hundesportverein beschäftigt gewesen. Im Hundesportverein sei der M dafür bekannt gewesen, weiblichen Vereinsmitgliedern ohne jegliche Distanz gegenüberzutreten, ihre körperliche Nähe zu suchen; dieses Verhalten habe er dann eingestellt, wenn er ausdrücklich und forsch dazu aufgefordert worden sei. Die seinerzeit im Strafverfahren vernommenen (näher angeführten) Zeuginnen hätten das Verhalten des M, das im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft im Hundesportverein gestanden sei, geschildert. Bis 2. Mai 2008 sei dem M der Aufschub des Strafvollzuges gewährt worden, weil er auf Grund der Aufgabe seines Unternehmens durch die sofortige Vollstreckung (der Haftstrafe) wirtschaftliche Nachteile erleide. Nach jahrelanger Arbeitslosigkeit sei der M vom 1. März bis 30. April 2012 als Arbeiter geringfügig beschäftigt gewesen; seit 1. Mai 2012 sei er bei dem näher bezeichneten Unternehmen mit einem näher bezeichneten Lohn als Hilfsarbeiter in Vollzeit beschäftigt. Der M wohne in einem Einfamilienhaus und habe für die Benützung die im einzelnen dargestellten Kosten zu tragen bzw. Leistungen zu erbringen. Abgesehen von der zum Vollzug anstehenden Verurteilung sei der M strafgerichtlich unbescholten. Hinweise auf Vorfälle bzw. Risikofaktoren, die mit Grund befürchten ließen, der M werde die Vollzugsform des EÜH missbrauchen, lägen nicht vor.
Zur Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST), wonach "ein Missbrauch angesichts der berichteten und urteilsrelevanten Informationen nicht unwahrscheinlich" wäre, führte die belangte Behörde aus, die Begutachtungsstelle habe zwar zutreffend aus den Verhältnissen während der Tatbegehung die Beschäftigungsverhältnisse als prognoserelevant angesehen; insoweit sei durch die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung als Arbeiter (in einem Installationsbetrieb) aber eine Änderung der seinerzeit die Taten begünstigenden Konstellation eingetreten. Die Taten des M würden mehr als 6 ½ Jahren zurückliegen. Nach Äußerung der Begutachtungsstelle habe sich seinerzeit Alkoholkonsum tatbegünstigend ausgewirkt. Die von der BEST angestellte Schlussfolgerung reiche angesichts der die Risikofaktoren mindernden Änderungen in den Lebensumständen und des langen Zeitablaufes bzw. Wohlverhaltens (des M) vor und nach der Tat nicht aus, einen Missbrauch der Vollzugsform mit Grund zu befürchten; dies (auch) im Zusammenhalt mit den ihm erteilten Weisungen (absolutes Alkoholverbot, engmaschige Überwachung der durch die Arbeit strukturierten Lebensumstände und mögliche Schadensgutmachung aufgrund der Arbeit). Eingedenk dieser Weisungen sei der in der Verurteilung liegende Risikofaktor soweit gemindert, dass eine Negativprognose ausgeschlossen werden könne. Mit der engmaschig ausgestalteten Struktur des EÜH könne (auch) generalpräventiven Belangen Rechnung getragen werden. Ein genereller Ausschluss einer Tätergruppe von der Vollzugsform des EÜH aus Gründen der Generalprävention sei den Vollzugsbehörden nicht überantwortet.
In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde daher davon aus, dass im vorliegenden Fall auf Grund aller für die Risikoprognose bedeutsamen Merkmale - im Zusammenhang mit den erteilten Weisungen - ein Missbrauch der Vollzugsform nicht mit Grund angenommen werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Vollzugsdirektion (§ 121 Abs. 5 StVG).
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der M erstattete auch eine Gegenschrift, in der er beantragte, die Amtsbeschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl Nr. 144/1969 (StVG), in der am 1. September 2010 in Kraft getretenen und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 64/2010 lauten:
"Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest Grundsätze des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten
Hausarrest
§ 156b. (1) Der Vollzug der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests bedeutet, dass der Strafgefangene sich in seiner Unterkunft aufzuhalten, einer geeigneten Beschäftigung (insbesondere einer Erwerbstätigkeit, einer Ausbildung, der Kinderbetreuung, gemeinnütziger Arbeit oder einer vergleichbaren der Wiedereingliederung dienenden Tätigkeit) nachzugehen und sich angemessenen Bedingungen seiner Lebensführung außerhalb der Anstalt (Abs. 2) zu unterwerfen hat. Dem Strafgefangenen ist es untersagt, die Unterkunft außer zur Ausübung seiner Beschäftigung, zur Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfs, zur Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Hilfe oder aus sonstigen in den Bedingungen genannten Gründen zu verlassen. Er ist durch geeignete Mittel der elektronischen Aufsicht zu überwachen und soweit zu betreuen, als dies zur Erreichung des erzieherischen Strafzwecks erforderlich ist.
(2) Die Bedingungen sollen eine den Zwecken des Strafvollzugs dienende Lebensführung sicherstellen und insbesondere die in der Unterkunft zu verbringenden Zeiten sowie die Beschäftigungszeiten, welche tunlichst der Normalarbeitszeit zu entsprechen haben, festlegen. Die Bundesministerin für Justiz ist ermächtigt, durch Verordnung Richtlinien für die Gestaltung der Bedingungen der Lebensführung außerhalb der Anstalt sowie über die Art und die Durchführung der elektronischen Überwachung, einschließlich der Festlegung jener Justizanstalten, die über Einrichtungen zur elektronischen Aufsicht zu verfügen haben, zu erlassen.
(3) Der Strafgefangene hat die mit Verordnung der Bundesministerin für Justiz festzusetzenden Kosten des elektronischen Hausarrests zu ersetzen. Diese Verpflichtung entfällt, soweit durch ihre Erfüllung der zu einer einfachen Lebensführung notwendige Unterhalt des Strafgefangenen und der Personen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, gefährdet wäre. Die Kosten sind monatlich im Nachhinein bis zum Fünften des Folgemonats zu entrichten. Die Verpflichtung zum Kostenersatz bildet einen gesonderten Ausspruch der Bewilligung (§ 156d Abs. 2).
(4) Die §§ 1 bis 3, 4 bis 20, 22, 26, 27, 30 Abs. 1, 32a, 35, 36 Abs. 1, 64 Abs 2 letzter Satz, 72, 99, 99a, 102 Abs. 1, 102a, 103 Abs. 4 bis Abs. 6, 104 bis 106, 107, 108, 109 Z 1, 4 und 5, 110, 113 bis 116a, 118, 119 bis 122, 123, 126 Abs. 2 Z 4, 133, 144 Abs. 2, 145, 146 Abs. 1, 147, 148, 149 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5, 152, 152a, 153, 154 Abs. 2, 156 Abs. 1 erster Satz, 156a, 179, 179a, 180 und 180a gelten sinngemäß.
Bewilligung und Widerruf
§ 156c. (1) Der Vollzug einer zeitlichen Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests ist auf Antrag des Strafgefangenen oder auf Grund eines schon vor Strafantritt zulässigen Antrags des Verurteilten zu bewilligen, wenn
1. die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt oder nach sinngemäßer Anwendung des § 145 Abs. 2 voraussichtlich nicht übersteigen wird,
2. der Rechtsbrecher im Inland
a.
über eine geeignete Unterkunft verfügt,
b.
einer geeigneten Beschäftigung nachgeht,
c.
Einkommen bezieht, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann,
d. Kranken- und Unfallversicherungsschutz genießt,
3. die schriftliche Einwilligung der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen vorliegt, und
4. nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs. 2) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird.
(2) Die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest ist zu widerrufen, wenn
1. eine für ihre Anordnung notwendige Voraussetzung wegfällt, wobei § 145 Abs. 3 sinngemäß gilt,
2. der Strafgefangene eine Anordnung oder eine ihm auferlegte Bedingung entweder in schwerwiegender Weise oder trotz einer förmlicher Mahnung nicht einhält,
3. der Strafgefangene länger als einen Monat mit der Zahlung des Kostenbeitrags in Verzug ist, wobei eine neuerliche Bewilligung nicht in Betracht kommt, bevor der rückständige Kostenbeitrag entrichtet worden ist,
4. der Strafgefangene erklärt, die Bedingungen nicht mehr einhalten zu können, oder
5. gegen den Strafgefangenen der dringende Verdacht besteht, eine vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung während des elektronisch überwachten Hausarrests oder eine vorsätzliche oder fahrlässige gerichtlich strafbare Handlung, deren Aburteilung nach Abs. 1 Z 4 einer Bewilligung des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest entgegenstehen würde, begangen zu haben oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen zu wollen.
Zuständigkeit und Verfahren
§ 156d. (1) Die Entscheidungen über die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest und den Widerruf stehen dem Leiter der Justizanstalt zu, in der die Freiheitsstrafe im Zeitpunkt der Antragstellung vollzogen wird oder in der sie zu vollziehen wäre, wenn die Unterkunft des Strafgefangenen oder Verurteilten im Sprengel desjenigen Landesgerichtes gelegen ist, in dem auch die Justizanstalt liegt, und diese über Einrichtungen zur elektronischen Überwachung verfügt (§ 156b Abs. 2). Wird der Strafgefangene in einer anderen Anstalt angehalten, kommt die Entscheidung über die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest der Vollzugsdirektion zu, die im Falle der Genehmigung des Antrags zugleich die erforderliche Strafvollzugsortsänderung zu verfügen hat. § 135 Abs. 2 erster Satz letzter Halbsatz und zweiter Satz sowie Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden.
(2) Zugleich mit der Bewilligung des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests sind dem Strafgefangenen die Bedingungen seiner Lebensführung außerhalb der Anstalt (§ 156b Abs. 2) sowie der von ihm zu entrichtende Betrag des Kostenersatzes (§ 156b Abs. 3) aufzuerlegen und ihm erforderlichenfalls Betreuung durch eine in der Sozialarbeit erfahrene Person (§ 29c Bewährungshilfegesetz in der Fassung BGBl. I Nr. 64/2010) zu gewähren.
(3) Wurde der Rechtsbrecher wegen einer im § 52a Abs. 1 StGB genannten strafbaren Handlung verurteilt, so ist vor Entscheidung zur Prüfung der Voraussetzungen des § 156c Abs. 1 Z 4 eine Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter einzuholen.
(4) Kann über den Antrag eines Verurteilten nicht innerhalb der Frist des § 3 Abs. 2 entschieden werden, so ist die Anordnung des Strafvollzuges bis zur rechtskräftigen Entscheidung vorläufig zu hemmen, wenn der Antrag nicht offenbar aussichtslos ist. Wird dem Antrag stattgegeben, hat sich die Aufnahme auf die in den §§ 131 Abs. 1 sowie 132 Abs. 4 und 7 vorgesehenen Maßnahmen zu beschränken."
Die Amtsbeschwerde macht geltend, der angefochtene Bescheid sei infolge unrichtiger Anwendung "des § 156c Abs. 1 StVG" rechtswidrig. Sie bringt dazu vor, im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 156c Abs. 1 StVG sei nicht nur das auffällige Verhalten des M gegenüber den weiblichen Mitgliedern im Hundesportverein, sondern auch zu berücksichtigen, dass der Verurteilte seine Taten zu keinem Zeitpunkt zugestanden sondern verharmlost habe; es mangle ihm "offensichtlich an der Deliktseinsicht und an einem daher einhergehenden Problembewusstsein". Außerdem stehe die Mitgliedschaft beim Hundesportverein nicht zwingend mit der beruflichen Tätigkeit als Händler für Futtermittel im Zusammenhang. Nach der Stellungnahme der BEST zeige der Verurteilte Probleme in der Bindungsfähigkeit und der sexuellen Selbstregulation und habe eine Neigung zum problematischen Alkoholkonsum sowie zu erhöhter Aggressionsbereitschaft (unter Alkohol). Der Wechsel des Arbeitsplatzes und die Weisung zu absolutem Alkoholverbot könnten die in der Verurteilung liegenden Risikofaktoren nicht mindern. Es sei daher von "einer begründeten Befürchtung des Missbrauches der Vollzugsform" auszugehen.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Amtsbeschwerde keine Rechtswidrigkeit in der Prognosebeurteilung der belangten Behörde auf.
Wie der Verwaltungsgerichtshof zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 156c Abs. 1 Z. 4 StVG bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2012, Zl. 2011/01/0243, vom 15. März 2012, Zl. 2011/01/0226, und vom 19. April 2012, Zl. 2011/01/0258) stellt die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests missbrauchen, eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist.
Die belangte Behörde hat ihre Prognoseentscheidung anhand der dargestellten Kriterien begründet und ihren dabei bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Die in der Amtsbeschwerde behauptete fehlende Deliktseinsicht des M findet selbst in der Äußerung der BEST keine Deckung, da sie auf diese Frage überhaupt nicht eingegangen ist. Die BEST stützt sich nämlich ausschließlich auf Aussagen, die dem lange zurückliegenden gerichtlichen Strafverfahren entnommen wurden. Das von der BEST dargelegte Persönlichkeitsbild des M beruht auf Grundlagen aus der Zeit vor der strafgerichtlichen Verurteilung. Demgegenüber ist der M danach während eines Zeitraumes von (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) mehr als 5 Jahren strafgerichtlich nicht in Erscheinung getreten. Nach dem Bericht von NEUSTART Salzburg vom 15. Mai 2012 ergaben die Erhebungen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Missbrauch der Vollzugsform (des EÜH) durch den M zu befürchten wäre.
Die Auffassung der belangten Behörde, die auf Grund der im angefochtenen Bescheid dargelegten, nicht als unschlüssig zu erkennenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangte, die auf lange zurückliegenden Beurteilungsgrundlagen beruhende Einschätzung der BEST sei - angesichts des Umstandes, dass M seit den letzten Tathandlungen mehr als 6 Jahre in Freiheit war und keinen Anlass zu strafgerichtlichem Vorgehen geboten hat - für sich nicht ausreichend, um einen Missbrauch der Vollzugsform mit Grund zu befürchten, ist daher - auch vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens - nicht als rechtswidrig zu erkennen; dass für einen Missbrauch der Vollzugsform durch den auch während der Jahre seit der Verurteilung auf freiem Fuß befindlichen M konkrete Anhaltspunkte bestünden, behauptet die Amtsbeschwerde selbst nicht.
Aus welchem Grund aber das M erteilte absolute Alkoholverbot nicht risikomindernd sei, wird in der Amtsbeschwerde nicht einmal ansatzweise dargetan.
Die Amtsbeschwerde macht noch geltend, die belangte Behörde hätte "vor dem Hintergrund des vorliegenden Delikts bei zudem nicht geständiger Verantwortung des Verurteilten im Strafverfahren" im Hinblick auf die "Zwecke des Strafvollzuges iSd § 20 StVG" die Vollzugsform des EÜH nicht bewilligen dürfen. Vorliegend bedürfe es des "geschlossenen Vollzuges", um dem M den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzuzeigen. Hinzutrete auch der "generalpräventive Gedanke". Im konkreten Fall sei auch zu berücksichtigen, dass das Urteilsgericht von der "Möglichkeit des § 266 StPO" noch keinen Gebrauch habe machen können, weil das Urteil 2007 vor Inkrafttreten "dieser mit jenen über den Hausarrest eingeführten Bestimmung ergangen ist".
Auch mit diesen Ausführungen zeigt die Amtsbeschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits dargelegt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2011/01/0243) ist der EÜH nach dem Willen des Gesetzgebers eine besondere Vollzugsform der Freiheitsstrafe. Der EÜH ist nicht bloß ein gelinderes Mittel. Zur Strafhaft im engeren Sinn gehören auch die im EÜH verbrachten Zeiten (vgl. Drexler, StVG, 2. Auflage 2010, § 1 Rz 2).
Mit der Behauptung, die Vollzugsform des EÜH entspräche bei Delikten wie dem von M begangenen nicht den Zwecken des Strafvollzuges, entfernt sich die Amtsbeschwerde vom Gesetz. Diesem liegt eine solche Einschränkung der Bewilligung des EÜH nämlich nicht zu Grunde. Die Strafvollzugsbehörde ist im Grunde des StVG auch nicht ermächtigt, die Bewilligung des EÜH aus generalpräventiven Erwägungen, die in den - oben dargestellten - Bewilligungsvoraussetzungen keinen Niederschlag gefunden haben, zu verweigern.
Dass eine bestimmte Tätergruppe vom Anwendungsbereich der Vollzugsform des EÜH von vornherein auszunehmen wäre, trifft nach der geltenden Rechtslage nicht zu.
Entgegen der Ansicht der Amtsbeschwerde ist die am 1. September 2010 in Kraft getretene Bestimmung des § 266 Abs. 1 StPO niemals (also weder vor dem 1. September 2010 noch nach diesem Zeitpunkt) von den Vollzugsbehörden, sondern immer ausschließlich von dem erkennenden Strafgericht anzuwenden. Bei dem Ausspruch nach § 266 Abs. 1 StPO handelt es sich um einen Ausspruch über die Strafe durch das erkennende Strafgericht. Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides kann aus der Bestimmung des § 266 Abs. 1 StPO nicht abgeleitet werden.
Die sich somit als unbegründet erweisende Amtsbeschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz (des M) beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 11. Oktober 2012
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2012:2012010119.X00Im RIS seit
07.11.2012Zuletzt aktualisiert am
22.08.2013