TE Vwgh Erkenntnis 2012/10/11 2011/01/0246

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Veröffentlicht am 11.10.2012
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Index

E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/02 Familienrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
EheG §55a;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §20;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des K B in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. Juli 2011, Zl. MA 35/IV-B 296/2009, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde 1975 in Indien geboren. Er hielt sich seit 14. August 1998 im Bundesgebiet auf und heiratete am 22. Dezember 2000 vor dem Standesamt Güssing die österreichische Staatsbürgerin R H.

Am 8. April 2003 beantragte er bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. September 2003 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass er binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem indischen Staatsverband (Entlassungsurkunde, Bestätigung über den Verlust der Staatsangehörigkeit) erbringt.

Im Zuge der Ausfolgung dieses Zusicherungsbescheides am 13. Oktober 2003 bestätigte der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift unter anderem, dass die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin R H nicht aufgelöst sei und er im gemeinsamen Haushalt mit ihr lebe.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. November 2003 wurde dem Beschwerdeführer mit Wirkung vom selben Tag nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Im Zuge dieser Verleihung wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich befragt, wobei er (am 18. November 2003) angab und mit seiner Unterschrift bestätigte, dass die Ehe mit (der österreichischen Staatsbürgerin) R H aufrecht sei und er mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt lebe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. Juli 2011 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:

"Das mit rechtskräftigem Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 18. November 2003 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, in welchem Herrn K B, geboren am 17. September 1975 in L, Indien, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 1991/51 in der geltenden Fassung, in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG wieder aufgenommen, und zwar zum Zeitpunkt vor Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, sohin vor 13. Oktober 2003."

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin R H sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 22. Jänner 2004 (zu GZ 1C 201/03v-5) rechtskräftig (zu ergänzen: im Einvernehmen gemäß § 55a Ehegesetz) geschieden. Die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer weder im Zeitpunkt der Ausfolgung des Zusicherungsbescheides (13. Oktober 2003) noch im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (18. November 2003) mit der Ehegattin R H einen gemeinsamen Haushalt geführt habe, zumal der gemeinsame Haushalt spätestens Anfang Oktober 2003 aufgelöst worden sei.

Diese Feststellungen würden sich aus den zeugenschaftlichen Aussagen der ehemaligen Ehegattin R H und den Angaben des Beschwerdeführers in Verbindung mit den Angaben im Scheidungsantrag ergeben. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, der Beschwerdeführer habe sowohl den Zusicherungs- als auch den Verleihungsbescheid durch unrichtige Angaben und das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (betreffend den gemeinsamen Haushalt mit der österreichischen Staatsbürgerin und früheren Ehegattin R H) erschlichen. Im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 69 Abs. 3 AVG sei davon auszugehen, dass die Nachteile des mit der Wiederaufnahme verbundenen rückwirkenden Verlustes der Staatsbürgerschaft und die Tatsache, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft beinahe acht Jahre zurückliege, den Umstand der vorsätzlichen Täuschung der Behörde nicht aufwiegen könnten. Das Verfahren sei daher zum Zeitpunkt vor der Verleihung und auch vor der Zusicherung wiederaufzunehmen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die verfügte Wiederaufnahme ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 2. März 2010 in der Rechtssache C 135/08, Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (25. Juli 2011) dies bereits bedenken müssen. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 26) hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. die hg. Erkenntnisse jeweils vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0067 und Zl. 2009/01/0064).

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (vgl. auch die hg. Erkenntnisse jeweils vom 16. Februar 2012, Zl. 2010/01/0063 und Zl. 2010/01/0031, vom 15. März 2012, Zl. 2010/01/0050, und vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/01/0145).

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 11. Oktober 2012

Gerichtsentscheidung

EuGH 62008CJ0135 Janko Rottman VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2012:2011010246.X00

Im RIS seit

08.11.2012

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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