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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Mag. Johann Galanda, Dr. Anja Oberkofler, Rechtsanwälte in 1120 Wien, Arndtstraße 87/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 4. Dezember 2008, Zl. E1/235.629/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.309,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 4. Dezember 2008 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Sie begründete dies im Wesentlichen mit einer Verurteilung des Beschwerdeführers am 26. Jänner 2006 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs. 2 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten und stellte die der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten näher dar.
Weiters führte die belangte Behörde - zusammengefasst - aus, dass dem Beschwerdeführer erstmals über seinen Antrag vom 19. November 1992 ein Sichtvermerk erteilt worden sei; am 10. März 1997 sei er jedoch wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtskräftig bestraft worden. Im Hinblick auf seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin am 23. Jänner 2003 sei ihm über seinen Antrag vom 27. Jänner 2003 ein Aufenthaltstitel erteilt und in weiterer Folge verlängert worden.
Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 7. Juli 2006 bzw. in der Berufung vom 20. November 2006 (u.a.) geltend gemacht, dass in Österreich derzeit seine Mutter, sein Bruder, seine Tante und seine Tochter lebten. Er übe die Obsorge über seine leibliche Tochter aus, für die er auch unterhaltspflichtig sei. Seine (erste) Ehe sei am 3. März 2006 geschieden worden; er sei jedoch mittlerweile (wieder) mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, mit der eine ständige Familiengemeinschaft bestehe. Derzeit arbeite er als Bauprojektleiter und als Fußballspieler.
Die belangte Behörde stellte weiters fest, dass der Beschwerdeführer nach Meldungen in den Jahren 1990, 1992 bis 1994, 1996 bis 1997 und 2002, seit 16. Jänner 2003 wieder mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet sei. Es seien mehrere rechtskräftige Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Übertretungen kraftfahr- und melderechtlicher Vorschriften aktenkundig; nach dem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung weise er seit Jänner 2005 etwa 25 Monate an Beschäftigungszeiten auf.
Nach Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen des FPG führte die belangte Behörde in ihren rechtlichen Erwägungen aus, dass auf den Beschwerdeführer als Ehegatten einer Österreicherin gemäß § 87 die §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG anzuwenden seien. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG sei der Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Angesichts des der Verurteilung zugrundeliegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers lägen (auch) die Voraussetzungen "des § 60 Abs. 1 FPG" vor.
Weiters führte die belangte Behörde aus, dass auf Grund des bisherigen inländischen Aufenthalts und der familiären Bindungen von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen sei. Diese Maßnahme sei aber im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Sein bisheriges Verhalten verdeutliche nämlich, dass er nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Dass der Beschwerdeführer darüber hinaus auch wegen zahlreicher Verwaltungsübertretungen habe bestraft werden müssen, verstärke zusätzlich die Annahme, dass er offenbar nicht in der Lage oder willens sei, sich rechtskonform zu verhalten. Eine Zukunftsprognose für ihn könne daher keinesfalls positiv ausfallen.
Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung - so führte die belangte Behörde weiter aus - sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.
Die belangte Behörde verneinte die Möglichkeit, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können und begründete die Dauer dieser Maßnahme näher.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Zutreffend haben zunächst sowohl die Behörde erster Instanz - deren Entscheidungsgründe sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid durch Verweis zu eigen gemacht hat - als auch die belangte Behörde erkannt, dass infolge der Erfüllung des Tatbestands des § 87 FPG die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbots gegen den mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten Beschwerdeführer anhand der in § 86 Abs. 1 FPG genannten Voraussetzungen zu messen ist. Auch wenn sich die belangte Behörde eingehender mit den im Bescheiderlassungszeitpunkt schon länger zurückliegenden Straftaten, die der Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde lagen, an Hand des hier zur Anwendung kommenden Gefährdungsmaßstabs hätte auseinandersetzen müssen, ist ihr vor allem vorzuwerfen, dass sie die nach § 66 FPG gebotene Interessenabwägung nur mangelhaft vorgenommen hat.
Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, nämlich nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn dessen Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Der Beschwerdeführer brachte - wie die belangte Behörde selbst ausführte - in diesem Zusammenhang bereits im Verwaltungsverfahren vor, dass er abermals mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und er die Obsorge über seine leibliche minderjährige Tochter ausübe. Diese besucht nach den mit der Berufung vorgelegten Urkunden - erfolgreich - ein Bundesrealgymnasium, und hat nach der Stellungnahme vom 7. Juli 2006 bereits um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht. Der angefochtene Bescheid enthält zu diesen Umständen jedoch keine Feststellungen. Die belangte Behörde ging trotz angenommener familiärer Bindungen lediglich von einem "Eingriff in sein Privatleben" aus und stellte im Rahmen der Interessenabwägung nur darauf ab, dass die soziale Komponente der Integration des Beschwerdeführers durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Dies greift jedoch zu kurz. Gerade wenn ein Kind auf die Pflege und Obsorge durch einen Elternteil angewiesen ist, könnte eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen diesen Elternteil eine Verletzung nach Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Kind eine Ausreise mit diesem nicht zumutbar wäre (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 2011, Zl. 2011/23/0254, mwN).
Die belangte Behörde hätte daher nähere Feststellungen zu treffen gehabt, in welcher Weise der Beschwerdeführer in die Pflege und Erziehung seines Kindes eingebunden ist. Sie hätte sich weiters konkret mit dem mit einem Aufenthaltsverbot verbundenen Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen gehabt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Ausmaß des ziffernmäßig begehrten Betrages - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 18. Oktober 2012
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2012:2011230300.X00Im RIS seit
13.11.2012Zuletzt aktualisiert am
29.11.2012