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L37152 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §42 idF 1998/I/158;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde des CE in R, vertreten durch Mag. Florian Mitterbacher, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Wiener Gasse 10/I/16, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 15. Jänner 2008, Zl. 7-B-BRM-194/1/2008, betreffend Erteilung eines baupolizeilichen Auftrags (mitbeteiligte Parteien: 1. JT in R, vertreten durch Dr. Reinhard Kraler Rechtsanwalt GmbH in 9900 Lienz, Johannesplatz 4; 2. Gemeinde R), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Kärnten Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 sowie der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
A) Zum angefochtenen Bescheid
1. Mit Schreiben vom 28. Juni 1962 beantragte der erstmitbeteiligte Bauwerber bei der zweitmitbeteiligten Gemeinde die Errichtung eines "Familienhauses" auf dem Grundstück Nr. 998/14, KG L.
Mit Bescheid vom 28. August 1962 wurde die Baubewilligung unter näher angeführten "Bauvorschriften" (Auflagen) erteilt. Nach deren Punkt 7. hat die Situierung des Wohnhauses "so zu erfolgen, dass von der ostseitigen Grundstücksgrenze Nr. 998/13 des … (Beschwerdeführers) ein Abstand von 5 Meter, gemessen bis zur östlichen Bauflucht des Stiegen- und Vorbaues einzuhalten (ist). Von der südlichen Grundstücksgrenze ist bis zur westlichen Stirnwand ein Abstand von 11 Meter zu wahren."
2. Nach einer Kollaudierungsverhandlung am 14. Mai 1968 wurde dem mitbeteiligten Bauwerber mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 5. Juni 1968 nach den Bestimmungen der Kärntner Bauordnung 1866 die Bewohnungs- und Benützungsbewilligung für das errichtete Wohnhaus erteilt.
3. Mit Schriftsatz vom 4. Februar 1998 beantragte der Beschwerdeführer (anwaltlich vertreten) beim Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die Durchführung einer örtlichen Bauverhandlung. Ein vor dem Bezirksgericht Spittal an der Drau am 7. Juli 1997 geschlossener Vergleich zwischen ihm und dem mitbeteiligten Bauwerber verlange (iSd Punktes 1. dieses Vergleichs) vom Beschwerdeführer die Entfernung eines Grenzzaunes, was aber mit Gefahren für die Sicherheit aus dem Blickwinkel der Kärntner Bauvorschriften verbunden wäre. Aus dem diesem Antrag beigeschlossenen Vergleich ergibt sich u.a. (Punkt 4.), dass der Beschwerdeführer "rechtsverbindlich (erklärt), auch in Hinkunft keine Anzeige gegen den … (mitbeteiligten Bauwerber) bei der Baubehörde wegen Nichteinhaltung des Grenzabstandes im Zusammenhang mit dem bereits bestehenden Bau einzubringen". Mit Schreiben vom 13. März 1998 zog der Beschwerdeführer diesen Antrag zurück.
Mit Schreiben vom 17. Februar 1998 brachte die Ehefrau des Beschwerdeführers dem Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde zur Kenntnis, dass der vom Auflagepunkt Nr. 7. geforderte Abstand von 5 m zwischen dem Gebäude des Bauwerbers und dem Grundstück des Beschwerdeführers nicht eingehalten werde; der geforderte Abstand zwischen Stiege und Vorbau und der östlichen Grundstücksgrenze betrage weit weniger als 5 m.
4. Mit Schreiben vom 30. März 1998 wandte sich der Beschwerdeführer an die belangte Landesregierung, verwies auf das Schreiben vom 17. Februar 1998, vertrat die Auffassung, dass das Wohngebäude des mitbeteiligten Bauwerbers nicht entsprechend dem seinerzeitigen Baugenehmigungsbescheid errichtet worden sei, und ersuchte die belangte Behörde als übergeordnete Bauinstanz um weitere Veranlassung.
Mit Schreiben vom 5. Juni 1998 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass das Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers spätestens zum Zeitpunkt der Kollaudierungsverhandlung am 14. Mai 1968 fertiggestellt worden sei und es sich also um ein Gebäude handle, welches seit mehr als 30 Jahren bestehe. Da während dieses Zeitraumes keine baubehördlichen Beanstandungen stattgefunden hätten, seien in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Vermutung des "rechtmäßigen Bestandes" nach § 54 der Kärntner Bauordnung 1996 (BO) gegeben. Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde habe daher in Bezug auf dieses Wohnhaus nicht mehr die Möglichkeit, mittels eines Wiederherstellungsauftrages nach § 36 Abs. 1 BO vorzugehen.
5. Mit Schreiben vom 17. Juli 2006 teilte der Beschwerdeführer dem Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde mit, dass der mitbeteiligte Bauwerber das Wohnhaus konsenswidrig situiert und entgegen dem Auflagepunkt Nr. 7. des Baubewilligungsbescheides ausgeführt hätte. Die Baubehörde sei verpflichtet, die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes (Einhaltung der Abstandsbestimmungen, worauf dem Anrainer nach der BO ein subjektiv-öffentliches Recht zukomme) bescheidmäßig zu verfügen. Mit Schreiben vom 20. August 2006 begehrte der Beschwerdeführer - ergänzend - die Herstellung des rechtmäßigen Zustands durch Abbruch jener Teile des konsenswidrig errichteten Vorhabens (Wohnhaus) gemäß § 36 Abs. 1 BO, welche sich innerhalb der Abstandsfläche von 5 m zu seiner Grundstücksgrenze befänden.
Nach einem Schriftwechsel (in dessen Rahmen die mitbeteiligte Gemeinde u.a. auf das Schreiben der belangten Behörde vom 5. Juni 1998 hinwies) stellte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20. Februar 2007 einen Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde betreffend die Entscheidung über den Antrag vom 17. Juli 2006.
Mit Schreiben vom 13. März 2007 bestätigte der mitbeteiligte Bauwerber (unter Anschluss der Rechnungen der ausführenden Firmen und Beteiligten), dass das Wohnhaus im Jahr 1964 mit einem Dach fertig errichtet und im Juli 1965 mit dem Außenputz versehen worden sei.
6. Mit Bescheid vom 14. Mai 2007 trug der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde dem mitbeteiligten Bauwerber gemäß § 36 Abs. 1 BO auf, entweder nachträglich innerhalb von zwei Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheids um die Baubewilligung für das konsenswidrig errichtete Wohnhaus anzusuchen oder innerhalb einer Frist von zwölf Monaten den rechtmäßigen Zustand so herzustellen, dass der im Baubewilligungsbescheid vom 28. August 1962 angeordnete Abstand zwischen Bauflucht und östlicher Grundgrenze 5 m betrage.
Begründend wurde festgehalten, dass die Abstandsfläche zwischen der Bauflucht des Wohnhauses des mitbeteiligten Bauwerbers auf Parzelle Nr. 998/14 und der östlichen Grundgrenze zur Parzelle Nr. 998/13 des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau 4,76 m messe, weshalb der Auflagenpunkt Nr. 7. im Baubewilligungsbescheid nicht erfüllt sei und insofern ein konsenswidriger Bauzustand vorliege. Der Gemeindevorstand habe § 54 BO vorliegend nicht zur Anwendung bringen können.
7. Auf Grund der dagegen eingebrachten Vorstellung des mitbeteiligten Bauwerbers hob die belangte Behörde den Bescheid vom 14. Mai 2007 gemäß § 95 der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde zurück (1. Vorstellungsbescheid).
Begründend wurde dies darauf gestützt, dass weder aus dem Spruch noch aus der Begründung des in Vorstellung gezogenen Bescheides hervorgehe, dass der Gemeindevorstand anstelle des Bürgermeisters im Rahmen des Devolutionsantrags entschieden habe; auch aus der Niederschrift über die Sitzung des Gemeindevorstandes lasse sich dies nicht entnehmen. Der in Vorstellung gezogene Bescheid sei daher von einer Behörde erlassen worden, die unzuständig sei, wodurch der mitbeteiligte Bauwerber in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden sei. Ferner wurde ausgeführt, dass das Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers seit mehr als 30 Jahren ohne zwischenzeitlich erfolgte Beanstandung durch die Baubehörde bestehe und daher hiefür die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes nach § 54 BO gegeben sei, weshalb für die Baubehörde keine Möglichkeit bestehe, einen Auftrag zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes nach § 36 Abs. 1 leg. cit. zu erteilen.
8. In der Folge wies der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde (im Devolutionsweg) mit Bescheid vom 20. November 2007 den Antrag des Beschwerdeführers vom 17. Juli 2007 zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass es sich beim Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers um ein Gebäude handle, für welches die Voraussetzung für die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes nach § 54 BO als gegeben anzusehen sei. Das bestehende Gebäude sei im Jahr 1964 so weit aufgemauert worden, dass der Dachstuhl im August desselben Jahres aufgesetzt habe werden können, ein Nachweis durch die Zimmermannsrechnung liege vor. Der Außenputz für das betreffende Objekt sei nachweislich ein Jahr später (im Juli 1965) aufgebracht worden, womit der Grenzabstand zu dieser Zeit festgestanden sei. In den folgenden 30 Jahren habe das verfahrensgegenständliche Objekt ohne baubehördliche Beanstandung der mitbeteiligten Gemeinde bestanden, weshalb die Voraussetzung für eine Vermutung des rechtmäßigen Bestandes iSd § 54 BO gegeben sei.
9. Die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen (2. Vorstellungsbescheid).
Begründend wurde (nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens) im Wesentlichen Folgendes festgehalten:
Der Beschwerdeführer wende ein, dass die Behörde gemäß § 36 BO vorzugehen habe, weil § 54 leg. cit. im gegebenen Fall nicht anwendbar sei, zumal für das betreffende Gebäude eine Baubewilligung vorliegen würde und somit die Voraussetzung der fehlenden Bewilligung iSd § 54 leg. cit. nicht bestehe.
Die belangte Behörde habe demgegenüber bereits im ersten Vorstellungsbescheid u.a. begründend ausgeführt, dass vorliegend die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes nach § 54 BO gegeben sei, weshalb für die Baubehörde keine Möglichkeit bestehe, einen Auftrag nach § 36 Abs. 1 BO zu erteilen. Nach § 54 BO bestehe die gesetzliche Vermutung des Vorliegens des Rechtsverhältnisses der erteilten Baubewilligung für Gebäude und bauliche Anlagen, die seit mindestens 30 Jahren bestünden und im Zeitpunkt ihrer Errichtung baubewilligungspflichtig gewesen seien, unabhängig davon, ob sie nach der damaligen Rechtslage gesetzwidrig errichtet worden seien. Es handle sich hiebei um eine Rechtsvermutung, bei welcher das Gesetz aus dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache auf den Bestand oder Nichtbestand eines Rechtsverhältnisses schließe. Vorliegend sei die Baubewilligung mit Bescheid vom 28. August 1962 erteilt worden. Obwohl der mitbeteiligte Bauwerber in der Folge dieses Gebäude im Hinblick auf seine Situierung abweichend von der erteilten Baubewilligung errichtet habe, sei ihm seitens des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde für dieses Bauvorhaben mit Bescheid vom 5. Juni 1968 die Benützungsbewilligung erteilt und in diesem Bescheid festgehalten worden, dass das Bauvorhaben im Allgemeinen unter Einhaltung der vorgeschriebenen Baubedingungen ausgeführt worden sei. Zwar bedeute der Umstand, dass eine Benützungsbewilligung erteilt worden sei, nicht, dass nicht festgestellte Konsenswidrigkeiten als geheilt anzusehen seien. Aus der Benützungsbewilligung könne nämlich kein anderes Recht als das auf Benützung abgeleitet werden. Da jedoch vor Erteilung dieser Bewilligung die Kollaudierungsverhandlung am 14. Mai 1968 durchgeführt worden sei und auch Nachweise vorgelegt worden seien, wonach das Gebäude im Jahr 1964 so weit aufgemauert worden sei, dass der Dachstuhl im August desselben Jahres aufgesetzt habe werden können und der Außenputz schon 1965 aufgebracht worden sei, könne davon ausgegangen werden, dass das Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers spätestens zu diesem Zeitpunkt fertiggestellt worden sei. Daher handle es sich beim verfahrensgegenständlichen Objekt eindeutig um ein Gebäude, das seit mehr als 30 Jahren bestehe. Da während dieses Zeitraumes baubehördliche Beanstandungen seitens der mitbeteiligten Gemeinde nie stattgefunden hätten, seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Vermutung des rechtmäßigen Bestandes nach § 54 BO gegeben. Zum Einwand des Beschwerdeführers, er habe der Behörde bereits mit Schreiben vom 17. Februar 1998 die konsenswidrige Situierung des Wohnhauses mitgeteilt und zum damaligen Zeitpunkt sei die Frist von 30 Jahren noch nicht abgelaufen gewesen, sei festzuhalten, dass es nicht darauf ankomme, ob der Beschwerdeführer vor Ablauf der Frist von 30 Jahren "Einsprüche" mitgeteilt habe, sondern ob die Baubehörde der Gemeinde innerhalb dieser Frist den Bau wegen fehlender Baubewilligung beanstandet habe, was aber nicht geschehen sei. Voraussetzung für eine Vermutung des Vorliegens der Baubewilligung nach § 54 BO sei nämlich ausschließlich, dass zum Zeitpunkt ihrer Errichtung der Baubewilligungspflicht unterliegende Gebäude und bauliche Anlagen seit mindestens 30 Jahren baubehördlich unbeanstandet bestünden. Lägen die Voraussetzungen in Bezug auf ein Bauwerk vor, so gelte hiefür die gesetzliche Vermutung des "rechtmäßigen Bestandes", unabhängig davon, ob es sich dabei um ein konsenslos oder aber um ein konsenswidrig errichtetes Bauvorhaben handle. Dies auch aus der Überlegung heraus, dass, wenn es gemäß § 54 BO möglich sei, ein konsensloses Bauwerk als rechtmäßig anzusehen, auch das "geringere Übel" - nämlich ein konsenswidriges Bauwerk - von der Anwendung dieser Bestimmung nicht ausgeschlossen werden könne.
Da somit feststehe, dass das auf dem Grundstück Nr. 998/14, KG L, situierte Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers seit mehr als 30 Jahren ohne zwischenzeitlich erfolgte Beanstandung durch die Baubehörde bestehe und daher hiefür die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes nach § 54 BO gegeben sei, bestehe für die Baubehörde (wie erwähnt) nicht mehr die Möglichkeit, mittels eines Wiederherstellungsauftrages nach § 36 BO vorzugehen. Der Beschwerdeführer sei durch den in Vorstellung gezogenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt worden.
B) Zum Beschwerdeverfahren
1. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art. 2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art. 5 StGG) und auf eine wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) gerügt wurden.
Mit Beschluss vom 25. Juni 2008, B 345/08, trat der Verfassungsgerichtshof diese Beschwerde - nach Ablehnung ihrer Behandlung - gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
2. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof begehrte der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Der mitbeteiligte Bauwerber stellte in seiner Gegenschrift einen vergleichbaren Antrag.
C) Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Vorliegend wurde vom Beschwerdeführer unstrittig ein Antrag auf Herstellung des rechtmäßigen Zustands iSd § 36 BO gestellt.
Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"§ 36
Herstellung des rechtmäßigen Zustandes
(1) Stellt die Behörde fest, dass Vorhaben nach § 6 ohne Baubewilligung oder abweichend von der Baubewilligung ausgeführt werden oder vollendet wurden, so hat sie - unbeschadet des § 35 - dem Inhaber der Baubewilligung, bei Bauführungen ohne Baubewilligung dem Grundeigentümer, mit Bescheid aufzutragen, entweder nachträglich innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist die Baubewilligung zu beantragen oder innerhalb einer weiters festzusetzenden angemessenen Frist den rechtmäßigen Zustand herzustellen. Die Möglichkeit, nachträglich die Baubewilligung zu beantragen, darf nicht eingeräumt werden, wenn der Flächenwidmungsplan - ausgenommen in den Fällen des § 14 - oder der Bebauungsplan der Erteilung einer Baubewilligung entgegensteht.
(2) Wird fristgerecht die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung beantragt und wird dieser Antrag entweder zurückgewiesen oder abgewiesen oder zieht der Antragsteller den Antrag zurück, so wird der Auftrag zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes (Abs 1) rechtswirksam. Die im Bescheid nach Abs 1 festgesetzte Frist zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes beginnt in diesem Fall mit der Rechtswirksamkeit der Zurückweisung oder Abweisung oder der Zurückziehung des nachträglichen Baubewilligungsantrages.
(3) Stellt die Behörde fest, dass Vorhaben nach § 7 entgegen § 7 Abs 3 ausgeführt werden oder vollendet wurden, so hat sie dem Grundeigentümer mit Bescheid die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist mit Bescheid aufzutragen.
(4) § 35 Abs 6 gilt in gleicher Weise."
Das Recht der Antragstellung auf eine behördliche Maßnahme nach § 36 BO ist für bewilligungspflichtige Vorhaben im Abs. 3 des § 34 ("Überwachung") näher geregelt. Diese Bestimmung lautet:
"(3) Wird durch eine bescheidwidrige oder nicht bewilligte Ausführung eines bewilligungspflichtigen Vorhabens ein subjektivöffentliches Recht eines Anrainers im Sinn des § 23 Abs 3 lit a bis g, des § 23 Abs 4 oder des § 24 lit h verletzt, so hat dieser innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, in dem er bei gehöriger Sorgfalt Kenntnis von der Ausführung haben musste, das Recht der Antragstellung auf behördliche Maßnahmen nach den §§ 35 und 36 und anschließend Parteistellung in diesen behördlichen Verfahren."
Der für den angefochtenen Bescheid maßgebliche § 54 BO lautet:
"§ 54
Rechtmäßiger Bestand
Für Gebäude und sonstige bauliche Anlagen, die seit mindestens 30 Jahren bestehen und für die eine Baubewilligung im Zeitpunkt ihrer Errichtung erforderlich war, welche jedoch nicht nachgewiesen werden kann, wird das Vorliegen der Baubewilligung vermutet, sofern ihr Fehlen innerhalb dieser Frist baubehördlich unbeanstandet geblieben ist."
Einschlägig für den vorliegenden Fall ist schließlich auch Abs. 6 des § 23 ("Parteien, Einwendungen") BO, der wie folgt lautet:
"(6) Anrainer, denen der Baubewilligungsbescheid nicht zugestellt wurde, dürfen nur bis zum Ablauf von drei Jahren ab Rechtskraft des Bescheides dessen Zustellung beantragen oder Berufung erheben."
2. Nach der hg. Rechtsprechung trifft § 54 BO eine materiell-rechtliche Regelung über die Annahme des Vorliegens einer Bewilligung (vgl. das Erkenntnis vom 20. April 2001, Zl. 99/05/0225). Diese Bestimmung stellt nicht darauf ab, ob die mindestens 30 Jahre bestehenden Baulichkeiten seinerzeit in rechtskonformer Weise errichtet wurden, weshalb auch solche Baulichkeiten von ihr erfasst werden (vgl. Hauer/Pallitsch, Kärntner Baurecht, 4. Auflage, 2002, S 362 ff, unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Für die Beurteilung der Frage, ob die in § 54 BO normierte Rechtsvermutung Platz greifen kann, bedarf es eines Ermittlungsverfahrens, in dem (allenfalls mit Hilfe von Sachverständigen) das Alter der Baulichkeit festzustellen ist; kommt § 54 BO zum Tragen, bleibt für einen Auftrag nach § 36 BO kein Raum (vgl. Hauer/Pallitsch, a.a.O., S 362).
3. Vorliegend ist unstrittig, dass das in Rede stehende Wohnhaus des mitbeteiligten Bauwerbers jedenfalls im Jahr 1968 errichtet war und seither besteht. Die belangte Behörde führt ferner - in Übereinstimmung mit den vorgelegten Verwaltungsakten - zutreffend aus, dass im Beschwerdefall das Fehlen einer baubehördlichen Bewilligung gegenüber dem mitbeteiligten Bauwerber innerhalb der 30-jährigen Frist baubehördlich unbeanstandet blieb. Entgegen der Beschwerde vermögen die Hinweise des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau im Jahr 1998 die von § 54 BO für dessen Nichtanwendung geforderte baubehördliche Beanstandung nicht zu ersetzen.
Zu der von § 54 BO geforderten weiteren Voraussetzung - dem Fehlen eines Nachweises der Baubewilligung - ist festzuhalten, dass zwar - was die Beschwerde herausstreicht - eine Baubewilligung für dieses Wohnhaus nachweisbar ist, sie wurde im Jahr 1962 erteilt und befindet sich bei den übermittelten Verwaltungsakten. Aus den folgenden Gründen kann sich der beschwerdeführende Nachbar nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 54 BO vorliegend nicht zum Tragen käme:
4.1. Bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen ist eine Maßnahme nach § 36 BO (oder § 35 leg. cit) nicht nur von der Behörde von Amts wegen zu erlassen, es kommt unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 leg. cit. auch den Anrainern ein Recht auf Antragstellung zur Erlassung dieser Maßnahmen sowie anschließend Parteistellung in diesem behördlichen Verfahren zu.
Aus § 34 Abs. 3 BO ergibt sich aber, dass das Recht des Anrainers auf Antragstellung zeitlich eng - nämlich auf den Zeitraum eines Monats ab dem Zeitpunkt, in dem der Anrainer bei gehöriger Sorgfalt Kenntnis von der Ausführung haben musste - limitiert ist. § 34 Abs. 3 BO setzt (wie die Wiedergabe oben zeigt) ferner die bescheidwidrige mit der nicht bewilligten Ausführung ausdrücklich gleich. Diese Gleichsetzung erscheint unbedenklich, zumal es sich in beiden Fällen um Rechtswidrigkeiten handelt (vgl. Hauer/Pallitsch, a.a.O., S 298).
Aus der zeitlichen Beschränkung des Antragsrechts des Anrainers auf Erlassung einer behördlichen Maßnahme nach §§ 35, 36 BO lässt sich die Wertung des Gesetzgebers ableiten, dass dieses Recht - sichtlich im Interesse der Rechtssicherheit bezüglich der gegenseitigen Rechtspositionen - Anrainern in Bezug auf die Geltendmachung ihrer von § 34 Abs. 3 BO erfassten Anrainerrechte nur innerhalb eines gesetzlich vorgesehenen Zeitraumes offen stehen soll.
4.2. Eine vergleichbare Wertung lässt sich aus der Bestimmung des § 23 Abs. 6 BO betreffend im Bauverfahren übergangene Anrainer ableiten. Nach dieser Bestimmung dürfen Anrainer, denen der Baubewilligungsbescheid nicht zugestellt wurde, nur bis zum Ablauf von drei Jahren ab Rechtskraft des Bescheides dessen Zustellung beantragen oder Berufung erheben. Damit lässt sich auch diese Bestimmung davon leiten, dass nach einem gesetzlich bestimmten (hier deutlich längeren) Zeitraum ein Anrainerrecht nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Damit kann festgehalten werden, dass die Ausübung der Rechte von Anrainern nach dem System der BO im Interesse der Rechtssicherheit zeitlichen Beschränkungen unterliegt.
4.3. Auf dieser Linie liegt auch, dass nach dem Text des § 23 Abs. 5 BO im Falle einer mündlichen Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde bei bestimmten Vorhaben und persönlicher Ladung der Anrainer diese nur dann im weiteren Verfahren über die Erteilung der Baubewilligung Parteien bleiben, wenn sie spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen iSd § 23 Abs. 3 und 4 BO erhoben haben. Wenn auch dieser Regelung nach der hg. Rechtsprechung durch § 42 AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998 derogiert wurde (vgl. das Erkenntnis vom 10. September 2008, Zl. 2006/05/0124), enthält § 42 AVG doch eine derselben gesetzgeberischen - auf eine zeitliche Limitierung der Anrainerrechte hinauslaufende - Wertung folgende Präklusionsregelung.
4.4. Diese gesetzgeberische Wertung kann auch im Beschwerdefall nicht außer Betracht bleiben. Geht es um die Frage der Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags nach § 36 BO infolge eines diesbezüglichen Anrainerantrages, so greift § 54 BO - im Interesse der Rechtssicherheit im Sinne der zeitlichen Beschränkung der Möglichkeit zur Geltendmachung von Anrainerrechten - auch in diesem Fall. Die 30-jährige Frist des § 54 BO betrifft dann nicht bloß Fälle, in denen eine Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, sondern auch solche Fälle, bei denen die Baubewilligung nachgewiesen werden kann, aber die sonstigen Voraussetzungen des § 54 BO gegeben sind. Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass § 34 Abs. 3 BO - wie erwähnt - die zeitliche Beschränkung der Geltendmachung von Anrainerrechten in gleicher Weise auf bewilligungslose wie auf bewilligungswidrige Gebäude bezieht und nicht gesehen werden kann, dass sich aus diesem Blickwinkel ein konsenswidriges Gebäude bezüglich des Umstandes seiner Rechtswidrigkeit von einem gänzlich konsenslosen Gebäude maßgeblich unterscheiden würde.
4.5. Es kann damit nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall die Voraussetzungen des § 54 BO als gegeben ansah und die Auffassung vertrat, dass für die Baubehörde damit die Möglichkeit, mittels eines Wiederherstellungsauftrages nach § 36 BO vorzugehen, nicht offen stehe.
5. Ausgehend davon kann es dahingestellt bleiben, ob sich der 1. Vorstellungsbescheid tragend nur auf die Frage der Zuständigkeit der Baubehörde II. Instanz der mitbeteiligten Gemeinde stützte, oder auch die im ersten Vorstellungsbescheid enthaltenen Ausführungen zu § 54 BO für das vorliegend maßgebliche Vorstellungsverfahren bindende Wirkung entfaltet haben.
6. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 11. Oktober 2011
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar Diverses BauRallg5/2Baubewilligung BauRallg6Baurecht NachbarEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2011:2008050154.X00Im RIS seit
07.11.2011Zuletzt aktualisiert am
06.04.2016