TE Vwgh Erkenntnis 2011/10/13 2011/22/0247

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Veröffentlicht am 13.10.2011
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §68 Abs1;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des O in G, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 11. Juli 2011, Zl. 156.133/4- III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde gemäß "§ 44b Abs. 1 Z 1 iVm 41a Abs. 9 bzw. § 43 Abs. 3" Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) die erstinstanzlich mit Bescheid vom 12. April 2011 erfolgte Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 1. April 2010 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009).

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 13. September 2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag habe er einen Asylantrag gestellt. Die erstinstanzliche Abweisung des Antrags sowie die Ausweisung seien mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Juni 2006 bestätigt worden. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Februar 2010 sei die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde abgelehnt worden.

Am 1. April 2010 habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag gemäß § 44 Abs. 3 NAG eingebracht. Nach Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011 sei dieser gleichzusetzen mit einem Antrag gemäß "§ 41a Abs. 1 Z 9 NAG bzw. § 43 Abs. 3 NAG".

Im Fall des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Juni 2006 rechtskräftig die Ausweisung nach Nigeria ausgesprochen worden. Durch diese Entscheidung sei bereits eine Abwägung in Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt worden. Auch sei vom Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde abgelehnt worden.

In seinem Berufungsschreiben vom 28. April 2011 gebe der Beschwerdeführer an, dass er beruflich und sprachlich voll integriert sei. Dies sei allerdings lediglich ein allgemeines Vorbringen, und es handle sich dabei um keine konkreten Angaben, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt (im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG) darzutun. Der Beschwerdeführer gebe lediglich an, dass er im Jahr 2005 zwei Sprachkurse besucht und im Jahr 2010 erfolgreich die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt hätte. Zu seiner beruflichen Integration habe er angegeben, dass er stets darum bemüht gewesen wäre, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu finanzieren.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Sämtliche Familienangehörigen befänden sich in Nigeria. Es sei somit keine "familiäre Bindung zum österreichischen Bundesgebiet" feststellbar.

Aus diesen Ausführungen sei im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK nicht erkennbar, dass in der Zeit ab rechtskräftig erlassener Ausweisung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark habe mit begründeter Stellungnahme festgestellt, dass keineswegs von einem maßgeblich geänderten Sachverhalt ausgegangen werden könne. Es sei dem Beschwerdeführer bisher nicht gelungen, in Österreich ein stark zu berücksichtigendes Privatleben zu schaffen, und er habe nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens nicht darauf vertrauen dürfen, weiterhin im Bundesgebiet zu verbleiben, obwohl er als Zeitungsverteiler mit Werkvertrag vorerst über ein einigermaßen ausreichendes Einkommen verfüge und sozial- und krankenpflichtversichert sei. Die genannte Tätigkeit übe er erst seit 2010 durchgehend aus, weshalb noch keineswegs von einer fortgeschrittenen wirtschaftlichen Integration ausgegangen werden könne. Aus Sicht der Sicherheitsdirektion liege durch den weiteren Aufenthalt eine Störung der öffentlichen Ordnung im Sinn von § 11 Abs. 2 Z 1 NAG vor.

In der dazu erstatteten Stellungnahme, so die belangte Behörde weiter, verweise der Beschwerdeführer darauf, dass Österreich seine neue Heimat geworden wäre, wo er seinen Lebensmittelpunkt etablieren würde. Er wäre stets bemüht, seinen Lebensunterhalt unter möglichst geringer Inanspruchnahme von Sozialhilfe- oder Grundversorgungsleistungen zu bestreiten. Weiters habe er ein Zertifikat über das Ablegen der Sprachprüfung des Moduls II der Integrationsvereinbarung, Prüfungstermin 11. März 2011, vorgelegt. Diese Prüfung habe er somit zu einem Zeitpunkt abgelegt, zu dem er bereits über das Ergebnis der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion in Kenntnis gewesen sei.

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt "seit Erlassung der Ausweisung durch das Bundesasylamt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung" habe dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden können, weshalb seine Berufung abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 25. Juni 2006 rechtskräftig ausgewiesen wurde. Sein Antrag war daher gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen seit der ergangenen Ausweisung eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0127, mwN). Das FrÄG 2011, durch das die Verweise in § 44b Abs. 1 Z 1 NAG angepasst wurden, hat insofern keine Änderung bewirkt.

Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Sachverhaltsänderung, wonach nunmehr die Erteilung eines Aufenthaltstitels infolge Art. 8 EMRK geboten gewesen wäre, nicht vorliege. Insoweit tätigte sie Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers und nahm eine inhaltliche Bewertung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände vor. Damit erkannte sie - mit Blick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit der seit der Ausweisung verstrichenen Zeit zutreffend - die Notwendigkeit, das Antragsvorbringen inhaltlich prüfen zu müssen. In diesem Sinn hat sie mit Bescheid vom 28. Mai 2010 den Bescheid der Erstbehörde vom 19. April 2010, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückgewiesen worden war, ersatzlos behoben, weil nicht erst seit Februar 2010, sondern schon seit dem Jahr 2006 eine rechtskräftige Ausweisung vorliege; die Erstbehörde hätte daher, so die belangte Behörde, auf Grund des seit der Ausweisung vergangenen Zeitraumes von vier Jahren eine Stellungnahme der zuständigen Sicherheitsdirektion gemäß § 44b Abs. 3 NAG (gemeint wohl: Abs. 2) einholen müssen, um festzustellen, ob eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig sei.

Schon auf Grund der Bindungswirkung des Bescheides der belangten Behörde vom 28. Mai 2010 war die Erstbehörde somit nicht berechtigt, den Antrag neuerlich gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen. Die Aufhebung des einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückweisenden Bescheides - in der Sache ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet - bindet die Unterinstanz nämlich insofern, als sie den Antrag (bei gleicher Sach- und Rechtslage) nicht neuerlich aus dem selben Grund zurückweisen darf (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 46). Im Übrigen hat die belangte Behörde verkannt, dass mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG nach Erlassung einer Ausweisung zufolge der oben wiedergegeben Rechtsprechung nur dann vorgegangen werden darf, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist. Davon kann aber im vorliegenden Fall schon nach den Ausführungen der belangten Behörde keine Rede sein. Insofern gleicht der Beschwerdefall jenem Fall, der dem bereits genannten Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0127, zugrunde lag; zur näheren Begründung kann daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, eine Konstellation wie die vorliegende rechtfertige die Antragszurückweisung, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. Oktober 2011

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2011:2011220247.X00

Im RIS seit

08.11.2011

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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