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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 2005 §10 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des B in G, vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5/III, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 19. Jänner 2011, Zl. 319.873/4- III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 1. Oktober 2010, mit dem sein Antrag vom 4. August 2010 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zurückgewiesen worden war, gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 5. März 2006 im Bundesgebiet befinde. Am 8. Mai 2006 habe er einen Asylantrag eingebracht, der "mit 12.06.2009 rechtskräftig negativ abgeschlossen" worden sei. Ein Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" vom 7. Oktober 2009 sei mit Bescheid des "Amtes der Steiermärkischen Landesregierung" vom 17. März 2010 (gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) zurückgewiesen worden, die dagegen erhobene Berufung sei von der belangten Behörde mit Bescheid vom 25. Juni 2010 abgewiesen worden.
Am 4. August 2010 sei der gegenständliche Folgeantrag eingebracht worden. Dem Beschwerdeführer sei von der Erstbehörde mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag abzulehnen, sofern sich im Hinblick auf den Schutz des Privat- und Familienlebens nichts geändert habe; dazu habe sich der Beschwerdeführer erst nach Ablauf der ihm zur Stellungnahme gesetzten Frist geäußert. Die Erstbehörde habe den Antrag bereits vor Einlangen dieser Äußerung mit Bescheid vom 1. Oktober 2010 (nach der Aktenlage zugestellt am 6. Oktober 2010) als unzulässig zurückgewiesen. Auch der Stellungnahme des Beschwerdeführers habe aber kein geänderter Sachverhalt seit der rechtskräftigen Erledigung des Antrages vom 7. Oktober 2009 entnommen werden können. Dass sich der Bruder des Beschwerdeführers in Österreich aufhalte, der Beschwerdeführer bei ihm Unterkunft genommen habe und von ihm finanziell unterstützt werde, sei bereits im Asylverfahren berücksichtigt worden. In seinem Berufungsschreiben habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er zur Gänze unbescholten und einzig und allein bemüht wäre, in Österreich ein geregeltes Leben zu führen und eine geregelte Existenz aufzubauen. Er könnte sofort einer geregelten Arbeit nachgehen, wie sich aus der vorgelegten Einstellungszusage ergäbe. Auch über diese Gründe (insbesondere die persönliche Integration des Beschwerdeführers) sei aber bereits im Asylverfahren abgesprochen worden. Außerdem handle es sich lediglich um ein allgemeines Vorbringen und nicht um konkrete Angaben, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt darzulegen.
Im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK sei nicht erkennbar, dass in der Zeit ab 28. Juni 2010 (Rechtskraft der Zurückweisung des Antrages vom 7. Oktober 2009) "bis heute" ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) ist ein auf § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG gegründeter Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Fremden bereits eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde. Damit steht nämlich fest, dass die Ausweisung des Fremden unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist, was es ausschließt, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten wäre. Das ergibt sich aus dem inhaltlichen Gleichklang von § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG einerseits und § 11 Abs. 3 NAG andererseits. Mit einer Zurückweisung ist in diesem Fall nur dann nicht vorzugehen, wenn im Hinblick auf - seit der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung eingetretene - maßgebliche Sachverhaltsänderungen eine neuerliche Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK erforderlich ist (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, 2011/22/0187, mwN).
Gemäß § 44b Abs. 4 NAG (ebenfalls in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) ist ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 (Folgeantrag) als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (88 BlgNR 24. GP) führen dazu nur aus, dass diese Bestimmung den Begriff der "Folgeanträge" definiere und solche als unzulässig zurückzuweisen seien, wenn sich der Sachverhalt nicht maßgeblich geändert habe. Offenbar ist Hintergrund auch dieser Bestimmung, dass eine bereits erfolgte negative Beurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK ohne wesentliche Sachverhaltsänderung nicht wiederholt werden soll (was sich allerdings dann, wenn ein Aufenthaltstitel neuerlich auf Grund derselben gesetzlichen Bestimmung beantragt wird, schon aus § 68 Abs. 1 AVG ergeben würde).
Aus dem Gesagten folgt, dass § 44b Abs. 4 NAG nur anzuwenden ist, soweit bei Erledigung eines vorangehenden Antrages schon eine Beurteilung im Hinblick auf (§ 11 Abs. 3 NAG iVm) Art. 8 EMRK - mit negativem Ergebnis - erfolgt ist. Nur unter dieser Voraussetzung macht auch die Anordnung in § 44b Abs. 4 NAG Sinn, dass darauf abzustellen ist, ob aus dem neuen Antragsvorbringen "im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3" ein maßgeblich geänderter Sachverhalt hervorkommt.
Einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG hat eine Beurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK voranzugehen, dies allerdings nur im Rahmen der Prognose, ob die seit Erlassung der rechtskräftigen Ausweisung eingetretenen Sachverhaltsänderungen eine andere Beurteilung nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. zum Gegenstand solcher Verfahren etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0127, sowie das Erkenntnis vom 13. September 2011, Zl. 2011/22/0035 bis 0039), wobei nach der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Umstände nicht mehr zu berücksichtigen sind (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0110). Ein auf eine rechtskräftige zurückweisende Erledigung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG folgender neuerlicher Antrag ist daher nur dann gemäß § 44b Abs. 4 NAG zurückzuweisen, wenn seit der erstinstanzlichen Zurückweisung nicht einmal für die Prognosebeurteilung maßgebliche Sachverhaltsänderungen eingetreten sind. Andernfalls steht die Rechtskraft der früher erfolgten Zurückweisung einer Neubeurteilung - mag deren Ergebnis nach Bewertung der Sachverhaltsänderungen in Verbindung mit den gesamten Umständen des Falles auch in der abermaligen Zurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG bestehen - nicht entgegen.
Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer dem gegenständlichen Antrag zwei nach der erstinstanzlichen Zurückweisung des Erstantrags erlangte Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen und einen ebenfalls neuen Versicherungsnachweis beigelegt; außerdem hat er im Antragsformular auf "gute" Deutschkenntnisse hingewiesen, während er im Erstantrag noch "mäßige" Deutschkenntnisse angegeben hatte und dementsprechend zur Begründung der Zurückweisung des Erstantrags u.a. ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer habe "keine besondere fortlaufende Integration (...) in sprachlicher Hinsicht vorgebracht". Schon angesichts dieser Sachverhaltsänderungen war die Behörde nicht berechtigt, den Antrag - im Hinblick auf die Rechtskraft der bereits erfolgten Antragszurückweisung - gemäß § 44b Abs. 4 NAG zurückzuweisen. Vielmehr waren die geänderten Sachverhaltselemente in eine neuerliche Prognosebeurteilung auf Grund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG einzubeziehen.
Die ausdrückliche Heranziehung des § 44b Abs. 4 NAG sowohl durch die Erstbehörde als auch durch die belangte Behörde war nach dem Gesagten verfehlt. In der Sache haben die Behörden aber dessen ungeachtet alle Sachverhaltsänderungen seit der Ausweisungsentscheidung des Asylgerichtshofes berücksichtigt und sind somit im Ergebnis entsprechend dem § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorgegangen. Dabei hat die belangte Behörde auch die vom Beschwerdeführer erst in seiner am 8. Oktober 2010 - nach Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 6. Oktober 2010 - gegenüber der Erstbehörde abgegebenen Stellungnahme genannten Umstände miteinbezogen (der Beschwerdeführer hatte in der Berufung - unter Hinweis auf die angeblich fehlgeschlagene Zustellung des Verbesserungsauftrags - vorgebracht, dass die Stellungnahme noch innerhalb der von der Erstbehörde gesetzten Frist eingelangt sei). Selbst unter Berücksichtigung dieser Umstände - es handelt sich um das Vorhandensein einer Einstellungszusage für den Beschwerdeführer und einer Patenschaftserklärung seines Bruders - war die belangte Behörde im Ergebnis im Recht, wenn sie das Vorliegen eines maßgeblich geänderten Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Ausweisung verneint hat. Mit der (nicht notariell beglaubigten, nicht die vorhandenen Mittel darlegenden) "Patenschaftserklärung" wurde letztlich nur die schon zum Zeitpunkt der Ausweisung bestehende und nicht bestrittene Bereitschaft des Bruders des Beschwerdeführers, diesen finanziell zu unterstützen, dokumentiert. Was die Einstellungszusage betrifft, so liegt darin zwar eine Sachverhaltsänderung; diese hat aber - auch in Verbindung mit den absolvierten Deutschkursen - noch nicht ein solches Gewicht, dass sie im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine potentiell andere Beurteilung des Antrages ermöglichen würde (vgl. hinsichtlich des Vorliegens eines Dienstvorvertrages etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0138 bis 0141).
Von daher gehen auch die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers, es wären sein Bruder und sein potentieller Arbeitgeber zu vernehmen gewesen, ins Leere, ist doch nicht ersichtlich, dass sich daraus eine andere Beurteilung hinsichtlich der eingetretenen Sachverhaltsänderungen ergeben hätte können.
Auf die Gefährdungslage im Herkunftsland kommt es im Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 3 NAG entgegen der Beschwerdeansicht nicht an.
Allein durch die Heranziehung des Zurückweisungsgrundes des § 44b Abs. 4 NAG statt jenes des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG wurde der Beschwerdeführer nach dem Gesagten nicht in Rechten verletzt.
Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 13. Oktober 2011
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2011:2011220065.X00Im RIS seit
08.11.2011Zuletzt aktualisiert am
22.10.2012