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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ArbIG 1993 §1 Abs3 impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. N. Bachler und Mag. Haunold. als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 5. November 2009, Zl. UW.4.1.6/0629-I/5/2008, betreffend die Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde T, vertreten durch Neger/Ulm Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Parkstraße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 13. Februar 2006 wurde gemäß §§ 12a, 32 Abs. 2 lit. a und 33c in Verbindung mit der 1. Emissionsverordnung für kommunales Abwasser, §§ 99 Abs. 1 lit. e, 107, 111 und 134 Abs. 2 WRG 1959 der mitbeteiligten Stadtgemeinde die wasserrechtliche Bewilligung für die Anpassung der Kläranlage der Stadtgemeinde unter Angabe näherer Spezifikationen und bei Erfüllung und Einhaltung verschiedener Auflagen erteilt. Dabei lautete Auflagenpunkt 13 des Bescheides:
"13. Das gegenständliche Projekt ist rechtzeitig vor Inbetriebnahme auf die Einhaltung geltender Sicherheitsbestimmungen für Arbeitnehmer durch das Arbeitsinspektorat und/oder den Unfallverhütungsdienst der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt überprüfen zu lassen und sind die Überprüfungsergebnisse schriftlich vorzulegen."
Mit Eingabe vom 27. Dezember 2007 erhob das Arbeitsinspektorat L Berufung gegen diesen Bescheid. Begründend wurde dabei ausgeführt, dass das Arbeitsinspektorat nicht zur Bewilligungsverhandlung gemäß § 32 WRG 1959 geladen worden sei, obwohl ihm gemäß § 12 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 (im Folgenden: ArbIG) in Verwaltungsverfahren, die den ArbeitnehmerInnenschutz berührten, Parteistellung zukomme. Die Arbeitsinspektion hätte bereits zur vorläufigen Überprüfung des Antrags herangezogen werden müssen, da schon in dieser Verfahrensstufe eine technische Überprüfung unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen stattfinde.
Gemäß § 94 Abs. 1 Z 6 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (im Folgenden: ASchG) seien bei der Genehmigung von Anlagen gemäß den §§ 31a, 31c, 32, 40 und 41 WRG 1959 die mit dem Genehmigungsgegenstand zusammenhängenden Belange der ArbeitnehmerInnenschutzes zu berücksichtigen, dennoch sei dem Arbeitsinspektorat keine Parteistellung gewährt worden, weshalb gemäß § 11 Abs. 3 ArbIG berufen werde. Die Berufung einer übergangenen Partei sei im Übrigen zulässig, obschon der Bescheid gegenüber anderen Parteien bereits erlassen worden sei.
Es werde daher der Antrag gestellt, den Bescheid zu beheben und dem Arbeitsinspektorat im Rahmen der gesetzlich geregelten Parteistellung Einsichtnahme in die Projektunterlagen und die Verfahrensakten zu gewähren und die Möglichkeit einzuräumen, eine Stellungnahme abzugeben. Insbesondere werde Auflagenpunkt 13 bekämpft, denn der Aufgabenbereich der Arbeitsinspektion umfasse den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen, sowie die Aufgabe, die ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zur Erfüllung ihrer Pflichten im Bereich des ArbeitnehmerInnenschutzes anzuhalten, nötigenfalls zu unterstützen und zu beraten; für andere Aufgaben könne die Arbeitsinspektion nach dem ArbIG nicht in Anspruch genommen werden, sofern nichts anderes angeordnet sei. Die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Arbeitsinspektorates könne der mitbeteiligten Partei auch nicht bescheidmäßig vorgeschrieben werden, sondern es hätte dem Arbeitsinspektorat bereits im Genehmigungsverfahren Parteistellung gewährt werden müssen. Darüber hinaus wäre die Genehmigungsbehörde verpflichtet gewesen, den Arbeitnehmerschutz im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen.
Der Bundesminister für (damals) Wirtschaft und Arbeit brachte mit 3. Dezember 2008 eine Stellungnahme ein, in der er sich im Wesentlichen dem Rechtsstandpunkt des Arbeitsinspektorates anschloss.
Mit E-Mail vom 9. März 2009 führte der kaufmännische Leiter der die Kläranlage betreibenden Gesellschaft m.b.H. unter anderem aus, dass die Stadtgemeinde den "einheitlichen Betrieb der Abwasserentsorgung" an die Gesellschaft verpachtet habe. Dies umfasse auch die Kanalisation und die Kläranlage. Es bestünden Informations- und Berichtspflichten gegenüber der Stadtgemeinde. Das im Betrieb der Kläranlage eingesetzte Personal stehe im Dienstverhältnis zur Stadtgemeinde und sei von dieser dienstzugeteilt worden. In einem Personalübereinkommen vom 12. Dezember 1996 seien Personenkreis, Dienstverhältnis, Dienstverwendung, Personalführung und Personalaufwand näher geregelt. Derzeit werde in der Kläranlage nur von der Stadtgemeinde zugeteiltes Personal eingesetzt. Zukünftig könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesellschaft selbst Personal aufnehme und nach Kollektivvertrag entlohne.
Mit Schreiben vom 30. März 2009 erklärte das Arbeitsinspektorat unter anderem, dass die Übermittlung der Einreichunterlagen und der dazugehörigen Plansätze zur Wahrnehmung der Parteistellung nicht mehr erforderlich seien, da bereits entsprechende Erhebungen durch einen Beamten des Inspektorates durchgeführt worden seien. Zusätzliche Auflagepunkte aus Sicht des Arbeitnehmerschutzes würden nicht gefordert. Abschließend werde lediglich beantragt, den beeinspruchten Auflagepunkt 13 wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben oder so abzuändern, dass nur der Bescheidadressat verpflichtet werde und nicht dritte Personen. Gegen die Erteilung der Genehmigung werde bei Einhaltung der Auflagepunkte sowie bei bewilligungsgemäßer Ausführung kein Einwand erhoben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 5. November 2009 wurde die Berufung des Arbeitsinspektorats mangels Parteistellung gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass hier § 1 Abs. 3 ArbIG einschlägig sei, wonach vom Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion jene Bediensteten des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände und Gemeinden ausgenommen seien, die nicht in Betrieben beschäftigt seien. Aufgrund der Ermittlungen der belangten Behörde sei festgestellt worden, dass die mitbeteiligte Stadtgemeinde und nicht die die Kläranlage betreibende Gesellschaft die wasserrechtliche Bewilligung erhalten habe und daher als alleinige Konsenswerberin anzusehen sei. Da die Stadtgemeinde somit rechtlich verantwortlich sei, sei die Ausnahme vom Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion gegeben, da dem Arbeitsinspektorat auf Grund eines Erlasses des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 22. März 1995, 61.120/11-3/95, keine Parteistellung im wasserrechtlichen Verfahren zukomme, wenn es sich um eine Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde handle. Wenn ein Dritter im Auftrag der Gemeinde die Anlage betreibe, was hier nicht der Fall sei, so fielen diese Anlagen in den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektorates.
Mit der Bescheidauflage 13 sei die mitbeteiligte Stadtgemeinde verpflichtet worden, das Arbeitsinspektorat um eine Überprüfung der Arbeitsstätte zu ersuchen, was als bloße sachgutachterliche Tätigkeit auch in Einklang mit dem Aufgabenbereich des Arbeitsinspektorates anzusehen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift und beantragte ebenfalls die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 13 ArbIG in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Stammfassung ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales (nunmehr Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) unter anderem bei Verwaltungsverfahren gemäß § 12 ArbIG berechtigt, gegen Bescheide, die in letzter Instanz ergangen sind, sowie gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, sodass die Beschwerde des Bundesministers zulässig ist.
Die Beschwerde nach § 13 leg. cit. (Amtsbeschwerde) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Fall des Art. 131 Abs. 2 B-VG (vgl. unter anderem das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1996, 95/02/0425). Die Beschwerdelegitimation des Bundesministers, der im vorangegangenen Verwaltungsverfahren nicht als Partei beteiligt ist, ist ein von den Parteien des Verfahrens und der beteiligten Behörde losgelöstes Kontrollinstrument dahingehend, ob der angefochtene Bescheid in objektiver Weise vollständig ist; dieses Kontrollinstrument kann von jeder Partei des Verwaltungsverfahrens angeregt werden, ein Rechtsanspruch darauf, dass der zuständige Bundesminister tatsächlich Beschwerde erhebt, besteht nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 2005, 2004/02/0312). Dabei geht es nicht um die Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1995, 95/11/0018); es handelt sich daher um ein objektives Beschwerderecht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, 2002/11/0007).
Die mitbeteiligte Partei hat in ihrer Gegenschrift vom 3. März 2010 vorgebracht, der Beschwerdeführer habe keinen Beschwerdepunkt angeführt und es fehle ihm im gegenständlichen Verfahren die Beschwer.
Im hier vorliegenden Fall einer Amtsbeschwerde geht es nicht um die Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte. Das Formerfordernis der Angabe der Beschwerdepunkte nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG kommt bei solchen Beschwerden daher nicht zum Tragen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, 2002/11/0007).
Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit der Beschwerde liegt daher nicht vor.
2. Die Amtsbeschwerde rügt die Unterlassung der Beiziehung des Arbeitsinspektorats im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren, was verfahrensrechtlich ihren Ausdruck in der Zurückweisung der Berufung des Arbeitsinspektorats durch den angefochtenen Bescheid gefunden hätte.
In einer - was zu prüfen sein wird - ungerechtfertigten Verweigerung der Sachentscheidung über die Berufung des Arbeitsinspektorats läge eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende inhaltliche Rechtswidrigkeit.
3. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass wesentlich für die Zuständigkeitsabgrenzung gemäß § 1 Abs. 3 ArbIG, und somit für die Entscheidung über die Zuerkennung der Parteistellung an das Arbeitsinspektorat, die Abgrenzung von "Verwaltungsstellen" einerseits und "Betrieben" andererseits sei, womit sich die belangte Behörde aber nicht in nachvollziehbarer Weise auseinandergesetzt habe. Gegenständlich seien die Gemeindebediensteten in einem Betrieb (Kläranlage) beschäftigt, somit nicht von der Ausnahme des § 1 Abs. 3 ArbIG erfasst.
Es handle sich um ein Verfahren in Angelegenheiten des § 12 Abs. 1 ArbIG, die den Arbeitnehmerschutz berührten, und es liege keine Ausnahme vom Geltungsbereich des ArbIG vor, sodass die Parteistellung des Arbeitsinspektorats gegeben sei.
3.1 Dass es sich um ein Verfahren in einer Angelegenheit des § 12 Abs. 1 ArbIG, die den Arbeitnehmerschutz berührt, handelt, ist zwischen den Verfahrensparteien nicht strittig.
§ 12 Abs. 1 des ArbIG lautet:
"(1) In Verwaltungsverfahren in Angelegenheiten, die den Arbeitnehmerschutz berühren, ist das zuständige Arbeitsinspektorat (§ 15 Abs. 7) Partei."
§ 15 Abs. 7 ArbIG regelt die örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Arbeitsinspektorates im Verwaltungsverfahren.
§ 94 Abs. 1 des ASchG lautet auszugsweise:
"(1) In folgenden Verfahren sind die mit dem Genehmigungsgegenstand zusammenhängenden Belange des Arbeitnehmerschutzes zu berücksichtigen:
1.
(…)
6.
Genehmigung von Anlagen nach §§ 31a, 31c, 32, 40 und 41 des Wasserrechtsgesetzes 1959, BGBl. Nr. 215,
7. (…)"
Im gegenständlichen Verfahren lag laut den unbedenklichen Feststellungen der belangten Behörde eine bewilligungspflichtige Kläranlage gemäß § 32 Abs. 2 lit. a WRG 1959 vor; laut § 94 Abs. 1 Z 6 ASchG sind in solchen Verfahren die Belange des Arbeitnehmerschutzes zu berücksichtigen. Nach § 12 Abs. 1 ArbIG ist das zuständige Arbeitsinspektorat in diesen Verfahren Partei, sofern diese Angelegenheiten den Arbeitnehmerschutz berühren, wenn also etwa Anlagen errichtet werden, bei denen - wie im vorliegenden Fall - Arbeitnehmer zum Einsatz kommen.
Diese Voraussetzung für die Parteistellung des Arbeitsinspektorats ist daher gegeben.
3.2 Die belangte Behörde verneinte die Parteistellung allerdings mit dem Hinweis darauf, dass sich nach § 1 Abs. 3 ArbIG der Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion nicht auf die verfahrensgegenständliche Kläranlage bezöge.
§ 1 ArbIG lautet auszugsweise:
"§ 1. (1) Der Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion erstreckt sich auf Betriebsstätten und Arbeitsstellen aller Art. (2) Vom Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion sind ausgenommen:
1. (…)
(3) Vom Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion sind weiters jene Bediensteten des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände und Gemeinden ausgenommen, die nicht in Betrieben beschäftigt sind."
Die Materialien zu § 1 Abs. 3 ArbIG lauten (siehe 813 der Beilagen, XVIII. Gesetzesperiode, S. 15):
"Abs. 3 regelt die Ausnahmen für Bedienstete des Bundes, der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände. In Übereinstimmung mit Art. 21 Abs. 2 B-VG wird darauf abgestellt, ob diese Bediensteten in Betrieben beschäftigt sind. Dies entspricht ua. der im Arbeitsruhegesetz und im Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen getroffenen Regelung.
Zur Abgrenzung zwischen Betrieben einerseits und Behörden, Ämtern und Verwaltungsstellen andererseits ist auf die Literatur und Judikatur zum Betriebsrätegesetz bzw. zu § 33 des Arbeitsverfassungsgesetzes zu verweisen. Demnach sind als Betriebe zB anzusehen: E-Werke, Gaswerke, Krankenanstalten, Theaterbetriebe.
Gegenüber dem ArbIG 1974 tritt eine Änderung nur insoweit ein, als Anstalten nicht mehr generell ausgenommen sind, sondern - in Übereinstimmung mit Art. 21 B-VG - darauf abzustellen ist, ob es sich um einen Betrieb handelt. Eine generelle Ausnahme für Anstalten erscheint sachlich nicht zu rechtfertigen, zumal dem Land keine Kompetenz zur Regelung und Vollziehung des Arbeitnehmerschutzes zukommt, wenn es sich um Betriebe handelt.
Besonders ist darauf hinzuweisen, daß die Ausnahme nur Bedienstete erfaßt, die in einem Dienstverhältnis zu den Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbänden stehen. Alle sonstigen in einer Verwaltungsstelle tätigen Arbeitnehmer/innen, zB die in einem Dienstverhältnis zu einem Reinigungsunternehmen stehenden Reinigungskräfte, unterliegen dem Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion.
Hinsichtlich der gemäß Abs. 3 ausgenommenen Bundesbediensteten kommen der Arbeitsinspektion Befugnisse nach dem Bundesbediensteten-Schutzgesetz zu. Hinsichtlich der nach Abs. 3 ausgenommenen Bediensteten der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände liegt die Kompetenz zur Regelung und Vollziehung des Arbeitnehmerschutzes beim Land."
In den Erläuterungen wird auf Art. 21 Abs. 2 B-VG verwiesen, wonach die Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in Betrieben tätig sind, den Ländern obliegt. Die Kompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, die in Betrieben tätig sind, obliegt hingegen dem Bund. Wesentlich für die Zuständigkeitsabgrenzung nach § 1 Abs. 3 ArbIG ist daher die Abgrenzung von "Verwaltungsstelle" einerseits und "Betrieb" andererseits.
Die Erläuterungen beziehen sich bei der Definition des Betriebes auf die Judikatur und Literatur zum Betriebsrätegesetz bzw. zum Arbeitsverfassungsgesetz. Damals (wie heute) lauteten die Bestimmungen der §§ 33 und 34 Arbeitsverfassungsgesetz (im Folgenden: ArbVG):
"§ 33. (1) Die Bestimmungen des II. Teiles gelten für Betriebe aller Art. (2) Unter die Bestimmungen des II. Teiles fallen nicht
1. die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, sofern sie nicht Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände oder der Gemeinden sind;
2. die Behörden, Ämter und sonstigen Verwaltungsstellen des Bundes, der Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden;
3. …
§ 34. (1) Als Betrieb gilt jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht."
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientierte sich der Betriebsbegriff des (damaligen) Arbeitnehmerschutzgesetzes grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs. 1 ArbVG. Danach galt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Wesentliches Merkmal eines Betriebes im Sinne des ArbVG war die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck kommen musste (vgl. unter vielen die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1991, 91/19/0235, vom 3. Dezember 1992, 92/18/0287, und vom 20. Dezember 1993, 93/02/0246).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, 2004/12/0084, mit der Frage der Abgrenzung einer "sonstigen Verwaltungsstelle" (im Sinne des § 33 Abs. 1 Z 2 ArbVG) von den unter das ArbVG fallenden "Betrieben" einer Gebietskörperschaft befasst. Entscheidend sei, ob die im Rahmen der Verwaltungsstelle ausgeübte Tätigkeit auch von einer Privatperson oder von einer privaten Institution ausgeübt werden könnte. Sei dies nicht der Fall, handle es sich um eine "sonstige Verwaltungsstelle", andernfalls um einen unter den II. Teil des ArbVG fallenden Betrieb. Bei einer - damals gegebenen - GmbH (einem Museum), die keine hoheitsrechtlichen, sondern privatrechtliche Aufgaben zu erfüllen hatte, habe es sich daher nicht um eine "sonstige Verwaltungsstelle des Landes" handeln können. Nach § 34 Abs. 1 ArbVG - so im zitierten Erkenntnis weiter - gelte als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bilde, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolge, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht bestehe oder nicht. Ein Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG müsse - neben den anderen dort genannten Voraussetzungen - aber auch über Arbeitnehmer im Sinne des ArbVG verfügen. Auf Grund des weiten Arbeitnehmerbegriffes des § 36 Abs. 1 ArbVG, wonach es grundsätzlich nur auf ein faktisches Beschäftigungsverhältnis, das durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber dem Betriebsinhaber gekennzeichnet sei, im Rahmen eines Betriebes ankomme, seien sohin auch Beamte Arbeitnehmer im Sinne der Betriebsverfassung, wenn sie in einem Betrieb eingegliedert seien, der in den Geltungsbereich des II. Teiles des ArbVG falle.
Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung ist nicht entscheidend, wem die wasserrechtliche Bewilligung für die Anlage, um deren Zuordnung es geht, erteilt wurde. Entscheidend ist unter dem Blickwinkel der Zuordnung des Schutzes der dort beschäftigten Arbeitnehmer allein die Qualifikation als "Verwaltungsstelle" (Schutz nach dem Bundesbediensteten-Schutzgesetz oder nach den entsprechenden Landesgesetzen) oder als "Betrieb" (Schutz nach dem ArbIG).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 ArbVG für das Vorliegen eines Betriebes gegeben, zumal die hier in Rede stehende Tätigkeit (der Betrieb einer Abwasseranlage) auch von einer privaten Institution ausgeübt werden könnte. Es kann sich daher nicht um eine "sonstige Verwaltungsstelle" der Gemeinde handeln. Auch die beispielhafte Aufzählung von "E-Werken, Gaswerken, Krankenanstalten und Theaterbetrieben" in den Erläuterungen zu § 1 Abs. 3 ArbIG legt es nahe, die hier verfahrensgegenständliche Kläranlage als einen Betrieb im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen, in dem Bedienstete der Gemeinde beschäftigt sind. Daraus folgt die Zuständigkeit des Arbeitsinspektorates.
3.3 Hinsichtlich des von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zitierten Erlasses vom 22. März 1995, aus dem das gegenteilige Ergebnis hervorgehen solle, ist darauf hinzuweisen, dass Erlässe oder Richtlinien, denen nicht der Charakter von Rechtsverordnungen zukommt, keine für den Verwaltungsgerichtshof verbindlichen Rechtsquellen darstellen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Oktober 2008, 2008/07/0121). Dass hier eine Rechtsverordnung vorliegt, ist nicht erkennbar, zumal der Erlass (nur) an alle Arbeitsinspektorate gerichtet ist und somit keine bindende Außenwirkung erkennen lässt.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Ausnahme für Abwasseranlagen aus dem Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion nach dem - im angefochtenen Bescheid nur unvollständig zitierten - Erlass nur für einen Gemeindeverband im Sinne der verfassungsrechtlichen Bestimmungen gelten soll. Im vorliegenden Fall ist aber kein Gemeindeverband Inhaber der wasserrechtlichen Bewilligung oder Betreiber der Abwasseranlage. Auch der im angefochtenen Bescheid zitierte, für den Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Erlass vom 22. März 1995 böte daher keine ausreichende Grundlage für die im angefochtenen Bescheid vertretene Meinung.
4. Da die Bediensteten somit in einem "Betrieb" arbeiten, ist die Ausnahme vom Anwendungsbereich des ArbIG gemäß § 1 Abs. 3 leg. cit. nicht gegeben. Diese Bestimmung bleibt daher anwendbar, dem Arbeitsinspektorat war die Parteistellung im Verwaltungsverfahren zu gewähren. Die Zurückweisung der Berufung des Arbeitsinspektorats mangels Parteistellung erweist sich daher als rechtswidrig.
5. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid aus den bereits oben dargelegten Gründen mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 13. Oktober 2011
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2011:2009070197.X00Im RIS seit
07.11.2011Zuletzt aktualisiert am
09.01.2015