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L5 KulturrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Individualantrag einer Mutter und ihres mj Kindes auf Aufhebung desWiener Gesetzes über die verpflichtende frühe Förderung inKinderbetreuungseinrichtungen unzulässig; Zumutbarkeit desVerwaltungsrechtsweges über einen Antrag auf Ausnahme von derBesuchspflichtSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Antragsvorbringen
1. In ihrem auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehren die Antragstellerinnen,
"das [Gesetz über die verpflichtende frühe] Förderung in Kinderbetreuungseinrichtungen (Wiener Frühförderungsgesetz - WFfG), LGBl Nr. 21/2010, kundgemacht am 6.4.2010, als verfassungswidrig in eventu gesetzwidrig aufzuheben.
in eventu
1. den Satzteil des zweiten Satzes des §3 Abs3 'im Ausmaß von höchstens drei Wochen innerhalb des verpflichtenden Kindergartenjahres'
2. den zweiten Satzteil des […] §4 Abs1 Z5 'wenn der Leitfaden gemäß Art2 Abs6 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägigen kostenlosen und verpflichtenden Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen eingehalten wird['];
3. den Satzteil des §4 Abs2 'bis spätestens 30. Juni'
4. den zweiten Satz des §4 Abs2 'Wird das Vorliegen eines Ausnahmegrundes angezeigt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, so hat die Behörde dies mit Bescheid festzustellen.'
jeweils des [Gesetzes über die verpflichtende frühe] Förderung in Kinderbetreuungseinrichtungen (Wiener Frühförderungsgesetz - WFfG), LGBl Nr. 21/2010, kundgemacht am 6.4.2010, als verfassungswidrig in eventu gesetzwidrig aufzuheben."
2. Zur Darlegung der Antragslegitimation führen die Antragstellerinnen Folgendes aus:
"1. Die minderjährige Erstantragstellerin hat ihren Hauptwohnsitz in Wien und erreichte am 12.2.2011 ihr fünftes Lebensjahr. Gemäß §3 Abs2 WFfG ist sie daher ab dem Kinderbetreuungsjahr 2011/2012 verpflichtet, eine der institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen zu besuchen.
Die Zweitantragstellerin als Kindesmutter und Erziehungsberechtigte der Erstantragstellerin, hat gemäß der zitierten Bestimmung dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter, die Erstantragstellerin, die institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung besucht.
Die Antragsteller sind daher Normadressaten der prüfungsgegenständlichen Bestimmungen des WFfG und aufgrund der Tatsache, dass die Erstantragstellerin zum jetzigen Zeitpunkt für den Kindergartenbesuch angemeldet werden muss, auch aktuell betroffen.
2. Die Erstantragstellerin ist durch die prüfungsgegenständlichen Bestimmungen unmittelbar nachteilig betroffen, weil sie verpflichtet ist, eine der institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen zu besuchen.
Die Zweitantragstellerin ist durch die prüfungsgegenständlichen Bestimmungen ebenfalls unmittelbar nachteilig betroffen[…], weil sie als Kindesmutter und Erziehungsberechtigte verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter die institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung besucht.
3. Den Antragstellern ist auch ein anderer Weg zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle nicht zumutbar.
Gemäß §7 WFfG stellt die Nichterfüllung der in §3 festgelegten Besuchspflicht eine Verwaltungsübertretung dar.
Die Antragsteller müssten daher eine verwaltungsbehördlich strafbare Handlung setzen, um auf einem anderen Weg zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zu gelangen. Dies ist den Antragstellern jedoch nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg 16.137/2001) unzumutbar.
4. §4 Abs1 Z5 WFfG sieht eine Ausnahme von der Besuchspflicht bei Kindern vor, deren Betreuung durch häusliche Erziehung erfolgt, wenn der Leitfaden gemäß Art2 Abs6 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtätig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen eingehalten wird. Nach §4 Abs2 haben die Eltern das Vorliegen des Ausnahmegrundes der Behörde anzuzeigen. Darüber entscheidet die Behörde mit Bescheid.
Abgesehen davon, dass dieses Prozedere selbst die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Antragsteller, wie nachstehend dargestellt wird, verletzt und deshalb den Antragstellern auch nicht zumutbar ist, stellt diese Ausnahmebestimmung auch keinen 'anderen Weg zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle' dar. Unterziehen sich nämlich die Antragsteller diesem Prozedere und [e]rwirken einen Bescheid, in dem festgestellt wird, dass die Erstantragstellerin von der Besuchspflicht ausgenommen ist, können die Antragsteller diesen Bescheid nicht mehr anfechten, weil ihrem Antrag vollständig entsprochen wird und ihnen somit eine Beschwer fehlt. Damit ist es den Antragstellern aber über den Antrag nach §4 Abs2 WFfG nicht möglich, zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zu gelangen, sodass der vorliegende Individualantrag die einzige Möglichkeit darstellt."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrages beantragt wird.
II. Rechtslage
Das in vollem Umfang angefochtene Gesetz über die verpflichtende frühe Förderung in Kinderbetreuungseinrichtungen (Wiener Frühförderungsgesetz - WFfG), LGBl. 21/2010, lautet:
"Der Wiener Landtag hat beschlossen:
Zielsetzung
§1. Um allen Kindern beste Bildungsmöglichkeiten und Startchancen in das weitere Bildungs- und spätere Berufsleben unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft zu bieten, sollen Kinder im letzten Jahr vor der Schulpflicht zum Besuch von geeigneten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen verpflichtet werden.
Begriffsbestimmungen
§2. Im Sinne dieses Gesetzes
1. ist eine geeignete institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung
a) ein gemäß dem Wiener Kindertagesheimgesetz - WKTHG, LGBl. für Wien Nr. 17/2003, in der jeweils geltenden Fassung, bewilligtes Kindertagesheim,
b) ein Übungskindergarten, der einer öffentlichen Schule zum Zwecke lehrplanmäßig vorgesehener Übungen eingegliedert ist, oder
c) eine gemäß dem Wiener Tagesbetreuungsgesetz - WTBG, LGBl. für Wien Nr. 73/2001, in der jeweils geltenden Fassung, bewilligte Kindergruppe, sofern diese nach dem Wiener Bildungsplan und dem zusätzlichen integrierten Modul für 5-Jährige gemäß Art2 Abs5 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen, LGBl. für Wien Nr. 53/2009, arbeitet, und
2. entspricht das verpflichtende Kindergartenjahr dem Unterrichtsjahr im Sinne des §56 Wiener Schulgesetz - WrSchG, LGBl. für Wien Nr. 20/1976, in der jeweils geltenden Fassung.
Umfang der Besuchspflicht
§3. (1) Der Besuch der geeigneten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung hat während des gesamten verpflichtenden Kindergartenjahres im Ausmaß von mindestens 20 Stunden an mindestens vier Tagen pro Woche zu erfolgen. Die Besuchspflicht beginnt mit dem 6. September 2010.
(2) Zum Besuch sind jene Kinder verpflichtet, die vor dem 1. September des jeweiligen Kalenderjahres das 5. Lebensjahr vollendet und ihren Hauptwohnsitz in Wien haben. Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder die Besuchspflicht erfüllen.
(3) Das Fernbleiben ist nur im Falle einer gerechtfertigten Verhinderung des Kindes zulässig. Diese liegt insbesondere bei Erkrankung des Kindes oder der Erziehungsberechtigten, Urlaub im Ausmaß von höchstens drei Wochen innerhalb des verpflichtenden Kindergartenjahres sowie außergewöhnlichen Ereignissen vor. Die Erziehungsberechtigten haben Verhinderungen der Kinderbetreuungseinrichtung zu melden.
(4) Von den Erfordernissen des WKTHG, des WTBG sowie der Verordnungen, die auf Grund dieser Gesetze ergangen sind, kann in begründeten Ausnahmefällen abgesehen werden, wenn dies zur Sicherstellung der Umsetzung der Besuchspflicht unumgänglich notwendig ist. Der Träger der geeigneten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung hat das Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalles und das Absehen von der Einhaltung dieser Bestimmungen der Behörde unverzüglich anzuzeigen. Liegen die Voraussetzungen für das Absehen von der Einhaltung dieser Bestimmungen nicht vor, hat die Behörde dies mit Bescheid festzustellen.
Ausnahmen von der Besuchspflicht
§4. (1) Von der Besuchspflicht gemäß §3 ausgenommen sind Kinder,
1. die vorzeitig die Schule besuchen (§7 Schulpflichtgesetz 1985, BGBl. Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 113/2006),
2. denen auf Grund einer Behinderung, aus medizinischen Gründen oder auf Grund eines besonderen sonderpädagogischen Förderbedarfes der Besuch nicht zugemutet werden kann,
3. denen auf Grund der Entfernung zwischen Wohnort und nächstgelegener geeigneter institutioneller Kinderbetreuungseinrichtung der Besuch nicht zugemutet werden kann,
4. deren Betreuung durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater im Sinne des WTBG erfolgt, wenn der Leitfaden gemäß Art2 Abs6 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen eingehalten wird,
5. deren Betreuung durch häusliche Erziehung erfolgt, wenn der Leitfaden gemäß Art2 Abs6 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen eingehalten wird, oder
6. die eine institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung in einem anderen Bundesland besuchen, sofern diese die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften notwendige Bewilligung und die nach der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen nötige Eignung besitzt.
(2) Bei Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß Abs1 Z2 bis 6 haben die Erziehungsberechtigten diesen der Behörde bis spätestens 30. Juni vor Beginn des kommenden verpflichtenden Kindergartenjahres anzuzeigen. Wird das Vorliegen eines Ausnahmegrundes angezeigt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, so hat die Behörde dies mit Bescheid festzustellen.
(3) Bei Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß Abs1 Z6 ist die Stadt Wien verpflichtet, den Erziehungsberechtigten den Betreuungsbeitrag bis zur Höhe des jeweiligen für die Wiener Kindertagesheime gültigen Fördersatzes rückzuerstatten, sofern die entsprechenden Zahlungsbelege bis spätestens Ende November des Kalenderjahres vorgelegt werden, in dem das verpflichtende Kindergartenjahr abläuft.
Datenverwendung
§5. (1) Zum Zweck der Überprüfung der Einhaltung der Besuchspflicht ist von der Behörde mit Hilfe der automationsunterstützten Datenverarbeitung ein Verzeichnis derjenigen Kinder zu führen, die der Besuchspflicht unterliegen und ihren Hauptwohnsitz in Wien haben.
Dieses Verzeichnis hat folgende Daten zu enthalten:
1. Vor- und Nachnamen des Kindes und der Erziehungsberechtigten
2. Geburtsdatum und Geschlecht des Kindes
3. Wohnadresse des Kindes und der Erziehungsberechtigten. Der Stadtschulrat für Wien ist ermächtigt, die im Zuge der Erstellung der Schulpflichtmatrik verarbeiteten Daten der besuchspflichtigen Kinder der Behörde zu übermitteln. Die Behörde ist ermächtigt, dem Stadtschulrat für Wien die im Zuge der Erstellung des Verzeichnisses verarbeiteten Daten der besuchspflichtigen Kinder zum Zweck der Erstellung der Schulpflichtmatrik zu übermitteln.
(2) Die Träger der geeigneten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen sind verpflichtet, folgende Daten der besuchspflichtigen Kinder zum Nachweis der Erfüllung der Besuchspflicht automationsunterstützt zu verarbeiten und an die Behörde zu übermitteln:
1. Vor- und Nachnamen des Kindes und der Erziehungsberechtigten
2. Geburtsdatum und Geschlecht des Kindes
3. Wohnadresse des Kindes und der Erziehungsberechtigten
4. Anwesenheitszeiten
5. Ein- und Austrittsdatum.
Diese Daten sind von der Behörde zum Nachweis der Erfüllung der Besuchspflicht automationsunterstützt zu verarbeiten.
(3) Die Behörde hat zum Nachweis der berechtigten Nichterfüllung der Besuchspflicht die Daten gemäß Abs1 derjenigen Kinder, die gemäß §4 von der Besuchspflicht ausgenommen sind, zu ermitteln und automationsunterstützt zu verarbeiten. Zu diesem Zweck sind die Daten über die Schuleinschreibung und den vorzeitigen Schulbesuch (§4 Abs1 Z1) von der zuständigen Stelle an die Behörde zu übermitteln.
(4) Zur Sicherstellung des kostenlosen Besuches im Sinne des Art5 der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen sind die Träger der Kinderbetreuungseinrichtungen und die Behörde ermächtigt, die gemäß Abs1 bis 3 verarbeiteten Daten der im Magistrat zuständigen Stelle zum Zwecke der Gewährung von Förderungen zu übermitteln. Die zur Gewährung von Förderungen im Magistrat zuständige Stelle ist ermächtigt, diese Daten automationsunterstützt zu verarbeiten.
Behörden und Rechtsmittel
§6. (1) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist der Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde.
(2) Über Rechtsmittel gegen Bescheide, die die Behörde auf Grund dieses Gesetzes erlässt, entscheidet der Unabhängige Verwaltungssenat Wien.
Strafbestimmungen
§7. Die Nichterfüllung der in §3 festgelegten Besuchspflicht stellt eine Verwaltungsübertretung dar und ist mit einer Geldstrafe bis zu 220 Euro zu bestrafen.
In-Kraft-Treten
§8. Dieses Gesetz tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."
III. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).
Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
Im vorliegenden Fall ist den Antragstellerinnen jedoch - entgegen deren Auffassung - ein anderer (zumutbarer) Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Gesetzes eröffnet: §4 Abs1 WFfG normiert Ausnahmen von der Besuchspflicht für Kinder, die vorzeitig die Schule besuchen (Z1), denen auf Grund einer Behinderung, aus medizinischen Gründen oder auf Grund eines besonderen sonderpädagogischen Förderbedarfes (Z2) oder auf Grund der Entfernung zwischen Wohnort und nächstgelegener institutioneller Kinderbetreuungseinrichtung (Z3) der Besuch nicht zugemutet werden kann, deren Betreuung durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater (Z4) oder durch häusliche Erziehung (Z5) erfolgt oder die eine institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung in einem anderen Bundesland besuchen (Z6). Gemäß §4 Abs2 WFfG ist das Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß Z2-6 leg.cit. von den Erziehungsberechtigten der zuständigen Behörde anzuzeigen; wird das Vorliegen eines Ausnahmegrundes angezeigt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, so hat die Behörde dies mit Bescheid festzustellen.
Den Antragstellerinnen stünde somit die Möglichkeit offen, eine Ausnahme der Erstantragstellerin von der Besuchspflicht durch Anzeige eines Ausnahmegrundes - insbesondere der häuslichen Erziehung gemäß §4 Abs1 Z5 WFfG - durch die Zweitantragstellerin zu beantragen. Über das Fehlen der Voraussetzungen hat die zuständige Behörde mit - im Verwaltungsweg bekämpfbarem - Bescheid zu entscheiden.
Wenn die Antragstellerinnen diesen Weg - nämlich die Anzeige eines Ausnahmegrundes bzw. das Erwirken eines Feststellungsbescheides über das Nichtvorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß §4 Abs2 WFfG - deshalb als unzumutbar betrachten, weil sie im Falle der Erwirkung eines Bescheides, mit dem die Ausnahme der Erstanstragstellerin von der Besuchspflicht festgestellt wird, diesen mangels Beschwer nicht mehr anfechten könnten und es ihnen somit nicht möglich wäre, auf diesem Weg zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zu gelangen, so ist ihnen Folgendes entgegenzuhalten: Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art140 Abs1 B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht, weil man anderenfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Charakter eines sog. Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 11.479/1987, 15.927/2000, 18.739/2009 uva.).
Die Anzeige eines Ausnahmegrundes bzw. die Bekämpfung eines das Nichtvorliegen eines Ausnahmegrundes feststellenden Bescheides gemäß §4 Abs2 WFfG ist den Antragstellerinnen jedenfalls zumutbar (vgl. auch VfSlg. 16.617/2002). Wenn die Antragstellerinnen - soweit dies überhaupt für die Erlassung eines Bescheides erforderlich ist - die Unzumutbarkeit des Umwegs im Hinblick auf den Ausnahmegrund des §4 Abs1 Z5 WFfG darin erblicken, dass zur Prüfung des Vorliegens dieses Grundes ein Gespräch beim Magistrat stattfindet, kann auch darin keine Unzumutbarkeit gesehen werden, weil - nach Angaben der Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung - nach derzeitiger Praxis der zuständigen Magistratsbehörde dieses Gespräch zwischen den Erziehungsberechtigten, dem Kind und einer kindergartenpädagogischen Fachkraft lediglich ca. 45 Minuten dauert. Dass ein solches Verfahren bei unveränderter Rechtslage nicht zu dem von den Antragstellerinnen angestrebten Erfolg - in diesem Fall eines negativen Bescheides, gegen den eine Beschwerde nach Art144 B-VG erhoben werden kann - führen könnte, vermag die Unzumutbarkeit dieses Weges ebenso wenig darzutun. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass es nicht auf die Erfolgschancen des dem Antragsteller zu Gebote stehenden (Verfahrens-)"Umweges" ankommt, sondern bloß darauf, dass sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen relevante Normen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. zB VfSlg. 18.739/2009 uHa die Vorjudikatur).
2. Ein Gesetzesprüfungsantrag, der sich auf ein Gesetz seinem ganzen Inhalt nach richtet, muss auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit aller Bestimmungen des Gesetzes darlegen (zB VfSlg. 17.768/2006). Soweit die Antragstellerinnen in ihrem Antrag eventualiter die Verfassungswidrigkeit weiterer Bestimmungen des WFfG, insbesondere von Teilen des §4 Abs2 leg.cit. ("bis spätestens 30. Juni"), behaupten, ist zu bemerken, dass sie in ihrem Antrag keine Bedenken gegen diese Bestimmungen darlegen. Es ist jedoch Prozessvoraussetzung eines Gesetzesprüfungsverfahrens, dass sich aus dem Inhalt des Antrages eine Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Normen im Einzelnen sprechenden Bedenken ergibt (VfSlg. 17.768/2006, 17.769/2006).
Der Gesetzesprüfungsantrag war daher schon aus diesen Gründen mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass es einer Prüfung der übrigen Prozessvoraussetzungen bedurft hätte.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Antrag ist mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
3. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den (unzulässigen) Antrag, dem auf Art140 B-VG gestützten Antrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Kinder, VfGH / BedenkenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2011:G83.2011Zuletzt aktualisiert am
20.09.2012