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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Anträge 1. der Brigitte Strohmeier in St. Andrä-Wördern und 2. der Berta Wais in Wien, beide vertreten durch Dr. Robert Csokay, Rechtsanwalt in Wien I, Stephansplatz 10, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerden gegen die Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. März 2000, Zl. RU1-B-9924/00 bzw. /01, betreffend jeweils Einwendungen gegen ein Bauvorhaben, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG wird den Anträgen nicht stattgegeben.
Begründung
Mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Oktober 2000 wurden die Verfahren über die Beschwerden gegen die oben genannten Bescheide eingestellt, weil die Antragstellerinnen die ihnen gemäß § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Verbesserungsaufträge vom 12. September 2000 nur teilweise befolgt haben. Die Antragstellerinnen haben nämlich jeweils dem Verbesserungsauftrag insofern nicht entsprochen, als der angefochtene Bescheid nicht wieder vorgelegt wurde.
Mit den vorliegenden Anträgen begehren die Antragstellerinnen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Verfügungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September 2000 erteilten Frist zur Behebung der den Beschwerden anhaftenden Mängel. Zur Begründung wurde jeweils vorgebracht, die langjährige Kanzleileiterin, V.H., habe nach Einlangen der Verfügungen des Verwaltungsgerichtshofes sofort die Frist von drei Wochen in den Kanzleikalender eingetragen. Der ausgewiesene Vertreter habe die Eintragung kontrolliert. Rechtzeitig habe der ausgewiesene Vertreter den Schriftsatz diktiert, womit die jeweilige Beschwerde ergänzt und den Aufträgen des Verwaltungsgerichtshofes Folge geleistet wurde. Dieser Schriftsatz sei (jeweils) mit 9. Oktober 2000 datiert und dem ausgewiesenen Vertreter wie üblich in der Postmappe zur Unterfertigung vorgelegt worden. In der Postmappe hätten sich folgende Schriftstücke befunden a) die Ergänzung der Beschwerde, datiert mit 9. Oktober 2000 in dreifacher Ausfertigung; b) zwei Ausfertigungen der ursprünglichen Beschwerde samt dem Originalbescheid und zwei Fotokopien dieses Bescheides. Der ausgewiesene Vertreter habe den Schriftsatz vom 9. Oktober 2000 und die zwei Ausfertigungen der ursprünglichen Beschwerde unterfertigt. Daraufhin habe er die Postmappe der Kanzleileiterin, V.H., zur Abfertigung und Postaufgabe übergeben. Vor der Kuvertierung habe die Kanzleileiterin nochmals überprüft, ob auch tatsächlich allen Aufträgen des Verwaltungsgerichtshofes Folge geleistet worden war. Punkt 4 der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes lautete: "4. Überdies sind - außer dem ergänzenden Schriftsatz - zwei weitere Ausfertigungen der ursprünglichen Beschwerde für die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei beizubringen (§§ 24 Abs. 1 und 29 VwGG)". Die Kanzleileiterin habe diesen Punkt der Verfügung (jeweils) so aufgefasst, dass lediglich zwei weitere Ausfertigungen der ursprünglichen Beschwerde, nicht aber die Beilagen auch beizubringen seien. Sie habe daher aus der Postmappe wieder den Originalbescheid samt Fotokopie entfernt und ihn in den (jeweiligen) Handakt des ausgewiesenen Vertreters eingeheftet. Der Schriftsatz vom 9. Oktober 2000 und die zwei Ausfertigungen der Beschwerde seien (jeweils) in ein Kuvert gegeben und eingeschrieben bei der Post aufgegeben worden. Der ausgewiesene Vertreter habe nicht vorhersehen und daher auch nicht verhindern können, dass die versierte und bisher fehlerfrei arbeitende Kanzleileiterin aus Gründen der besonderen Vorsicht nochmals die Verfügungen des Verwaltungsgerichtshofes und den Inhalt des ergänzenden Schriftsatzes samt Beilagen kontrolliert habe und dabei zu dem - falschen - Schluss gekommen sei, dass lediglich zwei weitere Ausfertigungen ohne Originalbescheid samt Fotokopien dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen seien, sodass sie dann den schon als Beilage angefügten Originalbescheid samt Fotokopien aus der ihr zur Abfertigung vorgelegten Postmappe entfernt und in den (jeweiligen) Handakt eingereiht habe.
Es treffe weder die Einschreiterin noch ihren Rechtsfreund an dem Fehler ein Verschulden oder zumindest bloß ein minderer Grad des Versehens.
Den Anträgen waren eidesstättige Erklärungen des Rechtsfreundes und der V.H. beigelegt.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung sowohl zu § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG 1950 als auch zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen , dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt als Verschulden anzurechnen, wenn der Anwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass u.a. auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert scheint. An dieser grundsätzlichen Verpflichtung hat sich auch durch die Neufassung des § 46 Abs. 1 VwGG durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 564/1985 nichts geändert. Es ist daher in derartigen Fällen weiterhin ausschlaggebend, ob der Rechtsanwalt der genannten Verpflichtung entsprochen hat, wobei der Unterschied zur früheren Rechtslage lediglich darin besteht, dass dann, wenn ein Verschulden des Rechtsanwaltes hervorkommt, nunmehr noch zusätzlich zu klären ist, ob es sich hiebei nicht um einen minderen Grad des Versehens handelte. Der - aus der Zivilprozessordnung in der Fassung der Zivilverfahrensnovelle 1983 übernommene - Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen und ermöglichen jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflichten des Anwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen sind (vgl. u.a. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/08/0256, vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278, sowie vom 14. März 1991, Zl. 91/06/0026).
Die ergänzenden Schriftsätze, die auf Grund der hg. Verfügungen vom 12. September 2000 dem Gerichtshof vorgelegt worden waren, enthielten auf ihrem Deckblatt jeweils den Hinweis "3-fach 1 Halbschrift 2 Ausfertigungen der ursprünglichen Beschwerde", jedoch keinen Hinweis auf den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. März 2000, obwohl der Hinweis auf diesen Bescheid sowohl in den ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerden angebracht als auch in den nunmehrigen Wiedereinsetzungsanträgen ausdrücklich angeführt ist. Es ist daher offensichtlich in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerinnen üblich, wenn der angefochtenen Bescheid vorgelegt wird, diesen, ebenso wie die anderen zu übermittelnden Beilagen, auf dem Deckblatt anzuführen. Beim Fehlen des sonst üblichen Hinweises auf den beigelegten, angefochtenen Bescheid wäre der Rechtsvertreter aber verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Bescheid, der dem Vorbringen in den Wiedereinsetzungsanträgen zufolge trotz des Fehlens der Anführung auf dem Deckblatt beigelegt war, auch tatsächlich angeschlossen bleibt. Angesichts des Fehlens des sonst üblichen Hinweises durfte sich der Rechtsvertreter auch nicht mehr darauf verlassen, dass seine langjährige und entsprechend eingeschulte Mitarbeiterin andere Beilagen bei dem Poststück beließ, als jene, die auf dem Deckblatt angeführt waren. Dass eine langjährige Kanzleileiterin den angeführten Punkt 4. der hg. Verfügung in der geschilderten Weise missverstanden hat, ist schon deshalb unglaubwürdig, weil in dieser Verfügung darauf hingewiesen wird, dass die ursprünglich angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen wieder vorzulegen sind. Es scheint auch unglaubwürdig, dass eine dermaßen qualifizierte Kanzleikraft bei nochmaliger Überprüfung "aus besonderer Vorsicht" ohne weitere Rücksprache angeschlossene Beilagen von sich aus entfernt. Da der Rechtsvertreter offensichtlich weder die Anordnung erteilt hat, auf dem jeweiligen Deckblatt einen Hinweis auf den ebenfalls vorzulegenden angefochtenen Bescheid vorzunehmen noch zumindest dafür Sorge getragen hat, dass der Bescheid trotz seiner Nichtanführung nicht entfernt, sondern dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wird, fällt ihm hier ein Verschulden zur Last, das einen minderen Grad des Versehens übersteigt.
Den Wiedereinsetzungsanträgen konnte daher nicht stattgegeben werden.
Wien, am 19. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000050277.X00Im RIS seit
09.03.2001