TE AsylGH Erkenntnis 2011/10/24 D18 252756-0/2008

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Veröffentlicht am 24.10.2011
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Spruch

D18 252756-0/2008/14E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin MMag. Dr. SCHNEIDER als Vorsitzende und den Richter Mag. KANHÄUSER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.07.2004, FZ 04 04.445-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.08.2011 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF

BGBl. I Nr. 126/2002, § 8 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF

BGBl. I Nr. 101/2003, und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

 

"Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, wird XXXX aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Sachverhalt und Verfahrensgang:

 

I.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Georgien, reiste am 16.03.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf Gewährung von Asyl. Er gab an XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein. Zur Bestätigung legte seinen georgischen Personalausweis, XXXX vor.

 

I.2. Dazu wurde der Beschwerdeführer am 08.06.2004 von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die georgische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab an, er habe Ende Jänner 2004 den gedanklichen Entschluss gefasst, seinen Herkunftsstaat zu verlassen. Am 10.03.2004 sei er tatsächlich schlepperunterstützt ausgereist.

 

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer Folgendes aus: Er sei in Georgien Mitglied einer politischen Partei, nämlich der Bürgerlichen Union, gewesen. Vorsitzender dieser Partei sei Eduard SCHEWARDNADSE gewesen. Am 02.11.2003, dem Tag der Parlamentswahlen in Georgien, hätten seine Probleme begonnen. Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit Freunden in XXXX die Wahlen beobachtet. Vor einem Wahllokal hätten sich Mitglieder der Organisation KMARA und der Nationalen Bewegung von Georgien versammelt und behauptet, das Wahlergebnis sei gefälscht und man müsse die Wahl annullieren. Der Beschwerdeführer und die anderen Wahlbeobachter seien attackiert worden und es habe eine Schlägerei gegeben. Die Polizei habe die Lage dann beruhigt. Die Wahl sei nicht annulliert worden.

 

SAAKASCHWILI habe aber weiter behauptet, die Wahl sei gefälscht worden und die Regierung sei zu Unrecht an der Macht. Er habe Leute nach Tiflis geschickt und Meetings gegen die Regierung organisiert. Die Bürgerliche Union habe wiederum kleine Gruppen gegen die Regierungsgegner organisiert, welche auch die Bevölkerung von der Rechtmäßigkeit der Wahl überzeugen sollten. Der Beschwerdeführer sei Leiter einer solchen Gruppe gewesen. Es sei oft zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. Am 20.11.2003 habe es einen Überfall auf seine Gruppe gegeben. Dem Beschwerdeführer sei dabei die Nase gebrochen worden und er habe zwei Verletzungen am Kopf erlitten, die er noch heute nachweisen könne. Am 12.12.2003 sei er aus dem Krankenhaus entlassen worden. Zwei Mitglieder seiner Gruppe würden seither vermisst.

 

Am 20.12.2003 habe der Beschwerdeführer XXXX verlassen. Ein paar Tage später habe er erfahren, dass unbekannte Leute bei ihm zu Hause gewesen seien, nach ihm gefragt und die Mutter und den Bruder beleidigt hätten. Seine Mutter sei zur Polizei gegangen und man habe ihr geraten, wieder zu kommen, wenn sich der Vorfall wiederhole. Nach der Präsidentenwahl am 04.01.2004 habe es eine Schlägerei zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Freund und Mitgliedern der Jugendorganisation KMARA gegeben. Am 25.01.2004 sei der Beschwerdeführer von XXXX nach XXXX gekommen und habe dort erneut Probleme bekommen. Ein Bruder eines Mitgliedes der KMARA habe ihm gesagt, dass er nicht verzeihe, dass er seinen Bruder geschlagen habe. Der Mann habe dem Beschwerdeführer gedroht, er werde ihn kaputt machen. Es sei zu einer Schlägerei gekommen und der Gegner des Beschwerdeführers sei schwer verletzt worden. Einigen Tage später sei das Haus des Beschwerdeführers mit automatischen Gewehren beschossen worden. Seine Familienmitglieder hätten nur leichte Splitterverletzungen erlitten, er selbst sei nicht zu Hause gewesen. Der Beschwerdeführer sei daraufhin zu Verwandten in ein Dorf gegangen, zwei Wochen dort geblieben und habe sich entschieden, Georgien zu verlassen.

 

Am 25.02.2004 seien unbekannte Personen zum Haus seiner Verwandten gekommen und hätten nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers gefragt. Sie hätten behauptet, dass sie von der Polizei kommen und den Beschwerdeführer treffen wollen. Wenn der Beschwerdeführer nicht zur Polizei komme, werde er große Probleme bekommen. Der Beschwerdeführer habe aber in weiterer Folge von einem Bekannten, der bei der Polizei arbeite, erfahren, dass er nicht von der Polizei gesucht werde und die Polizei kein Problem mit ihm habe. Er habe nur Probleme mit der Jugendorganisation KMARA. Seine Verwandten hätten Geld für ihn gesammelt und mit Hilfe eines Freundes habe er ausreisen können. Er könne alle seine Angaben beweisen und sich die Beweismittel aus Georgien schicken lassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er nichts Gutes. Er könne nicht zurück, weil die KMARA die ganze Macht in Georgien in der Hand habe.

 

I.3. Mit Bescheid vom 30.07.2004, Fz. 04 04.445-BAL, hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte die belangte Behörde aus, dem Vorbringen des Beschwerdeführers werde kein Glauben geschenkt, weil es dem Amtswissen widerspreche. Hinsichtlich seiner befürchteten Verfolgung durch Mitglieder der Opposition bzw. Jugendorganisation KMARA werde ausgeführt, dass diese Bedrohung durch Privatpersonen, auch wenn diese Angehörige einer anderen Partei sein sollten, keinesfalls geeignet sei, eine Furcht vor Verfolgung im Konventionssinn zu begründen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet gegen den Beschwerdeführer in solcher Form vorgegangen werden sollte, zumal seine politische Tätigkeit eine untergeordnete Rolle spiele und lokal begrenzt gewesen sei. So sei er nach eigenen Angaben lediglich Wahlbeobachter, insbesondere kein Organisator oder Funktionär einer Veranstaltung und habe auch niemals behauptet, sich politisch dermaßen engagiert zu haben, dass er im Vergleich zur Masse der protestierenden Bevölkerung aufgefallen wäre. Nach den Umständen der vom Beschwerdeführer dargestellten Bedrohung seien die Personen, die ihm gegenüber aufgetreten seien, als kleine kriminelle Gruppierung anzusehen, von der man durch Intervention der Strafverfolgungsbehörden Schutz finden könne. Der Beschwerdeführer habe es nach eigenen Angaben unterlassen, Schutz vor dieser kriminellen Gruppe bei den zuständigen Behörden zu suchen. Es habe sich aus dem Verfahren keinerlei Anzeichen ergeben, dass ihm von staatlicher Seite allenfalls aus asylrechtlich relevanten Motiven der Schutz verweigert worden wäre. Die erkennende Behörde verkenne nicht, dass der Beamtenapparat Georgiens unter der Korruptionsanfälligkeit der einzelnen Organwalter erheblich leide. Daraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die georgische Sicherheitsverwaltung gänzlich ineffektiv sei und ihren Bürgern keinen Schutz biete bzw. nicht willens und fähig sei, ihren Bürgern Schutz zu bieten und beim Vorliegen von Kriminalität einzuschreiten. Der Beschwerdeführer hätte auch die Möglichkeit gehabt, sich direkt an die Staatanwaltschaft, die Ombudsfrau oder NGO's zu wenden. Da er nicht sämtliche ihm mögliche und zumutbare Schritte unternommen habe, die dazu führen würden, ihm staatlichen Schutz zukommen zu lassen, könne nicht festgestellt werden, dass der georgische Staat nicht willens und fähig sei, ihn vor privaten Übergriffen zu schützen. Weiters sei darauf hingewiesen, dass seinem Vorbringen nicht entnommen werden könne, dass ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden sei.

 

I.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene und zulässige Beschwerde (vormals Berufung) wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Der Beschwerdeführer führte aus, sein Verfahren sei aus mehreren Punkten mangelhaft. In aller Regel sei das Vorbringen des Asylwerbers vor dem Hintergrund der bestehenden Informationslage über den Heimatstaat zu beurteilen. Die der erkennenden Behörde vorliegenden Informationen über die Herkunftsregion, die sie zu einem Bestandteil dieses Bescheides erhoben habe, sei dem Beschwerdeführer bei der Einvernahme nicht zur Kenntnis gebracht worden und ihm so auch gar keine Möglichkeit zu einer diesbezüglichen Stellungnahme eingeräumt worden, was eine Verletzung seines Rechtes auf Parteiengehör darstelle. Auch die Feststellung der belangten Behörde, dass sein Vorbringen nicht glaubhaft sei, sei verfehlt. Der Beschwerdeführer zitierte einen Internetartikel zum Thema "Politik Georgiens" und führte aus, es sei evident, dass keine Verfolgung der Anhänger der Bürgerunion kundgemacht werde, da die Partei offiziell nicht mehr existiere. Vielmehr könne man davon ausgehen, dass die Regierung SAAKASCHWILIS derartige Verfolgung nicht publik mache, weil sie daran interessiert sei, der Außenwelt und insbesondere den westlichen Beobachtern ein demokratisches Vorgehen vorzuspielen. Aus den Medienberichten sei ebenso evident, dass die Organisation KMARA bei der Regierung von SAAKASCHWILI eine Schlüsselrolle spiele. Diesbezüglich zitierte der Beschwerdeführer wiederum einen Internetartikel und monierte, vor diesem Hintergrund erscheinen die Feststellungen der Behörde, wonach Mitglieder der Organisation KMARA nur eine ihm gegenüber aufgetretene kriminelle Gruppe aus wenigen Personen seien, die mit seiner Tätigkeit als Wahlbeobachter nicht einverstanden seien, als falsch. Wäre die Behörde auf diese politischen Themen eingegangen und hätte die von ihm dargelegten Informationen berücksichtigt, hätte sie zur Entscheidung kommen müssen, dass er seine Verfolgung seitens KMARA Mitgliedern glaubhaft darstellte. Hinsichtlich seiner politischen Rolle habe er in der Einvernahme beim Bundesasylamt dargelegt, dass er nicht nur ein Wahlbeobachter gewesen sei, sondern Leiter einer Gruppe, die zur Aufklärung der Bevölkerung und zum Kampf gegen die nationale Bewegung des SAAKASCHWILI berufen gewesen sei. Offensichtlich seien er und seine Familie wegen seiner politischen Aktivitäten der Verfolgung seitens der Organisation KMARA ausgesetzt gewesen. Er habe seine Asylgründe glaubhaft gemacht, sein Vorbringen sei genügend substantiiert, er habe alle Vorfälle detailliert und widerspruchsfrei geschildert. Außerdem habe er zusätzliche Beweismittel erbracht, nämlich sein Parteibuch, seinen Bewerbungsbogen vom 05.06.2002, den er anlässlich seiner Anstellung als Funktionär der Bürgerunion ausfüllen habe müssen, sowie den Brief seiner Mutter vom 07.06.2004, in dem sie ihn gewarnt habe, dass er weiterhin bedroht sei, da in ihr Haus viele fremde Männer kommen, die nach ihm fragen, und dass sie große Angst habe. Vor dem Hintergrund der existierenden Materialien über die Situation in Georgien hätte die erkennende Behörde seine Darstellung der Verfolgung seitens Anhänger der KMARA, die die rechte Hand des Präsidenten darstelle und die Unfähigkeit der georgischen Strukturen , ihm Schutz zu bieten, zeige, als wahr feststellen müssen. Die staatlichen Behörden seines Heimatlandes seien nämlich nicht in der Lage und nicht gewillt, ihm Schutz vor Verfolgung zu gewähren, weil seine Gegner dermaßen mächtig und durchaus in der Lage seien, die nötigen staatlichen Strukturen zu korrumpieren. Im Falle des Beschwerdeführers könne man auch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen. Seine Verfolger seien keine einzelnen Privatpersonen, sondern Mitglieder einer mächtigen Organisation, die Regionen übergreifend und zentral gesteuert agieren.

 

I.5. Am 17.01.2011 langte eine an die BH XXXX adressierte und weitergeleitete anonyme E-Mail vom 07.01.2011 beim Asylgerichtshof ein. Darin wird ausgeführt, der Beschwerdeführer und seine Ehefrau würden schon sehr lange schwarz arbeiten und auch andere Asylwerber beschäftigen. Außerdem lebe die Ehefrau unter falschem Namen in Österreich. Sie heiße nicht "XXXX", sondern XXXX und komme nicht aus Ossetien, sondern aus Zentralgeorgien. Beide hätten absolut keine Asylgründe, alles sei gelogen. Das Schreiben wurde vom Asylgerichtshof am 08.03.2011 an das XXXX zur allfälligen weiteren Veranlassung weitergeleitet.

 

I.6. Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 19.04.2011 wurde der Beschwerdeführer über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, Unterlagen zur Integration, eventuelle aktuelle ärztliche Befunde und Beweismittel zu seinen Fluchtgründen in der Verhandlung beizubringen. Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zu Georgien mit der Aufforderung übermittelt, innerhalb von 14 Tagen dazu Stellung zu beziehen.

 

I.7. Mit Schreiben vom 26.04.2011 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass seine Frau, XXXX in den nächsten Tagen ihr erstes Kind erwarte. Daher ersuchen der Beschwerdeführer und seine Ehefrau die für 09.05.2011 anberaumte Verhandlung zu verschieben. Dem Schreiben wurde eine Kopie des Mutter- Kind- Passes beigelegt.

 

I.8. Daraufhin wurde die Verhandlung mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 03.05.2011 abberaumt und den Parteien mitgeteilt, dass für einen neuen Verhandlungstermin eine gesonderte Ladung ergehe.

 

I.9. Mit Schreiben vom 16.05.2011 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass seine Lebensgefährtin am 03.05.2011 das gemeinsame Kind, XXXX, zur Welt gebracht habe und für das Kind bereits ein Asylantrag beim Bundesasylamt gestellt worden sei. Dem Schreiben wurde die Geburtsurkunde des Kindes, Nr. XXXX, ausgestellt am XXXX vom XXXX (Eltern: XXXX und XXXX), und ein Meldezettel des Kindes beigelegt.

 

I.10. Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 19.07.2011 wurde der Beschwerdeführer über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt und erneut aufgefordert, Unterlagen zur Integration, eventuelle aktuelle ärztliche Befunde und Beweismittel zu seinen Fluchtgründen in der Verhandlung beizubringen. Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden dem Beschwerdeführer erneut aktuelle Länderberichte zu Georgien mit der Aufforderung übermittelt, innerhalb von 14 Tagen dazu Stellung zu beziehen.

 

I.11. Am 22.08.2011 langte ein Schreiben des XXXX beim Asylgerichtshof ein. Daraus geht hervor, dass der Beschwerdeführer aufgrund der anonymen E-Mail angezeigt und bei ihm am 19.04.2011 Nachschau gehalten worden sei. Der Beschwerdeführer lebte mit seiner hochschwangeren Frau in einer Dachzimmerwohnung in ärmlichsten Verhältnissen. Der Lebensunterhalt werde durch Unterstützung der Caritas und Volkshilfe, monatlich ¿ 540,-- plus Wohnungsmiete bestritten. Ein eigenes bzw. zusätzliches Einkommen sei nicht vorhanden.

 

I.12. Am 22.08.2011 führte der zuständige Senat des Asylgerichtshofes im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Lebensgefährtin, des gemeinsamen minderjährigen Sohnes und einer geeigneten Dolmetscherin der Sprache Georgisch eine öffentlich mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Ein Vertreter des Bundesasylamtes blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

 

Zu Beginn der Verhandlung wurden der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin von der vorsitzenden Richterin erinnert, dass sie wichtige, sie persönlich betreffende und für das Asylverfahren relevante Dinge den Asylbehörden mitzuteilen haben. In diesem Zusammenhang müsse festhalten werden, dass die Beschwerdeführer die Arbeiten des Gerichtes behinderten, indem sie nichts von der Schwangerschaft der Lebensgefährtin und der bevorstehenden Geburt mitgeteilt haben, weshalb die anberaumte Verhandlung im Frühjahr dieses Jahres kurzfristig wieder abberaumt werden musste. Der Beschwerdeführer rechtfertigte sich damit, dass die CARITAS davon gewusst habe. Nach Wiederholung der Frage entgegnete die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, sie habe das nicht gewusst, es tue ihr leid.

 

Befragt, wie es den Beschwerdeführern gesundheitlich gehe, ob bei ihnen (chronische) Krankheiten und/oder Leiden vorliegen und ob sie in Therapie seien oder regelmäßig Medikamente einnehmen, sagte der Beschwerdeführer, er habe sich vor 2 Jahren das Sprunggelenk gebrochen, ab und zu habe er eine Kontrolle, sonst habe er keine Probleme. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sagte, ihr gehe es auch gut, sie habe fast 1,5 Jahre eine psychotherapeutische Behandlung bekommen, diese sei nicht abgeschlossen worden. Ihre Therapeutin habe sich selbstständig machen wollen und sie hätte jemand anderen suchen müssen, weshalb sie von selbst die Behandlung abgebrochen habe. Sie sei derzeit nicht in Behandlung und nehme auch keine Medikamente. Das Baby sei auch gesund.

 

Der Beschwerdeführer gab an, dass er Geld von der CARITAS bekomme und die Familie davon lebe. Er arbeite derzeit nicht. Er sei 6 Monate lang selbstständig gewesen, aber wegen seines Sprunggelenkes habe er aufhören müssen. Er sei Paketzusteller gewesen. Der Beschwerdeführer legte eine Ruhendmeldung des Gewerbes vom 07.12.2009 und eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 06.05.2009 vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Er habe die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder aufgenommen.

 

Befragt, wie seine damalige Arbeitstätigkeit ausgesehen habe, schilderte der Beschwerdeführer, er habe einen Chef gehabt. Er habe eine Arbeitszusage, er könne dort als Zimmermann zu arbeiten anfangen. Zu Hause habe er eine Ausbildung als Zimmermann gemacht und auch als solcher gearbeitet. Er sei dort auch Pflasterleger gewesen. Zimmermann sei er von 1998 - 2000 oder 2001 gewesen, er habe mit seinem Onkel gearbeitet, das sei aber nicht offiziell gewesen. Der Beschwerdeführer legte eine Arbeitszusage der Firma XXXX vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen).

 

Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er auch Fußball gespielt habe, das sei ca. 2 Jahre lang gewesen bis er sich 2009 das Sprunggelenk gebrochen habe. Seit 2009 sei er im Bogensportverein. Er habe auch einen Deutschkurs gemacht. Der Beschwerdeführer legte eine Fußballvereinsbestätigung, eine Bogensportvereinsbestätigung und ein Sprachzertifikat vom 19.06.2010 vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen).

 

Eine Verhandlungsführung auf Deutsch war einwandfrei möglich.

 

Weiters legte der Beschwerdeführer einen Mitgliedsausweis der Bürgerunion vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen).

 

Die Dolmetscherin übersetzt: (....)

 

Der Beschwerdeführer legte seine Geburtsurkunde und die Bestätigung des Krankenhausaufenthaltes in Österreich von 2009 sowie vom XXXX - XXXX vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Er gab an, dass die Ärzte ihm verboten hätten weiterzuarbeiten. Auf Nachfrage des beisitzenden Richters, wie er denn dann als Zimmermann arbeiten könne, sagte der Beschwerdeführer, er habe das ja gelernt. Weiters befragt, worin der Unterschied liege, ob er als Paketzusteller im Auto sitze oder die Arbeit als Zimmermann ausführe, entgegnete der Beschwerdeführer, als Paketzusteller arbeite er 15 Stunden und sei 15 Stunden auf den Beinen, als Zimmermann arbeite er 8 Stunden täglich.

 

Die vorsitzende Richterin hielt dem Beschwerdeführer vor, dass sie ein Schreiben bekommen habe, das angebe, dass der Beschwerdeführer illegal arbeiten würde und zudem Leute beschäftige. Der Beschwerdeführer sagte, dass dies nicht stimme.

 

Auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gab an, dass sie Kurse besucht habe und legte ein Sprachzertifikat vom 19.06.2010 vor (wird in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Weiters legte sie eine Arbeitszusage des Restaurants XXXX vom 15.08.2011 vor, wonach sie ab Mai 2012 als Zimmermädchen beschäftigt werden könne (wird in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin legten weiters Schreiben der CARITAS vor, dass sie bei Bedarf ehrenamtlich als Dolmetscher eingesetzt werden (wird in Kopie als Beilage zum Akt genommen).

 

Nach ihrem Tagesablauf befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sie spazieren gehen. Die Lebensgefährtin sagte, sie kümmere sich um das Baby. Sie seien derzeit nicht Mitglied in Vereinen. Sie wohnen in XXXX. Die Wohnung habe 35 oder 37 qm, sie sei sehr alt. Die Wohnung hätten sie sich selbst gesucht. Sie habe 2 Zimmer, WC und Dusche.

 

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde gebeten, den Verhandlungssaal zu verlassen, um eine getrennte Einvernahme zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer gab an, dass er seine Lebensgefährtin vor ca. 5 Jahren im Mai 2006 in Thalham kennen gelernt habe. Die vorsitzende Richterin fragte den Beschwerdeführer, wie seine Frau mit richtigem Namen heiße. Laut anonymem Hinweis heiße sie XXXX und stamme aus XXXX. Der Beschwerdeführer sagte, sie heiße XXXX. Auf Vorhalt des anderen Namens meinte er jedoch, der vorgehaltene sei ihr richtiger Name, seine Frau werde dies im Anschluss im Rahmen ihrer eigenen Befragung klarstellen. Befragt, wo seine Frau geboren sei, sagte der Beschwerdeführer, sie sei, soweit er wisse, in XXXX geboren, wo auch er her komme. Sie hätten sich in Georgien aber noch nicht gekannt.

 

Befragt, wie es seinen Familienangehörigen gehe, sagte der Beschwerdeführer, er wisse nicht viel darüber. Es gehe ihnen gut. Vor vier Monaten habe er das letzte Mal Kontakt gehabt. Er habe noch eine Mutter und einen Bruder in Georgien, sein Vater sei vor 11 Jahren gestorben. Ab und zu würden sie bedroht. Sie hätten ab und zu Besuch von Polizisten bekommen, er glaube aber nicht, dass es wirklich Polizisten gewesen seien. Seine Mutter habe bei der Polizei angerufen und die hätten gesagt, wenn es noch einmal passiere, solle sie dort anrufen. Das sei vor ca. 3 Jahren gewesen. Auf Vorhalt, dass er das Gleiche bereits vor dem Bundesasylamt gesagt habe, erwiderte der Beschwerdeführer, dass damals noch mehr los gewesen sei. Seine Mutter sei Verkäuferin. Sein Bruder sei derzeit arbeitslos. Manchmal arbeite er auf einer Baustelle. Früher habe es oft Bedrohungen gegeben, in den letzten zwei Jahren sei fast nichts passiert.

 

Seine Frau habe wenig Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Georgien. So viel der Beschwerdeführer wisse, lebe ihr Vater in Russland.

 

Befragt, welchen Beruf er in seiner Heimat ausgeübt habe, antwortete der Beschwerdeführer, er habe Zimmermann und Pflasterleger gelernt, da sei er 15 gewesen. Dies habe er bis 18 Jahre ausgeübt und dann sei er zum Militär gegangen. Dort sei er 1,5 Jahre lang gewesen. 6 Monate später sei er gleich nach Europa. Sonst habe er beruflich nichts in Georgien gemacht. Die vorsitzende Richterin hielt dem Beschwerdeführer vor, dass dies seinen früheren Angaben widerspreche. Er habe angegeben, dass er für die Bürgerunion gearbeitet habe, dort angestellt gewesen und bezahlt worden sei. Nunmehr erwähne er nichts davon. Der Beschwerdeführer entgegnete, sonst habe er schon dort gearbeitet, er sei bei der Politik gewesen. Er sei von 2002 - 2003 für ca. 1 Jahr lang bei der Partei gewesen. Sie hätten 150 Lari dafür bekommen. Sie hätten auf Schewardnadse aufpassen müssen, die Leute unterhalten und sie animieren müssen, dass sie die richtige Partei wählen. Sie seien von Haus zu Haus gegangen, hätten Versammlungen darüber gemacht, wie es weiter gehe. Ab und zu habe es Streiks gegeben, sie hätten sich eingemischt, dass die Leute nicht bleiben durften. Auf Nachfrage, was er sonst noch gemacht habe, sagte der Beschwerdeführer, am 02.11.2003 sei eine Parlamentswahl gewesen, da hätten sie als Beobachter gearbeitet. Sie hätten geschaut, dass die Leute nichts falsch machen. Das sei in einer russischen Schule XXXX gewesen. Er habe von 2002 - 2003 für die Bürgerunion gearbeitet. Am 04.01.2004 sei Saakaschwili zum Präsidenten bestimmt worden. Am 25.01.2004 habe er seine Angelobung gehabt. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal bis zum 04.01.2004 für die Bürgerunion gearbeitet.

 

Befragt, was er vom 04.01.2004 bis zu seiner Ausreise gemacht habe, schilderte der Beschwerdeführer, er habe am 02.11.2003, nach ca. 2 Wochen, einen Überfall gehabt. Am 20. oder 21.11. sei er für 2 Wochen ins Krankenhaus gekommen. Er habe immer noch am Kopf Narben davon. Dann sei er aus dem Krankenhaus gekommen und habe XXXX verlassen, das sei nach ein paar Tagen gewesen, das sei schon im Dezember 2003 gewesen. Danach sei er für ca. 1 Monat in XXXX gewesen, dort hätten sie auch Probleme mit KMARA oder den Leuten von Saakaschwili gehabt. Er glaube aber eher, dass es die Leute von KMARA gewesen seien. Dann sei er wieder nach XXXX zurück, einen Monat sei er ja in XXXX gewesen, wo sie Probleme mit ca. 10 Männern gehabt hätten. In XXXX habe er dann wieder Probleme mit dem Bruder eines Mannes von den 10 Männern aus XXXX gehabt. Es sei zu einer Schlägerei gekommen, dieser Bruder sei ins Krankenhaus gekommen, das sei Ende Jänner 2004 gewesen.

 

Auf Nachfrage, warum er Probleme mit dem Bruder gehabt habe, erwiderte der Beschwerdeführer, sie seien Gegner gewesen. Am 02.11.2003 ca. nach 17 Uhr hätten sie eine Auseinandersetzung gehabt, es sei die Polizei gekommen und die hätten zu ihnen gesagt, dass sie etwas gefälscht haben. So habe alles angefangen, dann sei er aber nicht mehr politisch aktiv gewesen. Es habe aber noch Auseinandersetzungen geben. Dann sei er ca. 5 Monate später ausgereist. Der Beschwerdeführer wisse nicht genau was im Falle seiner Rückkehr passieren würde. Er könne nicht sagen, dass sie ihn gleich auseinanderreißen würden, die Vorfälle seien schon sehr lange her.

 

Auf Frage, dass ihm seine Mutter 2004 gesagt habe, er solle mit der Rückkehr warten, bis sich die Lage beruhigt habe und dass sich die Lage schon längst beruhigt hätte, weshalb er also nicht zurückgekehrt sei, erwiderte der Beschwerdeführer, es stimme, dass die letzten 2 Jahre fast nichts passiert sei. Er sei als Jugendlicher ausgereist und hier erwachsen geworden. Er habe sich hier gut integriert.

 

Der Beschwerdeführer wurde von der vorsitzenden Richterin gefragt, ob er sein Fluchtvorbringen aufrecht halten wolle. Dazu sei festzuhalten, dass aus den ihm vorgelegten Länderfeststellungen und den nun in der Verhandlung übergebenen aktuellen Länderfeststellungen zu Politik, Rechtschutz und Menschenrechten in Georgien von Juli 2011 eindeutig hervorgehe, dass er sich an die Sicherheitsbehörden um Schutz wenden könne. Der georgische Staat sei willens und in der Lage, ihn zu schützen. Justizwesen und Polizei seien massiv reformiert worden. Der Kampf gegen Korruption habe für die georgische Regierung und Polizei weiterhin Vorrang. Der Beschwerdeführer habe in seiner Einvernahme auch selbst angegeben, dass die Polizei sich bereit erklärt habe zu schützen:

 

Erste Einvernahme vor dem Bundesasylamt (vgl. AS 26):

 

Es sei zum Streit und dann zur Schlägerei im Wahllokal mit Mitgliedern der Organisation KMARA gekommen. "Durch die Polizei beruhigte sich die Lage."

 

Der Beschwerdeführer habe XXXX verlassen, verschiedene Leute haben ihn zuhause gesucht. "Diese Leute haben meinen Bruder und meine Mutter beleidigt." "Nach diesem Vorfall ging meine Mutter zur Polizei und diese gab meiner Mutter zu verstehen, dass sie wieder kommen soll, wenn sich der Vorfall wiederholt."

 

AS 27: "Ich bat meinen Freund (dessen Onkel sei bei Polizei) zu klären, ob es der Wahrheit entspricht, dass ich von der Polizei gesucht werde. Er kam zu mir und sagte, dass ich nicht gesucht werde und die Polizei habe mit mir keine Probleme. Ich erfuhr, dass ich die ganzen Probleme nur mit der Jugendgruppe der KMARA habe."

 

Die vorsitzführende Richterin hielt dem Beschwerdeführer deshalb vor, dass sich dadurch zeige, dass die Polizei ihn schon damals im Jahr 2003/2004 geschützt habe und hätte. Gemäß dem aktuellem Bericht betreffend Menschenrechte in Georgien vom Juli 2011, den die vorsitzende Richterin dem Beschwerdeführer hiermit übergebe, könne von einer systematischen Verfolgung von Oppositionsmitgliedern nicht gesprochen werden, auch wenn Defizite im strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen oppositionelle Aktivisten festgestellt werden könnten. Als solcher sei der Beschwerdeführer jedoch keinesfalls einzustufen. Was sein Vorbringen der Bedrohung durch die KMARA anbelangt, habe er in seiner Berufung/Beschwerde selbst vorgelegt, dass nach der samtenen Revolution und dem Rücktritt von Schewardnadse im November 2003 die Bürgerunion vollständig zerfallen sei. Deren 19 Parlamentarier unterstützten in der Folge die neue Regierung (AS 71).

 

Der Beschwerdeführer entgegnete darauf, dass er mit der Polizei in Georgien keine Probleme gehabt habe. Befragt, ob er noch etwas anführen möchte, sagte der Beschwerdeführer, er habe Angst abgeschoben zu werden. Der Beschwerdeführer wurde von der vorsitzenden Richterin auf die Möglichkeit der freiwilligen Rückreise aufmerksam gemacht. Darauf entgegnete der Beschwerdeführer, dass er schon so lange hier lebe, auch österreichische Freunde hier habe, hier ein paar Jahre lang Fußball gespielt habe, er sei im Bogenverein, er habe vor 2 Wochen Dart gespielt. Wenn er eine Arbeitsbewilligung bekomme, könnte er arbeiten.

 

Abschließend gab der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin an, dass sie für das gemeinsame Kind keine eigenen Fluchtgründe vorzubringen hätten.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in die dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakte des Beschwerdeführers und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 22.08.2011 sowie Erörterung der mit der Ladung übermittelten Länderdokumente und der in der Beschwerdeverhandlung übergebenen Länderberichte.

 

II.2. Der Asylgerichtshof geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

Zur Person und den Fluchtgründen:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Georgien. Er wurde am XXXX geboren und trägt den im Spruch angeführten Namen XXXX. Er gelangte am 16.03.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

 

Der Beschwerdeführer ist - abgesehen von einer Sprunggelenkverletzung aus dem Jahr 2009 - gesund, er leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegen stehen würde.

 

Nicht festgestellt werden kann unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers, dass dem Beschwerdeführer in Georgien Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Gründe, nicht gegeben.

 

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde.

 

Der unbescholtene Beschwerdeführer lebt in Österreich mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen minderjährigen Kind, welche ebenfalls Asylwerber sind und mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag ausgewiesen wurden, im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist somit nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist von keiner Person in Österreich abhängig. In Georgien leben die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfügt zwar über gute Deutschkenntnisse, war Mitglied in einem Fußball- und ist Mitglied in einem Bogensportverein. Bei Bedarf wird er ehrenamtlich als Dolmetscher bei der Caritas eingesetzt. Er ging in Österreich allerdings lediglich kurze Zeit einer Beschäftigung nach bzw. hatte im Jahr 2009 ein Gewerbe angemeldet, welches er aber mit Dezember 2009 aus gesundheitlichen Gründen wieder ruhend gemeldet hat. Der Beschwerdeführer hatte niemals ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

 

Zur relevanten Situation in Georgien:

 

Hinsichtlich der aktuellen Situation in Georgien, insbesondere die politische Situation, Rechtsschutz, Menschenrechte und die Situation von Rückkehrern betreffend, wird auf die Feststellungen in nachstehenden Berichten verwiesen, wobei auszugsweise wesentliche Punkte angeführt werden.

 

Allgemeine Lage

 

Politik / Wahlen

 

In Georgien leben rund 4,6 Millionen Menschen (Juli 2011 est.) auf

69.700 km².

 

(CIA World Factbook: Georgia, Stand 5.7.2011, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gg.html, Zugriff 15.7.2011)

 

Georgien ist eine demokratische Republik. Seine Verfassung wurde am 24. August 1995 und am 6. Februar 2004 wesentlich geändert. Neben dem Staatspräsidenten steht ein Premierminister in der Regierungsverantwortung, die Verfassung sichert aber dem Parlament eine wichtige Rolle. Sie bekennt sich zu den Grund- und Menschenrechten einschließlich der Meinungs- und Pressefreiheit. Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft.

 

Die territoriale Gliederung des Landes (Zentral- oder Bundesstaat) bleibt gemäß Verfassung bis zur Reintegration und Abhaltung freier Wahlen in den abtrünnigen Konfliktgebieten Abchasien und Südossetien offen. In allen anderen Regionen Georgiens fanden im Oktober 2006 erstmals im Rahmen der Schaffung lokaler Selbstverwaltung Kommunal- und Lokalwahlen statt. Kommunalwahlen mit erstmaliger Direktwahl des Bürgermeisters von Tiflis fanden 2010 statt Die Wahlen wurden von internationalen Beobachtern als grundsätzlich den Standards entsprechend bezeichnet, auch wenn es zu Zwischenfälle und Defiziten bei der Umsetzung der Regelungen des Wahlgesetzes gekommen ist.

 

Im Frühjahr und Sommer 2009 kam es zu monatelangen friedlichen Protesten und Demonstrationen der Opposition gegen Staatspräsident und Regierung. Im Gegensatz zur Situation 2007 kam es nicht zu einer anhaltenden Eskalation.

 

Die außerparlamentarische Opposition hält ihre Forderung nach vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen weiterhin aufrecht.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/ Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)

 

2010 begann sich Georgien von den Instabilitäten, die 2007 begonnen hatten, zu erholen, es fanden keine großen politischen Proteste statt.

 

(Freedom House: Nations in Transit 2011 - Georgia, 27.6.2011)

 

Anfang 2011 schlossen sich sechs moderate Oppositionsparteien zu einer losen Koalition ("Freie Wahl") zusammen, um eine politische Liberalisierung und insbesondere eine Einigung mit der Regierungspartei VNB über die Wahlreform zu erzielen. Im Juli 2011 weiteten sie ihre Ziele dahingehend aus, dass sie nunmehr die gesamte politische Umwelt ändern wollten. Hierfür ist vor allem eine intensive Wahlkampagne vor den Parlamentswahlen 2012 geplant, und politische Programme zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen sollen ausgearbeitet werden.

 

(RFE/RL: Georgia's 'Opposition Six' Unveils Expanded Agenda, 10.7.2011,

http://www.rferl.org/content/georgias_opposition_six_unveils_expanded_agenda/24261214.html, Zugriff 18.7.2011)

 

Wahlen

 

Am 30. Mai 2010 fanden in ganz Georgien Kommunalwahlen statt. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 49% der registrierten Wahlberechtigten. Wie bereits in Wahlvorhersagen vermutet errang die regierende "Vereinte Nationalbewegung" VNB einen erdrutschartigen Sieg. In allen 63 Bezirksräten außerhalb von Tiflis erhielt die VNB über 50% der Wählerstimmen, in der Hauptstadt Tiflis gewann sie 39 von 50 Sitzen im Stadtrat. Landesweit entfielen auf die VNB circa 63%. Weit dahinter folgten mit 11,9 Prozent die "Christdemokratische Bewegung" und das Parteienbündnis "Allianz für Georgien" mit 11,3 Prozent. In Tiflis gewann der amtierende Bürgermeister der VNB Gigi Ugulava die Bürgermeisterwahlen mit rund 55% der Wählerstimmen.

 

(AG Friedensforschung-Uni Kassel: Saakaschwilis Vorherrschaft gefestigt - Georgische Kommunalwahlen bestätigen klare Mehrheit der Regierungspartei, 4.6.2010,

http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Georgien/kommunalwahl.html, Zugriff 15.7.2011/ Central Asia - Caucasus Institute Analyst:

Georgia's Local Elections: Revitalizing the Rose Revolution?, 9.6.2010, http://www.cacianalyst.org/newsite/?q=node/5343, Zugriff 15.7.2011)

 

Die Beobachtermission der OSZE schloss, dass diese Wahlen klare Fortschritte in Richtung einer Einhaltung der Verpflichtungen Georgiens gegenüber OSZE und Europarat gezeigt hätten. Die Wahlkampagne im Vorfeld der Kommunalwahlen hätte der Organisation zufolge in einer "vorwiegend ruhigen Atmosphäre" stattgefunden, die Kandidaten hätten frei Wahlkampf führen und sich versammeln können. Dennoch bestehen laut OSZE "bedeutende Defizite" weiter: Obwohl die Wahlbehörden den Urnengang "transparent und professionell" organisiert hätten, seien am Wahltag in mehreren Regionen "systematische Unregelmäßigkeiten" vorgekommen.

 

(OSZE: Statement of Preliminary Findings and Conclusions on the Municipal Elections in Georgia, 30 May 2010, 31.5.2010)

 

Die Kommunalwahlen im Mai 2010 wurden von internationalen Beobachtern zwar positiv bewertet, gleichzeitig gingen jedoch Berichte ein, wonach einige Oppositionskandidaten schikaniert und eingeschüchtert worden waren. Im Oktober wurden Verfassungsänderungen beschlossen, die im Jahr 2013 in Kraft treten sollen. Sie sehen vor, die Machtbefugnisse des Präsidenten erheblich einzuschränken und die Befugnisse des Ministerpräsidenten und der Regierung auszuweiten.

 

(Amnesty International: Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, 13.5.2011)

 

Am 21. Mai 2008 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei "Vereinte Nationalbewegung" (VNB, engl. UNM) von Staatspräsident Saakaschwili errang dabei 59,18 Prozent der Zweitstimmen und 71 von 75 Direktmandaten. Insgesamt verfügt die UNM damit über 119 von 150 Mandaten, was einer deutlichen verfassungsändernden Mehrheit entspricht. Daneben haben vier Oppositionsparteien den Einzug in das Parlament geschafft: das damals aus mehreren Parteien bestehende Bündnis "Nationaler Rat/Neue Rechte" mit 17,73 Prozent der Zweitstimmen und zwei Direktmandaten, die Christlich-Demokratische Bewegung von Giorgi Targamadse mit 8,66 Prozent der Zweitstimmen, die Arbeitspartei mit 7,44 Prozent der Zweitstimmen und die Republikaner mit zwei Direktmandaten (lediglich 3,78 Prozent der Zweitstimmen bei einer 5-Prozent-Hürde).

 

Wahlbeobachter zogen ein im Kern positives Fazit der Wahlen, die den Wählern echte Wahlalternativen boten und deren Ergebnisse grundsätzlich den Wählerwillen abbildeten. Sie verwiesen allerdings auch auf zahlreiche, teilweise schwerwiegende Zwischenfälle in einzelnen Wahlbezirken und die damit verbundenen weiter bestehenden Herausforderungen beim Aufbau eines demokratischen Staatswesens in Georgien. Ein Großteil der Opposition, allen voran das Parteienbündnis "Nationaler Rat/Neue Rechte", bezeichnete die Wahlen als gefälscht.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/ Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)

 

Parteien

 

Saakaschwilis "Vereinte Nationalbewegung" ist seit der Rosenrevolution die in Georgien dominierende Partei. Es gibt zahlreiche Oppositionsparteien, die sich in den letzten Jahren zu wechselnden Allianzen zusammenschlossen.

 

(Freedom House: Freedom in the World 2010 - Georgia, Mai 2010)

 

Abänderungen der Wahlgesetzgebung 2009 und 2010 verbesserten die Chancen für Oppositionsparteien dadurch, dass das ehemalige System durch ein System ersetzt wurde, das Mandate teilweise proportional verteilt. Die Lokalwahlen 2010 änderten jedoch nichts an der Machtverteilung, die regierende UNM gewann die Wahlen haushoch und hält in allen Lokalräten die absolute Mehrheit.

 

Obwohl es in Georgien viele politische Parteien gibt, sind Mitgliedschaften und Teilhabe weiterhin niedrig, und politische Parteien sind jene Institutionen, denen am wenigsten Vertrauen entgegengebracht wird. Die Desintegration von Parteien und Koalitionen und das Entstehen neuer treten häufig auf. Regierungsparteien fallen für gewöhnlich auseinander, wenn ihre Führungspersönlichkeiten in ihrem Amt abgelöst werden. Beispielsweise wurde der regierende Block "Runder Tisch-Freies Georgien" aufgelöst, als seine größten Parteien marginalisiert wurden nachdem der erste postkommunistische Präsident Swiad Gamsachurdia die Macht verlor. Dasselbe Schicksal ereilte die "Bürgerunion Georgiens", nachdem Eduard Schewardnadse das Präsidentenamt verließ. Die derzeit regierende "Vereinte Nationalbewegung" (VNB) wird mit dieser Tradition nach 2013 vermutlich brechen und weiter in der Politszene bleiben, obwohl seit 2007 einige hochrangige Politiker die VNB verlassen haben und eigene politische Parteien gründeten. In der Opposition kam es ebenso zu einigen Umgruppierungen. 2010 entstand die neue Georgische Partei, geführt vom ehemaligen Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, Ombudsmann Sosar Subari, dem Botschafter in Russland Erosi Kitsmarischwili, und Lewan Gatschetschiladse, dem Hauptgegner Saakaschwilis bei den Präsidentschaftswahlen 2008.

 

Es gibt keine rechtlichen Einschränkungen für die Gründung politischer Parteien, außer bei Parteien mit Basis in den Regionen. In der letzten Zeit widmen politische Parteien den Regionen der ethnischen Minderheiten mehr Aufmerksamkeit, insbesondere vor Lokalwahlen. Diese Aufmerksamkeit ist jedoch sporadisch, politische Parteien sind weiterhin sehr zentralisiert und Tiflis-dominiert. Dies trifft nicht nur auf nicht von Georgiern bewohnte Gebiete zu, sondern auch auf alle anderen Gebiete des Landes. Im Allgemeinen entspricht die Repräsentation ethnischer und religiöser Minderheiten in der nationalen Politik nicht jener ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Ethnische Minderheiten stellen 16% der georgischen Bevölkerung dar, haben aber nur vier Sitze im Parlament inne.

 

(Freedom House: Nations in Transit 2011 - Georgia, 27.6.2011)

 

Kommunalwahlen 2010

 

Im Februar 2009 übernahm Irakli Alasania den Vorsitz des neu gegründeten Oppositionsbündnisses "Allianz für Georgien" der Parteien "Neue Rechte" und "Republikanische Partei", das zu den Kommunalwahlen 2010 antrat. Im Juli 2009 gründete Alasania seine eigene neue Partei "Unser Georgien - Freie Demokraten", die automatisch Teil des Oppositionsbündnisses wurde. Im April 2010 schloss sich die 2006 gegründete Partei "Georgiens Weg" der ehemaligen Außenministerin Salome Surabischwili dem Bündnis an. Ko-Vorsitzender der Allianz wurde der ehemalige georgische Ombudsmann Sosar Subari.

 

(Rustavi 2: Alliance for Georgia collapses, 16.6.2010, http://www.rustavi2.com/news/

news_text.php?id_news=37455&pg=1&im=main, Zugriff 15.7.2011 /

Freedom House: Freedom in the World 2010 - Georgia, Mai 2010 /

Civil.ge: Alliance for Georgia Falls Apart, 16.6.2010, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=22423&search=, Zugriff 15.7.2011)

 

Das zweite angetretene Oppositionsbündnis, der "Nationale Rat", ist eine Koalition aus der "Bewegung für ein Gerechtes Georgien", der "Volkspartei" und der "Konservativen Partei". Bürgermeisterkandidat für Tiflis war Swiad Dsidsiguri.

 

(Civil.ge: Ex-PM Nogaideli Meets Ex-Defense Minister Okruashvili, 8.6.2010, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=22402, Zugriff 15.7.2011)

 

Der dritte angetretene oppositionelle Wahlblock "Christlich-Demokratische Allianz" setzte sich aus der im Parlament vertretenen "Christdemokratischen Bewegung", der Partei "Wir Allein" und der "Christlich-Demokratischen Volkspartei" zusammen. Für dieses Bündnis trat Giorgi Tschanturia als Bürgermeisterkandidat in Tiflis an.

 

(Georgien Aktuell: Drei Wahlbündnisse bei Regionalwahlen, 19.4.2010, http://www.georgien-aktuell.de/politikartikel.html?&tx_ttnews%5Btt_news% 5D=92&tx_ttnews%5BbackPid%5D=56&cHash=26a0dbdf51, Zugriff 1.7.2010)

 

Rechtsschutz

 

Justiz

 

Georgien hat in den letzten Jahren ernsthafte Bemühungen unternommen, sein Justizwesen zu reformieren. Eine ehrgeizige Strafjustizreform begann 2005 und umfasst die Bereiche Strafanstalten, Jugendgerichtsbarkeit, Bewährungsstrafe und Zugang zur Justiz. Im Zuge der Reform wurde die relevante Gesetzgebung überarbeitet. Die stringente "Null-Toleranz-Politik" bei Bagatelldelikten wird weiterhin umgesetzt. In der Praxis führt dies zu langen Haftstrafen, Bedenken über die Proportionalität solcher Strafen kamen auf. Der Menschenrechtskommissar des Europarats hält Georgien dazu an, eine humanere und mehr an den Menschenrechten orientierte Strafjustizpolitik anzustreben, die auf restaurativer, statt vergeltender Gerechtigkeit beruht. Ein positiver Aspekt der Reform ist die Betonung von Alternativen zu Haftstrafen.

 

Bedeutende Veränderungen fanden im Bereich der Organisation des Justizwesens statt. Die politische Führung hat ihr starkes Engagement im Kampf gegen die Korruption ausgedrückt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen begünstigen im Allgemeinen die gerichtliche Unabhängigkeit, Druckausübung auf Richter ist strafbar. Dennoch stellte der Menschenrechtskommissar fest, dass weitere Bemühungen notwendig sind, um die Justiz vor unzulässiger Einflussnahme zu schützen. Er empfahl zusätzliche Maßnahmen um politischen Einfluss auf den Hohen Justizrat vorzubeugen und die Unabhängigkeit einzelner Richter zu schützen. Er stellte fest, dass Staatsanwälte weiterhin eine dominante Rolle im Strafrechtssystem spielen. Berichte darüber, dass Staatsanwälte Strafverfolgung trotz verfahrensrechtlicher Verstöße bei den polizeilichen Untersuchungen aufnahmen oder weiterführten, bedürfen ernsthafter Reflexion. Maßnahmen, um effektive staatsanwaltschaftliche Kontrolle von polizeilichen Untersuchungen zu garantieren, sollten getroffen werden.

 

Es gab Berichte, dass Anwälte Schwierigkeiten hatten, ihren Beruf frei auszuüben, und dass es Vorfälle von Schikanen, missbräuchlicher Strafverfolgung und anderen Formen von Druck auf Anwälte gab. Das neue Strafprozessgesetz sieht verstärkte Rechte für die Verteidigung vor, aber das Strafrechtssystem weist weiterhin ein Ungleichgewicht zugunsten der Staatsanwaltschaft vor. Systematische Maßnahmen sollten getroffen werden, wie etwa umfassende Schulungen für Anwälte. In diesem Zusammenhang begrüßt der Kommissar die Bemühungen der Behörden, den Rechtshilfedienst zu reformieren.

 

Der Menschenrechtskommissar erhielt zahlreiche Kommunikationen, die Vorwürfe von politisch motivierter Strafverfolgung enthielten. Während seines Besuchs in Georgien im April 2011 besprach er einige dieser Fälle und sprach mit einigen der Inhaftierten, die angeben unfair verfolgt und aufgrund ihrer politischen Meinung vor Gericht gestellt geworden zu sein. Die so erlangte Information weist auf ernsthafte Mängel bei strafrechtlichen Untersuchungen und dem Wirken der Justiz bei mehreren Strafrechtsfällen gegen Oppositionsaktivisten hin, die Zweifel an den Anschuldigungen und Verurteilungen der Betroffenen entstehen lassen. Im Allgemeinen sind stärkere Bemühungen notwendig, um das Recht auf ein faires Verfahren zu sichern und das Prinzip der Waffengleichheit zu respektieren.

 

Die Behörden setzten Maßnahmen um, um Misshandlungen und Straffreiheit zu bekämpfen, es wurden beträchtliche Fortschritte bei der Reduktion des Risikos von Misshandlungen durch Polizisten erzielt. Es ist jedoch notwendig, dass die georgischen Behörden diesbezüglich aufmerksam bleiben und ihre Verpflichtung, Straffreiheit zu bekämpfen, demonstrieren.

 

(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, following his visit to Georgia from 18 to 20 April 2011, 30.6.2011)

 

Georgiens Justizwesen ist weiterhin von Widersprüchen bei der Auslegung und Umsetzung der Gesetzgebung geplagt, ebenso wie von schwacher institutioneller Organisation und einem Mangel an gerichtlicher Unabhängigkeit. Die Freispruchrate fiel 2010 auf 0,01%, was die Dominanz der Staatsanwaltschaft im Gerichtssystem suggeriert. Einige politische Parteien und NRO warfen weiterhin das Thema politischer Gefangener auf, die Regierung bestritt deren Vorkommen. Im Oktober 2010 wurden Geschworenengerichte eingerichtet, mit dem Ziel das Vertrauen der Bevölkerung in das Justizwesen zu stärken.

 

(Freedom House: Nations in Transit 2011, 27.6.2011)

 

Im Oktober 2010 führte Georgien Geschworenengerichte ein. Jurys werden aus 12 Mitgliedern und zwei Ersatzmitglieder bestehen. Geschworenengerichte werden zunächst nur in Tiflis arbeiten, und sich nur mit schweren Verbrechen und Mord befassen. Ihre Urteile können nicht berufen werden, es sei denn aufgrund von Verfahrensbrüchen. Zudem kann gegen Urteile von Geschworenengerichten Beschwerde beim EGMR eingelegt werden

 

(Caucasian Knot: Georgia introduces juries, 1.10.2010, http://georgia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/14676/, Zugriff 18.7.2011)

 

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor. Jedoch gibt es weiterhin Berichte, dass die Exekutive und einige leitende Richter Druck auf die Justizbehörden ausübt. Einem Bericht des Ombudsmannes aus der ersten Hälfte 2009 zufolge würden Probleme innerhalb des Justizsystems weiterbestehen, in Bereichen wie der Unabhängigkeit der Gerichte, der Qualität der Untersuchungen, der Gleichheit der Parteien und der Untermauerung von richterlichen Urteilen.

 

Viele NRO beklagten, dass die Justizbehörden zugunsten der Regierungspartei wirken würden, in einigen Fällen sogar ohne Anweisung dies zu tun, vor allem wenn dies in einem Fall als im Regierungsinteresse gelegen zu sein schien. Einige NRO und die außerparlamentarische Opposition unterstellt, dass Gerichte bei Fällen in Zusammenhang mit Oppositionsaktivisten zugunsten der Regierung entscheiden würden. NRO äußerten zudem Bedenken, dass es den unlängst ernannten Richtern an Erfahrung und Ausbildung mangle, um unabhängig zu agieren.

 

Im Oktober 2010 wurden Verfassungsänderungen verabschiedet, die auch das Justizwesen betreffen. Diese treten voraussichtlich im Jahr 2013 in Kraft.

 

Für die Ernennung und Entlassung von Richtern ist der Hohe Justizrat zuständig. Vorsitzender und Mitglieder des Rats werden vom Präsidenten nominiert und vom Parlament bestätigt. Der Vorsitzende des Höchsten Gerichtshofs ist gleichzeitig der Vorsitzende des Hohen Justizrats. NRO und Beobachter kritisierten weiterhin den Mangel an Transparenz bei der Auswahl, Ernennung und Disziplinarverfahren von Richtern. Trotz der objektiven schriftlichen Prüfungen, war der Ernennungsprozess nicht hinreichend transparent, mündliche Prüfungen fanden hinter geschlossenen Türen statt, die angewendeten Auswahlkriterien sind nicht öffentlich bekannt.

 

(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2010, 8.4.2011)

 

Im Rahmen der Justizreform wurde zum einen der Instanzenzug neu geregelt, zum anderen aber auch eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt. Reformanstrengungen im Rechtsbereich werden fortgesetzt, um fortbestehende Defizite wie z.B. die zum Teil unhaltbaren Zustände in den Strafvollzugsanstalten zu beseitigen.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 18.7.2011)

 

In Bezug auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz wurden Fortschritte gemacht, da die neue Verfassung vorsieht, dass Richter auf Lebenszeit ernannt werden. Jedoch äußerten der Europarat und die Zivilgesellschaft Bedenken über die lange Probezeit vor der Ernennung, in der Richter mehr politischer Einflussnahme ausgesetzt sind. Das "Gesetz über Regeln zur Kommunikation mit Richtern im Gericht" wurde im Februar 2010 geändert. Es verbietet nicht die Korrespondenz mit Richtern, aber erhöht die Strafen für illegale Korrespondenz und weitet das Gesetz auf Beamte in politischen Positionen aus. Auch das Gesetz zur Disziplinarmaßnahmen für Richter wurde geändert, um die Möglichkeiten politischen Einflusses auf Disziplinarverfahren zu minimieren.

 

Den Zugang zur Justiz betreffend stellt das kostenlose Rechtsberatungsservice des Ministeriums für Strafvollzug und Rechtsbeistand weiterhin Bürgern im ganzen Land Rechtshilfe zur Verfügung, darunter auch besonders schutzbedürftigen Gruppen. Jedoch wurde 2010 ein Rückschlag berichtet: Die Regierung entschied, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Rechtshilfedienst bei Zivil- und Verwaltungssachen erst ab 2013 seine Dienste zur Verfügung stellen wird, nicht wie ursprünglich geplant ab 2011.

 

(Europäische Kommission: Implementation of the European Neighbourhood Policy in 2010; Country report: Georgia, 25.5.2011)

 

Sicherheitsbehörden

 

Eine Reform der Polizei wurde 2004 begonnen, bedarf aber noch weiterer Schritte, um die angestrebten europäischen Standards zu erfüllen.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)

 

Das Innenministerium ist für den Gesetzesvollzug zuständig und kontrolliert die Polizei, die unterteilt ist in funktionelle Abteilungen und eine separate, unabhängig finanzierte Polizeischutzabteilung, die Infrastruktur und privaten Unternehmen Sicherheit und Schutz bieten. Das Finanzministerium hat seinen eigenen Untersuchungsdienst.

 

Im Oktober 2010 trat eine neue Strafprozessordnung in Kraft. Diese fördert die Verantwortlichkeit und Professionalität der Polizeikräfte, indem die Verwendung illegal sichergestellter Beweise und legal sichergestellter Beweise die aber bei einem ursprünglich illegalen Polizeieinsatz beschlagnahmt wurde, verboten ist.

 

Dem Innenministerium zufolge verhängte ihr Allgemeiner Prüfungsdienst 2010 mehr Disziplinarstrafen als 2009 (2010: 861, 2009: 561). Die Strafen umfassten Verwarnungen, Degradierungen und Entlassungen. Das Ministerium berichtete zudem, dass 2010 mehr Polizisten für verschiedene Straftaten verhaftet wurden. Unter den 46 Verbrechen 2010 (2009: 29) fanden sich 18 Fälle von Korruption, zwei von Besitz oder Verwendung von Rauschgift, 12 von Betrug oder exzessiver Autoritätsgebrauch, 12 von Amtsmissbrauch, und zwei von Veruntreuung von Staatseigentum. Berichten zufolge lag die tatsächliche Anzahl von Missbrauchsvorfällen jedoch höher als jene der berichteten Fälle.

 

(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2010, 8.4.2011)

 

Am 24. September 2010 wurde ein Gesetz verabschiedet, das der Polizei neue Befugnisse verlieh, um verdächtige Personen anzuhalten und zu durchsuchen.

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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