D18 315608-1/2008/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin MMag. Dr. SCHNEIDER als Vorsitzende und den Richter Mag. KANHÄUSER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX alias XXXX, StA von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.10.2007, FZ 06 02.271-BAS, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.08.2011 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 AsylG 2005, idF BGBl. I 100/2005, und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt und Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Georgien, reiste am 22.02.2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.02.2006 gegenständlichen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Sie gab an XXXX zu heißen und am XXXX in XXXX geboren zu sein.
I.2. Dazu wurde die Beschwerdeführerin am 23.02.2006 von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle West, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab an, sie habe ihren Herkunftsstaat verlassen, da ihr Bruder und sie entführt worden seien. Die Beschwerdeführerin habe man freigelassen, um ihrem Vater die Nachricht von der Entführung ihres Bruders zu überbringen. Die Entführer hätten den Vater telefonisch kontaktiert und Geld gefordert, ansonsten werde der Bruder der Beschwerdeführerin umgebracht. Da dem Vater nicht erlaubt worden sei, mit seinem Sohn am Telefon zu sprechen, habe der Vater geglaubt, dass der Sohn bereits tot sei.
I.3. Die Beschwerdeführerin wurde am 01.03.2006 erneut von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle West, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die georgische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab zu ihrem Gesundheitszustand befragt an, sie sei in Österreich beim Arzt gewesen und nehme seither Herztropfen. Diesbezüglich legte sie die Kopie einer ärztlichen Mitteilung vom 24.02.2006 zum Akt.
Die Beschwerdeführerin könne keine Dokumente, die ihre Identität beweisen, vorlegen. Einen Reisepass habe sie nie besessen. Vor zwei oder drei Jahren sei ihr ein Personalausweis ausgestellt worden. Die Beschwerdeführerin wurde aufgefordert, den Personalausweis oder sonstige Dokumente im Falle der Wiedererlangung unverzüglich dem Bundesasylamt vorzulegen.
Die Beschwerdeführerin schilderte, dass sie selbst niemals den Gedanken gefasst habe, ihren Herkunftsstaat zu verlassen, sondern von ihrem Vater einfach weggeschickt worden sei. Ihr Vater sei Ossete, ihre Mutter Georgierin. Die Beschwerdeführerin trage einen ossetischen Namen und es sei daher Druck auf sie ausgeübt worden bzw. sei sie wegen ihres Nachnamens verfolgt worden. Die Familie sei oft überfallen worden und man habe Geld von ihnen genommen. Zwei Mal seien Maskierte gekommen und haben das Haus ausgeräumt. Einmal sei die Mutter der Beschwerdeführerin von Personen in Zivil geschlagen worden. Die Beschwerdeführerin habe den Verdacht, dass es Georgier gewesen seien. Außerdem sei der Bruder der Beschwerdeführerin am 11.02.2006 entführt und für seine Freilassung Lösegeld in Höhe von 50.000,-- US-Dollar verlangt worden. So viel Geld habe die Familie aber nicht gehabt. Die Familie habe sich nicht an die Polizei gewandt. Da gedroht worden sei, im Falle der Nichtbezahlung auch die Beschwerdeführerin zu töten, habe sie ihr Vater nach XXXX (Nordrussland) gebracht und entschieden, dass sie ausreisen solle. Die Beschwerdeführerin wisse nicht, ob ihr Bruder mittlerweile freigelassen worden sei.
Der Beschwerdeführerin wurde eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG ausgehändigt, wonach beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen.
I.4. Mit Bescheid der BH XXXX wurde über die Beschwerdeführerin gemäß §76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 80 Abs. 5 FPG iVm § 57 AVG die Schubhaft verhängt.
I.5. Laut Gutachtlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 30 AsylG vom 07.03.2006 wurde von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin diagnostiziert, dass die Beschwerdeführerin an einer "Anpassungsstörung F43.2. nach einer PTBS F43.1." leide und diese krankheitswerte psychische Störung eine Gefahr eines Dauerschadens oder von Spätfolgen für die Beschwerdeführerin bedeute. Eine Behandlung mit Psychopharmaka wurde vorgeschlagen.
I.6. Nach der Entlassung aus der Schubhaft am 08.03.2006 und Zulassung des Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 01.02.2007 von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Salzburg, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die georgische Sprache niederschriftlich einvernommen und erneut zu ihren persönlichen Verhältnissen, ihrem Gesundheitszustand und ihren Fluchtgründen befragt.
Die Beschwerdeführerin könne auch heute keine Dokumente, aus denen ihre Identität hervorgehe, vorlegen. Ihre Dokumente befinden sich bei ihren Eltern in Georgien. Sie habe aber jeglichen Kontakt in ihre Heimat abgebrochen. Sie habe keine Telefonnummer ihrer Eltern und wisse auch nicht, ob die Anschrift noch stimme. Ihr Elternhaus stehe im Dorf XXXX, eine halbe Autostunde von XXXX entfernt.
Die Beschwerdeführerin habe einen georgischen Lebensgefährten, welcher ebenfalls Asylwerber sei. Sie habe ihn in Österreich kennengelernt und lebe seit Mai 2006 mit ihm zusammen.
Zu ihren Ausreisegründen befragt, führte sie Folgendes aus: Ihr Vater habe ständig versucht sie zu beschützen. Sie habe nicht viel Kontakt zu anderen Kindern gehabt. Sie möchte auch auf die Schwierigkeiten zwischen Osseten und Georgiern hinweisen. Die Familie sei mehrmals beraubt worden. Der Vater sei aber nicht zur Polizei gegangen, weil er dieser nicht vertraut habe. Am 11.02.2006 seien die Beschwerdeführerin und ihr Bruder auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier von Maskierten entführt worden. Die Beschwerdeführerin sei unter der Auflage freigelassen worden, dass sie die Nachricht von der Entführung ihrem Vater überbringe. Die Entführer haben den Vater telefonisch kontaktiert und 50.000,-- US-Dollar verlangt. Die Familie sei nicht arm gewesen, ihr Vater habe mit Autos gehandelt, aber so viel Geld habe der Vater nicht aufbringen können. Da dem Vater verweigert worden sei, mit seinem Sohn zu sprechen, sei er davon ausgegangen, dass dieser bereit tot sei. Er habe die Beschwerdeführerin zu Verwandten nach XXXX gebracht und entschieden, dass sie ausreisen müsse. Die Beschwerdeführerin brachte weiters vor, sie habe aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt. Innerhalb der Familie habe es deswegen Konflikte gegeben, weil sie nicht ossetisch spreche und die Verwandten ihres Vaters daher böse gewesen seien. Während der Schulzeit sei sie auch von anderen Kindern ausgelacht worden. Staatliche Verfolgung oder Benachteiligung habe es aber nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin sei damit einverstanden, dass in ihrem Herkunftsstaat ermittelt werde, ob ihre Eltern dort noch leben und ob ihr Bruder noch in der Gewalt der Entführer sei.
Die Beschwerdeführerin stehe derzeit "wegen der Nerven" in ärztlicher Behandlung. Sie sei damit einverstanden, dass die Behörde mit ihren behandelnden Ärzten Kontakt aufnehme und Auskunft über ihren Gesundheitszustand einhole.
Abschließend wurden der Beschwerdeführerin aktuelle Länderberichte zur Lage in Georgien zur Kenntnis gebracht. Die Beschwerdeführerin gab an, dass sie diese Berichte nicht interessieren und sie auf die Abgabe einer Stellungnahme verzichte.
I.7. Mit Schreiben des Bundesasylamtes, Außenstelle Salzburg, vom 02.02.2007 wurde der behandelnde Arzt der Beschwerdeführerin aufgefordert, bekannt zu geben, an welcher Krankheit die Beschwerdeführerin leide und welche Therapien erforderlich seien.
I.8. Mit Schreiben des Bundesasylamtes, Außenstelle Salzburg, vom 02.02.2007, wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation bezüglich der Beschwerdeführerin gestellt, unter anderem, ob die Familie der Beschwerdeführerin noch im Dorf XXXX in Ossetien wohnhaft sei und ob es Informationen über die Entführung ihres Bruders gebe.
I.9. Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.02.2007 habe unter anderem nicht eruiert werden können, ob die Familienangehörigen der Beschwerdeführerin noch in XXXX wohnhaft seien. Auch eine Internetrecherche zu einem möglichen Entführungsfall mit der Person des Bruders der Beschwerdeführerin sei ohne Erfolg geblieben. Der Familienname " XXXX" sei in Ossetien weit verbreitet. Allein aufgrund der Tatsache des Tragens eines "ossetischen Familiennamens" habe nicht bestätigt werden können, dass deshalb mit Benachteiligungen zu rechnen sei.
I.10. Mit Schreiben des Bundesasylamtes, Außenstelle Salzburg, vom 27.02.2007, wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass eine Recherche im Herkunftsstaat durchgeführt und dabei weitere Fragen aufgeworfen worden seien. Die Beschwerdeführerin werde ersucht, innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme dazu abzugeben.
I.11. Mit Schreiben vom 06.03.2007 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin in georgischer Sprache beim Bundesasylamt ein. Darin hielt sie weiterhin an ihrem Vorbringen fest, war aber nicht in der Lage zu erklären, warum die Recherche im Herkunftsland ergebnislos verlaufen ist und keine Informationen zu ihrer Familie und der Entführung ihres Bruders in Erfahrung gebracht werden konnten.
I.12. Am 16.03.2007 übermittelte der behandelnde Arzt das Karteiblatt der Beschwerdeführerin an das Bundesasylamt.
I.13. Im vom Bundesasylamt in Auftrag gegebenen Gutachten vom 24.08.2007 wurde von einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie diagnostiziert, dass die Beschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradiger depressiver Symptomatik leide. Eine Posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Die Gefahr eines Dauerschadens oder Spätfolgen bestehe nicht. Nach frühestens sechs Monaten und spätestens fünf Jahren seien 79% der Betroffenen beschwerdefrei. Auch im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat sei aufgrund der Prognose und da bereits eine Besserung eingetreten sei, mit keinen Spätfolgen zu rechnen. Eine dauerhafte Behandlung sei nicht erforderlich. Unter der Therapie mittels Schlaf- und Beruhigungsmittel sei bereits eine Besserung eingetreten. Im Herkunftsstaat sei eine gleichwertige Behandlung möglich. Eine Behandlung würde zumindest sechs Monate betragen. Im Falle eines Abbruchs der Behandlung bestehe keine Lebensgefahr, allerdings eine Beeinträchtigung der Lebensqualität.
I.14. Das psychiatrische Gutachten wurde der Beschwerdeführerin am 26.09.2007 übermittelt und ihr innerhalb einer Frist von zwei Wochen Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu beziehen. Weiters wurde der Beschwerdeführerin noch einmal vorgehalten, dass gemäß den aktuellen Länderfeststellungen georgische Staatsangehörige ossetischer Volksgruppenzugehörigkeit in Georgien unbenachteiligt leben können.
I.15. Am 10.10.2007 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt ein. Zum psychiatrischen Gutachten führt sie aus, dass ihr Hausarzt mit ihr bisher keine Gesprächstherapie geführt habe, sondern nur Medikamente verschrieben habe. Eine Verbesserung ihres Zustandes sei nicht festzustellen. Sie sei der Meinung, dass nur eine Gesprächstherapie helfen würde. Sie habe mit und ohne Medikamenteneinnahme Depressionen, Angstzustände und Vorahnungen, nachts träume sie schlecht und habe Atemnot. Eine Rückkehr nach Georgien würde mit Sicherheit ihren gesundheitlichen Zustand massiv verschlechtern. Zu Situation von georgischen Staatsbürgern ossetischer Volksgruppenzugehörigkeit in Georgien machte die Beschwerdeführerin geltend, dass es de facto Diskriminierungen im Alltag gebe. Es sei ihr nicht zumutbar, ihren Wohnsitz in einen anderen Teil Georgiens zu verlegen. Darüber hinaus würden sie die Entführer ihres Bruders suchen, da diese ihres Wissens nach kein Lösegeld bekommen haben. Aufgrund der geringen Größe Georgiens würde sie mit Sicherheit auch in der Hauptstadt gefunden werden.
I.16. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 12.10.2007, FZ 06 02.271-BAS, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., ab (Spruchpunkt I.) und wies den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz ebenfalls ab (Spruchpunkt II.). Die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Die Durchführung der Ausweisung wurde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG bis zum 12.06.2008 aufgeschoben (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte die Nationalität der Beschwerdeführerin fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin. Die Identität der Beschwerdeführerin habe mangels Vorlage von Dokumenten nicht festgestellt werden können.
Begründend führte das Bundesasylamt aus, die Beschwerdeführerin habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Sie habe sogar ausdrücklich angegeben, dass sie in ihrem Herkunftsstaat weder auf Grund der Rasse, ihrer Nationalität oder Religion, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten behördlich verfolgt worden sei. Konflikte wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit habe es gemäß ihren Ausführungen lediglich innerhalb des Familienverbandes und während ihrer Schulzeit gegeben. Als einzigen Ausreisegrund habe die Beschwerdeführerin die Entführung ihres Bruders vorgebracht. Diesbezüglich sei jedoch festzuhalten, dass das Asylgesetz auf eine konkrete Gefährdung eines Asylwerbers selbst und nicht auf eine Gefährdungssituation von anderen Personen abziele. Die bloße Möglichkeit einer solchen Gefährdung reiche auch nicht aus. Doch selbst wenn es in ihrem Heimatort irgendwelche Probleme gegeben hätte, wäre ihr die Möglichkeit offen gestanden, in einen anderen Bereich Georgiens zu ziehen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Träger eines ossetischen Namens in Zentralgeorgien behördliche oder private Benachteilungen zu befürchten haben. Hinsichtlich der Entführung ihres Bruders sei auch darauf hinzuweisen, dass der georgische Staat gemäß den Länderfeststellungen durchaus in der Lage und willens sei, für den Schutz seiner Bevölkerung zu sorgen. Die Vermutung der Beschwerdeführerin, die georgische Polizei sei untätig, werde durch keine Beweise bekräftigt und daher habe diesen Angaben kein Glauben geschenkt werden können. Insgesamt sei festzuhalten, dass durch die Beschwerdeführerin keine asylrelevanten Tatsachen vorgebracht worden seien und diese nicht wegen staatlicher Verfolgung oder Benachteiligung aus der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen sondern allenfalls wegen eines kriminellen Übergriffes gegen den Bruder der Beschwerdeführerin ihren Herkunftsstaat verlassen habe und daher der Antrag entsprechend abzuweisen gewesen sei. Auch ein subsidiärer Schutzgrund bestehe nicht. Es sei zwar eine Anpassungsstörung diagnostiziert worden, eine allfällige erforderliche Therapie sei jedoch nach einer weiteren, zeitlich begrenzten Behandlungsdauer mittels Medikamenten allein ausreichend und auch in Georgien sei eine Behandlung mit den dort angebotenen Medikamenten durchführbar. Da gemäß dem eingeholten Facharztgutachten eine zeitlich begrenzte Therapie zielführend erscheine, sei die Ausweisung aus Sicht des Bundesasylamtes aufzuschieben, um eine entsprechende Zeitdauer für die Therapie gewährleisten zu können.
I.17. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene und zulässige Beschwerde (vormals Berufung) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger und fehlender Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Die belangte Behörde habe ihren Asylantrag abgewiesen, da sie verkenne, dass ihr in ihrer Heimat asylrelevante Verfolgung drohe. Sie habe bereits im erstinstanzlichen Verfahren glaubwürdig ausgeführt, dass sie asylrelevant verfolgt werde. Sie habe dargelegt, dass durch die Entführung ihres Bruders auch sie konkret gefährdet gewesen sei. Außerdem habe das Bundesasylamt umfangreiche Berichte über die allgemeine Lage in Georgien erhoben, unterlasse es aber dabei, auch kritische Berichte über Georgien und Südossetien anzuführen. Bei ihrer Rückkehr nach Georgien laufe sie konkret Gefahr, von den Erpressern ihres Vaters entführt, misshandelt und getötet zu werden. Darüber hinaus sei die Sicherheitslage in Georgien und Südossetien dermaßen schlecht, dass sie als alleinstehende Frau nicht sicher leben könne. Die beabsichtigte Ausweisung sei ebenfalls unzulässig, da sie gegen ihr Recht auf Familienleben gemäß Art. 8 EMRK verstoße. Die Behörde habe keine konkrete Abwägung ihrer Interessen gegen die öffentlichen Interessen vorgenommen. Eine Abwägung der Interessen ergebe nämlich, dass sie im Hinblick auf ihr schon bisher mehr als eineinhalb Jahre dauerndes familienähnliches Zusammenleben mit Herrn XXXX als Lebenspartner durch eine Ausweisung massiv in ihrem Recht auf Familienleben verletzt werden würde und diese Verletzung nicht durch öffentliches Interesse gerechtfertigt sei. In einem der Beschwerde beigelegten, handschriftlich in georgischer Sprache verfassten Schreiben, wiederholt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihre bisherigen Aussagen, nämlich dass es gefährlich für sie sei, nach Georgien zurückzukehren. Dieselben Menschen, die ihren Bruder beseitigt haben, haben auch sie mit dem Umbringen bedroht. Sie glaube nicht, dass die georgische Polizei sie schützen könne.
I.18. Am 14.01.2011 langte eine an die BH XXXX adressierte und weitergeleitete anonyme E-Mail vom 07.01.2011 beim Asylgerichtshof ein. Darin wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann würden schon sehr lange schwarz arbeiten und auch andere Asylwerber beschäftigen. Außerdem lebe die Beschwerdeführerin unter falschem Namen in Österreich. Sie heiße nicht "XXXX", sondern XXXX und komme nicht aus Ossetien, sondern auch aus Georgien, nämlich aus XXXX. Beide hätten absolut keine Asylgründe, alles sei gelogen.
I.19. Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 19.04.2011 wurde die Beschwerdeführerin über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, Unterlagen zur Integration, eventuelle aktuelle ärztliche Befunde und Beweismittel zu ihren Fluchtgründen in der Verhandlung beizubringen. Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden der Beschwerdeführerin aktuelle Länderberichte zu Georgien mit der Aufforderung übermittelt, innerhalb von 14 Tagen dazu Stellung zu beziehen.
I.20. Mit Schreiben vom 26.04.2011 gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie in den nächsten Tagen ihr erstes Kind erwarte. Daher ersuchen die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann die für 09.05.2011 anberaumte Verhandlung zu verschieben. Dem Schreiben wurde eine Kopie des Mutter- Kind- Passes beigelegt. Daraufhin wurde die Verhandlung mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 03.05.2011 abberaumt und den Parteien mitgeteilt, dass für einen neuen Verhandlungstermin eine gesonderte Ladung ergehe.
I.21. Mit Schreiben vom 16.05.2011 gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie am XXXX ein Kind, XXXX, zur Welt gebracht habe und für das Kind bereits ein Asylantrag beim Bundesasylamt gestellt worden sei. Dem Schreiben wurde die Geburtsurkunde des Kindes, Nr. XXXX und ein Meldezettel des Kindes beigelegt.
I.22. Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 19.07.2011 wurde die Beschwerdeführerin über die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt und erneut aufgefordert, Unterlagen zur Integration, eventuelle aktuelle ärztliche Befunde und Beweismittel zu ihren Fluchtgründen in der Verhandlung beizubringen. Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden der Beschwerdeführerin erneut aktuelle Länderberichte zu Georgien mit der Aufforderung übermittelt, innerhalb von 14 Tagen dazu Stellung zu beziehen.
I.23. Am 22.08.2011 führte der zuständige Senat des Asylgerichtshofes im Beisein der Beschwerdeführerin, ihres Lebensgefährten, des gemeinsamen minderjährigen Sohnes und einer geeigneten Dolmetscherin der Sprache Georgisch eine öffentlich mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Ein Vertreter des Bundesasylamtes blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
Zu Beginn der Verhandlung wurden die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte von der vorsitzenden Richterin erinnert, dass sie wichtige, sie persönlich betreffende und für das Asylverfahren relevante Dinge den Asylbehörden mitzuteilen haben. In diesem Zusammenhang müsse festhalten werden, dass die Beschwerdeführer die Arbeiten des Gerichtes behindert haben, indem sie nichts von der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin und bevorstehenden Geburt mitgeteilt haben, weshalb die anberaumte Verhandlung im Frühjahr dieses Jahres kurzfristig wieder abberaumt werden musste. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin rechtfertigte sich damit, dass die CARITAS davon gewusst habe. Nach Wiederholung der Frage entgegnete die Beschwerdeführerin, sie habe das nicht gewusst, es tue ihr leid.
Befragt, wie es der Beschwerdeführerin gesundheitlich gehe, ob bei ihr (chronische) Krankheiten und/oder Leiden vorliegen und ob sie in Therapie sei oder regelmäßig Medikamente einnehme, sagte die Beschwerdeführerin, ihr gehe es gut, sie habe fast 1,5 Jahre eine psychotherapeutische Behandlung bekommen, diese sei nicht abgeschlossen worden. Ihre Therapeutin habe sich selbstständig machen wollen und sie hätte jemand anderen suchen müssen, weshalb sie von selbst die Behandlung abgebrochen habe. Sie sei derzeit nicht in Behandlung und nehme auch keine Medikamente. Das Baby sei gesund.
Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte wurden zu ihrer Integration in Österreich befragt. Dabei gab der Lebensgefährte an, dass er derzeit Geld von der CARITAS bekomme und die Familie davon lebe. Er arbeite nicht. Die Frage, ob er Deutschkurse besucht habe, bejahte der Lebensgefährte und sagte, er habe die Unterlagen dazu bereits vorgelegt. Auch die Beschwerdeführerin gab an, dass sie Kurse besucht habe und legte ein Sprachzertifikat vom 19.06.2010 vor (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Weiters legte die Beschwerdeführerin eine Arbeitszusage des XXXX vom 15.08.2011 vor, wonach sie ab Mai 2012 als Zimmermädchen beschäftigt werden könnte (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen). Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte legten weiters Schreiben der CARITAS vor, dass sie bei Bedarf ehrenamtlich als Dolmetscher eingesetzt werden (wurde in Kopie als Beilage zum Akt genommen).
Nach ihrem Tagesablauf befragt, gab die Beschwerdeführerin an, sie kümmere sich um das Baby. Sie seien derzeit nicht Mitglied in Vereinen. Sie wohnen in XXXX. Die Wohnung habe 35 oder 37 qm, sie sei sehr alt. Die Wohnung hätten sie sich selbst gesucht. Sie habe 2 Zimmer, WC und Dusche.
Die Beschwerdeführerin wurde gebeten den Verhandlungssaal zu verlassen, um eine getrennte Einvernahme zu ermöglichen. Dabei gab der Lebensgefährte Folgendes, für das Verfahren der Beschwerdeführerin Relevantes an: Er habe die Beschwerdeführerin vor ca. 5 Jahren kennen gelernt habe. Er glaube es sei im Mai 2006 gewesen. Sie hätten sich in Thalham kennen gelernt. Sie seien nicht gleich zusammen gezogen, aber ca. nach 3 oder 4 Monaten.
Die vorsitzende Richterin fragte den Lebensgefährten, wie die Beschwerdeführerin mit richtigem Namen heiße. Laut anonymem Hinweis heiße sie XXXX und stamme aus XXXX. Der Lebensgefährte sagte, sie heiße XXXX. Auf Vorhalt des anderen Namens meinte er, das dies tatsächlich ihr richtiger Name sei, seine Frau werde dies in ihrer eigenen Befragung klarstellen. Befragt, wo die Beschwerdeführerin geboren sei, sagte der Lebensgefährte, sie sei, soweit er wisse, in XXXX geboren, wo er auch her komme. Sie haben sich in Georgien aber nicht gekannt. Die Beschwerdeführerin habe wenig Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Georgien. Soviel der Lebensgefährte wisse, lebe ihr Vater in Russland. Sie habe mit ihrer Familie nie gesprochen.
Nach der Befragung des Lebensgefährten zu seinen Fluchtgründen, wurde er gebeten, draußen zu warten und die Beschwerdeführerin wurde zur getrennten Einvernahme hereingebeten.
Die Frage, ob sie ihren Personalausweis hier habe, verneinte die Beschwerdeführerin. Sie habe versucht im georgischen Konsulat ihren Personalausweis zu bekommen, sie habe dort vor ca. 1 Monat angerufen und man habe ihr gesagt, dass ihr dieser zugeschickt werde. Leider habe sie diesen noch nicht erhalten. Sie sei richtigerweise am XXXX in XXXX geboren.
Als Nachweis ihrer Identität legte sie im Original vor: (wurde in Kopie als Beilagen zum Akt genommen).
Geburtsurkunde samt beglaubigter Übersetzung
Diplom samt beglaubigter Übersetzung: "Diplom, ausgestellt an XXXX, die im Jahr 2000 in Tiflis in einer pädagogischen Hochschule inskribiert hat, die sie auch im Jahr 2005 abgeschlossen hat als Lehrerin für die georgische Sprache und Literatur. So wurde ihr nach einer staatlichen Prüfung am 05.07.2005 eine Qualifikation der Lehrerin für die georgische Sprache und Literatur verliehen.
3 verschiedene Unterschriften, Datum: 05.07.2005"
Nachweis für die Teilnahme an einem humanitären Programm für berufliche Unterstützung der Frauen in XXXX: "Ausgestellt an XXXX, der Nachweis ist gleichzeitig eine Bestätigung, dass die BF2 Computerkurse im Rahmen des Programms besucht hat und zwar vom 19.04.1999 - 25.06.1999."
Die vorsitzende Richterin fragte die Beschwerdeführerin, ob sie davon ausgehen dürfe, dass ihr gesamtes bisheriges Vorbringen nicht mehr relevant sei und sie aus sozialen Gründen nach Österreich gekommen sei. Die Beschwerdeführerin erwiderte, dass sie familiäre Gründe gehabt habe. Sie habe etwas gelernt, ihr Vater habe das nicht gewollt. Es sei schwer in Georgien, als Frau Arbeit zu finden, sie sei weggesperrt worden. Sie habe selbst über ihr Leben entscheiden wollen.
Ihre Mutter sei derzeit im Dorf XXXX ihr Vater sei in XXXX. Befragt, was sie im Falle einer Rückkehr befürchte, antwortete die Beschwerdeführerin, dass sie sich ein eigenes Leben aufgebaut habe, sie habe ein Baby. Wenn sie eine Zukunft in Georgien gehabt hätte, wäre sie dort geblieben, sie habe eine Ausbildung. Sie habe aber keine Fluchtgründe, sondern sei aus wirtschaftlichen, persönlichen Gründen ausgereist.
Ihren Mann habe sie in Thalham kennengelernt. Sie haben sich in XXXX nicht gekannt, sondern sich am 24.02.2006 kennengelernt. Im Mai 2006 seien sie zusammengekommen. Sie sei hierher gekommen und habe ihn schon am 2. Tag kennen gelernt.
Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesasylamt angegeben, dass sie sich ca. 2004 einen Personalausweis habe ausstellen lassen und befragt, weshalb sie sich diesen bisher nicht besorgt habe, sagte die Beschwerdeführerin, sie habe ihre Mutter angerufen, aber sie hätten ihn nicht gefunden. Ihre Eltern rufen sie meistens an. Ihre Mutter habe gesundheitliche Probleme, Thrombose. Ihr Vater sei schon fast 60 Jahre alt und arbeite noch. Ihre Schwester habe Familie und ihr Bruder auch, beide arbeiten. Ihre Familie habe keine Probleme in Georgien. Ihre Eltern seien nicht geschieden, aber leben getrennt. Beide wohnen in einem Haus. Die Beschwerdeführerin habe in der Schule ein Praktikum gemacht und im Kindergarten für 3 oder 4 Monate gearbeitet.
Auf Vorhalt, sie habe primär als Fluchtgrund angegeben, dass sie einen ossetischen Familiennamen führe, weshalb sie überall in Georgien diskriminiert werde, entgegnete die Beschwerdeführerin, das stimme alles nicht.
Sie habe in Österreich bisher leider noch nicht gearbeitet. Sie habe in Österreich außer dem Deutschkurs keine Ausbildung gemacht. Sie möchte aber arbeiten und könne eine Arbeit finden. Für das gemeinsame Kind habe sie keine eigenen Fluchtgründe vorzubringen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
II.1. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in die dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakte der Beschwerdeführerin und durch Einvernahme der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten in der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 22.08.2011 sowie Erörterung der mit der Ladung übermittelten Länderdokumente.
II.2. Der Asylgerichtshof geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:
Zur Person und den Fluchtgründen:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Georgien. Sie wurde am XXXX geboren und trägt den im Spruch angeführten Namen XXXX. Sie gelangte am 22.02.2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 23.02.2006 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Die Beschwerdeführerin ist gesund, sie leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegen stehen würde.
Nicht festgestellt werden kann unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführerin, dass der Beschwerdeführerin in Georgien Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten drohen würde. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Gründe, nicht gegeben.
Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde.
Die unbescholtene Beschwerdeführerin lebt in Österreich mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen minderjährigen Kind, welche ebenfalls Asylwerber sind und mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag ausgewiesen wurden, im gemeinsamen Haushalt. Die Beschwerdeführerin lebt von der Grundversorgung und ist somit nicht selbsterhaltungsfähig. Sie ist von keiner Person in Österreich abhängig. In Georgien leben die Eltern, der Bruder und die Schwester der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin verfügt zwar über gute Deutschkenntnisse und wird bei Bedarf ehrenamtlich als Dolmetscherin bei der Caritas eingesetzt. Sie ging in Österreich allerdings nie einer legalen Beschäftigung nach und hatte niemals ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.
Zur relevanten Situation in Georgien:
Hinsichtlich der aktuellen Situation in Georgien, insbesondere politische Situation, Rechtsschutz, Menschenrechte, die Situation von Rückkehrern betreffend, wird auf die Feststellungen in nachstehenden Berichten verwiesen, wobei auszugsweise wesentliche Punkte angeführt werden.
Allgemeine Lage
Politik / Wahlen
In Georgien leben rund 4,6 Millionen Menschen (Juli 2011 est.) auf
69.700 km².
(CIA World Factbook: Georgia, Stand 5.7.2011, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gg.html, Zugriff 15.7.2011)
Georgien ist eine demokratische Republik. Seine Verfassung wurde am 24. August 1995 und am 6. Februar 2004 wesentlich geändert. Neben dem Staatspräsidenten steht ein Premierminister in der Regierungsverantwortung, die Verfassung sichert aber dem Parlament eine wichtige Rolle. Sie bekennt sich zu den Grund- und Menschenrechten einschließlich der Meinungs- und Pressefreiheit. Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft.
Die territoriale Gliederung des Landes (Zentral- oder Bundesstaat) bleibt gemäß Verfassung bis zur Reintegration und Abhaltung freier Wahlen in den abtrünnigen Konfliktgebieten Abchasien und Südossetien offen. In allen anderen Regionen Georgiens fanden im Oktober 2006 erstmals im Rahmen der Schaffung lokaler Selbstverwaltung Kommunal- und Lokalwahlen statt. Kommunalwahlen mit erstmaliger Direktwahl des Bürgermeisters von Tiflis fanden 2010 statt Die Wahlen wurden von internationalen Beobachtern als grundsätzlich den Standards entsprechend bezeichnet, auch wenn es zu Zwischenfälle und Defiziten bei der Umsetzung der Regelungen des Wahlgesetzes gekommen ist.
Im Frühjahr und Sommer 2009 kam es zu monatelangen friedlichen Protesten und Demonstrationen der Opposition gegen Staatspräsident und Regierung. Im Gegensatz zur Situation 2007 kam es nicht zu einer anhaltenden Eskalation.
Die außerparlamentarische Opposition hält ihre Forderung nach vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen weiterhin aufrecht.
(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011, http://www.auswaertiges amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)
2010 begann sich Georgien von den Instabilitäten, die 2007 begonnen hatten, zu erholen, es fanden keine großen politischen Proteste statt.
(Freedom House: Nations in Transit 2011 - Georgia, 27.6.2011)
Anfang 2011 schlossen sich sechs moderate Oppositionsparteien zu einer losen Koalition ("Freie Wahl") zusammen, um eine politische Liberalisierung und insbesondere eine Einigung mit der Regierungspartei VNB über die Wahlreform zu erzielen. Im Juli 2011 weiteten sie ihre Ziele dahingehend aus, dass sie nunmehr die gesamte politische Umwelt ändern wollten. Hierfür ist vor allem eine intensive Wahlkampagne vor den Parlamentswahlen 2012 geplant, und politische Programme zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen sollen ausgearbeitet werden.
(RFE/RL: Georgia's 'Opposition Six' Unveils Expanded Agenda, 10.7.2011,
http://www.rferl.org/content/georgias_opposition_six_unveils_expanded_agenda/24261214.html, Zugriff 18.7.2011)
Wahlen
Am 30. Mai 2010 fanden in ganz Georgien Kommunalwahlen statt. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 49% der registrierten Wahlberechtigten. Wie bereits in Wahlvorhersagen vermutet errang die regierende "Vereinte Nationalbewegung" VNB einen erdrutschartigen Sieg. In allen 63 Bezirksräten außerhalb von Tiflis erhielt die VNB über 50% der Wählerstimmen, in der Hauptstadt Tiflis gewann sie 39 von 50 Sitzen im Stadtrat. Landesweit entfielen auf die VNB circa 63%. Weit dahinter folgten mit 11,9 Prozent die "Christdemokratische Bewegung" und das Parteienbündnis "Allianz für Georgien" mit 11,3 Prozent. In Tiflis gewann der amtierende Bürgermeister der VNB Gigi Ugulava die Bürgermeisterwahlen mit rund 55% der Wählerstimmen.
(AG Friedensforschung-Uni Kassel: Saakaschwilis Vorherrschaft gefestigt - Georgische Kommunalwahlen bestätigen klare Mehrheit der Regierungspartei, 4.6.2010,
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Georgien/kommunalwahl.html, Zugriff 15.7.2011/ Central Asia - Caucasus Institute Analyst:
Georgia's Local Elections: Revitalizing the Rose Revolution?, 9.6.2010, http://www.cacianalyst.org/newsite/?q=node/5343, Zugriff 15.7.2011)
Die Beobachtermission der OSZE schloss, dass diese Wahlen klare Fortschritte in Richtung einer Einhaltung der Verpflichtungen Georgiens gegenüber OSZE und Europarat gezeigt hätten. Die Wahlkampagne im Vorfeld der Kommunalwahlen hätte der Organisation zufolge in einer "vorwiegend ruhigen Atmosphäre" stattgefunden, die Kandidaten hätten frei Wahlkampf führen und sich versammeln können. Dennoch bestehen laut OSZE "bedeutende Defizite" weiter: Obwohl die Wahlbehörden den Urnengang "transparent und professionell" organisiert hätten, seien am Wahltag in mehreren Regionen "systematische Unregelmäßigkeiten" vorgekommen.
(OSZE: Statement of Preliminary Findings and Conclusions on the Municipal Elections in Georgia, 30 May 2010, 31.5.2010)
Die Kommunalwahlen im Mai 2010 wurden von internationalen Beobachtern zwar positiv bewertet, gleichzeitig gingen jedoch Berichte ein, wonach einige Oppositionskandidaten schikaniert und eingeschüchtert worden waren. Im Oktober wurden Verfassungsänderungen beschlossen, die im Jahr 2013 in Kraft treten sollen. Sie sehen vor, die Machtbefugnisse des Präsidenten erheblich einzuschränken und die Befugnisse des Ministerpräsidenten und der Regierung auszuweiten.
(Amnesty International: Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, 13.5.2011)
Am 21. Mai 2008 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei "Vereinte Nationalbewegung" (VNB, engl. UNM) von Staatspräsident Saakaschwili errang dabei 59,18 Prozent der Zweitstimmen und 71 von 75 Direktmandaten. Insgesamt verfügt die UNM damit über 119 von 150 Mandaten, was einer deutlichen verfassungsändernden Mehrheit entspricht. Daneben haben vier Oppositionsparteien den Einzug in das Parlament geschafft: das damals aus mehreren Parteien bestehende Bündnis "Nationaler Rat/Neue Rechte" mit 17,73 Prozent der Zweitstimmen und zwei Direktmandaten, die Christlich-Demokratische Bewegung von Giorgi Targamadse mit 8,66 Prozent der Zweitstimmen, die Arbeitspartei mit 7,44 Prozent der Zweitstimmen und die Republikaner mit zwei Direktmandaten (lediglich 3,78 Prozent der Zweitstimmen bei einer 5-Prozent-Hürde).
Wahlbeobachter zogen ein im Kern positives Fazit der Wahlen, die den Wählern echte Wahlalternativen boten und deren Ergebnisse grundsätzlich den Wählerwillen abbildeten. Sie verwiesen allerdings auch auf zahlreiche, teilweise schwerwiegende Zwischenfälle in einzelnen Wahlbezirken und die damit verbundenen weiter bestehenden Herausforderungen beim Aufbau eines demokratischen Staatswesens in Georgien. Ein Großteil der Opposition, allen voran das Parteienbündnis "Nationaler Rat/Neue Rechte", bezeichnete die Wahlen als gefälscht.
(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/ Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)
Parteien
Saakaschwilis "Vereinte Nationalbewegung" ist seit der Rosenrevolution die in Georgien dominierende Partei. Es gibt zahlreiche Oppositionsparteien, die sich in den letzten Jahren zu wechselnden Allianzen zusammenschlossen.
(Freedom House: Freedom in the World 2010 - Georgia, Mai 2010)
Abänderungen der Wahlgesetzgebung 2009 und 2010 verbesserten die Chancen für Oppositionsparteien dadurch, dass das ehemalige System durch ein System ersetzt wurde, das Mandate teilweise proportional verteilt. Die Lokalwahlen 2010 änderten jedoch nichts an der Machtverteilung, die regierende UNM gewann die Wahlen haushoch und hält in allen Lokalräten die absolute Mehrheit.
Obwohl es in Georgien viele politische Parteien gibt, sind Mitgliedschaften und Teilhabe weiterhin niedrig, und politische Parteien sind jene Institutionen, denen am wenigsten Vertrauen entgegengebracht wird. Die Desintegration von Parteien und Koalitionen und das Entstehen neuer treten häufig auf. Regierungsparteien fallen für gewöhnlich auseinander, wenn ihre Führungspersönlichkeiten in ihrem Amt abgelöst werden. Beispielsweise wurde der regierende Block "Runder Tisch-Freies Georgien" aufgelöst, als seine größten Parteien marginalisiert wurden nachdem der erste postkommunistische Präsident Swiad Gamsachurdia die Macht verlor. Dasselbe Schicksal ereilte die "Bürgerunion Georgiens", nachdem Eduard Schewardnadse das Präsidentenamt verließ. Die derzeit regierende "Vereinte Nationalbewegung" (VNB) wird mit dieser Tradition nach 2013 vermutlich brechen und weiter in der Politszene bleiben, obwohl seit 2007 einige hochrangige Politiker die VNB verlassen haben und eigene politische Parteien gründeten. In der Opposition kam es ebenso zu einigen Umgruppierungen. 2010 entstand die neue Georgische Partei, geführt vom ehemaligen Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, Ombudsmann Sosar Subari, dem Botschafter in Russland Erosi Kitsmarischwili, und Lewan Gatschetschiladse, dem Hauptgegner Saakaschwilis bei den Präsidentschaftswahlen 2008.
Es gibt keine rechtlichen Einschränkungen für die Gründung politischer Parteien, außer bei Parteien mit Basis in den Regionen. In der letzten Zeit widmen politische Parteien den Regionen der ethnischen Minderheiten mehr Aufmerksamkeit, insbesondere vor Lokalwahlen. Diese Aufmerksamkeit ist jedoch sporadisch, politische Parteien sind weiterhin sehr zentralisiert und Tiflis-dominiert. Dies trifft nicht nur auf nicht von Georgiern bewohnte Gebiete zu, sondern auch auf alle anderen Gebiete des Landes. Im Allgemeinen entspricht die Repräsentation ethnischer und religiöser Minderheiten in der nationalen Politik nicht jener ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Ethnische Minderheiten stellen 16% der georgischen Bevölkerung dar, haben aber nur vier Sitze im Parlament inne.
(Freedom House: Nations in Transit 2011 - Georgia, 27.6.2011)
Kommunalwahlen 2010
Im Februar 2009 übernahm Irakli Alasania den Vorsitz des neu gegründeten Oppositionsbündnisses "Allianz für Georgien" der Parteien "Neue Rechte" und "Republikanische Partei", das zu den Kommunalwahlen 2010 antrat. Im Juli 2009 gründete Alasania seine eigene neue Partei "Unser Georgien - Freie Demokraten", die automatisch Teil des Oppositionsbündnisses wurde. Im April 2010 schloss sich die 2006 gegründete Partei "Georgiens Weg" der ehemaligen Außenministerin Salome Surabischwili dem Bündnis an. Ko-Vorsitzender der Allianz wurde der ehemalige georgische Ombudsmann Sosar Subari.
(Rustavi 2: Alliance for Georgia collapses, 16.6.2010, http://www.rustavi2.com/
news/news_text.php?id_news=37455&pg=1&im=main, Zugriff 15.7.2011 /
Freedom House: Freedom in the World 2010 - Georgia, Mai 2010 /
Civil.ge: Alliance for Georgia Falls Apart, 16.6.2010, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=22423&search=, Zugriff 15.7.2011)
Das zweite angetretene Oppositionsbündnis, der "Nationale Rat", ist eine Koalition aus der "Bewegung für ein Gerechtes Georgien", der "Volkspartei" und der "Konservativen Partei". Bürgermeisterkandidat für Tiflis war Swiad Dsidsiguri.
(Civil.ge: Ex-PM Nogaideli Meets Ex-Defense Minister Okruashvili, 8.6.2010, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=22402, Zugriff 15.7.2011)
Der dritte angetretene oppositionelle Wahlblock "Christlich-Demokratische Allianz" setzte sich aus der im Parlament vertretenen "Christdemokratischen Bewegung", der Partei "Wir Allein" und der "Christlich-Demokratischen Volkspartei" zusammen. Für dieses Bündnis trat Giorgi Tschanturia als Bürgermeisterkandidat in Tiflis an.
(Georgien Aktuell: Drei Wahlbündnisse bei Regionalwahlen, 19.4.2010, http://www.georgien-aktuell.de/politikartikel.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=92& tx_ttnews%5BbackPid%5D=56&cHash=26a0dbdf51, Zugriff 1.7.2010)
Rechtsschutz
Justiz
Georgien hat in den letzten Jahren ernsthafte Bemühungen unternommen, sein Justizwesen zu reformieren. Eine ehrgeizige Strafjustizreform begann 2005 und umfasst die Bereiche Strafanstalten, Jugendgerichtsbarkeit, Bewährungsstrafe und Zugang zur Justiz. Im Zuge der Reform wurde die relevante Gesetzgebung überarbeitet. Die stringente "Null-Toleranz-Politik" bei Bagatelldelikten wird weiterhin umgesetzt. In der Praxis führt dies zu langen Haftstrafen, Bedenken über die Proportionalität solcher Strafen kamen auf. Der Menschenrechtskommissar des Europarats hält Georgien dazu an, eine humanere und mehr an den Menschenrechten orientierte Strafjustizpolitik anzustreben, die auf restaurativer, statt vergeltender Gerechtigkeit beruht. Ein positiver Aspekt der Reform ist die Betonung von Alternativen zu Haftstrafen.
Bedeutende Veränderungen fanden im Bereich der Organisation des Justizwesens statt. Die politische Führung hat ihr starkes Engagement im Kampf gegen die Korruption ausgedrückt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen begünstigen im Allgemeinen die gerichtliche Unabhängigkeit, Druckausübung auf Richter ist strafbar. Dennoch stellte der Menschenrechtskommissar fest, dass weitere Bemühungen notwendig sind, um die Justiz vor unzulässiger Einflussnahme zu schützen. Er empfahl zusätzliche Maßnahmen um politischen Einfluss auf den Hohen Justizrat vorzubeugen und die Unabhängigkeit einzelner Richter zu schützen. Er stellte fest, dass Staatsanwälte weiterhin eine dominante Rolle im Strafrechtssystem spielen. Berichte darüber, dass Staatsanwälte Strafverfolgung trotz verfahrensrechtlicher Verstöße bei den polizeilichen Untersuchungen aufnahmen oder weiterführten, bedürfen ernsthafter Reflexion. Maßnahmen, um effektive staatsanwaltschaftliche Kontrolle von polizeilichen Untersuchungen zu garantieren, sollten getroffen werden.
Es gab Berichte, dass Anwälte Schwierigkeiten hatten, ihren Beruf frei auszuüben, und dass es Vorfälle von Schikanen, missbräuchlicher Strafverfolgung und anderen Formen von Druck auf Anwälte gab. Das neue Strafprozessgesetz sieht verstärkte Rechte für die Verteidigung vor, aber das Strafrechtssystem weist weiterhin ein Ungleichgewicht zugunsten der Staatsanwaltschaft vor. Systematische Maßnahmen sollten getroffen werden, wie etwa umfassende Schulungen für Anwälte. In diesem Zusammenhang begrüßt der Kommissar die Bemühungen der Behörden, den Rechtshilfedienst zu reformieren.
Der Menschenrechtskommissar erhielt zahlreiche Kommunikationen, die Vorwürfe von politisch motivierter Strafverfolgung enthielten. Während seines Besuchs in Georgien im April 2011 besprach er einige dieser Fälle und sprach mit einigen der Inhaftierten, die angeben unfair verfolgt und aufgrund ihrer politischen Meinung vor Gericht gestellt geworden zu sein. Die so erlangte Information weist auf ernsthafte Mängel bei strafrechtlichen Untersuchungen und dem Wirken der Justiz bei mehreren Strafrechtsfällen gegen Oppositionsaktivisten hin, die Zweifel an den Anschuldigungen und Verurteilungen der Betroffenen entstehen lassen. Im Allgemeinen sind stärkere Bemühungen notwendig, um das Recht auf ein faires Verfahren zu sichern und das Prinzip der Waffengleichheit zu respektieren.
Die Behörden setzten Maßnahmen um, um Misshandlungen und Straffreiheit zu bekämpfen, es wurden beträchtliche Fortschritte bei der Reduktion des Risikos von Misshandlungen durch Polizisten erzielt. Es ist jedoch notwendig, dass die georgischen Behörden diesbezüglich aufmerksam bleiben und ihre Verpflichtung, Straffreiheit zu bekämpfen, demonstrieren.
(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, following his visit to Georgia from 18 to 20 April 2011, 30.6.2011)
Georgiens Justizwesen ist weiterhin von Widersprüchen bei der Auslegung und Umsetzung der Gesetzgebung geplagt, ebenso wie von schwacher institutioneller Organisation und einem Mangel an gerichtlicher Unabhängigkeit. Die Freispruchrate fiel 2010 auf 0,01%, was die Dominanz der Staatsanwaltschaft im Gerichtssystem suggeriert. Einige politische Parteien und NRO warfen weiterhin das Thema politischer Gefangener auf, die Regierung bestritt deren Vorkommen. Im Oktober 2010 wurden Geschworenengerichte eingerichtet, mit dem Ziel das Vertrauen der Bevölkerung in das Justizwesen zu stärken.
(Freedom House: Nations in Transit 2011, 27.6.2011)
Im Oktober 2010 führte Georgien Geschworenengerichte ein. Jurys werden aus 12 Mitgliedern und zwei Ersatzmitglieder bestehen. Geschworenengerichte werden zunächst nur in Tiflis arbeiten, und sich nur mit schweren Verbrechen und Mord befassen. Ihre Urteile können nicht berufen werden, es sei denn aufgrund von Verfahrensbrüchen. Zudem kann gegen Urteile von Geschworenengerichten Beschwerde beim EGMR eingelegt werden
(Caucasian Knot: Georgia introduces juries, 1.10.2010, http://georgia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/14676/, Zugriff 18.7.2011)
Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor. Jedoch gibt es weiterhin Berichte, dass die Exekutive und einige leitende Richter Druck auf die Justizbehörden ausübt. Einem Bericht des Ombudsmannes aus der ersten Hälfte 2009 zufolge würden Probleme innerhalb des Justizsystems weiterbestehen, in Bereichen wie der Unabhängigkeit der Gerichte, der Qualität der Untersuchungen, der Gleichheit der Parteien und der Untermauerung von richterlichen Urteilen.
Viele NRO beklagten, dass die Justizbehörden zugunsten der Regierungspartei wirken würden, in einigen Fällen sogar ohne Anweisung dies zu tun, vor allem wenn dies in einem Fall als im Regierungsinteresse gelegen zu sein schien. Einige NRO und die außerparlamentarische Opposition unterstellt, dass Gerichte bei Fällen in Zusammenhang mit Oppositionsaktivisten zugunsten der Regierung entscheiden würden. NRO äußerten zudem Bedenken, dass es den unlängst ernannten Richtern an Erfahrung und Ausbildung mangle, um unabhängig zu agieren.
Im Oktober 2010 wurden Verfassungsänderungen verabschiedet, die auch das Justizwesen betreffen. Diese treten voraussichtlich im Jahr 2013 in Kraft.
Für die Ernennung und Entlassung von Richtern ist der Hohe Justizrat zuständig. Vorsitzender und Mitglieder des Rats werden vom Präsidenten nominiert und vom Parlament bestätigt. Der Vorsitzende des Höchsten Gerichtshofs ist gleichzeitig der Vorsitzende des Hohen Justizrats. NRO und Beobachter kritisierten weiterhin den Mangel an Transparenz bei der Auswahl, Ernennung und Disziplinarverfahren von Richtern. Trotz der objektiven schriftlichen Prüfungen, war der Ernennungsprozess nicht hinreichend transparent, mündliche Prüfungen fanden hinter geschlossenen Türen statt, die angewendeten Auswahlkriterien sind nicht öffentlich bekannt.
(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2010, 8.4.2011)
Im Rahmen der Justizreform wurde zum einen der Instanzenzug neu geregelt, zum anderen aber auch eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt. Reformanstrengungen im Rechtsbereich werden fortgesetzt, um fortbestehende Defizite wie z.B. die zum Teil unhaltbaren Zustände in den Strafvollzugsanstalten zu beseitigen.
(Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 18.7.2011)
In Bezug auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz wurden Fortschritte gemacht, da die neue Verfassung vorsieht, dass Richter auf Lebenszeit ernannt werden. Jedoch äußerten der Europarat und die Zivilgesellschaft Bedenken über die lange Probezeit vor der Ernennung, in der Richter mehr politischer Einflussnahme ausgesetzt sind. Das "Gesetz über Regeln zur Kommunikation mit Richtern im Gericht" wurde im Februar 2010 geändert. Es verbietet nicht die Korrespondenz mit Richtern, aber erhöht die Strafen für illegale Korrespondenz und weitet das Gesetz auf Beamte in politischen Positionen aus. Auch das Gesetz zur Disziplinarmaßnahmen für Richter wurde geändert, um die Möglichkeiten politischen Einflusses auf Disziplinarverfahren zu minimieren.
Den Zugang zur Justiz betreffend stellt das kostenlose Rechtsberatungsservice des Ministeriums für Strafvollzug und Rechtsbeistand weiterhin Bürgern im ganzen Land Rechtshilfe zur Verfügung, darunter auch besonders schutzbedürftigen Gruppen. Jedoch wurde 2010 ein Rückschlag berichtet: Die Regierung entschied, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Rechtshilfedienst bei Zivil- und Verwaltungssachen erst ab 2013 seine Dienste zur Verfügung stellen wird, nicht wie ursprünglich geplant ab 2011.
(Europäische Kommission: Implementation of the European Neighbourhood Policy in 2010; Country report: Georgia, 25.5.2011)
Sicherheitsbehörden
Eine Reform der Polizei wurde 2004 begonnen, bedarf aber noch weiterer Schritte, um die angestrebten europäischen Standards zu erfüllen.
(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen, Sicherheit: Georgien - Innenpolitik, Stand März 2011,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 15.7.2011)
Das Innenministerium ist für den Gesetzesvollzug zuständig und kontrolliert die Polizei, die unterteilt ist in funktionelle Abteilungen und eine separate, unabhängig finanzierte Polizeischutzabteilung, die Infrastruktur und privaten Unternehmen Sicherheit und Schutz bieten. Das Finanzministerium hat seinen eigenen Untersuchungsdienst.
Im Oktober 2010 trat eine neue Strafprozessordnung in Kraft. Diese fördert die Verantwortlichkeit und Professionalität der Polizeikräfte, indem die Verwendung illegal sichergestellter Beweise und legal sichergestellter Beweise die aber bei einem ursprünglich illegalen Polizeieinsatz beschlagnahmt wurde, verboten ist.
Dem Innenministerium zufolge verhängte ihr Allgemeiner Prüfungsdienst 2010 mehr Disziplinarstrafen als 2009 (2010: 861, 2009: 561). Die Strafen umfassten Verwarnungen, Degradierungen und Entlassungen. Das Ministerium berichtete zudem, dass 2010 mehr Polizisten für verschiedene Straftaten verhaftet wurden. Unter den 46 Verbrechen 2010 (2009: 29) fanden sich 18 Fälle von Korruption, zwei von Besitz oder Verwendung von Rauschgift, 12 von Betrug oder exzessiver Autoritätsgebrauch, 12 von Amtsmissbrauch, und zwei von Veruntreuung von Staatseigentum. Berichten zufolge lag die tatsächliche Anzahl von Missbrauchsvorfällen jedoch höher als jene der berichteten Fälle.
(U.S. Department of State: Country Reports on Human Rights Practices 2010, 8.4.2011)
Am 24. September 2010 wurde ein Gesetz verabschiedet, das der Polizei neue Befugnisse verlieh, um verdächtige Personen anzuhalten und zu durchsuchen. Mehrere georgische Menschenrechtsorganisationen äußerten Bedenken gegen das Gesetz, da es weder die genauen Umstände definiert, unter denen die Polizei diese Befugnisse nutzen kann, noch den Zeitraum, wie lange eine Person auf der Grundlage dieser Befugnisse festgehalten werden kann.
(Amnesty International: Amnesty International Report 2011 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, 13.5.2011)
Die Polizei hat ihre Arbeit seit 2004, als die Hälfte des Personals als Teil einer Antikorruptionskampagne entlassen wurde, merklich verbessert. Eines der Ergebnisse ist die faktische Ausmerzung der vorher üblichen Bestechungsgeldzahlungen an Verkehrspolizisten. Die Haftbedingungen sind weiterhin hart.
(Freedom House: Freedom in the World 2010 - Georgia, Mai 2010)
Polizeigewalt
Obwohl Folter und andere grausame, unmenschliche Behandlung und Strafen in Georgien laut Verfassung verboten sind, gab es Berichte, dass Regierungsbeamte solche Praktiken weiterhin einsetzten. Der Bericht des Ombudsmannes 2009 hielt fest, dass Anschuldigungen von Misshandlungen im Vergleich zum Vorbericht angestiegen waren. Im Juni [2010] hielt er in einer Rede fest, dass die Verantwortlichkeit für Folter und unmenschliche Behandlung weiterhin ein Problem darstelle.
Im Dezember gab der Ombudsmann eine Stellungnahme über den "Nationalen Präventionsmechanismus" für die erste Jahreshälfte ab, in der er über Vorfäl