TE AsylGH Erkenntnis 2011/10/24 C7 301232-1/2008

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Veröffentlicht am 24.10.2011
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Spruch

C7 301232-1/2008/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Filzwieser-Hat als Vorsitzende und den Richter Mag. Felseisen als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, StA. China, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.04.2006, FZ. 04 12.695-BAI, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt. Die nunmehrige Beschwerdeführerin wurde am 22.06.2004 und 25.06.2004 sowie am 02.12.2005 niederschriftlich zu ihrem Asylantrag vom 20.06.2004 einvernommen.

 

Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen vor, sich in China politisch engagiert und sich für den tibetanischen Buddhismus eingesetzt zu haben und deswegen Probleme bekommen zu haben sowie einer Zwangsabtreibung unterworfen gewesen zu sein.

 

2. Mit Bescheid vom 06.04.2006 wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 ab.

 

Begründend führte die Verwaltungsbehörde aus, dass die Beschwerdeführerin widersprüchliche Angaben zur politischen Tätigkeit ihres Vaters gemacht habe und dass ihre Aussagen hinsichtlich der Verteilung eines Dalai Lama Bildnisses und der Teilnahme an Demonstrationen sowie ihre Behauptungen einer Zwangsabtreibung mangels hinreichender Konkretisierung und Plausibilität als nicht glaubhaft zu werten seien.

 

3. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht.

 

4. Im Beschwerdeverfahren wurden Bescheinigungsmittel hinsichtlich der Frage der Integration in Österreich übermittelt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der AsylGH, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

Das Bundesasylamt hat sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend auseinandergesetzt und erweist sich die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde als grob mangelhaft. Es mag zutreffen, dass die vagen Angaben der Beschwerdeführerin Indizien für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens darstellen könnten, jedoch befreit dies das Bundesasylamt nicht, sich mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin in ihrer Gesamtheit eingehend auseinanderzusetzen und den Sachverhalt festzustellen, was es aber gänzlich unterlassen hat, und sind überdies aus Sicht des Asylgerichtshofes die aufgezeigten Unglaubhaftigkeitselemente alleine nicht ausreichend bzw. derart schwerwiegend, um in diesem individuellen Fall die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin abschließend anzunehmen. Erhebliche, nicht aufklärbare bzw. nicht nachvollziehbare Widersprüche oder schwerwiegende Implausibilitäten in den Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen wurden von der Verwaltungsbehörde in ihren Erwägungen keine dargelegt. Auch kann nicht erkannt werden, durch welche einzelnen konkreten Nachfragen in den Einvernahmen jeweils versucht worden wäre, detailliertere Aussagen zu den geschilderten Problemen und Ereignissen zu erreichen. Um aber allenfalls bestehende Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Fluchtgründe untermauern oder auch beseitigen zu können und die Beweiswürdigung schlüssig begründen zu können, wäre eine ausführlichere Befragung der Beschwerdeführerin zum Fluchtvorbringen erforderlich gewesen.

 

In einer Gesamtschau ist demnach die neuerliche eingehende Einvernahme der Beschwerdeführerin zwingend notwendig, um auf Basis vollständiger Informationen eine haltbare Glaubwürdigkeitsentscheidung abgeben zu können. Es wäre also Aufgabe des Bundesasylamtes gewesen, zunächst mit der Beschwerdeführerin und allenfalls mit anderen dem Bundesasylamt als Spezialbehörde in Asylverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln (zB Befassung der Staatendokumentation) den von der Beschwerdeführerin behaupteten Sachverhalt so präzise als möglich zu erfassen und eine schlüssige Beweiswürdigung sowie eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen, und wird dies nunmehr im fortzusetzenden Verfahren durch das Bundesasylamt nachzuholen sein.

 

3. Im Übrigen ist im Hinblick auf die allfällige Ausweisung der Beschwerdeführerin auch eine Befragung der Beschwerdeführerin zu ihrem Privat- und Familienleben notwendig. Dabei werden auch die zusätzlich im Beschwerdeverfahren vorgelegten Beweismittel Berücksichtigung zu finden haben.

 

4. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Verwaltungsbehörde - fehlende Feststellungen, qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit - hat diese jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt das Prozedere der Verwaltungsbehörde somit gegen die von § 28 AsylG 1997 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 28 AsylG 1997 bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat das Bundesasylamt in diesem Verfahren missachtet.

 

5. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren des Bundesasylamts mit den unter Punkt 2 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich vom Bundesasylamt durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit Mai 2006 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war; aufgrund der Schwere der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist die Anwendung des § 66 Abs 2 AVG jedoch im vorliegenden Fall dennoch gerechtfertigt.

 

6. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an das Bundesasylamt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesasylamt wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
Befragung, Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, Kassation
Zuletzt aktualisiert am
08.11.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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