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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der A in G, vertreten durch Dr. Sepp Brugger, Rechtsanwalt in 1082 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungenangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 10. Februar 1995, Zl. LA 2 7022 B-Dr.J/S, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte am 15. Juni 1992 beim Arbeitsamt Leibnitz die Gewährung von Arbeitslosengeld. Sie gab u. a. - bestätigt vom Gemeindeamt - an, einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb gepachtet zu haben, wobei die "Höhe des Einheitswertes S 59.000,-- = 1/1" betrage. In einer Beilage führte sie an, die Landwirtschaft von den Eltern gepachtet zu haben; sie würde die Landwirtschaft aber nicht selbst bewirtschaften, diese werde "weiterhin von meinen Eltern bewirtschaftet".
Der Beschwerdeführerin wurde daraufhin Arbeitslosengeld zuerkannt.
Mit Antrag vom 19. November 1992 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Notstandshilfe. Sie wiederholte dabei im Antragsformular ihre Angaben im Erstantrag, worauf sie Notstandshilfe erhielt.
Am 30. Mai 1994 stellte die Beschwerdeführerin beim Arbeitsamt einen neuerlichen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Dabei gab sie wiederum an, einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb gepachtet zu haben, wobei die "Höhe des Einheitswertes S 59.000,-- = 1/1" betrage.
Nach dem vom Arbeitsamt von der Gemeinde eingeholten Einheitswert-Bescheid betrug der Einheitswert des Betriebes der Eltern der Beschwerdeführerin (u.a. der EZ. 17) im Ausmaß von 11,6012 ha ab 1. Jänner 1989 S 59.000,--. Nach dem vorgelegten Teil des Pachtvertrages zwischen den Eltern der Beschwerdeführerin und ihr wurde ab 1. Juli 1985 die Liegenschaft im Ausmaß von 11,7819 ha mit einem Einheitswert zum 1. Jänner 1983 von S 69.000,-
- an die Beschwerdeführerin verpachtet.
In einer Niederschrift des Arbeitsamtes vom 17. Juni 1994 gab die Beschwerdeführerin an:
"Ich gebe bekannt, dass mein Vater die Landwirtschaft mit einem Einheitswert von 59.000,-- bewirtschaftet."
Auf Grund einer Anfrage des Arbeitsamtes teilte die Sozialversicherungsanstalt der Bauern mit Schreiben vom 15. September 1994 mit, dass die Beschwerdeführerin seit 1. Jänner 1993 einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert von gerundet S 37.000,-- auf ihre Rechnung und Gefahr führe.
Mit Bescheid vom 30. September 1994 wies das Arbeitsamt nunmehr den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Begründung ab, dass diese "auf eigene Rechnung und Gefahr eine Landwirtschaft von S 59.000,--" führe.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, wobei sie im Wesentlichen vorbrachte, sie stelle nochmals richtig, dass sie einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert von S 37.000,-- führe.
Nach einem Aktenvermerk der belangten Behörde habe die Sozialversicherungsanstalt der Bauern auf Grund des Ersuchens des Arbeitsamtes am 14. Juli 1994 eine Erhebung durchgeführt. Dabei habe der Vater der Beschwerdeführerin erklärt, seine Tochter bewirtschafte die Landwirtschaft und er helfe ihr nur. Weiters habe er gesagt, dass zwei Teile der Landwirtschaft mündlich verpachtet worden seien, und zwar 1,3 ha an Josef W. und 1,7 ha an Franz G. Es seien Pachtbestätigungen vom 17. bzw. 19. Juli 1994 an die Sozialversicherungsanstalt geschickt worden.
Die belangte Behörde forderte daraufhin die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 22. November 1994 auf, "die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse um die Landwirtschaft mit einem Einheitswert zum 1. Jänner 1983 von S 69.000,-- vollständig darzustellen und entsprechende Nachweise vorzulegen; dabei insbesondere Nachweise, aus denen sich ergibt, dass Sie eine Landwirtschaft mit einem Einheitswert von S 37.000,-- bewirtschaften."
Die Beschwerdeführerin übersandte mit einem Begleitschreiben vom 1. Dezember 1994 eine Beitragsvorschreibung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 3. Oktober 1994, aus der sich ergab, dass diese für die Beitragsmonate 7 bis 9/94 von einem Einheitswert (Pachtfläche) von S 37.700,-- ausgehe.
Die belangte Behörde forderte nunmehr die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. Jänner 1995 im Hinblick darauf, dass die abgegebene Stellungnahme die tatsächlichen Verhältnisse nur ungenügend kläre, neuerlich auf, entsprechende Angaben im Sinne der Aufforderung vom 22. November 1994 zu machen.
Daraufhin legte die Beschwerdeführerin - ohne Begleitschreiben - vor:
1. ein (offensichtlich der Sozialversicherungsanstalt vorgelegtes) Verpachtungsverzeichnis vom 17. Juli 1994 betreffend die Verpachtung von 1,7 ha an Josef W. ab 1. Jänner 1993,
2. ein (eben solches) Verpachtungsverzeichnis vom 19. Juli 1994 betreffend die Verpachtung von 1,3075 ha an Franz G. ab 1. Jänner 1992,
3. schriftliche Pachtverträge mit den Genannten ab 1. Jänner 1995, sowie
4. eine offensichtlich vom Vater der Beschwerdeführerin verfasste Niederschrift betreffend die Verpachtung an Franz G.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Nach der Begründung messe die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung den ursprünglichen Angaben der Beschwerdeführerin und den vorgelegten Urkunden ein schwereres Gewicht bei als den nachträglich gemachten, am Verfahrensausgang orientierten Angaben. Außerdem sei die Beschwerdeführerin dem zweimaligen Ersuchen der belangten Behörde, eine vollständige Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse zu geben, nicht nachgekommen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Dezember 1999, Zl. A 1/2000, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 und 4 iVm Art. 89 Abs. 2 B-VG den Antrag gestellt,
1.)
§ 12 Abs. 6 lit. b AlVG idF der Novelle BGBl. Nr. 615/1987 und
2.)
die Worte "auf andere Art" in § 12 Abs. 6 lit. c AlVG idF BGBl. Nr. 817/1993 als verfassungswidrig aufzuheben bzw. in eventu auszusprechen, dass diese Bestimmungen verfassungswidrig waren.
Der Verfassungsgerichtshof hat diesen Antrag mit Erkenntnis vom 3. Oktober 2000, G 30/00-7, abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG setzt der Anspruch auf Arbeitslosengeld u.a. voraus, dass der Anspruchswerber arbeitslos ist.
Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Nach § 12 Abs. 3 lit. b leg. cit. gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer selbstständig erwerbstätig ist. Nach § 12 Abs. 6 lit. b AlVG gilt jedoch als arbeitslos, wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert S 54.000,-- nicht übersteigt.
Nach den wiedergegebenen Bestimmungen der §§ 12 Abs. 3 lit. b und Abs. 6 lit. c AlVG in der Fassung vor dem BGBl. Nr. 297/1995 ist daher entscheidend, ob die Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert über S 54.000,-- bewirtschaftet hat.
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe im relevanten Zeitraum den landwirtschaftlichen Betrieb ihres Vaters im Ausmaß von 10,2937 ha gepachtet, wobei dieser Betrieb aber nur einen Einheitswert von S 37.000,-- aufgewiesen habe. Letzteres hätte die belangte Behörde durch geeignete Ermittlungen, insbesondere durch eine Anfrage beim Finanzamt, feststellen müssen.
Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen der Beweiswürdigung den ursprünglichen Angaben der Beschwerdeführerin und den vorgelegten Urkunden ein größeres Gewicht beigemessen als "den nachträglich gemachten, am Verfahrensausgang orientierten" Angaben. Nach Auffassung der belangten Behörde habe die Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Eltern mit einem Einheitswert von S 59.000,-- bewirtschaftet.
Die Auffassung der belangten Behörde beruht dabei auf der - unausgesprochenen - Annahme, dass sich die Einheitswertdifferenz (S 37.000,-- gegenüber S 59.000,--; der Einheitswert in Höhe von S 69.000,-- im Pachtvertrag von 1985 bleibt überhaupt unerörtert) auf die Verpachtung der beiden Teilflächen gründe und diese in Wahrheit nicht oder nicht rechtzeitig stattgefunden habe. Diese Auffassung wird im angefochtenen Bescheid weder schlüssig begründet noch gibt es dafür Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde, die eine solche Begründung ermöglichen würden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beweiswürdigung der Behörde der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (nur) insoweit zugänglich, als es sich um die Beurteilung handelt, ob der Sachverhalt ausreichend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, das heißt, ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen; wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führen demnach zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl. dazu z.B. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5, zu § 45 Abs. 2 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, insbesondere E 179 ff).
Auf dem Boden dieser Rechtslage ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend erhoben und festgestellt hat. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben..
Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur für drei Beschwerdeausfertigungen und eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zuzuerkennen. Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand sieht das Gesetz einen Anspruch auf Ersatz von Mehrwertsteuer nicht vor.
Wien, am 20. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000080187.X00Im RIS seit
18.10.2001