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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §36 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der R in G, vertreten durch Dr. Karin Hermann, Rechtsanwalt in Graz, Mondscheingasse 6/1, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 18. April 1996, Zl. LGS600/LA2/7022/1996-Dr.J/Fe, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, die nach der Geburt ihres zweiten Kindes bis zum 5. Februar 1996 Karenzurlaubsgeld bezog, beantragte mit einem am 31. Jänner 1996 ausgegebenen Antragsformular die Gewährung von Sondernotstandshilfe. Zu diesem Antrag legte sie u. a. eine Lohnbescheinigung betreffend den mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten, einen Schuldschein vom 15. Oktober 1991 hinsichtlich eines Wohnbauförderungsdarlehens des Landes Steiermark, die Darlehensurkunde einer Bank vom 27. Juni 1991 über die Gewährung eines Darlehens für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses im Rahmen der Jungfamilienförderung, Kopien von Zahlungsbelegen über die Ratenzahlungen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten aus diesen Darlehen und einen Grundbuchsauszug hinsichtlich der Besicherung der Darlehen vor.
Mit Bescheid vom 4. März 1996 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz den Antrag der Beschwerdeführerin mangels Notlage ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Ehegatte der Beschwerdeführerin verfüge über ein monatliches Einkommen, das "unter Berücksichtigung der derzeit geltenden gesetzlichen Bestimmungen" den Bezug der Sondernotstandshilfe ausschließe.
In ihrer Berufung gegen diese Entscheidung verwies die Beschwerdeführerin auf zusätzliche finanzielle Belastungen durch eine Kanalanschlussgebühr, für die monatliche Raten in der Höhe von S 3.213,-- zu entrichten seien, durch laufende Ausgaben im Zusammenhang mit dem "notdürftig eingerichteten Eigenheim" (Gemeindeabgaben, Eigenheim- und Haushaltsversicherung, Strom, Wasser, Rundfunk usw.; zusammen S 4.390,-- monatlich), Lebensversicherungen des Ehegatten der Beschwerdeführerin (S 1.714,--) und "Pkw-Kosten (keine Busverbindung)" von S 2.500,-- monatlich. Der Beschwerdeführerin sei die Auskunft erteilt worden, dass die Gewährung der Sondernotstandshilfe möglich wäre, wenn für den Hausbau höhere Kreditraten zu zahlen wären. Angesichts der getroffenen Entscheidung würde die Beschwerdeführerin nun aber einen zusätzlichen Kredit aufnehmen müssen.
Mit der Berufung legte die Beschwerdeführerin ein Schreiben der Gemeinde vor, worin die noch ausständigen 15 Raten für die Kanalanschlussgebühr in der Höhe von S 3.213,40 monatlich bis Jänner 1996 gestundet und der Ehegatte der Beschwerdeführerin "gebeten" wurde, "ohne weitere Aufforderung ab Jänner 1996 mit der Ratenzahlung termingerecht bis zum jeweils 5. jeden Monats fortzusetzen".
Mit dem angefochtenen, der Beschwerdeführerin am 23. Mai 1996 zugestellten Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde nach einer Darstellung der Rechtslage und des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, vom Bruttoeinkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin (S 25.030,--) seien gesetzliche Abzüge von S 7.482,80, ein Werbekostenpauschale von S 483,-- und die 1996 geltenden Freigrenzen für den Einkommensbezieher (S 5.621,--) und die beiden Kinder (zusammen S 5.664,--) in Abzug zu bringen (rechnerisch verbleibendes Monatseinkommen demnach: S 5.779,20). Für die geltend gemachten laufenden Kosten für Versicherungen u.dgl. gebühre keine Freigrenzenerhöhung. Dies gelte auch für die Pkw-Kosten, weil "die Behauptung, dass keine Busverbindung besteht, nicht hinreichend" sei. Die Darlehenszahlungen (in der Berufung mit S 2.200,-- monatlich angegeben, von der belangten Behörde mit S 1.824,-- und S 308,33 monatlich festgestellt) seien jeweils zur Hälfte, auf volle S 100,-- gerundet, also mit S 1.000,-- und S 200,--, zu berücksichtigen (rechnerisch verbleibendes Einkommen somit: S 4.579,20). Eine Berücksichtigung der "seit Dezember 1994 drei Mal bezahlten und zwischenzeitig gestundeten" Kanalanschlussgebühr habe "nicht zu erfolgen". Der verbleibende Anrechnungsbetrag sei höher als die dem seinerzeitigen Arbeitsverdienst der Beschwerdeführerin entsprechende Sondernotstandshilfe von S 133,10 täglich, weshalb die Berufung abzuweisen sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde "wegen Verletzung des gesetzlich gewährleisteten Rechtes, keine Sondernotstandshilfe erhalten zu haben".
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist - ausgehend davon, dass das Vorliegen von Notlage eine von mehreren Voraussetzungen für den Bezug der Sondernotstandshilfe ist - nur strittig, in welchem Ausmaß der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Anrechnung des Einkommens ihres Ehegatten eine Freigrenzenerhöhung gemäß § 36 Abs. 5 AlVG zu gewähren war. Eine Erhöhung des - im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. B lit. a AlVG in § 6 Abs. 2 bis 4 Notstandshilfeverordnung jeweils nach der Größe der Familie bemessenen - Freibetrages kann nach § 36 Abs. 5 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung u.dgl. nach Anhörung des Regionalbeirates im Rahmen der vom Arbeitsmarktservice festgelegten Richtlinien erfolgen. Trifft der Regionalbeirat keine einhellige Feststellung, so ist das Landesdirektorium anzuhören.
Diese mit dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, eingeführte Vorschrift trat mit 1. Mai 1995 an die Stelle des § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung (in deren Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 329/1995) und sollte nach den Erläuterungen in der Regierungsvorlage - die als Maßnahme zur Erzielung von "Einsparungen bzw. Mehreinnahmen" im Bereich der Sozialleistungen u. a. eine "strengere Handhabung der Freigrenzenerhöhung bei der Notstandshilfe" erwähnten - dazu führen, dass in den zu erlassenden Richtlinien "die Erhöhungstatbestände und das Erhöhungsausmaß festgelegt" und die "Handhabung" der Richtlinien "im Einzelfall durch den Regionalbeirat überprüft" würden (134 BlgNR 19. GP 60, 79).
Die in der Folge vom Arbeitsmarktservice Österreich (im Sinne des § 4 Abs. 3 AMSG) erlassene, in der Wiener Zeitung kundgemachte (und bei Dirschmied, AlVG3, 487 ff, wiedergegebene) Richtlinie zur Freigrenzenerhöhung bringt in ihrem Abschnitt "I. Allgemeines" zunächst - in inhaltlicher Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung (vgl. dazu das Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 92/08/0011, und die Bezugnahme darauf in der Besprechung eines anderen Erkenntnisses durch Pfeil, ZAS 1993/4; weiters das Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 92/08/0187, DRdA 1994/28, mit Anmerkung von Dirschmied), - zum Ausdruck, die Berücksichtigungswürdigkeit freigrenzenerhöhender Umstände gestatte keine Ermessensentscheidung. Bei Vorliegen von Berücksichtigungswürdigkeit sei die Freigrenze zu erhöhen, wobei es erst hier im Ermessen des Arbeitsmarktservice liege, in welchem Ausmaß (bis zu dem in der Richtlinie, wie früher in § 6 Abs. 4 Notstandshilfe-Verordnung, vorgesehenen Höchstausmaß von 50 % der Freigrenze) die Freigrenze erhöht werde. In Abschnitt "II. Berücksichtigungswürdige Umstände im Sinne des § 36 Abs. 5 AlVG" sind als Umstände, die zur Freigrenzenerhöhung führen können, u.a. "Darlehen für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung" und in näher geregelter Weise die Kosten für die Haltung eines Fahrzeuges angeführt. Abschnitt "III. Entscheidung über die Freigrenzenerhöhung" ermächtigt den Regionalbeirat, die Entscheidung für bestimmte Fallgruppen an die regionale Geschäftsstelle zu delegieren. Dabei werden - dem Wortlaut nach abschließend, dem Zusammenhang nach aber nur in Bezug auf diese Delegierungsbefugnis - auch Freigrenzenerhöhungen für Darlehen zum Zweck einer Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung näher geregelt. Vorgesehen ist u.a., dass Aufwendungen für Privatdarlehen (von Angehörigen) wie Bankdarlehen zu behandeln seien, wenn ein vergebührter Darlehensvertrag vorliege und auch tatsächlich Rückzahlungen geleistet würden. Abschließend wird bestimmt, über die in Abschnitt III. genannten "Pauschalsätze" hinausgehende Freigrenzenerhöhungen bedürften jedenfalls der Zustimmung des Regionalbeirates.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist zunächst festzuhalten, dass die Berücksichtigungswürdigkeit der Darlehen unter dem Gesichtspunkt der "Wohnraumbeschaffung" im vorliegenden Fall nicht strittig ist und sich eine Auseinandersetzung mit dem zweiten der erwähnten Vorerkenntnisse und der von Dirschmied daran geübten Kritik - auch angesichts der geänderten Rechtslage - daher erübrigt. Davon ausgehend ist der belangten Behörde aber nicht zu folgen, wenn sie die Kanalanschlussgebühr, die mit monatlichen Ratenzahlungen in der Höhe von S 3.213,40 eine nicht vernachlässigbare finanzielle Belastung darstellen musste, in ihrer Entscheidung ohne Angabe näherer Gründe nicht berücksichtigt hat. Die Bezeichnung der Gebühr "als zwischenzeitig gestundet" konnte dafür - angesichts der von der Beschwerdeführerin bescheinigten Stundung nur bis zu einem Zeitpunkt vor ihrer Antragstellung - keine ausreichende Begründung sein. Wenn in der Gegenschrift darauf verwiesen wird, es seien keine Bemühungen, eine weitere Stundung zu erreichen, dargetan worden, und es widerstrebe dem Zweck der begehrten Leistung aus der Arbeitslosenversicherung, wenn "durch die Aufnahme einer weiteren Zahlung" die dadurch entstehende Last im Ergebnis auf die Versichertengemeinschaft überwälzt werde, so ist dem entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde in ihrer Entscheidung nicht erkennbar davon ausgegangen ist, der Ehegatte der Beschwerdeführerin hätte von einer Entrichtung der restlichen Raten auch weiterhin - gemeint offenbar: für die gesamte Dauer der von der Beschwerdeführerin beantragten Leistung - absehen können. Eine mangelnde Mitwirkung kann der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angesichts des von ihr vorgelegten Schreibens nicht vorgeworfen werden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt das schon erwähnte Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 92/08/0011). Dass die Kanalanschlussgebühr zu den Kosten der Wohnraumbeschaffung zähle, bezweifelt auch die belangte Behörde nicht. Das in der Gegenschrift lediglich noch erwähnte Fehlen der "Darlehensform" kann nicht dazu führen, dass die Ratenzahlungsverbindlichkeit im Gegensatz etwa zu Verbindlichkeiten aus einem zu ihrer Begleichung aufgenommenen Privatdarlehen nicht berücksichtigbar sei (vgl. darüber hinaus auch die Möglichkeit einer Bedachtnahme auf sonstige Einkommensminderungen gemäß Abschnitt II. Punkt 9. der Richtlinie).
Schon eine Berücksichtigung der Hälfte der monatlichen Raten für diese Gebühr würde im vorliegenden Fall - soweit sich die sonstigen Überlegungen der belangten Behörde rechnerisch nachvollziehen lassen - zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, weshalb der angefochtene Bescheid aufgrund seiner in diesem Punkt mangelhaften Begründung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Im fortgesetzten Verfahren ergibt sich damit auch Gelegenheit, auf die Frage der Erfüllung der Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Pkw-Kosten und die - erstmals in der Beschwerde relevierte - Belastung durch die hohen Kosten der Zahnregulierung für eines der beiden Kinder näher einzugehen. Darüber hinaus wird bei der Erlassung des Ersatzbescheides auch zu beachten sein, dass sich die Höhe der halbjährlichen Raten für das Wohnbauförderungsdarlehen des Landes während des nunmehr - soweit es nicht in der Zwischenzeit aufgrund eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes zu einer Zuerkennung der Leistung gekommen sein sollte - zur Gänze der Beurteilung zu unterziehenden Zeitraumes der von der Beschwerdeführerin beantragten Leistung nach dem Inhalt des vorgelegten Schuldscheins verdoppelt haben dürfte.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996080307.X00Im RIS seit
18.10.2001