Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton W*****, vertreten durch Dr. Erwin Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R***** reg. Genossenschaft m.b.H., *****, vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Herbert Fink, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 41.278,17 EUR sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. November 2008, GZ 4 R 198/08m-60, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Juni 2008, GZ 41 Cg 126/06g-54, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist ein konzessioniertes Kreditinstitut, das unter anderem die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere, den Handel mit Wertpapieren auf eigene oder fremde Rechnung sowie die Beratung und die Veranlagung von Kundenvermögen durchführt.
Der Kläger, der 29 Jahre lang im Aufsichtsrat der Beklagten tätig war, beauftragte die Beklagte 1997 mit der Eröffnung eines Wertpapierdepots und investierte in den Jahren 1999 und 2000 in Aktien mit teilweise überdurchschnittlich hohem Risiko. Bei Eröffnung des Wertpapierdepots 1997 bestätigte der Kläger schriftlich, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Risikohinweise für Anleihen, Aktien und Investmentfonds erhalten zu haben. Aus der Dokumentation seiner Anlageberatung geht hervor, dass er über frei verfügbares Einkommen von 250.000 ATS p.a. und über liquides Vermögen von 2 Mio ATS verfügt, risikobereit ist und ein erhöhtes Verlustrisiko von mehr als 10 % zu akzeptieren bereit ist sowie dass ihm spezielle Risikohinweise ausgehändigt wurden und dass er einige Erfahrung oder Kenntnisse hinsichtlich der ausgewählten Produkte hat und standardisiert beraten wurde. Im August 1998 wurde mit ihm ein persönliches Anlegerprofil mit denselben Angaben zu Einkommen und liquidem Vermögen bzw der Inkaufnahme eines Verlustrisikos von mehr als 10 % erstellt.
Im Oktober 2000 informierte der Geschäftsleiter der Beklagten den Kläger erstmalig über Aktien der P***** KGaA (in der Folge: P*****).
Die Beklagte hatte von diesen Aktien durch einen Beschäftigten eines Tiroler Investment-Consultingunternehmens erfahren, das nach Übersendung des (deutschen) Emissionsprospekts am 7. 11. 2000 eine Präsentation des geplanten Börsengangs der P***** veranstaltete, welche der Geschäftsleiter der Beklagten besuchte. Zu dieser Veranstaltung, an der auch die Vorstände der P***** teilnahmen, hatte das Consultingunternehmen ca 50 Kunden eingeladen, die nach seiner Einschätzung einen erfolgversprechenden finanziellen Background und einschlägiges Investitionsinteresse hatten. Die Vorstände der Beklagten waren vom Unternehmen begeistert, weil es im Umwelttechnologiebereich arbeitete. Bei einer Aufsichtsratssitzung, an der auch der Kläger teilnahm, stellten sie das Projekt vor, das als „tolle Sache" beschrieben wurde. Der Aufsichtsrat stimmte dort dem Vorschlag der Geschäftsleitung zu, auch für die Beklagte selbst solche Aktien zu kaufen.
Der Geschäftsleiter der Beklagten empfahl dem Kläger diese Veranlagung mit dem Hinweis, dass diese zunächst nur privilegierten Kunden angeboten würde. Er übergab dem Kläger einen (deutschen) Emissionsprospekt, aus dem sich ergab, dass es sich um ein neu gegründetes Unternehmen mit allen damit verbundenen Risken handle, dass Anleger gegebenenfalls fachliche Beratung einholen und unternehmerische Beteiligungen nur erwerben sollten, wenn sie das Risiko ihres Engagements überblicken könnten, von den wirtschaftlichen Chancen des Unternehmens überzeugt seien und Vertrauen in die Fähigkeit des Managements hätten sowie wirtschaftlich in der Lage seien, auch geringere Ausschüttungen oder - bei wider Erwarten extrem schlechter Entwicklung - sogar den völligen Wertverlust ihrer Beteiligung zu verkraften. Der Prospekt enthält 43 Seiten, in denen das Unternehmen vorgestellt wird.
Der Kläger las diesen Prospekt nicht durch. Er erwarb am 1. 12. 2000 4.000 Stück P*****-Aktien um 5 EUR pro Stück und am 4. 5. 2001 weitere 3.000 Stück dieser Aktien zum Preis von 6,50 EUR pro Stück, wofür er insgesamt den Klagsbetrag bezahlte. Bei der ersten Tranche unterfertigte er ein Formular der Beklagten, aus dem hervorgeht, dass er über Risken und Gewinnchancen bezüglich dieses „PRE-IPOs" detailliert informiert worden sei, sich der Risken dieser Anlage im Klaren sei und den Informationsprospekt erhalten habe. Neben Risikohinweisen ist im Formular ein Hinweis auf den Emissionsprospekt enthalten sowie festgehalten, dass das Unternehmen im Juli 2000 gegründet wurde und die Aktien seit Oktober 2000 verkauft würden, dass der Gesellschaftszweck in der Erweiterung der Unternehmensgruppe in Bereichen regenerativer Energien und Rohstoffrückgewinnung bestehe und dass voraussichtlich im November 2001 der Start an der Börse geplant sei.
Die Werthaltigkeit der P*****-Aktien war - wie bei jedem neu gegründeten Unternehmen - schwierig abzuschätzen. Sie hängt im Wesentlichen vom Geschäftspotenzial in der Zukunft ab, bei dem die Bewertung zukünftiger Ertragsströme eine wesentlich wichtigere Rolle spielt als der Substanzwert. Die Entwicklung in der Zukunft war nicht absehbar. Die Bewertungen der Gründer der P***** konnten erst anhand des „Status Unternehmensaufbau, Bewertung Anteilsübernahmen P*****-Gruppe" ab Ende Februar 2001 überprüft und beurteilt werden und hätten zu einer neuen Risikoeinschätzung und Revision der versprochenen, hoffnungslos übertriebenen Weiterentwicklung der Anlageerfolge führen müssen.
Aus dem Aktionärsbrief der P***** vom Dezember 2000 geht hervor, dass durch erhebliche Platzierung der Aktien im Herbst 2001 das Kapital der Gesellschaft schrittweise erhöht worden sei und aufgrund der positiven Entwicklung und größeren Werthaltigkeit der Preis für die Aktien 2001 von 5 EUR auf 6,50 EUR „angehoben" würde. In weiterer Folge wurde ein Entstaubungstechnikunternehmen vorgestellt und festgehalten, dass die P***** Ende 2000 eine Mehrheit dieses Unternehmens übernehmen werde. Der Hinweis auf die Übernahme der Mehrheit am Entstaubungstechnikunternehmen war insoweit falsch, als diese erst im September 2001 erfolgte. Tatsächlich wurde daher der Zeichnungspreis lediglich vor dem Hintergrund von Absichtserklärungen über die Übernahme erhöht.
Auch beim Kauf der zweiten Tranche der Aktien am 4. 5. 2001 standen dem Kläger zwar Informationen über die Entwicklung der neuen Gesellschaft zur Verfügung, dies allerdings mit wenig Relevanz für die Begründung der behaupteten Wertsteigerung. Der Internetauftritt enthielt keine zusätzlichen, im Vergleich zum Emissionsprospekt neuen Informationen bzw Daten, die einen Wertansatz ermöglichten.
Im Aktionärsbrief vom Juni 2001 wurde darauf hingewiesen, dass die Werthaltigkeit von P***** durch die Einbringung von Unternehmen aus der „P*****-Gruppe" erhöht worden sei, dass sich P***** auf ihre Kernkompetenz im Bereich des pyrolytischen Recyclings konzentriert habe und dass Know-How im Bereich von Biomasseverarbeitung verstärkt worden sei. Auf die Werthaltigkeit des Entstaubungstechnikunternehmens wurde unter Bezugnahme auf ein Gutachten von E***** verwiesen.
Im Aktionärsbrief vom Oktober 2001 wird auf die verschärfte Lage auf den Aktienmärkten nach den Terroranschlägen und auf die Absicht hingewiesen, den Börsengang entsprechend dem bisherigen Zeitplan gezielt vorzubereiten. Den Aktionären solle mittelfristig die Möglichkeit gegeben werden, sich zu offiziellen Kursen an der P***** zu beteiligen, was nur über einen Börsengang realisiert werden könne.
Auch im Aktionärsbrief vom April 2002 heißt es noch, dass angesichts der Börsenlage im letzten Herbst die Entwicklung der P***** vergleichsweise positiv verlaufen sei. Es seien trotz der schlechten Börsensituation Aktien gezeichnet worden, wenn auch in geringerem Umfang als geplant. Angesichts der angespannten Börsensituation habe der Aufsichtsrat beschlossen, den Gang an die Börse zu verschieben, der nach wie vor das Ziel sei.
Per 31. 12. 2002 heißt es im Aktionärsbrief, dass sich die Situation der P***** nicht so entwickelt habe wie ursprünglich vorgesehen. Es sei aufgrund der Situation auf den Kapitalmärkten nicht möglich gewesen, weiteres Kapital zu beschaffen, und daher die Unternehmensexpansion nicht wie geplant durchgeführt worden. Die Finanzierung des Projekts in M***** verzögere sich. Die Börseneinführung sei aufgrund der als katastrophal eingeschätzten Situation auf den Kapitalmärkten zurückgestellt worden.
Im Aktionärsbrief per 1. 4. 2003 teilte P***** mit, dass sich die Situation im ersten Quartal drastisch verschlechtert habe, es ihr nicht gelungen sei, Kapital für das Unternehmen und die Projekte zu akquirieren. Wenn die Situation keiner Klärung zugeführt werden könne, bestehe in absehbarer Zeit der Zwang, Insolvenz anzumelden.
Das Depot des Klägers war zum 31. 12. 2000 mit 87.842 EUR bewertet, wobei die zunächst gekauften 4.000 Stück P*****-Aktien erstmals enthalten, jedoch nicht bewertet waren. In der Depotbewertung vom 31. 12. 2000 wurden die gesamten 7.000 Stück P*****-Aktien mit einem Wert von insgesamt 45.500 EUR ausgewiesen, ein ebensolcher Wert findet sich in der Depotbewertung vom 31. 12. 2002. Zum 31. 12. 2003 wurden diese Aktien mit 0 bewertet, ebenso zum 31. 12. 2004 und 2005.
Die Beklagte hätte der in Österreich gängigen Bankenpraxis folgend P*****-Positionen in den Depotauszügen nicht bewerten dürfen, weil keine objektivierbare Kursinformation zur Verfügung stand.
Der von der P***** dargestellte konzeptionelle Ansatz der Bewertung entsprach weder den Grundsätzen der Unternehmensbewertung noch Kapitalmarktusancen, noch ließ er sich anhand geprüfter Unternehmensdaten nachvollziehen. Auch die angegebene Zeitspanne von einem Jahr bis zur Börsenzulassung war unrealistisch. Es wäre ein Zeitraum von mindestens drei Jahren notwendig gewesen.
P***** hatte einen Verkaufsprospekt gemäß dem deutschen Wertpapierverkaufsprospektgesetz 1998 erstellt und genehmigen lassen, was nur für Wertpapiere, die in Deutschland öffentlich angeboten werden, notwendig ist. Dieser Emissionsprospekt lag bei den Banken auf, die die Aktien der P***** vertrieben. Aus dem Emissionsprospekt ergibt sich nichts darüber, dass sich P***** nur an einen eingeschränkten Interessenkreis solcher Aktionäre wandte, die mit einer gewissen Risikobereitschaft in der Lage waren 5 - 10 % ihres verfügbaren Einkommens und Vermögens in Aktien zu investieren.
Der Revisor des R***** T***** prüfte in den Jahren 2003 bis 2005 die Beklagte, so auch deren Engagement in P*****-Aktien, wobei er in seinem Bericht festhielt, dass die Bewertungen der P*****-Aktien im Depot der Beklagten nicht ausreichend nachvollziehbar seien. Ein höheres Abwertungserfordernis bis hin zum Totalverlust sei nicht auszuschließen. Es seien für die exakte Beurteilung des Risikos aktuelle Bewertungsunterlagen einzuholen. Eine Kursbildung der Aktien finde mangels Börsengangs und Handels nicht statt, weshalb eine nachhaltige Ungewissheit über ein eventuelles Verlustrisiko bestehe. Die Bank wurde aufgefordert, aussagekräftige Unterlagen über die Beurteilung der vorhandenen Risken zu diesem Engagement einzuholen.
Dieser Umstand war auch Thema der Aufsichtsratssitzung am 25. 6. 2003, an der auch der Kläger teilnahm. Zu diesem Zeitpunkt hatten etwa 50 Anleger die Aktie gezeichnet, darunter Mitarbeiter und Kunden. Der Kläger drohte in dieser Sitzung mit Klage, hoffte allerdings immer noch, dass die Angelegenheit gut ausgehe, zumal er noch von den Werten der Aktie laut Depotauszug von Dezember 2002 ausging. Allerdings hatte er bereits vor dieser Sitzung eine „schwarze Liste" von geschlossenen Fonds und Beteiligungsgesellschaften, welche die Leistungsbilanz für 2001 nicht erstellt hatten, erhalten, in der auch die P***** aufschien.
Für die Vermittlung der P*****-Aktien erhielt die Beklagte von der P***** eine Provision in Höhe von 7 % des Zeichnungsbetrags.
Der Kläger begehrt mit seiner am 13. 7. 2006 eingebrachten Klage Zug um Zug gegen die Übertragung der auf seinem Depot eingebuchten 7.000 Stück P*****-Aktien in den Eigenbestand der Beklagten die Zahlung von 41.278,17 EUR sA mit dem Hinweis, dass die vom Geschäftsleiter der Beklagten empfohlenen Aktien mittlerweile völlig wertlos seien. Der Kläger habe weder Erfahrung noch Kenntnisse mit vorbörslichen Aktienemissionen gehabt und das Risiko in keiner Weise abschätzen können. Die Beklagte habe ihm gegenüber ihre Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten qualifiziert verletzt und ihm daher auch aus dem Titel des Schadenersatzes das gesamte eingesetzte Kapital zuzüglich gesetzlicher Zinsen zu ersetzen. Er habe die ihm vorgelegten Urkunden aufgrund langjähriger persönlicher Bekanntschaft mit dem Geschäftsleiter der Beklagten, der ihm auch versichert habe, dass alles geprüft sei und er sich das Studium des Emissionsprospekts ersparen könne, ohne inhaltliche Prüfung unterfertigt. Die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Beklagte sei eine ehrenamtliche Funktion gewesen, die ihm keine internen Einblicke in die Chancen und Risken der Veranlagung in P*****-Aktien gewährt habe. Im Vertrauen auf diese Zusicherung und die Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Genehmigung des Ankaufs von P*****-Aktien auch für das eigene Depot der Beklagten habe er das Engagement getätigt. Bewerbung und Vertrieb der jungen P*****-Aktien durch die Beklagte sei im Rahmen eines öffentlichen Angebots im Sinne des § 1 KMG erfolgt, was erst nach Veröffentlichung eines nach den Bestimmungen dieses Gesetzes erstellten und kontrollierten Prospekts hätte erfolgen dürfen. Im vorliegenden Fall sei weder der zuständigen Behörde ein Verkaufsprospekt vorgelegt noch ein den Bestimmungen des KMG entsprechender Prospekt veröffentlicht worden. Der Kläger erkläre daher den Rücktritt nach § 5 KMG und stütze seinen Schadenersatzanspruch auch auf schuldhafte Verletzung der Strafbestimmung des § 15 Abs 1 KMG durch die Beklagte. Die Beklagte habe den Kläger in die Irre geführt, weil P***** die Voraussetzungen für eine Börsenzulassung gar nicht habe erfüllen können und der Emissionskurs nicht den wahren Wert des betriebenen Unternehmens widergespiegelt habe, sondern willkürlich festgesetzt worden sei. Auch die zweite Kaufempfehlung habe die Beklagte damit begründet, dass der Kurswert seit der erstmaligen Zeichnung gestiegen sei, was mangels Notierung an der Börse unrichtig gewesen sei. Die Beklagte habe einen wesentlichen Geschäftsirrtum veranlasst, der den Kläger zur Rückabwicklung der Aktienkäufe berechtige. Die getroffene Provisionsvereinbarung der Beklagten habe zu einer Interessenkollision geführt, zu deren Aufklärung die Beklagten dem Kläger gegenüber verpflichtet gewesen sei. Der Kläger könne sein Rücktrittsrecht nach dem KMG nicht nur gegenüber der Emittentin, sondern gegenüber jedem Anbieter geltend machen, der ein prospektpflichtiges Anbot ohne vorhergehende Veröffentlichung eines Prospekts gegenüber dem Verbraucher gestatte. Er sei von der Beklagten auch arglistig getäuscht worden, weshalb die Verjährungsfrist 30 Jahre betrage. Auch die dreijährige Verjährungsfrist sei nicht abgelaufen, weil die Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der rechtserhebliche Sachverhalt erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens bekannt geworden seien.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger sei bis zu seiner Pensionierung 1997 selbständig als Kunstschlosser tätig und über 29 Jahre lang Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten gewesen. Der Geschäftsleiter habe ihn über die Möglichkeit des Erwerbs von P*****-Aktien informiert, aber keine Empfehlung ausgesprochen. Der Kläger sei umfassend über die mit einer vorbörslichen Emission verbundenen Risken aufgeklärt und ihm der Emissionsprospekt mitgegeben worden, der unter anderem auch auf das Risiko eines Totalverlusts hingewiesen habe. Der Kläger habe ein paar Tage später erklärt, die Aktien zeichnen zu wollen, weil das Unternehmen in der Umwelttechnologie gute Marktchancen zu haben scheine. Auch beim Erwerb der weiteren Aktien im Mai 2001 sei der Kläger auf die Risken hingewiesen worden. Der Kläger habe als Aufsichtsratsmitglied sämtliche der Beklagten zugänglichen Unterlagen zur Verfügung gehabt und sei umfassend informiert worden. Er habe keinerlei Blankounterschrift erteilt und sich im Anlegerprofil als risikobereit bezeichnet und angegeben, Erfahrung hinsichtlich der ausgewählten Produkte zu haben. Er habe auf Ansprüche aus dem Erwerb der P*****-Aktien bei einer Besprechung im Jahr 2004 verzichtet. Darüber hinaus treffe ihn ein überwiegendes Mitverschulden am Eintritt des geltend gemachten Schadens. Den Wertpapiergeschäften habe kein öffentliches Angebot zugrunde gelegen. Die Beklagte sei nur bereit gewesen, mit einem ausgewählten Kreis von Personen zu kontrahieren, weshalb von einem individuellen Angebot zur Teilnahme an einer Privatplatzierung auszugehen sei, sodass die Übermittlung des Prospekts an die Oesterreichische Kontrollbank nicht erforderlich gewesen sei. Die Beklagte habe keine Informationen gehabt, die einen erfolgreichen Verkauf der Aktien in drei bis fünf Jahren unmöglich erscheinen hätten lassen. Die Situation habe sich erst durch die Ereignisse nach dem 11. September 2001 geändert. Dass eine Provisionsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Emittentin bestanden habe, sei für den Kläger offenkundig gewesen, für eine Offenlegung bestehe keine Rechtsgrundlage. Die Schadenersatzansprüche des Klägers seien verjährt, weil bereits im Aktionärsbrief vom April 2001 von der Verschiebung des Börsengangs wegen schwieriger Börsensituation berichtet worden sei. Auch im Aktionärsbrief zum 31. 12. 2002 sei die nicht erwartungsgemäße Entwicklung der P***** Thema gewesen und im Bericht zum 1. 4. 2003 auf die deutliche Verschlechterung der Situation im ersten Quartal 2003 hingewiesen worden. Bereits in der am 25. 6. 2003 erfolgten Aufsichtsratssitzung habe der Revisor seine Bedenken gegen die Bewertung der P*****-Aktien dargelegt, spätestens nach dieser Erörterung sei dem Kläger bekannt gewesen, dass es sich dabei um kein risikoarmes Investment handle, sondern Wertberichtigungsbedarf bestehe und ein Totalverlust nicht auszuschließen sei. Von einem arglistigen Vorgehen der Beklagten könne keine Rede sein. Sie habe selbst P*****-Aktien gezeichnet, woraus sich ergebe, dass sie von der Werthaltigkeit und Sinnhaftigkeit der Veranlagung selbst überzeugt gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es gelangte aufgrund der oben wiedergegebenen Feststellungen zum Ergebnis, dass ein öffentliches Angebot vorgelegen sei. Der Kläger sei aber kein „normaler" Kunde, sondern Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten gewesen, dessen Aufgabe es sei, die Geschäftsführung zu überwachen. Ihm gegenüber bestehe daher keine weitreichende Aufklärungspflicht der Bank, sondern er sei vielmehr am Maßstab des § 1299 ABGB zu messen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Eine arglistige Täuschung sei schon im Hinblick auf den Eigenerwerb der Aktien durch die Beklagte nicht anzunehmen. Die Anfechtung wegen schlichten Irrtums unterliege der dreijährigen Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und sei daher verfristet. Nach der im Zeitpunkt der Ankäufe der Aktien 2000 und 2001 gültigen Fassung des KMG sei nicht von einem öffentlichen Anbot durch die Beklagte auszugehen, weshalb die Anwendung des Rücktrittsrechts nach § 5 Abs 2 KMG ausscheide. Der Umstand, dass der Kläger über Jahrzehnte Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten gewesen sei, schließe eine Haftung ihm gegenüber nicht aus, weil es hier um eine private Veranlagung des Klägers gehe, die ihm von der Beklagten empfohlen worden sei. Eines näheren Eingehens darauf sowie auf eine allfällige Verletzung der Wohlverhaltenspflichten nach dem WAG bedürfe es aber nicht, weil die erhobenen Schadenersatzansprüche verjährt seien. Nach 8 Ob 96/07m beginne die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB jedenfalls schon dann zu laufen, wenn Kursverluste und Risikoträchtigkeit der Wertpapiere für den Kläger klar erkennbar geworden seien, ohne dass er bereits die Schadenshöhe beziffern könne oder ihm alle Schadensfolgen bekannt seien. Einer drohenden Verjährung müsse er mit Feststellungsklage begegnen oder durch Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückübertragung der Wertpapiere (10 Ob 11/07a; 3 Ob 40/07i). Der Kläger habe bereits am 25. 6. 2003 mehrfache und eindeutige Hinweise und Informationen über die Wertlosigkeit der P*****-Aktien erlangt. Zu diesem Zeitpunkt seien daher alle wesentlichen Elemente für die Erhebung einer Schadenersatzklage zumindest in Form eines Feststellungsbegehrens vorgelegen und habe daher die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Die erst am 13. 7. 2006 überreichte Klage sei verspätet. Die Ausführungen des Klägers zur Verkaufsprovision gründeten sich nicht auf entsprechende Feststellungen, eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens in diesem Zusammenhang liege nicht vor und sei auch nicht ausdrücklich geltend gemacht worden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
I. Zur Verjährung:
Den diesbezüglichen Revisionsausführungen ist die Richtigkeit der einschlägigen Begründung des Berufungsgerichts entgegenzuhalten (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Bereits im Aktionärsbrief vom 1. 4. 2003 wurde auf eine mögliche Insolvenz hingewiesen. Spätestens in diesem Zeitpunkt musste dem Kläger, selbst wenn man ihn als Verbraucher bzw Laien qualifiziert, klar sein, dass die Aktien nicht mehr den Kaufpreis wert waren und daher ein Erstschaden eingetreten war. Im Zusammenhang mit den weiteren, dem Kläger zur Verfügung stehenden Informationen aus der Aufsichtsratssitzung vom Juni 2003 ist das Berufungsgericht zu Recht zu einer Verjährung allfälliger Schadenersatzansprüche aus Verletzung von Aufklärungspflichten gekommen.
II. Zur relevanten Rechtslage nach dem KMG:
1. Die Stammfassung des KMG, die auf der Emissionsprospektrichtlinie 1989 beruhte und im Zeitpunkt des Erwerbes der ersten P*****-Aktien durch den Kläger im Dezember 2000 in Geltung stand, definierte das öffentliche Angebot als eine sich nicht an bestimmte Personen wendende, auf die Veräußerung von Wertpapieren oder Veranlagungen gerichtete Willenserklärung. Dem gleichgehalten wurde nach Abs 2 der genannten Bestimmung eine sich nicht an bestimmte Personen wendende Aufforderung, auf den Erwerb von Wertpapieren oder Veranlagungen gerichtete Angebote zu stellen. Die Gesetzesmaterialien (147 BlgNR 18. GP 18) nannten als Beispiele die Werbung in hauseigenen Publikationen des Emittenten bzw einer Bank oder in den Medien. Erfasst sei jede öffentliche Präsentation der Emission mit dem Ziel, Angebote zum Erwerb von Wertpapieren zu erhalten. Die Grenze der Öffentlichkeit sei dort zu ziehen, wo sich das Angebot nur an bestimmte Personen richte. Betreue beispielsweise eine Bank über ihre Abteilung für Vermögensberatung einen näher festgelegten Kundenkreis, so seien an diesen Kundenkreis gerichtete Angebote nicht öffentlich. Ein Informationsschreiben an alle Depotkunden einer Bank sei hingegen als öffentlich zu bezeichnen, weil es sich um einen stets wechselnden und daher unbestimmten Kundenkreis handle. Das Merkmal der Öffentlichkeit sei auch dann nicht beseitigt, wenn es sich zwar um einen gezielt ausgesuchten und mit Namen angesprochenen Empfängerkreis handle, der Anbieter aber keinen Einfluss auf die Zusammensetzung dieses Kreises habe. Sei das Angebot an bestimmte Kunden so gestaltet, dass mit einer Weiterleitung an eine unbestimmte Zahl von Personen zu rechnen sei, liege ebenfalls ein öffentliches Angebot vor.
2. Zur Zeit des Kaufs der zweiten Tranche der Aktien im Mai 2001 war § 1 Abs 1 Z 1 KMG dahin ergänzt worden, dass eine sich nicht an einen bestimmten Personenkreis richtende Willenserklärung jedenfalls dann vorlag, wenn der Anbieter die namentliche Identität jener Personen, an die sich das Angebot richtete, nicht vor Abgabe der Willenserklärung festgelegt hatte; eine Willenserklärung, die sich an mehr als 250 Personen richtete, galt als öffentlich, wenn der Anbieter nicht das Gegenteil bewies.
3. Nach dem in beiden Zeitpunkten gleichlautenden § 2 KMG durfte ein erstmaliges öffentliches Angebot im Inland nur erfolgen, wenn spätestens einen Werktag davor ein nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erstellter und kontrollierter Prospekt veröffentlicht wurde. Dem erstmaligen öffentlichen Angebot war jedes weitere öffentliche Angebot im Inland gleich zu halten, wenn davor kein nach diesen Bestimmungen erstellter oder kontrollierter Prospekt veröffentlicht wurde.
4. In § 3 KMG waren in beiden Zeitpunkten und sind auch nunmehr Ausnahmen von der Prospektpflicht geregelt, darunter auch solche in Bezug auf den angesprochenen Anlegerkreis, wie zB Angebote (nur) an berufliche oder (nunmehr) qualifizierte Anleger.
5. Für Verbrauchergeschäfte statuierte § 5 KMG ebenfalls jeweils gleichlautend ein Rücktrittsrecht. Erfolgte ein prospektpflichtiges Angebot ua ohne vorhergehende Veröffentlichung eines Prospekts, konnten Anleger, die Verbraucher im Sinne des KSchG waren, von ihrem Angebot oder vom Vertrag zurücktreten. Nach Abs 4 leg cit erlosch das Rücktrittsrecht mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem der Prospekt veröffentlicht wurde.
6. Um der Prospektpflicht nachzukommen, war nach § 7 KMG der Prospekt in deutscher (oder in der am 4. 5. 2001 gültigen Fassung in englischer) Sprache zu erstellen und hatte alle Angaben zu enthalten, die es den Anlegern ermöglichten, sich ein fundiertes Urteil über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten und dessen Entwicklungsaussichten und über die mit den Wertpapieren oder den Veranlagungen verbundenen Rechte zu bilden. Bei Emittenten, die spätestens zum Zeitpunkt des öffentlichen Angebots einen Antrag auf Zulassung der vom öffentlichen Angebot erfassten Wertpapiere zum amtlichen Handel an einer in einem anderen EWR-Staat als Österreich ansässigen Wertpapierbörse gestellt hatten, galt ein Prospekt, der in deutscher Sprache erstellt oder in sie übersetzt wurde und dessen Inhalt der Richtlinie 80/390/EWG unter Berücksichtigung der Besonderheiten öffentlicher Angebote entsprach, als ausreichend im Sinne des § 7 Abs 1 KMG. Waren Wertpapiere des Emittenten, der seinen Sitz in einem anderen EWR-Mitgliedstaat als Österreich hatte, Gegenstand des prospektpflichtigen Angebots und erfolgte dieses gleichzeitig oder annähernd gleichzeitig im Inland und in einem anderen EWR-Mitgliedstaat, galt ein Prospekt im Sinne des Abs 1 leg cit als ausreichend, der in deutscher Sprache erstellt oder in sie übersetzt war und von der zuständigen Stelle des Sitzstaates des Emittenten nach den nationalen Vorschriften, mit denen die Richtlinie 80/390/EWG umgesetzt wurde, gebilligt wurde, sofern dieser Staat eine den Prospektkontrollvorschriften des KMG im Wesentlichen gleiche Prospektkontrolle vorsah und in diesem Staat ein Zulassungsantrag der Wertpapiere zum amtlichen Handel gestellt wurde oder ein öffentliches Angebot erfolgt war. Die Bestätigung der zuständigen Stelle über die Billigung war der Meldestelle gemeinsam mit dem Prospekt so rechtzeitig zu übersenden, dass sie ihr spätestens am Tag der Veröffentlichung vorlagen. Meldestelle im Inland ist nach § 12 KMG unverändert die Oesterreichische Kontrollbank AG.
7. Neben diesem Rücktrittsrecht sah § 11 KMG eine Prospekthaftung gegenüber jedem Anleger ua seitens des Emittenten und des im eigenen oder fremden Namen die Vertragserklärung des Anlegers Entgegennehmenden oder des Vermittlers des Vertrags vor, sofern dieser gewerbsmäßig tätig wurde. Bei Wertpapieren oder Veranlagungen ausländischer Emittenten traf diese Haftpflicht auch denjenigen, der das prospektpflichtige Angebot im Inland gestellt hatte.
8. Letztlich normiert(e) § 15 KMG gerichtliche Strafbestimmungen ua in Zusammenhang mit dem Anbieten von Wertpapieren und Veranlagungen, ohne dass zeitgerecht ein kontrollierter Prospekt veröffentlicht wurde. Auch die gewerbsmäßige Vermittlung solcher Veranlagungen und Wertpapiere kann einen Verwaltungsstraftatbestand nach § 16 KMG erfüllen.
III. Zum Rücktrittsrecht:
Um ein Rücktrittsrecht nach § 5 KMG im vorliegenden Fall bejahen zu können, muss daher 1. ein Verbrauchergeschäft vorliegen, 2. ein die Prospektpflicht auslösendes öffentliches Angebot vorliegen, 3. diese Prospektpflicht verletzt sein und 4. ein Rücktrittsrecht konkret gegenüber der hier beklagten Bank bestehen.
1. Zur Beurteilung des Klägers als Konsumenten:
Der Kläger, obwohl früher selbständiger Unternehmer, war zum Zeitpunkt der hier relevanten Aktienkäufe Pensionist. Da er die Aktienkäufe nicht im Betrieb seines Unternehmens tätigte, handelte er als Verbraucher im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG. Daran ändert die Tatsache seiner langjährigen Tätigkeit im Aufsichtsrat der beklagten Partei nichts. Der Tatbestand des Verbrauchers im KSchG ist formal konzipiert. Die klare Anordnung des Gesetzgebers verbietet es, entgegen der vorgenommenen Typisierung auf allfällige Ungleichgewichtslagen im Einzelfall abzustellen (7 Ob 78/04b mwN).
2. Zum öffentlichen Angebot:
2.1. Weitere Voraussetzung für die Ausübung eines Rücktrittsrechts ist, dass ein die unterlassene Prospektveröffentlichungspflicht auslösendes öffentliches Angebot vorlag.
Die jeweiligen gesetzlichen Definitionen des öffentlichen Angebots in § 1 Abs 1 Z 1 KMG wurden bereits dargelegt.
Judikatur zu dieser Frage besteht - soweit ersichtlich - nicht.
2.2. In der Literatur finden sich folgende Stellungnahmen zum Begriff des „öffentlichen Angebots":
Gancz, Das „öffentliche Angebot" nach dem Kapitalmarktgesetz, ÖBA 1992, 264 vertritt die Auffassung, dass das Zusammenspiel einer qualitativen und quantitativen Begriffsdeterminante die Öffentlichkeit bestimme. Die Qualität der Adressaten bestimme die Quantität. Die quantitative Komponente der Öffentlichkeit sei im Vergleich zur Auslobung, dem Öffentlichkeitsbegriff im Strafrecht bzw im Urheberrecht zu gewinnen und nicht mit absoluten Zahlen bestimmbar, sondern hänge von den qualitativen Merkmalen des anlagesuchenden Publikums ab. Ein Personenkreis sei auch dann unbestimmt, wenn er nach gemeinsamen Merkmalen bestimmt sei. Als Beispiel nennt er bestimmte Einkommensklassen, die Mitgliedschaft in Vereinen oder Genossenschaften oder die Gesellschafterstellung (siehe auch Gancz, Rechtsinformationssystem Kapitalmarktgesetz, ÖBA 1992, 480). Bei nicht weiter individualisierten Adressaten sei bereits ab 10 Personen der Tatbestand der Öffentlichkeit gegeben.
Nach Brawenz, Prospektpflicht und Prospekthaftung nach dem neuen Kapitalmarktgesetz, ÖBA 1992, 189, 191 f, ist die Gestaltung des Angebots entscheidend. Es sei vom Ziel des KMG, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts zu erhalten, auszugehen. Entscheidend sei die Breitenwirkung bzw Ausrichtung auf ein Publikum, wobei die Art des beabsichtigten Vertriebs Indiz für die Öffentlichkeit sein könne. Es sei darauf abzustellen, ob eine Breitenwirkung erzielt werden solle oder zumindest möglich sei. Die Einschaltung einer auf Massenabschluss orientierten Vertriebsorganisation und entsprechende Akquisitionsaufträge an Finanzberater oder Vermittler würden dafür sprechen.
Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht VI Rz 1/17 zufolge wird bei dieser Definition der Öffentlichkeit der Zweck des Anlegerschutzes vernachlässigt. Die Öffentlichkeit sei unter Berücksichtigung beider Ziele ex ante zu beurteilen. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sei dann besonders gefährdet, wenn das Angebot eine erhebliche Breitenwirkung entfalte. Der Gedanke des Anlegerschutzes erfordere überdies eine Differenzierung nach dem Personenkreis, an den sich das Angebot richte. Die Prospektpflicht sei nur dann zu verneinen, wenn das Angebot inhaltlich auf Anleger zugeschnitten sei, die typischerweise kein Informationsbedürfnis hätten. Sei also der Kreis der Adressaten nach Kriterien bestimmt, die auf besondere, für das Anlagegeschäft relevante Eigenschaften abstellten, sei das Angebot inhaltlich nicht geeignet, an jedermann gerichtet zu werden und deshalb nicht öffentlich. In allen anderen Fällen, wenn das Publikum schlechthin angesprochen werde, sei es öffentlich und unterliege der Prospektpflicht.
Auch Gruber, Das neue Kapitalmarktrecht, wbl 1992, 2 ff ist der Meinung, dass das KMG mit dem Funktionsschutz des Kapitalmarkts und dem Individualschutz des Anlegers zwei Schutzziele verfolge. Angesichts dieser Zielsetzung könne die Prospektpflicht nicht allein Folge des öffentlichen Angebots sein, vielmehr determiniere die Funktion des Prospekts die Öffentlichkeit. Der Prospekt solle nach dem Willen des Gesetzgebers als Informationsinstrument auf den Plan treten, wenn andere Informationsmechanismen versagten, nicht vorhanden oder unpraktikabel seien. Öffentlich sei daher jedes Angebot, das der Information mittels eines Prospekts bedürfe (vgl auch Gruber, Gedanken zum öffentlichen Angebot im KMG, ÖBA 1994, 756, 760). Bei einem an eine bestimmte Person gerichteten Vertragsanbot erfolge die Information zwischen den Vertragsparteien in herkömmlichen Kanälen. Sobald dagegen ein öffentliches Angebot an einen unbestimmten bzw unbestimmbaren Adressatenkreis erfolge, scheiterten herkömmliche Informationsmodelle an ihrer Praktikabilität. Als Ausgleich dafür diene dem Gesetzgeber des KMG die Prospektpflicht. Entscheidend sei, wie ein objektiver Emittent mit dem konkreten Angebot verfahren würde. Der vom KMG bezweckte Individualschutz zwinge aber auch dazu, den Anleger einzubeziehen. Die Sichtweise des Prospektadressaten bzw seine Erwartungshaltung bestimme die Notwendigkeit der Information mittels Prospekts und damit die Öffentlichkeit des Angebots. Dabei werde die Sicht des Anlegers im Zweifel für die Öffentlichkeit eines Angebots sprechen (Gruber, ÖBA 1994, 762 f).
Nach Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht § 10 Rz 13, ist - wie dies nunmehr in der Definition des öffentlichen Angebots in § 1 Abs 1 Z 1 KMG idF BGBl 2005/78 ausdrücklich klargestellt ist - auch ein Angebot, das nicht direkt an Anleger, sondern zunächst an Finanzintermediäre (gewerblich tätige Anbieter) vorgenommen wird, dann als öffentlich anzusehen, wenn diese die Wertpapiere in einem weiteren Schritt an Anleger anbieten. Auch ein Angebot an etwa 50 Finanzintermediäre, die ihrerseits wieder jeweils 50 bis 90 Anleger ansprächen, sei ebenso als öffentliches Angebot anzusehen wie die direkte Ansprache der gleichen Zahl von Anlegern. In einem solchen Vertriebsfall sei der Begriff des öffentlichen Angebots danach zu messen, ob die endgültige Platzierung der Wertpapiere an die Anleger die Voraussetzungen der Öffentlichkeit erfülle.
2.3. Von einem öffentlichen Angebot im Sinne des KMG in den für diese Entscheidung relevanten Zeitpunkten wird grundsätzlich dann auszugehen sein, wenn es - direkt oder indirekt - an die Allgemeinheit erfolgte, also der intendierte Adressatenkreis prinzipiell unbeschränkt war bzw an einen nur nach gewissen abstrakten Kriterien beschränkten Kreis von Adressaten gerichtet wurde und allen Personen, die diese Kriterien erfüllten, Zugang gewährte bzw gewähren sollte. Lag dagegen ein Ausnahmefall nach § 3 KMG vor oder wurden die Adressaten namentlich bzw persönlich so ausgewählt, dass eine der Prospektinformation gleichwertige Anlegerinformation in jedem Einzelfall gewährleistet werden konnte, und wurde an andere Interessenten nicht verkauft, ist - vorbehaltlich der zu beachtenden gesetzlichen Sonderregelung betreffend ein Angebot an mehr als 250 Personen zur Zeit des Kaufs der zweiten Tranche - von einem öffentlichen Angebot nicht auszugehen.
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen erfolgte hier einerseits am 7. 11. 2000 eine Präsentation durch eine Investment Consulting-Gesellschaft. Es waren ca 50 - ausgewählte - Kunden eingeladen, von denen ca die Hälfte, darunter der Geschäftsleiter der beklagten Bank, teilnahmen. Andererseits lag der „Emissionsprospekt" bei „den Banken" auf, die die Aktien vertrieben, und wurde dem Kläger auch vor seinem ersten Kauf übergeben. Aus diesem Prospekt ergibt sich nicht, dass er sich nur an einen eingeschränkten Interessentenkreis gewendet hätte. Auch hatte die P***** einen Verkaufsprospekt gemäß dem deutschen Wertpapierverkaufsprospektgesetz erstellt und genehmigen lassen, was nur für Wertpapiere, die in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich angeboten werden, notwendig war.
Mögen die getroffenen Feststellungen auch eher für ein öffentliches Angebot sprechen, reichen sie doch nicht aus, um diese Frage abschließend beurteilen zu können. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren nähere Feststellungen dazu zu treffen haben, wie und durch wen die Emission bzw der Vertrieb der P*****-Aktien in Österreich konkret geplant war und tatsächlich durchgeführt wurde und an welche Anleger dabei herangetreten wurde bzw herangetreten werden sollte.
3. Zur Verletzung der Prospektpflicht:
Das KMG normiert nicht ausdrücklich, wer die Prospektpflicht zu erfüllen hat. Nach den Materialien (147 BlgNR 18. GP 18) zu § 2 KMG ist grundsätzlich Adressat der Regelungen über die Zulässigkeit des öffentlichen Angebots der Emittent. Ist er mit dem Anbieter nicht ident, hat auch der Anbieter sicherzustellen, dass die Vorschriften des KMG eingehalten werden; ist er hiezu nicht in der Lage, zB weil der Emittent keinen den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechenden Prospekt veröffentlicht, so hat der Anbieter das öffentliche Angebot zu unterlassen bzw zurückzunehmen (Koziol aaO Rz 1/10; Brawenz, ÖBA 1992, 195).
Nach der Aktenlage muss auf die Frage des Prospektpflichtigen aber nicht näher eingegangen werden. Insbesondere aufgrund des Vorbringens der Beklagten, eine Übermittlung eines Prospekts an die Oesterreichische Kontrollbank AG sei wegen der intendierten Privatplatzierung nicht notwendig gewesen, ist derzeit davon auszugehen, dass der Prospektpflicht - sollte sie im Hinblick auf ein zu bejahendes öffentliches Angebot ausgelöst worden sein - ohnehin nicht entsprochen wurde.
4. Zur Frage des Rücktrittsrechts gegenüber der hier beklagten Bank:
4.1. Zweck des Rücktrittsrechts nach § 5 KMG, das jenem nach § 3 KSchG nachgebildet wurde, ist der Schutz des Anlegers, der Verbraucher ist. Es dient der Absicherung der Erbringung der notwendigen Information für die Kaufentscheidung ihm gegenüber. Damit soll aber indirekt auch die Informations- und Prospektpflicht des Anbieters nach dem KMG gesichert werden (Kalss, Anlegerinteressen, 184; Weber, Das Kapitalmarktgesetz, 447; vgl auch Zivny, Kapitalmarktgesetz Kurzkommentar § 2 Rz 1 wonach die Prospektpflicht die zentrale Norm des KMG ist, die das Informationsungleichgewicht zwischen dem Emittenten und den Anlegern und sonstigen Marktteilnehmern ausgleichen und einen ausreichenden Informationsfluss sicherstellen soll).
Solange kein Prospekt veröffentlicht wurde, steht dem Verbraucher-Anleger das jederzeitige Rücktrittsrecht - und zwar unbefristet - zu (Zivny aaO § 5 KMG Rz 12; Weber aaO 447; Gruber, Das neue Kapitalmarktgesetz [Teil II] wbl 1992, 52).
4.2. § 5 Abs 1 KMG definiert den Kreis der möglichen Rücktrittsgegner des Anlegers nicht. In Abs 3 ist von einer Rückstellung der schriftlichen Vertragserklärung an den Veräußerer die Rede.
Nach Zib in Zib/Russ/Lorenz, Kapitalmarktgesetz, § 5 KMG Rz 7, ist primär an den Anbieter gedacht, der aber auch zugleich Emittent sein kann und selbst der Prospektveröffentlichungspflicht unterliegt. Daneben könne der Anleger aber auch zurücktreten, wenn er von einem anderen Veräußerer erworben habe, weil das Gesetz nicht auf Anbieter einschränke, sondern vielmehr auf den Veräußerer abstelle (vgl auch Rz 9 und 26).
Kalss/Lurger, Rücktrittsrechte, 118, verweisen darauf, dass Aktien im Regelfall von einem Kreditinstitut oder sonstigem Finanzdienstleister fest übernommen und sodann an den Anleger ausgegeben werden, sodass der Rücktritt nicht unmittelbar das Verhältnis Anleger - Emittent sondern das Geschäft zwischen dem Kreditinstitut und dem Folgeanleger betreffe. Zu betrachten sei nur das Rechtsgeschäft zwischen dem Kreditinstitut und dem Anleger, das den allgemeinen Regeln folge (vgl auch Kalss, Anlegerinteressen 189: Konzentration auf den Veräußerer als Belasteten des Rücktrittsrechts).
Weber, Kapitalmarktgesetz 1999, 447, geht davon aus, dass das Rücktrittsrecht (nur) gegenüber dem Erstanbieter besteht, wobei irrelevant ist, ob der Veräußerer Anleger oder Emittent, Unternehmer oder Nichtunternehmer ist.
Nach Zivny, Kapitalmarktgesetz Kurzkommentar § 5 Rz 3, kann das Rücktrittsrecht grundsätzlich nur hinsichtlich des Kaufvertrags ausgeübt werden. Er hält ein Rücktrittsrecht im Verhältnis Emittent zu Anleger im Hinblick auf das Verbot des Erwerbs eigener Aktien bzw der Einlagenrückgewähr für ebenso problematisch wie bei Mehrfachübertragung des Wertpapiers, das aufgrund eines öffentlichen Anbots aber ohne veröffentlichtes Prospekt ausgegeben wurde (vgl dazu insbesondere auch Kalss, Anlegerinteressen 186 f). In Zusammenhang mit dem Schriftlichkeitserfordernis des Rücktritts und seinem Zugang an den Adressaten führt er aus, dass es ausreicht einen entsprechenden Vermerk an den Veräußerer zu retournieren (Zivny aaO Rz 10 f).
4.3. Rücktrittsrechte zielen ganz allgemein - und so auch die Vorbildbestimmung des § 3 KSchG - darauf ab, das Rechtsgeschäft mit dem jeweiligen Vertragspartner zum Wegfallen zu bringen. Auch § 5 Abs 1 KMG regelt, dass der Verbraucher vom Vertrag (oder dem Angebot) zurücktreten kann und statuiert - obwohl die Bestimmung das Rücktrittsrecht mit der Verletzung der Prospektpflicht junktimiert - kein „Rücktrittsrecht sui generis" zB dem die Prospektpflicht verletzenden „Nichtvertragspartner" des Verbrauchers gegenüber. Im Fall der - üblichen - Fremdemission (vgl Koziol aaO Rz 1/4) kontrahiert aber der Konsument regelmäßig nicht mit dem Emittenten, also dem in erster Linie Prospektpflichtigen. Will man dem Gesetzgeber des KMG nicht unterstellen diese spezifische Situation übersehen zu haben, muss man annehmen, dass dem Verbraucher ein Rücktrittsrecht dem jeweiligen Vertragspartner gegenüber eingeräumt werden sollte, unabhängig davon, ob dieser selbst die Prospektpflicht verletzt hat oder nicht. Auch die Nennung des Veräußerers in § 5 Abs 3 KMG spricht für dieses Verständnis.
4.5. Es ist daher - in Übereinstimmung mit allgemeinen Prinzipien des bürgerlichen Rechts - davon auszugehen, dass der Verbraucher grundsätzlich seinem Vertragspartner gegenüber zurücktreten kann.
Im Rahmen welcher vertraglichen Gestaltung und in welcher vertraglichen Funktion die beklagte Partei im vorliegenden Einzelfall gegenüber dem Kläger tätig wurde, insbesondere ob als Kommissionär (vgl dazu Griss in Straube, HGB3 1. Band § 383 Rz 15 f) oder lediglich als Vermittler bzw Bevollmächtigter, in welchem Fall die Regelungen über die Bevollmächtigung und die Beauftragung (§§ 1002 ff ABGB) zur Anwendung kämen (vgl Koziol aaO Rz 1/54), haben die Vorinstanzen nicht festgestellt.
Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass die Beklagte beim Vertrieb der Aktien im eigenen Namen tätig wurde, wäre die Ausübung eines Rücktrittsrechts ihr gegenüber - mangels besonderer Bestimmungen darüber im KMG - mit der Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Geschäfts nach den allgemeinen Regeln des ABGB zu bejahen (vgl auch Kalss/Lurger, Rücktrittsrechte 16; Zib aaO § 5 KMG Rz 26).
Sollte sich dagegen herausstellen, dass die beklagte Bank als reiner Vermittler oder Vertreter fungierte, bestünde ihr gegenüber kein Kaufvertrag, von dem der Kläger nach § 5 KMG zurücktreten könnte (vgl auch Kalss, Anlegerinteressen, 188).
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
Textnummer
E92523European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00032.09H.1126.000Im RIS seit
26.12.2009Zuletzt aktualisiert am
10.12.2013