Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** W*****, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. (nunmehr) V***** AG, *****, 2. W***** GmbH & Co KG, *****, und 3. O***** A*****, sämtliche vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.556,37 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. August 2009, GZ 15 R 78/09i-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15. Jänner 2009, GZ 19 Cg 46/08m-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.174,83 EUR (darin 362,47 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 25. 6. 2007 ereignete sich in der Neubaugasse in Wien 7 ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin und der Drittbeklagte als Lenker eines von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten Linienbusses beteiligt waren.
Die Neubaugasse ist als Einbahn geregelt und weist zwei dem fließenden Verkehr gewidmete, durch eine Leitlinie getrennte Fahrstreifen auf. Die Klägerin fuhr in der Mitte des durch Bodenmarkierungen („BUS") und das Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs 1 Z 25 StVO („Fahrstreifen für Omnibusse") gekennzeichneten rechten Fahrstreifens (in der Folge: „Busspur"), der auch für die Benützung durch Radfahrer vorgesehen ist, mit einer Geschwindigkeit von ca 10 km/h. Der dahinter folgende Drittbeklagte hatte den Bus nach einem Haltestellenaufenthalt wegen eines behindernd geparkten Fahrzeugs aus der Busspur in den linken Fahrstreifen gelenkt. Angesichts der vor ihm befindlichen Klägerin setzte er nach Passieren des Hindernisses die Fahrt im linken Fahrstreifen fort, um die Klägerin zu überholen. Während des Überholvorgangs hielt er eine Geschwindigkeit von ca 30 km/h und einen Seitenabstand von etwa 1,3 m zum Fahrrad der Klägerin ein. Als sich der Bus auf gleicher Höhe befand, lenkte die Klägerin plötzlich nach links aus und es kam zur Kollision. Die Klägerin stürzte und zog sich diverse Verletzungen zu.
Die Klägerin begehrte den Ersatz ihres mit 28.556,37 EUR bezifferten Schadens sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 25. 6. 2007. Sie steht - soweit in dritter Instanz noch von Bedeutung - auf dem Standpunkt, der Drittbeklagte hätte nur die Busspur, nicht aber auch den linken Fahrstreifen benützen dürfen.
Die beklagten Parteien wandten (ua) ein, die Benützung des linken Fahrstreifens sei dem Drittbeklagten nicht verboten gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und erörterte rechtlich, der Drittbeklagte sei zum Zweck des Überholens der auf der Busspur fahrenden Klägerin zur Benützung des linken Fahrstreifens berechtigt gewesen. Dabei habe er eine den Regeln des § 15 StVO entsprechende Fahrweise, insbesondere einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum überholten Fahrzeug, eingehalten. Der Unfall sei allein auf den unzulässigen Fahrstreifenwechsel der Klägerin zurückzuführen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, das Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 25 StVO enthalte ein Verbot für bestimmte Fahrzeuge, nicht aber ein Gebot für die Lenker von Bussen des Kraftfahrlinienverkehrs. Der Drittbeklagte sei daher nicht verpflichtet gewesen, sich hinter dem mit etwa 10 km/h fahrenden Fahrrad der Klägerin wieder in die Busspur einzuordnen. Falls es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs für Omnibusse erfordere, könne der Lenker eines Fahrzeugs des Kraftfahrlinienverkehrs auch einen anderen Fahrstreifen benützen. Der Buslenker habe gemäß § 7 Abs 3a StVO den Fahrstreifen frei wählen können, sein Fahrmanöver stelle auch kein Überholen dar. Die Klägerin habe den Unfall infolge einer Verletzung des § 11 StVO allein verschuldet. Die Gefährdungshaftung nach den Bestimmungen des EKHG komme nicht zum Tragen.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil es zur strittigen Frage der Benützungspflicht von Busspuren einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
Die Klägerin beharrt weiterhin auf ihrem Rechtsstandpunkt, dass das Verkehrszeichen nach § 53 Abs 1 Z 25 StVO eine Benützungspflicht für die Lenker von Linienbussen zum Ausdruck bringe. Sie stützt sich dabei auf den Inhalt eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 3. 3. 1994, wonach die Einrichtung einer Busspur voraussetze, dass die Flüssigkeit oder Sicherheit des öffentlichen städtischen Nahverkehrs gefährdet sei. In dieser Aussage liege das implizite Gebot für die Lenker von Linienbussen, Busspuren auch tatsächlich zu benützen. Demnach hätte der Drittbeklagte den Linienbus nach dem Auslenken wegen des Hindernisses unverzüglich wieder in die Busspur zurücklenken müssen.
Hiezu wurde erwogen:
1. Straßen bzw Fahrstreifen für Omnibusse bedürfen einer Verordnung gemäß § 43 Abs 1 lit b Z 2 StVO. Ihre Kundmachung erfolgt nach § 44 Abs 1 StVO durch das Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs 1 Z 24 und Z 25 StVO. Das Hinweiszeichen „Fahrstreifen für Omnibusse" (§ 53 Abs 1 Z 25 StVO) zeigt einen den Fahrzeugen des Kraftfahrlinienverkehrs vorbehaltenen Fahrstreifen an, für dessen Benützung die Bestimmungen der Z 24 sinngemäß gelten. Gemäß § 53 Abs 1 Z 24 StVO zeigt das Zeichen „Straße für Omnibusse" eine Straße an, die nur von Fahrzeugen des Kraftfahrlinienverkehrs und bestimmten anderen näher bezeichneten oder auf einer Zusatztafel bzw im weißen Feld des Hinweiszeichens angegebenen Fahrzeugen benützt werden darf. Aus dem Wortlaut dieser gesetzlichen Bestimmungen ist eine Benützungspflicht für die Lenker von Linienbussen nicht ableitbar.
2. Eine Benützungspflicht ergibt sich aber aus dem Zusammenhang des erwähnten Hinweiszeichens mit den vorhandenen Bodenmarkierungen, wie der erkennende Senat auch schon wiederholt zum Ausdruck gebracht hat (8 Ob 71/87 = ZVR 1988/85; 2 Ob 270/02y = ZVR 2005/56; vgl auch VfGH 3. 3. 1994, B 1569/92, B 1251/93 [= ZVR 1995/18]; VwGH 12. 4. 1996, 94/02/0321; ebenso Pürstl, StVO § 9 Anm 14; Grundtner, StVO I 334/1). Gemäß § 9 Abs 5 StVO haben, wenn auf der Fahrbahn Bodenmarkierungen für das Einordnen bestimmter Fahrzeugarten angebracht sind (hier: Schriftzeichen „BUS" iSd § 20 BodenmarkierungsV), die Lenker der in Betracht kommenden Fahrzeugarten ihre Fahrzeuge nach diesen Bodenmarkierungen einzuordnen. Das Vorhandensein solcher Bodenmarkierungen schließt die freie Fahrstreifenwahl im Sinne des § 7 Abs 3a StVO aus.
3. Die Benützungspflicht gilt jedoch, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, nicht uneingeschränkt:
Der Verfassungsgerichtshof hat in dem bereits zitierten Erkenntnis vom 3. 3. 1994, B 1569/92, B 1251/93, die Gesetzmäßigkeit der Anordnung eines dem Kraftfahrlinienverkehr vorbehaltenen Fahrstreifens unter der Voraussetzung bejaht, dass die fahrplanmäßige Abwicklung des Kraftfahrlinienverkehrs wegen seiner ansonsten zu erwartenden Beeinträchtigung durch den allgemeinen Verkehr einen dem Linienverkehr vorbehaltenen Fahrstreifen notwendig macht.
Selbst die Klägerin räumt ein, dass der Lenker eines Linienbusses zur Umfahrung eines die Weiterfahrt in der Busspur beeinträchtigenden Hindernisses berechtigt sein muss, soll die mit deren Anordnung bezweckte Beschleunigung des Kraftfahrlinienverkehrs (vgl dazu auch Tippel, Busspuren und die StVO, ZVR 1993, 73 [74]), nicht gefährdet sein. Nichts anderes hat aber in dem Fall zu gelten, dass der Buslenker durch ein die Busspur (erlaubt oder unerlaubt) benützendes, besonders langsam fahrendes anderes Fahrzeug an der Einhaltung einer nach den Umständen angemessenen Geschwindigkeit gehindert wird.
Im vorliegenden Fall fuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad in der Mitte der Busspur mit einer Geschwindigkeit von ca 10 km/h. Es widerspräche dem auf die Beschleunigung des Kraftfahrlinienverkehrs ausgerichteten Zweck der Anordnung einer Busspur, würde man vom Drittbeklagten in einer derartigen Verkehrssituation verlangen, hinter der Klägerin herzufahren, ohne ein nach Maßgabe der §§ 15 f StVO mögliches Überholmanöver durchführen zu dürfen.
4. Zusammenfassend ist somit festzuhalten:
Den Lenker eines Linienbusses trifft grundsätzlich die Pflicht zur Benützung einer durch die Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 24 und 25 StVO sowie durch Bodenmarkierungen („BUS") gekennzeichneten Busspur. Diese Benützungspflicht gilt allerdings nicht uneingeschränkt; im Falle von Hindernissen auf der Busspur, die auch in besonders langsam fahrenden anderen Fahrzeugen bestehen können, ist die Benützung der übrigen Fahrstreifen zulässig.
Dem Rechtsmittel muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Ein Streitgenossenzuschlag gebührt lediglich im Ausmaß von 15 % (§ 15 RATG).
Textnummer
E93051European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00194.09G.1126.000Im RIS seit
26.12.2009Zuletzt aktualisiert am
29.10.2010