TE OGH 2009/11/26 12Os47/09t

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael R***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. August 2008, GZ 37 Hv 4/08b-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil und damit auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden - Urteil wurde Michael R***** der Vergehen des unbefugten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter (erg:) und achter Fall, Abs 2 SMG (I./), „des Verbrechens" des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (II./1./ und II./2./), der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (1./ und 2./) und der Vergehen der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB (3./) schuldig erkannt.

Danach hat er

„I./ in Salzburg von Frühjahr 2006 bis Sommer 2007 eine unbekannte Menge Kokain erworben und bis zum jeweiligen Eigenkonsum besessen sowie an Nenad M***** anlässlich gemeinsamer Konsumationen geringe Mengen Kokain weitergegeben;

II./ in Salzburg und Freilassing von Frühjahr 2006 bis Sommer 2007 gewerbsmäßig insgesamt ca 45 Gramm Heroin Reinsubstanz in einer (15-fach) großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG [erg:] aF) überlassen, und zwar

1./ vom November 2006 bis Mitte Jänner 2007 bei zahlreichen Übergaben zu je ca 15 Gramm brutto zumindest 100 Gramm Heroin brutto mit durchschnittlichem Reinheitsgehalt von 20 %, sohin mindestens 20 Gramm Reinsubstanz an Michael Ma*****;

2./ zwischen September 2006 und Juni 2007 ein Gramm Heroin brutto an

Andrea S*****;

sowie ferner

1./ Ende Februar bis Anfang März 2008 im Vorfeld der Verhandlungen vom 6. März 2008 in Ried (7 Hv 102/07y) und Salzburg (37 Hv 4/08b) zum Nachteil des Michael Ma*****" (erg: durch gefährliche Drohung) zumindest mit einer Körperverletzung, zu einer Handlung, nämlich zur Zurücknahme der bisherigen Angaben, nämlich der belastenden Angaben in dem gegen R***** anhängigen Strafverfahren wegen Einbruchsdiebstahl, zu nötigen versucht;

2./ am 6. März 2008 in Ried im Vorfeld der Verhandlung zu 7 Hv 102/07y" (erg: des Landesgerichts Ried im Innkreis) „Michael Ma***** durch die Äußerung, er solle sich sehr gut überlegen, was er bei den Verhandlungen sage, denn er, der Angeklagte, wolle keinesfalls in den Häf'n und falls doch, dann gebe es für Ma***** bzw S***** 'Stress' - gemeint in Form von Gewaltanwendung, mithin durch gefährliche Drohung mit jedenfalls einer Gewaltanwendung Michael Ma***** zu einer Handlung, nämlich zur Zurücknahme seiner bisherigen den Angeklagten belastenden Angaben in den gegen den Angeklagten anhängigen Strafverfahren wegen Einbruchsdiebstahl, zu nötigen versucht; 3./ durch die unter Punkt 1./ und 2./ geschilderten Tathandlungen versucht, den Michael Ma***** dazu zu bestimmen, vor dem Landesgericht Ried in der Hauptverhandlung am 6. März 2008 im Verfahren 7 Hv 102/07y und vor dem Landesgericht Salzburg in der noch bevorstehenden Hauptverhandlung im Verfahren 37 Hv 4/08b als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch auszusagen."

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 9 lit a, 10 und 10a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Zu den Schuldsprüchen 1./ und 2./ (wegen des Vergehens der Nötigung und der falschen Beweisaussage):

Im Ergebnis zutreffend vermisst der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) zureichende Feststellungen zum objektiven Bedeutungsgehalt der (im Übrigen im Spruch und in den Entscheidungsgründen unterschiedlich dargestellten) Drohungen des Angeklagten.

Zu Punkt 1 des Schuldspruchs konstatierte das Erstgericht, der Angeklagte habe zu Daniela S***** geäußert, Ma***** oder allenfalls S***** würden (für den Fall, dieser würde seine Aussage aufrecht erhalten) große Probleme bekommen, er kenne einige Leute, die das für ihn „besorgen" würden. S***** habe Ma***** in der Folge fernmündlich über den Besuch des Angeklagten und über dessen Aufforderung, Ma***** dazu zu bringen, die Aussagen gegen den Angeklagten im Strafverfahren vor dem Landesgericht Ried im Innkreis zurückzuziehen, andernfalls Ma***** „Probleme" bzw „Stress" bekommen würde, informiert. Schließlich stellten die Tatrichter fest, mit den Äußerungen, es werde Probleme bzw Stress geben, habe der Angeklagte die Anwendung von Gewalt gegen S***** bzw Ma***** gemeint, und es dabei zumindest ernstlich für möglich gehalten und in Kauf genommen, Ma***** begründete Besorgnis im Hinblick auf seine körperliche Integrität einzuflößen (US 8 f). Im Rahmen der Beweiswürdigung ist festgehalten, dass es nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liege, dass sich jemand durch die Worte, es würde „Probleme" bzw „Stress geben", in Furcht und Unruhe versetzt fühlt (US 12 f). Diese Annahmen enthalten bereits in objektiver Hinsicht keine verlässliche Klarstellung des Bedeutungsinhalts der getätigten Äußerung, sodass auch das Referat im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), der Angeklagte habe „zumindest mit einer Körperverletzung" gedroht, darin keine Deckung findet. Weil aber die Tatbeschreibung im Spruch nur ein Referat der in den Gründen vorzunehmenden Feststellungen ist, diese aber nicht ersetzt, erfolgte die Beurteilung des in den Gründen festgehaltenen Verhaltens mangels Feststellung einer für die Verwirklichung des Tatbildes der Nötigung erforderlichen Übelsandrohung (§ 74 Z 4 StGB) rechtsfehlerhaft (RIS-Justiz RS0114639 [insbesondere T5]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 580). Auch einen objektiven Erklärungswert der - abweichend vom Urteilsspruch - allein in Bezug auf den Schuldspruch 2 angenommenen Äußerung, Ma***** solle aufpassen, denn er habe Lebensgefährtin und Kind (US 8 dritter Absatz), stellt das Gericht überhaupt nicht fest, sondern führt lediglich im Spruch an, dass der Angeklagte mit einer Gewaltanwendung gedroht habe.

Aber selbst eine solche bloße Gewaltandrohung wäre nur dann ein Nötigungsmittel iS des § 105 Abs 1 StGB, wenn die vom Angeklagten angedrohten Einwirkungen nach den - im Urteil allerdings nicht festgestellten - Umständen des Einzelfalls über das Inaussichtstellen einer bloßen Misshandlung hinausgegangen wären und sachverhaltsbezogen auf die bevorstehende Zufügung einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung abgezielt hätten (vgl Jerabek in WK² § 74 Rz 29; Kienapfel/Schroll StudB BT I2 § 105 Rz 40 f und Rz 44 ff; Fabrizy, StGB9 § 74 Rz 12 a; Schwaighofer in WK² § 105 Rz 56 f).

Infolge mangelhafter Konstatierungen zum Bedeutungsgehalt der inkriminierten Äußerungen sind die Schuldsprüche 1./ und 2./ somit mit einem nichtigkeitsbegründenden Rechtsfehler mangels Feststellungen behaftet.

Zum Schuldspruch 3./:

Ebenfalls zutreffend vermisst die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen dahingehend, dass der Angeklagte Michael Ma***** zur Abgabe einer falschen Zeugenaussage zu bestimmen versucht habe. Das Gericht stellt - in Bezug auf das Strafverfahren AZ 7 Hv 102/07y des Landesgerichts Ried im Innkreis - lediglich fest, dass der Angeklagte den Zeugen Ma***** hiezu veranlassen wollte, von seinen ihn (den Angeklagten) belastenden Aussagen im Strafverfahren wegen des Verdachts des Einbruchsdiebstahls vor dem Landesgericht Ried im Innkreis Abstand zu nehmen bzw diese zurückzuziehen (US 8 f). In Bezug auf das vorliegende Strafverfahren gegen den Angeklagten lassen die Entscheidungsgründe - wie vom Beschwerdeführer ebenfalls zutreffend dargelegt - überhaupt jegliche Feststellung vermissen, dass R***** den Zeugen Ma***** auch im Zusammenhang mit diesem Strafverfahren zu einer falschen Zeugenaussage zu bestimmen versucht habe.

Ob der Angeklagte den Zeugen Ma***** in beiden Strafverfahren zu unrichtigen Zeugenaussagen bestimmen oder ihn bloß veranlassen wollte, von seinen allenfalls fälschlich belastenden Angaben abzugehen, lassen die getroffenen Konstatierungen somit nichtigkeitsbegründend ungeklärt. Die Anführung der verba legalia im Urteilsspruch („falsch") vermögen fehlende Feststellungen jedenfalls nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639, RS0098936).

Zu den Schuldsprüchen I./ und II./:

Voranzustellen ist, dass die Anführung einer Gesamtmenge von 45 Gramm Heroin Reinsubstanz und der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung im Obersatz des Urteilsspruchs II./ weder im weiteren Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) noch in den Entscheidungsgründen Entsprechung findet, im den Bezugspunkt der Urteilsanfechtung bildenden (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 4) Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO aber ohnedies unbeachtet blieb und dieser Umstand auch nicht bekämpft wurde.

Die mit Subsumtions- (Z 10) und Diversionsrüge (Z 10a) bekämpften Schuldsprüche II./1./ und II./2./ des Urteils leiden jedoch an nicht geltend gemachter, dem Angeklagten zum Nachteil gereichender und daher gemäß § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen aufzugreifender materieller Nichtigkeit:

Das Erstgericht stellte fest, dass der Angeklagte (zu II./1./) bei zahlreichen Suchtgiftübergaben jeweils meist zwei oder drei Gramm Heroin (offensichtlich Reinsubstanz; vgl die im Schuldspruch angegebene Menge von jeweils 15 Gramm Heroin brutto mit einem Reinheitsgehalt von 20 %), insgesamt ca 100 Gramm Heroin mit einer Reinsubstanz von durchschnittlich 20 % (sohin zumindest 20 Gramm reines Heroin) an Michael Ma***** und (zu II./2./) ein Gramm Heroin brutto (Feststellungen zum Reinheitsgehalt dieser Suchtgiftmenge enthält das Urteil nicht) an Andrea S***** überlassen hat (US 6 f), wobei er wusste, dass es sich bei Heroin und Kokain um verbotene Substanzen nach dem SMG handelt, deren Erwerb, Besitz, Konsum und Weitergabe untersagt sind (US 10). Diese Tathandlungen qualifizierte das Erstgericht - das die verhandelten Mengen ersichtlich zu einer Gesamtmenge addierte (US 2, 6) und so das Überlassen einer großen Menge iSd § 28 Abs 6 SMG aF (entspricht der „Grenzmenge" in § 28b SMG) festgestellt hat - als das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, ohne dass - worauf auch die Subumtionsrüge hinweist - eine bereits nach den Urteilsannahmen (US 5, 10) indizierte Gewöhnung des Angeklagten an Suchtmittel und demzufolge die Frage des Motivs für die Überlassung (§ 28a Abs 3 SMG) Berücksichtigung gefunden hätte.

Die Annahme eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a SMG hätte jedoch vorausgesetzt, dass Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, bei Heroin somit mehr als 3 Gramm Reinsubstanz (vgl Anhang 1 der Suchtgift-Grenzmengenverordnung BGBl II 1997/377 idF BGBl II 2009/174) bei zumindest einer der Tathandlungen - was hier jedoch nicht angenommenen worden ist (vgl US 2, 6) - oder (bei bestehendem Additionsvorsatz) als Gesamtmenge verhandelt wurde.

Eine solche, zur Annahme von Handlungseinheiten und damit zur Addition aller tatgegenständlichen Suchtgiftmengen führende fortlaufende Tatbestandsverwirklichung ist aber nur dann anzunehmen, wenn die betreffenden Einzelakte objektiv mit einer am einheitlichen Gefahrenbegriff orientierten Kontinuität gesetzt werden und wenn dabei auf der subjektiven Tatseite der zumindest bedingte Vorsatz des Täters jeweils auch den an die bewusst kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfasst. Die Zusammenrechnung der Einzelmengen aus einer Serie von Tathandlungen setzt somit voraus, dass der Vorsatz des Täters von vornherein auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war (RIS-Justiz RS0112225).

Das Fehlen derartiger Feststellungen zum Additionsvorsatz hindert eine abschließende rechtliche Beurteilung der Tathandlungen laut den Punkten II./1./ und 2./ des Urteilsspruchs, hätte der Angeklagte doch ansonsten - weil er bei den einzelnen Verkäufen nie mehr als drei Gramm reines Heroin verhandelt hat - lediglich das Vergehen nach § 27 Abs 1 achter Fall SMG zu verantworten.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass der Täter ein weiteres Verbrechen nach § 28a Abs 1 SMG verwirklicht, sobald er mehr als die zweifache Grenzmenge an Suchtgift in Verkehr setzt. Die auch nach der neuen Rechtslage weiterhin mögliche gedankliche Abtrennung erfolgt aber nicht - wie auf Basis des SMG aF - nach Erreichen der Grenzmenge, sondern ab Überschreiten derselben. Damit wird aber die bislang nach alter Rechtslage notwendige Berücksichtigung der sogenannten Restmenge nach gedanklicher Abtrennung einer (bisherigen) großen Menge (iSd § 28 Abs 6 SMG aF) hinfällig. Denn bis zum Überschreiten der nächsten Grenzmenge entspricht jedes über der Grenzmenge liegende Mehr an Suchtgift - ungeachtet des konkreten Ausmaßes der Überschreitung - der im § 28a Abs 1 SMG definierten Menge (RIS-Justiz RS0123911).

Im Hinblick auf die Kassation des Schuldspruchs II ist gemäß § 289 StPO auch im Betreff des Schuldspruchs I mit Urteilsaufhebung und Anordnung neuer Verhandlung und Entscheidung vorzugehen, weil dessen Zulässigkeit davon abhängt, ob dem Angeklagten im zweiten Rechtsgang neuerlich eine weitere, über § 27 Abs 1 und 2 SMG hinausgehende (vgl insoweit § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG) Straftat nach dem Suchtmittelgesetz zur Last fällt (RIS-Justiz RS0119278).

Das angefochtene Urteil war daher in seinem gesamten schuldig sprechenden Teil und demzufolge im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich daher.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Anmerkung

E9264312Os47.09t

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00047.09T.1126.000

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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