Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in der Strafsache gegen Abzuar O***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 154 Hv 153/09b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die zur Entscheidung über einen Zuständigkeitsstreit vorgelegten Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Vornahme der vom § 485 Abs 1 StPO verlangten Prüfung des Strafantrags zurückgestellt.
Text
Gründe:
Am 5. November 2009 brachte die Staatsanwaltschaft Wien beim Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Strafantrag unter anderem gegen Abzuar O***** ein (ON 55). Diesem Angeklagten wird zur Last gelegt, er habe
BB.B. im Zeitraum Jänner 2007 bis Sommer 2007 in Linz vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 180 Gramm Heroin (7,2 Gramm Heroinbase) der abgesondert verfolgten Sandra K***** überlassen, EE.C. im Juni 2009 in Aschbach insgesamt 7 Stück Subutex zu je 0,4 Gramm zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben und besessen;
GG. am 29. Juni 2009 in Wien Baki K***** und Ernas Ko*****, die im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter dem Devic J***** fünf Briefchen Kokain, somit fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern durch Einbruch wegnahmen, indem sie eine Tür aufbrachen, dadurch unterstützt, dass er sie in Kenntnis des Tatplans mit seinem Fahrzeug von Linz nach Wien zum Tatort führte.
Gegen Abzuar O***** war zu diesem Zeitpunkt beim Einzelrichter des Landesgerichts Linz zu AZ 33 Hv 22/09w ein weiteres Strafverfahren anhängig. Im Hinblick darauf trat der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 6. November 2009 das Verfahren an das Landesgericht Linz zur Einbeziehung in das dortige Verfahren ab.
Der Einzelrichter des Landesgerichts Linz erachtet sich wiederum als nicht zuständig, weil die dem Abzuar O***** im Verfahren AZ 154 Hv 153/09b des Landesgerichts für Strafsachen Wien angelasteten Taten zum Teil vor dem im Verfahren AZ 33 Hv 22/09w des Landesgerichts Linz angeklagten Straftaten begangen worden sein sollen. Überdies habe im Verfahren AZ 154 Hv 153/09b des Landesgerichts für Strafsachen Wien ausschließlich die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt, wobei im dortigen Gerichtssprengel Tathandlungen begangen worden sein sollen. Der Einzelrichter des Landesgerichts Linz übermittelte den Akt daraufhin dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt.
Rechtliche Beurteilung
§ 485 Abs 1 Z 1 StPO verweist den mit Strafantrag angerufenen Einzelrichter des Landesgerichts im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit auf eine beschlussmäßige Erledigung. In diesem Sinn rechtswirksam ausgesprochene Unzuständigkeit wird für den Fall weiterer Untätigkeit der Staatsanwaltschaft mit dem Verlust des Verfolgungsrechts verknüpft (§ 485 Abs 2 StPO).
Nicht anders als bei der Prüfung der Anklage im kollegialgerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der vom § 212 genannten Kriterien (vgl dazu 13 Ns 1/09i, EvBl 2009/91, 612), kommt es nach § 485 StPO demnach zu beschlussförmigen Aussprüchen über die Unzuständigkeit, die beim übergeordneten Gericht mit Beschwerde bekämpfbar sind. Dieses Rechtsmittel hat aufschiebende Wirkung (§§ 87 Abs 3, 485 Abs 1a StPO; vgl 13 Ns 44/09p).
Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es daher im Rahmen der vom § 485 StPO angeordneten Prüfung der Zuständigkeit nur mittelbar zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen. Teilt nämlich das Oberlandesgericht die mit Beschluss des Einzelrichters ausgesprochene Einschätzung der örtlichen Unzuständigkeit und hält es ein anderes Landesgericht seines Sprengels für örtlich zuständig, so überweist es die Sache dorthin. Hält es hingegen keines der in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte für örtlich zuständig, greift nach der Beschwerdeentscheidung allenfalls § 485 Abs 2 StPO. Zu einem von § 38 StPO erfassten Kompetenzkonflikt kommt es nachfolgend dann, wenn ein anderes Oberlandesgericht aufgrund einer Beschwerde gegen einen nach § 485 Abs 1 StPO gefassten Beschluss die örtliche Zuständigkeit aller in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte bezweifelt oder der Einzelrichter eines nachfolgend angerufenen, im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts gelegenen Landesgericht seine örtliche Unzuständigkeit sonst rechtswirksam ausspricht (vgl 13 Ns 44/09p; Ratz, WK-StPO § 468 Rz 10, § 476 Rz 5). Nach Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen, wenn der Einzelrichter zur Ansicht gelangt, örtlich nicht (mehr) zuständig zu sein (vgl SSt 61/14). In einem solchen Fall hat er nämlich, wie nach der bis 1. Jänner 2008 geltenden Rechtslage, die Hauptverhandlung abzubrechen und die Abtretung der Sache an das seiner Ansicht nach zuständige Landesgericht zu verfügen (vgl 13 Ns 44/09p).
Für die Entscheidung im vorgelegten Fall bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die von § 485 StPO vorgeschriebene Prüfung des Strafantrags bislang nicht vornahm. Er hat weder einen Beschluss im Sinn des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO gefasst, ausgefertigt und den zur Beschwerde berechtigten Parteien zugestellt (§ 86 StPO; vgl Bauer, WK-StPO § 450 Rz 5 f) noch die Hauptverhandlung angeordnet (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO).
Der Akt war daher dem Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien zurückzustellen.
Anmerkung
E9262812Ns82.09vEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120NS00082.09V.1126.000Zuletzt aktualisiert am
21.01.2010