Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB und weiterer strafbarerer Handlungen über die vom Angeklagten Julien G***** erhobene „Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe" sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Martin B*****, Jurij H*****, Angelina G***** und Julien G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 18. Februar 2009, GZ 39 Hv 188/08k-38, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Julien G***** gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Julien G***** wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen. Aus Anlass dieser Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Qualifikation nach § 126 Abs 1 Z 5 StGB zu A./1./ sowie in der Annahme, Angelina G***** habe durch die unter A./2./ bis A./4./ festgestellten Tatsachen die Vergehen und Martin B***** zu A./2./ sowie Jurij H***** zu A./3./ jeweils ein weiteres Vergehen der Sachbeschädigung begangen, demnach auch in dem die Angeklagten Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** betreffenden Strafausspruch und der darauf basierende, die Angeklagten H***** und G***** betreffende Beschluss gemäß §§ 50, 52 StGB auf Anordnung der Bewährungshilfe aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch verwiesen. Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer die Angeklagten Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** betreffenden Berufung auf die teilkassatorische Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die Beschwerde des Angeklagten Julien G***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieses Angeklagten werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet. Dem Angeklagten Julien G***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche enthaltenden und hinsichtlich der Schuldsprüche der Erst- bis Drittangeklagten in Rechtskraft erwachsenen Urteil wurden - abweichend von der wider sie erhobenen Anklage, soweit diese auf das Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB gerichtet war - der Erstangeklagte Martin B***** der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (A./1./), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (A./2./), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B./) und des Diebstahls nach § 127 StGB (C./1./), der Zweitangeklagte Jurij H***** der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (A./1./) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (A./3./), die Drittangeklagte Angelina G***** der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (A./1./) und des Diebstahls nach § 127 StGB (C./2./) sowie der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (A./2./ bis 4./) und der Viertangeklagte Julien G***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (D./) schuldig erkannt. Soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung, haben A./ fremde Sachen beschädigt
1./ Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in der Nacht auf den 9. August 2008 in Rankweil das Dienstfahrzeug der Polizeiinspektion Rankweil mit dem amtlichen Kennzeichen *****, sohin eine fremde Sache, die der öffentlichen Sicherheit dient, indem sie drei Glasflaschen mit Benzin füllten, als Lunte Stoffreste in die Flaschen steckten, sich gemeinsam zur Polizeiinspektion Rankweil begaben, wo Martin B***** eine Flasche entzündete und diese unter das genannte Dienstfahrzeug warf, wodurch Rußspuren am Fahrzeug entstanden;
2./ in der Nacht auf den 16. August 2008 in Mäder Martin B***** und Angelina G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter die Fassade eines S*****, indem sie zwei Glasflaschen mit Nitroverdünner bzw Terpentin füllten und ein Geschirrtuch als Lunte in den Flaschenhals steckten, das Tuch entzündeten und die Flaschen gegen die Fassade warfen, wodurch Brand- und Rauchspuren an der Fassade entstanden;
3./ in der Nacht auf den 16. August 2008 in Koblach Jurij H***** und Angelina G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter einen Holzstadel, indem sie Nitroverdünner bzw Terpentin auf Holzbalken und Wand schütteten und die Flüssigkeiten entzündeten, wodurch zwei Holzbalken beschädigt wurden;
4./ in der Nacht auf den 17. August 2008 in Götzis Angelina G***** einen Papiercontainer, indem sie ein Papier entzündete und dieses in den Container warf, wodurch Beschädigungen in dessen Einwurfbereich entstanden;
…
D./ Julien G***** am 21. September 2008 in Rankweil Manuel W***** am Körper verletzt, indem er ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch dieser eine Kieferprellung erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Julien G*****:
Dieser bekämpft den ihn betreffenden Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 5, 5a, 10 und 10a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht den bedingten Verletzungsvorsatz (US 13) in Form eines billigenden Inkaufnehmens der Verletzungsfolge aus der geständigen Verantwortung des Angeklagten und aus der Tathandlung selbst abgeleitet (US 15). Dem grundsätzlich zutreffenden Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall), der Angeklagte G***** habe zu keinem Zeitpunkt geäußert, ihm sei bewusst gewesen, dass man durch einen Faustschlag jemanden verletzen könne, gebricht es demnach schon deshalb an Relevanz, weil die Wissenskomponente des Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) in der Konstatierung „billigend in Kauf genommen" denknotwendig enthalten ist (RIS-Justiz RS0089250), die logisch und empirisch einwandfrei (allein) aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet wurde (US 15). Denn der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452). Ebenfalls keine entscheidende, also die Schuld- oder Subsumtionsfrage beeinflussende und nur solcherart erörterungsbedürftige Tatsache betreffen die vom Angeklagten behauptete, infolge vorangegangen Bruchs eines Mittelhandknochens bloß leichte Schlagführung (S 8 in ON 34) und das Vorliegen einer „Bagatellverletzung" in Form einer Kieferprellung, welche mit keiner Berufsunfähigkeit und auch mit keiner mehr als drei Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war.
Mit der Bezugnahme auf die Verantwortung des Angeklagten, er habe aufgrund eines zuvor erlittenen Mittelhandknochenbruchs nur leicht zuschlagen können, und die Angaben des Zeugen Manuel W***** über den Grad der Verletzungsfolgen (keine Arbeitsunfähigkeit, bloß leichte Schmerzen) vermag die Tatsachenrüge (Z 5a) keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.
Die eine Verurteilung nach § 83 Abs 2 StGB anstrebende Substumtionsrüge (Z 10) vernachlässigt einerseits den festgestellten Verletzungsvorsatz und vermag andererseits keine auf eine solche Beurteilung hinweisenden Beweisergebnisse aufzuzeigen. Sie verfehlt solcherart die gebotene Orientierung am Verfahrensrecht. Weshalb die Tat trotz der konstatierten Kieferprellung des Tatopfers (US 13 zweiter Absatz) im Versuchsstadium verblieben sein sollte (der Sache nach Z 11 zweiter Fall), legt die Beschwerde nicht dar. Die Diversionsrüge (Z 10a) führt zwar die ihrer Ansicht nach für die Annahme nicht als schwer zu beurteilender Schuld sprechenden Argumente ins Treffen und behauptet - im Verfahren gegen Jugendliche jedoch nicht von Relevanz (§ 7 Abs 1 JGG) - das Fehlen generalpräventiver Bedenken angesichts der nicht als einschlägig zu beurteilenden Vorverurteilung. Sie legt jedoch nicht begründet dar, aufgrund welcher konkreten Umstände die neuerliche Delinquenz trotz bedingter Verurteilung wegen Vermögensdelikten und aufrechter Probezeit sowie eines Vorgehens der Staatsanwaltschaft gemäß § 203 StPO (iVm § 7 Abs 1 Z 3 JGG) - auch wegen nicht auf gleicher schädlicher Neigung beruhender Taten (US 10, 17 f iVm S 11 in ON 37) - eine Bestrafung nicht geboten sein sollte, um den Angeklagten von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (vgl Schroll in WK2 § 198 Rz 38 f).
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Berufung wegen Schuld waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 296 Abs 2 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen wegen Strafe und die implizierte Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Aus Anlass dieser Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugt, dass der Schuldspruch A./1./ mit amtswegig aufzugreifender materieller Nichtigkeit behaftet ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Eine nach § 126 Abs 1 Z 5 StGB qualifizierte Sachbeschädigung ist - neben der Herbeiführung einer auch kurzfristigen Funktionsunfähigkeit (RIS-Justiz RS0093058) - erst dann anzunehmen, wenn sie jedenfalls geeignet ist, die Betriebssicherheit der der öffentlichen Sicherheit gewidmeten Sache abstrakt zu gefährden (RIS-Justiz RS0093455, RS0093498; Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II RN 20, Bertel in WK2 Rz 17 f, Fabrizy StGB9 Rz 5, jeweils zu § 126). Diese Voraussetzungen sind bei einer - wenngleich in ihrem Umfang und ihrer Intensität nicht festgestellten (US 10; vgl jedoch S 8, wonach nach einer Außenreinigung kein Sachschaden festgestellt werden konnte, sowie das Lichtbild Nr. 7, S 10, jeweils in ON 2) - durch einen bloß kurzfristig aufflammenden, mit Benzin getränkten Stoffrest verursachten Rußspur nicht anzunehmen, zumal eine solche die Funktionsfähigkeit und Betriebssicherheit eines Fahrzeugs zu beeinträchtigen nicht geeignet ist.
Trotz der dem verwendeten Tatmittel keinesfalls fehlenden Eignung, die genannte Qualifikation zu begründen, scheitert eine Beurteilung der Tat als Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 15, 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes der Z 11 zweiter Fall (RIS-Justiz RS0122137) bereits an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 10), der der Annahme der Qualifikation des § 126 Abs 1 Z 5 StGB grundsätzlich entgegensteht. Denn die Tatrichter haben lediglich angenommen, Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** hätten in der Nacht auf den 9. August 2008 Molotowcocktails gebastelt und geplant Polizeiautos zu beschädigen (US 10). Ihnen sei es bei allen zu A./ angeführten Taten darauf angekommen, fremde Sachen zu beschädigen (US 11). Die weiters essentielle Konstatierung, sie hätten mit dem Vorsatz gehandelt, durch ihr Verhalten die Betriebssicherheit des Polizeifahrzeugs abstrakt zu gefährden oder dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen, ist jedoch unterblieben (vgl RIS-Justiz RS0093502; Bertel in WK2 §126 Rz 17).
Ungeachtet dessen, dass bloß unerhebliche Einwirkungen auf eine Sache, die deren wirtschaftlichen Wert nicht oder nicht messbar beeinträchtigen, also zum einen minimale und unmaßgebliche Veränderungen der Sache, zum anderen Veränderungen, die ohne einen ins Gewicht fallenden Aufwand an Zeit und Kosten rückgängig gemacht werden können, dem Tatbestand der Sachbeschädigung nach § 125 StGB nicht unterfallen (Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 125 RN 35), haben die Angeklagten Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** nach den dargelegten Urteilsfeststellungen unabhängig vom Umfang der durch die Rußspur verursachten Beschädigung oder Verunstaltung den Tatbestand jedenfalls in der Entwicklungsstufe des Versuchs erfüllt. Der Einzelrichter des Landesgerichts wird daher im zweiten Rechtsgang zunächst die Voraussetzungen einer qualifizierten Tatbegehung nach §§ 15, 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB und danach das Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 13 StGB zu klären haben (vgl neuerlich RIS-Justiz RS0122137). Zu A./1./ war daher die Qualifikation nach § 126 Abs 1 Z 5 StGB aufzuheben. Das Schöffengericht nahm bei allen drei Angeklagten unter Missachtung des Zusammenrechnungsprinzips des § 29 StGB mehrere Vergehen der Sachbeschädigung an. Angesichts der Strafzumessungserwägungen im konkreten Fall hat sich dieser Fehler nicht nachteilig im Sinn des § 290 Abs 1 StPO ausgewirkt (RIS-Justiz RS0114927). Um dem Einzelrichter im zweiten Rechtsgang aber die Möglichkeit der Bildung einer Subsumtionseinheit zwischen der in der Nacht zum 9. August 2008 begangenen Sachbeschädigung - ungeachtet der möglichen Annahme der Qualifikation nach § 126 Abs 1 Z 5 StGB in der Begehungsform des Versuchs - und den übrigen ihnen zur Last liegenden Straftaten nach § 125 StGB zu ermöglichen, war das Urteil auch in der Annahme (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), Angelina G***** habe zu A./2./ bis 4./ weitere Vergehen der Sachbeschädigung und Martin B***** zu A./2./ sowie Jurij H***** zu A./3./ jeweils ein weiteres Vergehen der Sachbeschädigung begangen, aufzuheben (§ 289 StPO).
Daraus resultiert die Kassation der diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche und der Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe bei H***** und G*****.
Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer die Angeklagten Martin B*****, Jurij H***** und Angelina G***** betreffenden Berufung auf die teilkassatorische Entscheidung zu verweisen.
Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die Beschwerde des Angeklagten Julien G***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieses Angeklagten werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E9264412Os79.09yEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00079.09Y.1126.000Zuletzt aktualisiert am
21.01.2010