Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer in der Strafvollzugssache des Alexander B*****, AZ 27 BE 14/09d des Landesgerichts Innsbruck, im Zuständigkeitsstreit der Landesgerichte Innsbruck und St. Pölten gemäß § 38 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Strafvollzugsverfahren ist vom Landesgericht St. Pölten zu führen.
Text
Gründe:
Mit - seit 2. Juli 2009 rechtskräftigem - Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 2. Juni 2009, GZ 27 BE 14/09d-6, wurde Alexander B***** unter Setzung dreijähriger Probezeit, Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen aus einer mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 27. März 2009, AZ 23 Hv 33/09y, über ihn verhängten achtmonatigen Freiheitsstrafe mit 3. August 2009 bedingt entlassen.
Zufolge anschließenden Vollzugs von Verwaltungsstrafen erfolgte die Entlassung aus der Justizanstalt Innsbruck de facto am 26. August 2009.
Bereits zuvor hatte der Strafgefangene erklärt, nach seiner Entlassung an seinen früheren Wohnsitz in St. Pölten zurückzukehren, war unmittelbar nach der Entlassung in Melk und ab 10. September 2009 in St. Pölten wohnhaft und trat am 15. September 2009 eine stationäre Behandlung im Landesklinikum Mauer-Öhling (NÖ) an, die nach wie vor andauert (vgl ON 11 S 2, ON 12).
Das Landesgericht St. Pölten lehnte die Übernahme des am 12. August 2009 vom Landesgericht Innsbruck überwiesenen Strafvollzugsverfahrens (§ 179 StVG) am 25. August 2009 unter Hinweis darauf ab, dass der Entlassene nach einer aktuellen Auskunft aus dem Zentralmelderegister bis dahin keinen Wohnsitz im Sprengel des Landesgerichts St. Pölten begründet habe und eine nachträgliche Wohnsitzänderung keinen Übergang der Zuständigkeit nach § 179 StVG bewirken würde.
Das Landesgericht Innsbruck veranlasste am 2. Oktober 2009 im Wege des Oberlandesgerichts Innsbruck die Vorlage des Aktes an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt.
Rechtliche Beurteilung
Maßgeblich für den Übergang der Zuständigkeit iSd § 179 Abs 1 StVG ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über die bedingte Entlassung und die damit zusammenhängenden Anordnungen, wogegen ein späterer Wohnsitzwechsel die Zuständigkeit nicht mehr berührt und nur gemäß § 17 Abs 3 StVG iVm § 39 StPO berücksichtigt werden kann.
Weil aber § 179 StVG sich nicht auf die - in der Praxis regelmäßig vorkommenden - Fälle bezieht, dass der Beschluss zu einem Zeitpunkt rechtskräftig wird, zu dem der Strafgefangene sich noch in Haft befindet (und damit seinen „gewöhnlichen Aufenthalt" jedenfalls im Sprengel des Vollzugsgerichts hat), damit gemessen am Zweck der Bestimmung (nämlich der Wiederherstellung der räumlichen Nähe zwischen Vollzugsgericht und Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt des bedingt Entlassenen) unvollständig ist und seine Ergänzung nicht einer vom Gesetz selbst gewollten Beschränkung widerspricht, liegt insoweit eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die durch analoge Heranziehung der Bestimmung auch auf die nicht von ihrem Wortlaut umfassten Fälle des tatsächlichen Wechsels des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts des bedingt Entlassenen unmittelbar nach - tatsächlich - erfolgter Entlassung bei bereits vorliegender Rechtskraft der Entscheidung über die bedingte Entlassung und die damit zusammenhängenden Anordnungen, zu schließen ist (vgl zum Ganzen 15 Ns 46/06t).
Alexander B***** hat nach der Aktenlage unmittelbar nach seiner (wenn auch aufgrund anschließenden Vollzugs von Verwaltungsstrafen verzögerten) bedingten Entlassung am 26. August 2009 im Sprengel des - nicht im selben Bundesland wie das Vollzugsgericht liegenden - Landesgericht St. Pölten Wohnsitz genommen, womit die Zuständigkeit an dieses übergangen ist.
Textnummer
E92656European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0140NS00060.09Y.1215.000Im RIS seit
14.01.2010Zuletzt aktualisiert am
12.08.2011