TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/20 2000/08/0090

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2000
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §46;
AlVG 1977 §6 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 25. Jänner 2000, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1999-1451, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Mai 1999 den Antrag auf Gewährung (weitere Inanspruchnahme) des Arbeitslosengeldes. Nach dem Inhalt eines offensichtlich anlässlich der Antragstellung aufgenommenen Aktenvermerkes verfügte er damals über "kein Visum und keine Arbeitspapiere". Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juni 1999 mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer stehe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, weil er keine gültige Aufenthaltsbewilligung habe.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin machte er geltend, dass er am 29. November 1991 nach der damaligen Gesetzeslage die Verlängerung des Sichtvermerkes beantragt habe. Da über diesen Antrag nicht entschieden worden sei, habe er am 4. Mai 1998 einen Antrag auf Devolution beim Bundesminister für Inneres gestellt. Gemäß § 31 Abs. 4 FrG halte er sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil er den Verlängerungsantrag rechtzeitig eingebracht habe. Er sei bereits aufenthaltsverfestigt, weil er sich seit 1974 rechtmäßig in Österreich aufhalte.

Der belangten Behörde wurde im Berufungsverfahren vom Bundesministerium für Inneres mitgeteilt, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 15. Juni 1999 eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 7 Abs. 3 FrG 1997 für den Aufenthaltszweck "jeglicher Aufenthaltszweck" unbefristet erteilt worden sei. In der Begründung dieses Bescheides des Bundesministers für Inneres ist zu lesen, der Beschwerdeführer habe am 3. Dezember 1991 einen Antrag auf Verlängerung des Sichtvermerkes eingebracht. Der ihm zuletzt erteilte Sichtvermerk habe eine Gültigkeit bis 31. Jänner 1991 gehabt. Dem Antrag habe der Beschwerdeführer seinen zuletzt gültigen jugoslawischen Reisepass beigelegt. Eine Bearbeitung dieses Antrages lasse sich nicht mehr verifizieren, weil der Antrag offensichtlich irrtümlich im Zuge der kanzleitechnischen Aktenmanipulation skartiert worden sei.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 1999 hob die belangte Behörde die von der regionalen Geschäftsstelle des AMS ausgesprochene Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers vom 26. Mai 1999 auf.

Im zweiten Rechtsgang gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice dem Antrag mit Bescheid vom 12. November 1999 mangels Erfüllung der Anwartschaft keine Folge. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, der Beschwerdeführer könne in der gesetzlichen Rahmenfrist keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. anwartschaftsbegründende Zeiten nachweisen.

In der Berufung vom 24. November 1999 führte der Beschwerdeführer aus, er habe zuletzt im Jahr 1991 Arbeitslosengeld bezogen. Anschließend sei er wiederum beschäftigt gewesen und habe dadurch neue Anwartschaftszeiten erworben. Zuletzt sei er bis Ende Jänner 1993 beschäftigt gewesen.

Am 3. Dezember 1991 habe er den Antrag auf Verlängerung seines damaligen Sichtvermerkes gestellt. Dieser Antrag sei in der Folge nicht weiter bearbeitet worden. Dadurch seien ihm die Hände gebunden gewesen und habe er keine weiteren Schritte mehr unternehmen können. Die Folge sei gewesen, dass er nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes keine neue Beschäftigung mehr habe aufnehmen können, weil er kein Aufenthaltsrecht gehabt habe. Bei der Antragstellung auf Verlängerung des Sichtvermerkes habe er auch seinen Reisepass abgegeben. Ein Versuch, bei den zuständigen jugoslawischen Behörden in Österreich sich ein neues Reisedokument zu beschaffen, habe fehlgeschlagen. Erst über seinen Devolutionsantrag habe ihm der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 15. Juni 1999 eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck und zwar unbefristet erteilt. Durch die Versäumnisse der Aufenthaltsbehörde sei ihm jede Möglichkeit genommen worden, Arbeitslosengeld zu beantragen bzw. eine neuerliche Beschäftigungsbewilligung zu erhalten.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung zitierte die belangte Behörde die ihrer Meinung nach in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen und stellte das Verwaltungsgeschehen dar. Anschließend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe am 26. Mai 1999 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gestellt. Auf Grund seiner Angaben und der vorhandenen Unterlagen habe das Arbeitsmarktservice innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. anwartschaftsbegründende Zeiten feststellen können. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung auch nichts Gegenteiliges vorgebracht. Er habe lediglich geltend gemacht, dass er auf Grund eines Versäumnisses der zuständigen Behörde kein gültiges Aufenthaltsrecht erhalten hätte und daher keine Arbeit habe annehmen können und so auch keine Anwartschaftszeiten habe erwerben können. Diese Argumentation gehe allerdings ins Leere. Die bloße Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer, wenn er im Besitz einer gültigen Aufenthaltsberechtigung gewesen wäre, hätte Zeiten erwerben können, reiche für die Erfüllung der Anwartschaft nicht aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Gewährung des Arbeitslosengeldes verletzt. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes macht er unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1999, B 1045/98, geltend, bei Beachtung der Rahmenfristen des § 14 AlVG seien jene Zeiträume außer Betracht zu lassen, in denen ihre Erfüllung durch das aufgezeigte rechtswidrige Verhalten staatlicher Behörden, hier der Aufenthaltsbehörde, unmöglich gemacht worden sei.

Dem gegenüber hält die belangte Behörde in der Gegenschrift ihre im Bescheid vertretene Auffassung aufrecht. Weiters macht sie geltend, der Beschwerdeführer hätte die Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung durch Einbringung eines Devolutionsantrages schon wesentlich früher erreichen können. Darüber hinaus sei dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung vom 10. Juli 1992 bis 9. Juli 1993 erteilt worden, weil damals das Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels keine explizite Voraussetzung gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei also nicht gehindert gewesen, ausreichende Beschäftigungszeiten für eine neue Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld zu erwerben. Schließlich wäre für einen Arbeitslosengeldanspruch auf anwartschaftsbegründende Zeiten zurückzugreifen, die schon für einen früheren Leistungsanspruch konsumiert worden seien.

Zunächst ist klarzustellen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und in der Beschwerde nicht darauf abzielt, dass die Zeiträume, in denen er am Erwerb von Anwartschaftszeiten verhindert worden war, als Erfüllung der Anwartschaft anzusehen seien. Vielmehr vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung - so auch bereits im Verwaltungsverfahren -, dass diese Zeiträume in die Rahmenfrist nicht einzurechnen seien.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten bezog der Beschwerdeführer bis zur Erschöpfung des Anspruches am 31. August 1991 Arbeitslosengeld. Bei der Antragstellung am 26. Mai 1999 handelte es sich daher um eine weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes im Sinne des § 14 Abs. 2 AlVG. Die Anwartschaft ist hiebei nur dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Rahmenfrist erstreckt sich daher vom 26. Mai 1999 bis 26. Mai 1998. Dass der Beschwerdeführer innerhalb dieser Frist keine Anwartschaftszeiten erworben hat, ist unstrittig. Ebenso steht außer Streit, dass die in § 15 AlVG genannten Gründe für die Erstreckung dieser Rahmenfrist nicht vorliegen. Fraglich ist daher zunächst, ob die Rahmenfrist auch aus dem hier geltend gemachten Grund erstreckt werden kann. Dies kann im Beschwerdefall allerdings dahingestellt bleiben.

Der Beschwerdeführer hat nämlich nach dem von ihm vorgelegten Versicherungsdatenauszug, der sich auch im Verwaltungsakt findet, im Jahr 1991 und zwar nach dem 31. August Anwartschaften an drei Tagen erworben (29., 30. Oktober und 22. November), im Jahr 1992 am 27. April, 9. Mai, vom 15. Juli bis 18. August sowie vom 29. September bis 31. Dezember, im Jahr 1993 vom 1. Jänner bis 1. Februar und im Jahr 1994 am 15. Februar. Damit hätte der Beschwerdeführer die erforderliche Beschäftigungszeit von 182 Tagen allerdings nicht erreicht. Die Anwartschaft für die Gewährung des Arbeitslosengeldes läge daher auch im Fall der vom Beschwerdeführer gewünschten erstreckten Rahmenfrist nicht vor.

Der Beschwerdeführer strebte jedoch mit seinem Antrag vom 26. Mai 1999 eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung an. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Antrag vom 26. Mai 1999 die begehrte Leistung durch Ankreuzen des Arbeitslosengeldes ausdrücklich bezeichnet hat, enthob die Behörde aber nicht von der Prüfung, ob bei der gegebenen Sachlage im Falle des Nichtbestehens eines Anspruches auf Arbeitslosengeld die Voraussetzungen einer anderen der in § 6 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Leistungen erfüllt sind. Im Falle des beschäftigungslosen Beschwerdeführers wäre naheliegenderweise der Anspruch auf Notstandshilfe zu prüfen gewesen. Der Beschwerdeführer hat nach der Aktenlage bis 31. August 1991 Arbeitslosengeld bezogen und diesen Anspruch erschöpft. Der hier gegenständliche Antrag vom 26. Mai 1999 liegt außerhalb der Frist des § 33 Abs. 4 AlVG. Diese Frist dauerte vom 1. September 1991 bis zum 31. August 1994. Der Anspruch auf Notstandshilfe setzte in diesem Zeitraum u.a. gemäß § 33 Abs. 2 lit. a AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 609/1977 die österreichische Staatsbürgerschaft oder gemäß § 34 Abs. 3 und 4 AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 416/1992 (in Kraft ab 1. Juli 1992) eine gänzliche oder teilweise Gleichstellung mit diesen voraus. Diese Bestimmungen wurden mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, G 363/97 u.a. (kundgemacht mit dem am 1. April 1998 ausgegebenen BGBl. I Nr. 54/1998) aufgehoben. Der Gerichtshof sprach aus, die aufgehobenen Bestimmungen seien nicht mehr anzuwenden. Daran anknüpfend hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. Juni 1999, 99/08/0013, ausgesprochen, die Zeit nach der Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld, während der der Arbeitslose nur durch die verfassungswidrige Rechtslage daran gehindert war, sich mit Aussicht auf Erfolg um die Notstandshilfe zu bewerben, sei in die Frist des § 33 Abs. 4 AlVG nicht einzurechnen. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Da die belangte Behörde ausgehend von ihrer Rechtsauffassung diesen Anspruch nicht prüfte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000080090.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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