Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z***** T*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Maria Paumgartner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. G***** H*****, 2. S***** H*****, 3. G***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 22.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. Juni 2009, GZ 1 R 191/08a-63, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 13. August 2008, GZ 3 Cg 221/05i-59, infolge Berufung der klagenden Partei teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.448,27 EUR (darin 241,38 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die damals 17-jährige Schwester des Klägers wurde als Fußgängerin, als sie auf Höhe einer Bushaltestelle, in deren Nähe sich kein Bus befand, die Fahrbahn überqueren wollte, von einem vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW erfasst und getötet. Es herrschte Dunkelheit, auf der Freilandstraße war keine von § 20 Abs 2 StVO abweichende Höchstgeschwindigkeit (100 km/h) verordnet. Der Erstbeklagte hielt eine Ausgangsgeschwindigkeit von 95 km/h ein und hatte das Abblendlicht eingeschaltet. Bei Fahren auf Sicht hätte er nur mit etwa 60 km/h fahren dürfen, weil bei dieser Geschwindigkeit sowohl die Sichtweite im Abblendlicht als auch der Anhalteweg 35 m betragen hätte.
Die Vorinstanzen qualifizierten das Verschulden des Erstbeklagten als (noch) nicht grob fahrlässig und wiesen deshalb das - auch die dem Kläger abgetretenen Ansprüche eines weiteren Bruders des Opfers umfassende - Klagebegehren ab, soweit es auf Trauerschmerzengeld gerichtet war (RIS-Justiz RS0115189).
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage, inwieweit die bloße Überschreitung der relativ zulässigen Höchstgeschwindigkeit allein grobe Fahrlässigkeit zu begründen vermöge, uneinheitliche bzw zumindest nicht eindeutige oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
Ob jemandem leichte oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, ist nach den konkreten Umständen des Falls zu beurteilen und bildet daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RIS-Justiz RS0087606 [T8];
RS0030309). Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu:
Das Berufungsgericht hat sich sorgfältig und eingehend mit der einschlägigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt. Es hat insbesondere auf jene Judikatur verwiesen, wonach die bloße Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (ohne Hinzutreten weiterer Umstände) in der Regel keine grobe Fahrlässigkeit begründet (RIS-Justiz RS0080484 [T3]) und wonach die Überschreitung der (absolut oder relativ) überhöhten Geschwindigkeit nur beim Hinzutreten weiterer Umstände (etwa die Unaufmerksamkeit des Lenkers) als grob fahrlässig beurteilt wurde (RIS-Justiz RS0030417). Seine Rechtsansicht, das verkehrswidrige Verhalten des Erstbeklagten sei zwar an der Grenze zur groben Fahrlässigkeit angesiedelt, hebe sich aber angesichts des Fehlens weiterer gefahrenerhöhender Umstände noch nicht derart auffallend und ungewöhnlich aus den sonstigen alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen im Straßenverkehr heraus, dass der objektiv schwere Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen wäre, hält sich im Rahmen dieser Judikatur. Das Berufungsgericht hat ferner aus jener Rechtsprechung, wonach ein Kraftfahrer selbst im Falle eines in einer Bushaltestelle haltenden Omnibusses regelmäßig nicht verpflichtet ist, seine Fahrweise darauf einzustellen, dass (hinter dem Bus) Fußgänger unachtsam und ohne Rücksicht auf den Fahrzeugverkehr die Fahrbahn zu überqueren suchen (RIS-Justiz RS0073766), vertretbar gefolgert, dass dies umso eher gelten müsse, wenn in der Haltestelle gar kein Bus vorhanden sei. Auch die Revision zeigt keine (sonstigen) erheblichen Rechtsfragen auf:
Mit dem Hinweis auf eine allenfalls abweichende Rechtsprechung in Deutschland vermag der Revisionswerber eine nur anhand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu messende krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts nicht aufzuzeigen. Die Entscheidung 9 ObA 24/07f ist mit dem vorliegenden Fall nicht hinreichend vergleichbar, weil es dort regnete, die Fahrbahn nass war und bis 8 mm tiefe Spurrillen aufwies. Die Entscheidung 11 Os 52/67 = ZVR 1968/119 trifft keine Aussage dazu, ob dem Lenker grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
Anmerkung
E931562Ob201.09mEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00201.09M.1218.000Zuletzt aktualisiert am
08.03.2010