Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Sandra H***** und Johann Z***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. Mai 2009, GZ 081 Hv 16/08b-186, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche enthält - wurden Sandra H***** und Johann Z***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB, Johann Z***** iVm § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Danach haben in Wien und anderen Orten Österreichs
A. Sandra H***** von Dezember 2001 bis Anfang November 2005 die ihr in ihrer Eigenschaft als für „order entry" zuständige Angestellte der C***** GesmbH und ab dem 4. November 2002 der Gesamtrechtsnachfolgerin H***** GesmbH sowie ab dem Frühjahr 2004 in ihrer Eigenschaft als CRO-Managerin der H***** GesmbH durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und den genannten Gesellschaften einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil, nämlich einen solchen in Höhe von insgesamt zumindest 7,6 Mio Euro zugefügt, und zwar dadurch, dass sie namens der genannten Gesellschaften bei Vertragspartnern Hardwareprodukte zu ihrer Verfügung bestellte und die Bezahlung dieser Produkte durch Einbuchung von Gutschriften im „roten" Buchungssystem veranlasste;
B. Johann Z***** von Anfang 2005 bis Anfang November 2005 Sandra H***** zur Ausführung eines Teils der vorgenannten Taten bestimmt, wobei der von ihm zu vertretende Schaden zumindest 1,593 Mio Euro beträgt.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die der Erstangeklagten Sandra H***** aus Z 5 und Z 11, jene des Zweitangeklagten Johann Z***** aus Z 5 und 9 (lit) a des § 281 Abs 1 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Allgemein sei zur Anfechtung eines Urteils mit Mängel- und Tatsachenrüge vorausgeschickt:
§ 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichtet das Gericht, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen wurden und aus welchen Gründen dies geschah. Das erkennende Gericht ist jedoch nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit die einzelnen Beweismittel für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen. Auf alle denkbaren Einwände eines Rechtsmittels im vorhinein einzugehen, ist faktisch unmöglich und kann daher nicht postuliert werden.
Die mit Nichtigkeitssanktion bewehrte Begründungspflicht besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen, also solche, die entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (§§ 260, 270 Abs 2 Z 4, 5, 281 Abs 1 Z 5 StPO).
Davon sind die erheblichen Tatumstände zu unterscheiden. Das sind Verfahrensergebnisse, welche die Eignung haben, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich jener entscheidenden Tatsachen erblickt (vgl 12 Os 38/04 mwN; 12 Os 129/05w uva).
Eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Urteilsbegründung ist dann gegeben, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat.
Die fehlende Erörterung solcher Verfahrensergebnisse macht die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft. Es wird allerdings nicht in die Bewertung der vom Erstgericht berücksichtigten Verfahrensergebnisse, also des herangezogenen Beweismaterials als Bezugspunkt von Beweiswürdigung, eingegriffen, sondern in die Auswahl des für diese Bewertung heranzuziehenden Prozessstoffs (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421 mit Judikaturnachweisen).
Offenbar unzureichend ist eine Begründung, welche den Regeln folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen über Kausalverläufe widerspricht, wenn also die getroffenen Feststellungen im Vergleich zu ihrer Begründung als willkürlich zu werten sind. Die Auswahl unter mehreren logisch und empirisch zulässigen Schlüssen bleibt den unter dem Eindruck der mündlichen und in der Regel unmittelbaren Beweisaufnahme stehenden Tatrichtern vorbehalten, dem Obersten Gerichtshof steht nur die Festlegung der Grenzen des in diesem Zusammenhang Vertretbaren zu. Die Strafprozessordnung sieht im kollegialgerichtlichen Verfahren bewusst nur eine Tatsacheninstanz vor. Einem Höchstgericht eigenes Beweiswürdigungsermessen einzuräumen, hieße nämlich, dessen in vereinheitlichender Rechtskrontrolle bestehende Funktion zu missachten. Werden den Urteilsannahmen des ungeachtet bloß eigene Auffassungen und Erwägungen des Beschwerdeführers gegenübergestellt, wird unzulässig das Beweiswürdigungsermessen des Schöffengerichts angegriffen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444, 450 f mit Judikaturnachweisen). Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur vor, wenn im Urteil der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467 mwN), nicht aber, wenn Feststellungen des erkennenden Gerichts (als Ergebnis des Prozesses der Würdigung sämtlicher Verfahrensprodukte) im behaupteten Widerspruch zu einzelnen, isoliert herausgegriffenen Beweisinhalten stehen.
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Erstangeklagten Sandra H*****:
Die Mängelrüge (Z 5) erblickt einen Widerspruch zwischen Urteilsspruch und -gründen hinsichtlich der Schadenshöhe, weil „anscheinend der Schaden in doppelter Höhe berechnet" worden sei. Fallbezogen wird dadurch - was die Beschwerde selbst einräumt - keine entscheidende Tatsache (vgl oben) berührt, wodurch der Einwand im Nichtigkeitsverfahren auf sich beruhen kann.
Die Strafzumessungsrüge (Z 11 dritter Fall) behauptet unter Verweis auf die Ausführungen zur Mängelrüge eine „unrichtige Feststellung" der Schadenshöhe „bzw formelle Begründungsmängel dazu" und sieht im vom Erstgericht in diesem Zusammenhang angenommenen Erschwerungsgrund (erhebliches Übersteigen der Wertgrenze - US 75 f) einen unvertretbaren Verstoß gegen die Bestimmungen über die Strafzumessung. Diese Argumentation macht der Sache nach einen Berufungspunkt geltend, soweit sie sich auf die Bedeutung des Schadens für die Bemessung der Strafe bezieht (§ 32 Abs 3 StGB) und entzieht sich, soweit sie das Übersteigen der Wertgrenze in Abrede stellt, zufolge Abweichens von den tatrichterlichen Feststellungen einer meritorischen Erwiderung (Fabrizy, StPO10 § 281 Rz 3a, 25).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten Johann Z*****:
Die weitwendige, sich oftmals wiederholende Mängelrüge (Z 5) orientiert sich nicht an den eingangs dargelegten prozessualen Kriterien, sondern stellt sich (wie etwa der programmatische Satz, „die Version des Angeklagten ... erscheine ... nach der Lebenserfahrung an sich schlüssiger", zeigt) insgesamt als im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässige Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Berufung wegen Schuld dar, die im Nichtigkeitsverfahren keiner Erwiderung zugänglich ist.
Im Einzelnen ist lediglich anzumerken:
Die mängelfreie Begründung der Feststellungen zum tatbestandsrelevanten Wissen des Angeklagten Z***** findet sich in US 46 bis 50, wobei sich die Tatrichter eingehend und umfassend unter anderem mit der leugnenden Einlassung des Beschwerdeführers auseinandersetzten, ohne dessen Hypothese in der Rechtsmittelschrift über die Notwendigkeit einer „Informationsquelle" berücksichtigen zu müssen.
Dem Vorwurf des Nichtigkeitswerbers zuwider blieb keineswegs ungewürdigt, dass sich die Angeklagten nach Aufdeckung zu ihren geplanten Einlassungen abgesprochen haben (US 43). Dass eine Urteilsbegründung nicht unvollständig ist, wenn aus der Sicht des Angeklagten „entlastende Beweisergebnisse ... vom Erstgericht ...
nicht als entlastend ... angesehen wurden", liegt auf der Hand.
Ebenso wenig „übergangen" wurde der E-Mail-Verkehr zwischen den Angeklagten (US 47 f). Zur Schadenshöhe trifft der Zweitangeklagte mit seiner allgemeinen Kritik an deren Berechnung keine entscheidende Tatsache - auch und gerade nicht durch Verweis auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Erstangeklagten (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6, RIS-Justiz RS0100063).
Weder durch den Bezug auf das Vorbringen zur Mängelrüge noch durch das Hervorheben des langjährigen Unentdecktbleibens der Malversationen der Erstangeklagten, noch durch den Hinweis auf deren Persönlichkeitsstruktur und ihr Verhalten im Strafverfahren sowie deren angebliche (noch dazu teilweise länger vor dem vom Erstgericht gerade wegen des sich erst allmählich bildenden Wissensstands angenommenen Deliktszeitraums getätigten) Angaben über die Herkunft der an den Zweitangeklagten gelieferten Waren (siehe allerdings dessen Aussage „Gekauft hat sie von A*****. Für mich war das so" - ON 185 S 41) und auch nicht mit eigenständigen Spekulationen über die „Voraussetzungen" der von der Erstangeklagten verübten Delinquenz erweckt der Zweitangeklagte beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen des Schöffengerichts (Z 5a). Die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit einer Person (hier der Angeklagten H*****) ist der Anfechtung mit Tatsachenrüge entzogen (RIS-Justiz RS0099649).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) lässt einmal mehr eine an der Prozessordnung ausgerichtete Argumentation vermissen, indem sie lediglich auf der Basis von Teilen des erstgerichtlichen Feststellungssubstrats zur subjektiven Tatseite operiert (US 24 unter Übergehen von US 29 bis 31) und sogar in den komplementären Ausführungen der Tatrichter einen Widerspruch konstruiert. Die angeblich fehlende Feststellung über das Wissen des Zweitangeklagten hinsichtlich der den Schaden herbeiführenden Tätigkeit der Erstangeklagten (Nichtbezahlung der vom Treugeber finanzierten Lieferungen durch die treulose Machthaberin) findet sich in US 31. Die letztlich wiederum in eigene Beweiswürdigung mündende Kritik an der dort ersichtlichen Formulierung ist keine Darstellung eines Rechtsfehlers und somit meritorischer Erwiderung im Rahmen der Erledigung der Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeit nicht zugänglich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Anmerkung
E9276811Os189.09tEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0110OS00189.09T.1222.000Zuletzt aktualisiert am
18.02.2010