Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Juni 2000, Zl. 204.341/21-II/04/00, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages als unzulässig (mitbeteiligte Partei: S G, verehelichte S, geboren am 14. Oktober 1973, W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte reiste am 22. Juni 1998 in das Bundesgebiet ein. Sie ist Staatsbürgerin der BR Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.
Ihr erster Asylantrag vom 24. Juni 1998 wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom 20. August 1998 gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Eine dagegen an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde blieb erfolglos (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 98/01/0503).
Mit Schriftsatz vom 21. Mai 1999, beim Bundesasylamt eingelangt am 25. Mai 1999, stellte die Mitbeteiligte einen zweiten Asylantrag. Diesen begründete sie im Wesentlichen mit der dramatischen Eskalation der Situation im Kosovo seit Abschluss ihres ersten Asylverfahrens.
Mit Bescheid vom 8. September 1999 wies das Bundesasylamt den (zweiten) Asylantrag der Mitbeteiligten gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten "nach Jugosl. Föderation - respektive Kosovo -" gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung entschied die belangte Behörde mit Bescheid vom 20. Juni 2000 wie folgt:
"In Erledigung der Berufung der S. G. ... wird der Spruch des angefochtenen Bescheides abgeändert und hat zu lauten wie folgt:
'Der Asylantrag der S. G. (nunmehr: S.) vom 21.5.1999 wird im Grunde des Art. 1 Abschnitt A letzter Absatz der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), BGBl. Nr. 55/1955, als unzulässig zurückgewiesen.' "
Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass Gegenstand eines Asylverfahrens auf der Grundlage des AsylG in der Regel die Prüfung der Frage sei, ob eine bestimmte Person in sämtlichen (Unterstreichung hier und im Folgenden gemäß dem Bescheid der belangten Behörde) Teilen ihres Herkunftsstaates asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre. Die Bejahung dieser Frage setze voraus, dass es dieser Person nicht zumutbar wäre, vor dieser Verfolgung den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, sei es, weil dieser Staat zu einer effektiven Schutzgewährung nicht willens, sei es, dass er hiezu nicht in der Lage sei. Ob einer bestimmten Person Schutz vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK zu gewähren sei, lasse sich daher stets nur in Bezug auf den Herkunftsstaat dieser Person beantworten; dieser Herkunftsstaat bilde daher einen konstitutiven Bestandteil des Gegenstandes jedes konkreten Asylverfahrens und müsse daher auch, insoferne dieses Asylverfahren ausschließlich auf Antrag des Betroffenen einzuleiten sei, in dem verfahrenseinleitenden Antrag (zumindest in einer iSd § 3 Abs. 2 AsylG erschließbaren Weise) genannt sein, wobei eine nachträgliche Änderung in diesem Punkt als im Lichte des § 13 Abs. 8 AVG unzulässige Änderung des Wesens des durch den ursprünglichen Antrag festgelegten Verfahrensgegenstandes zu betrachten wäre. Das gelte "grundsätzlich" auch in jenen Sonderfällen, in denen eine bestimmte Person über mehrere Herkunftsstaaten verfüge. Aus der in Art. 1 Abschnitt A letzter Absatz GFK enthaltenen Bestimmung, wonach in einem derartigen Fall eine Person erst dann Flüchtling sei, wenn ihr die Inanspruchnahme des Schutzes keiner dieser Staaten zumutbar sei, sei jedoch zu schließen, dass sich in einem derartigen Fall der verfahrenseinleitende Antrag bereits auf die Behauptung des Zutreffens dieses Tatbestandsmerkmales zu beziehen - dh sämtliche in Betracht kommende Herkunftsstaaten zu nennen - habe. Gegenständlich habe die Mitbeteiligte ihren Asylantrag erkennbar ausschließlich auf eine der Bundesrepublik Jugoslawien zurechenbare Verfolgung bezogen und diese ausschließliche Bezugnahme noch im Berufungsstadium ausdrücklich aufrecht erhalten. Den diesbezüglichen Ausführungen der Mitbeteiligten sei jedoch entgegenzuhalten, dass die Bundesrepublik Jugoslawien - jener Herkunftsstaat der Mitbeteiligten, auf den sie ihren verfahrenseinleitenden Asylantrag ausschließlich bezogen habe - seit dem 20. Juni 1999 in der Herkunftsregion der Mitbeteiligten die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit nicht mehr ausübe, vielmehr diese derzeit von der "im Auftrag der Vereinten Nationen errichteten Verwaltung" innegehabt werde. Damit sei aber eine derartige Verselbständigung der Heimatregion der Mitbeteiligten eingetreten, dass diese Region gegenwärtig im asyl- bzw. flüchtlingsrechtlichen Sinne als weiterer Herkunftsstaat der Mitbeteiligten anzusehen sei, wobei an die Stelle förmlicher "Staatsangehörigkeit" der frühere dortige "gewöhnliche Aufenthalt" iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK trete. Dies bedeute, dass bereits der verfahrenseinleitende Asylantrag eine Bezugnahme nicht nur auf den Herkunftsstaat "Bundesrepublik Jugoslawien", sondern auch auf den weiteren Herkunftsstaat "im Auftrag der Vereinten Nationen errichtete Verwaltung der Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien" zu enthalten gehabt hätte und dass ein derartiger Antrag auch in erster Instanz vom Bundesasylamt zu behandeln gewesen wäre. Der ausschließlich eine Bezugnahme auf den Herkunftsstaat "Bundesrepublik Jugoslawien" enthaltende, dem nunmehrigen Verfahren zugrunde liegende Asylantrag sei daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen gewesen, zumal es im Asylverfahren auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung ankomme. Der belangten Behörde sei es insbesondere auch verwehrt gewesen, auf das im Berufungsverfahren erstattete ergänzende Vorbringen betreffend (angebliche) mangelnde Effektivität des von der "im Auftrag der Vereinten Nationen errichteten Verwaltung" in der Heimatregion der Mitbeteiligten gewährten Schutzes inhaltlich einzugehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Inneres mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat die Zurückweisung des Asylantrages der Mitbeteiligten als unzulässig auf Art. 1 Abschnitt A letzter Absatz der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), BGBl. Nr. 55/1955, gestützt.
Dieser Absatz lautet wie folgt:
"Falls jemand mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, ist unter dem Heimatland jedes Land zu verstehen, dessen Staatsangehöriger er ist; wenn jemand ohne triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache sich des Schutzes eines der Staaten, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht bedient, soll er nicht als eine Person angesehen werden, der der Schutz des Heimatlandes versagt worden ist."
Der belangten Behörde ist darin zuzustimmen, dass der Mitbeteiligten nach Stellung ihres zweiten Asylantrages - noch vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - ein weiterer "Herkunftsstaat" im Sinn des § 1 Z. 4 AsylG "zugewachsen" ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Juni 2000, Zl. 2000/01/0162, und vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0116). Im Übrigen ist die Argumentation der belangten Behörde jedoch mit einem Widerspruch behaftet:
Wie in der Gegenschrift verdeutlicht, vertritt die belangte Behörde zunächst die Auffassung, der Asylantrag der Mitbeteiligten wäre zurückzuweisen gewesen, weil er sich stets nur auf den Herkunftsstaat "Bundesrepublik Jugoslawien" bezogen habe. Demgegenüber hätte der Asylantrag (ab dem 20. Juni 1999) auch auf den zweiten Herkunftsstaat "die unter der von Organen der Vereinten Nationen errichteten Verwaltung stehende Provinz Kosovo der BR Jugoslawien" abstellen müssen; aus der in Art. 1 Abschnitt A letzter Absatz GFK enthaltenen Bestimmung, wonach im Fall, dass eine bestimmte Person über mehrere Herkunftsstaaten verfüge, diese Person erst dann Flüchtling sei, wenn ihr die Inanspruchnahme des Schutzes keiner dieser Staaten zumutbar sei, sei nämlich zu erschließen, dass sich der verfahrenseinleitende Antrag bereits auf die Behauptung des Zutreffens dieses Tatbestandsmerkmales zu beziehen habe.
Auf den Punkt gebracht heißt das, es wäre bei Existenz zweier Herkunftsstaaten stets notwendiger Inhalt eines Asylantrages, die Verfolgungsgefahr bezüglich dieser beiden Staaten darzustellen; bei Fehlen entsprechender Angaben auch nur zu einem der beiden Staaten wäre der Asylantrag nicht ab-, sondern - wie mit dem bekämpften Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG geschehen - zurückzuweisen.
Folgte man dieser Ansicht der belangten Behörde, so wäre im Ergebnis die Begründung eines Asylantrages (im Besonderen die Bezugnahme auf beide Herkunftsstaaten) Zulässigkeitserfordernis, vergleichbar etwa dem Erfordernis des Vorliegens eines begründeten Berufungsantrages nach § 63 Abs. 3 AVG. Träfe dieser Standpunkt zu, so wäre freilich seit Inkrafttreten des § 13 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 mit 1. Jänner 1999 eine sofortige Zurückweisung des Asylantrages nicht statthaft. Vielmehr hätte ein Verbesserungsverfahren nach § 13 Abs. 3 AVG zu ergehen, in dessen Zuge der Asylwerber unter Fristsetzung zur Nachholung der fehlenden Begründung aufgefordert werden müsste (vgl. zum Fehlen eines begründeten Berufungsantrages Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht 7 (1999), Rz 523; Fuss, Welche Mängel eines schriftlichen Anbringens sind verbesserungsfähig?, ZfV 2000, 225 ff. (233)). Ein derartiges Verbesserungsverfahren wurde im vorliegenden Fall indes nicht eingeleitet, sodass der bekämpfte Bescheid selbst bei Zutreffen der eben dargestellten Rechtsauffassung der belangten Behörde keinen Bestand haben könnte. Es ist aber nicht schlichtweg die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens unterblieben, die belangte Behörde hat sogar ausdrücklich die Ansicht vertreten, im Fall der "Erweiterung des ursprünglichen Begehrens um einen weiteren Herkunftsstaat" handle es sich um eine unzulässige Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG. Darin liegt der eingangs erwähnte Widerspruch, könnte doch eine Vervollständigung dergestalt, dass der - nach Ansicht der belangten Behörde - "konstitutive Bestandteil" (und daher der "wesensgestaltende" Inhalt) eines Asylantrages nachgeholt wird, schon rein logisch niemals eine "Wesensänderung" iS des § 13 Abs. 8 AVG bewirken. Auch auf die Frage der Zulässigkeit einer Antragsänderung braucht freilich nicht näher eingegangen werden, weil sich die Mitbeteiligte, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift selbst betont (siehe oben), stets ausschließlich auf den Herkunftsstaat "Bundesrepublik Jugoslawien" bezogen und daher eine Erweiterung in dem von der belangten Behörde vermeinten Sinn gar nie vorgenommen hat.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 21. Dezember 2000
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000010311.X00Im RIS seit
08.03.2001