TE OGH 2010/1/14 12Os191/09v (12Os192/09s)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.01.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jauk als Schriftführerin, in den Strafsachen gegen Uyanga T***** wegen Vergehen des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB, AZ 50 U 66/07b und 49 U 218/08z des Bezirksgerichts Favoriten, über die von der Generalprokuratur gegen diverse Vorgänge und Entscheidungen in den genannten Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz:

1./ im Strafverfahren AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten die Unterlassung der Ermittlung des gesetzlichen Vertreters der jugendlichen Angeklagten Uyanga T***** sowie die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 4. April 2008 ohne Beiziehung entweder eines gesetzlichen Vertreters oder in Ermangelung dessen eines beizugebenden Verteidigers in §§ 38 Abs 2 iVm 38 Abs 5 Z 1 letzter Halbsatz JGG sowie § 39 Z 2 zweiter Fall JGG;

2./ im Strafverfahren AZ 49 U 218/08z des Bezirksgerichts Favoriten

a./ das Urteil vom 4. Dezember 2008 (ON 10) durch die Festsetzung zweier gesonderter Sanktionen in § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO sowie § 28 Abs 1 StGB;

b./ das Unterbleiben des Ausspruchs, dass im Verfahren AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt, in § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO.

Das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 4. April 2008, GZ 50 U 66/07b-23, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem die Angeklagte Uyanga T***** betreffenden Umfang aufgehoben und die Sache zur Verfahrenserneuerung an das Bezirksgericht Favoriten verwiesen.

Das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 4. Dezember 2008, GZ 49 U 218/08z-10, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den (gesonderten) Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über das Strafausmaß sowie über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Straffestsetzung zu AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

In der Jugendstrafsache AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten wurde - soweit hier von Bedeutung - die am 28. April 1990 geborene Jugendliche Uyanga T***** mit (zulässigerweise in gekürzter Form ausgefertigtem [Bauer, WK-StPO § 458 Rz 5; Schroll in WK² JGG § 32 Rz 7]) seit 8. April 2008 rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2008 (ON 23) - fälschlich, indes ohne Nachteil für die Angeklagte mehrerer, richtig nur (§ 29 StGB) - des Vergehens des (teils vollendeten, teils versuchten) Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB schuldig erkannt und gemäß § 13 Abs 1 JGG der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftaten zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Mit einem zugleich gefassten Beschluss wurde gemäß § 50 Abs 1 StGB Bewährungshilfe angeordnet, die - nach der Aktenlage unterbliebene - Bestellung eines Bewährungshelfers (§ 52 Abs 1 StGB) in der Folge aber nicht überwacht. Obwohl sich nach den Ergebnissen des Asylverfahrens zwar der Vater der Angeklagten, die Asylwerberin mongolischer Staatsangehörigkeit ist, in der Mongolei aufhielt (S 65), diese aber gemeinsam mit ihrer Mutter nach Österreich eingereist war und sich jene als deren gesetzliche Vertreterin an deren niederschriftlicher Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 28. Februar 2006 beteiligt hatte (S 67, 71 bis 77), unterblieben nach dem Akteninhalt Ermittlungen nach einem allenfalls noch aktuellen Inlandsaufenthalt der Mutter der Angeklagten. Für die (auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch) jugendliche Angeklagte wirkte weder ein gesetzlicher Vertreter noch ein Verteidiger am Verfahren mit.

Mit seit 10. Dezember 2008 rechtskräftigem (in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 4. Dezember 2008, GZ 49 U 218/08z-10, wurde Uyanga T***** des (innerhalb der zuvor genannten Probezeit am 16. Juli 2008 - somit als junge Erwachsene - begangenen) Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt. Zugleich verhängte das Bezirksgericht Favoriten über Antrag der Bezirksanwältin (ON 9 S 7 iVm ON 3) gemäß § 15 Abs 1 JGG hinsichtlich des mit dem zuvor genannten Urteil dieses Gerichts vom 4. April 2008 zu GZ 50 U 66/07b-23 unter Vorbehalt der Strafe nach § 13 Abs 1 JGG erfolgten Schuldspruchs der Uyanga T***** - gesondert - eine weitere, ebenfalls für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von zwei Wochen. Gemäß § 50 Abs 1 StGB wurde - rechtsirrig, indes ohne Nachteil für die Angeklagte im Urteilsspruch statt mit einem gesondert zu verkündenden und auszufertigenden Beschluss (Schroll in WK² § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50) - Bewährungshilfe angeordnet.

Rechtliche Beurteilung

Die Unterlassung der Ermittlung des gesetzlichen Vertreters der jugendlichen Angeklagten Uyanga T***** (und in der Folge dessen Beteiligung am Verfahren - § 38 Abs 1, Abs 2 JGG) sowie die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 4. April 2008 ohne Beiziehung entweder eines gesetzlichen Vertreters oder eines beizugebenden Verteidigers im Strafverfahren AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten sowie der Sanktionsteil des Urteils dieses Gerichts vom 4. Dezember 2008, GZ 49 U 218/08z-10, stehen - wie die Generalprokuratur (§ 23 StPO) zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die eine Verfahrensbeteiligung des gesetzlichen Vertreters als tragenden Grundsatz des Strafverfahrens gegen Jugendliche sichernden, in § 38 Abs 2 JGG angeordneten gerichtlichen Verfügungen setzen zwar gemäß § 38 Abs 2 erster Satz letzter Halbsatz JGG voraus, dass der Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters bekannt und im Inland gelegen ist. Diese Einschränkung enthebt das Strafgericht indes nicht nur nicht der Verpflichtung, auch bei jugendlichen Beschuldigten ohne österreichische Staatsbürgerschaft vorweg diesbezügliche Erhebungen zu führen, sondern setzt diese geradezu voraus. Erst wenn solcherart vorzunehmende Nachforschungen ergeben, dass „dem Jugendlichen im Strafverfahren kein gesetzlicher Vertreter beistehen kann", gehen gemäß § 38 Abs 5 Z 1 JGG die Rechte des gesetzlichen Vertreters (mit einer darin näher bezeichneten Ausnahme) auf den Verteidiger über (RIS-Justiz RS0120788; Schroll in WK² § 38 JGG Rz 2 f). Folgerichtig bestimmt § 39 Z 2 (zweiter Fall) JGG in der mit 1. Jänner 2008 in Kraft getretenen (Art VIII Abs 4b JGG) Fassung des Strafprozessreformbegleitgesetzes I (BGBl I 2007/93) nunmehr ausdrücklich, dass einem jugendlichen Beschuldigten, für dessen Verteidigung nicht anderweitig gesorgt ist, von Amts wegen ein Verteidiger „jedenfalls dann" beizugeben ist, wenn kein gesetzlicher Vertreter dem Jugendlichen im Strafverfahren beistehen kann (oder trotz ordnungsgemäßer Ladung kein gesetzlicher Vertreter zu den in § 49 Z 10 StPO genannten Beweisaufnahmen und Verhandlungen erschienen ist).

Das Bezirksgericht Favoriten hätte daher vorweg Erhebungen zu einem nach der Aktenlage sogar indizierten, allenfalls noch aktuellen Inlandsaufenthalt der Mutter der Angeklagten Uyanga T***** (als deren gesetzliche Vertreterin) durchzuführen und (erst) im Fall deren Ergebnislosigkeit die Beigebung eines Verteidigers für die (noch) jugendliche Angeklagte anzuordnen gehabt, um dann gemäß § 38 JGG vorzugehen.

Gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO ist bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen nachträglichen Ausspruch der Strafe (§§ 15, 16 JGG) diese in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Das Gesetz schreibt insoweit eine von der Fiktion gemeinsamer Aburteilung aller zu ahndenden Taten ausgehende Sanktionsfindung nach den Bestimmungen über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 28 StGB) vor (RIS-Justiz RS0101923).

Darüber hinaus wurde anlässlich des nachträglichen Strafausspruches gemäß § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO der im zweiten Halbsatz dieser Gesetzesstelle angeordnete - wenn auch bloß deklarativ wirkende - (beschlussmäßige [§ 494a Abs 4 StPO]) Ausspruch unterlassen, dass im Verfahren AZ 50 U 66/07b des Bezirksgerichts Favoriten ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt (vgl Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 3: Schroll in WK² JGG § 16 Rz 10).

Da ein Nachteil für die Angeklagte aus dem Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 4. April 2008, GZ 50 U 66/07b-23, nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof zu dessen Kassation und dem Auftrag zur Verfahrenserneuerung mit der nunmehr volljährigen Angeklagten veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO). Schon daraus folgt die Aufhebung der Strafaussprüche des Urteils des Bezirksgerichts Favoriten vom 4. Dezember 2008, GZ 49 U 218/08z-10 (vgl überdies RIS-Justiz RS0100525).

Textnummer

E93005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00191.09V.0114.000

Im RIS seit

13.02.2010

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten