TE OGH 2010/1/14 13Os135/09s

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Veröffentlicht am 14.01.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer in der Strafsache gegen Rijad H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster und dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Rijad H***** und Adin H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Geschworenengericht vom 12. August 2009, GZ 20 Hv 19/09s-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Rijad und Adin H***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen jeweils des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster und dritter Fall StGB (1 und 2) sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (3 und 4) schuldig erkannt.

Danach haben sie am 6. Juli 2008 in Ried im Innkreis und in Tumeltsham im einverständlichen Zusammenwirken

(1 und 2) Valerie K***** dadurch, dass sie dieser den Mund zuhielten, sie in einen Pkw zerrten, einen Ortswechsel vornahmen und sie mit dem Erschießen bedrohten, zur Duldung des Vaginal- und des Analverkehrs genötigt, wobei das Opfer längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde und die Tat eine schwere Körperverletzung in der Form von Angstzuständen und depressiven Reaktionen zur Folge hatte, sowie

(3 und 4) 90 Euro Bargeld, ein Mobiltelefon und eine Packung Zigaretten der Valerie K***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von beiden Angeklagten aus Z 13, von Rijad H***** überdies aus Z 1 und 5 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Zur Besetzungs- (Z 1) und zur Verfahrensrüge (Z 5) des Rijad H*****

Bezugspunkt der aus Z 1 relevierbaren „gehörigen" Besetzung ist der von der Anklage angerufene Gerichtskörper. Fragen der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit zur Verhandlung oder Entscheidung betreffen daher nicht diesen Nichtigkeitsgrund.

Aber auch aus Z 5 kann nicht mit Erfolg unter Berufung auf § 31 Abs 3 StPO (in der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung) Urteilsfällung durch ein Schöffengericht geltend gemacht werden, weil ein höherqualifizierter Spruchkörper mit Blick auf die Systematik der verfahrensrechtlichen Vorschriften und ungeachtet unterschiedlicher Anfechtungsmöglichkeiten stets „auf dem Gesetz" beruht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111, 115; vgl auch Birklbauer/Mayrhofer, WK-StPO § 213 Rz 42; Fabrizy StPO10 § 261 Rz 4). Ob aktuell in Bezug auf die angesprochene Zuständigkeitsfrage überhaupt eine prozessordnungskonforme Antragstellung vorgelegen ist (siehe ON 45 S 2 und 3), kann somit dahinstehen.

Anzumerken bleibt, dass die StPO bei der Regelung der Urteilsanfechtung stets auf einen Ausgleich zwischen der Besetzung des jeweiligen Spruchkörpers und der Reichweite der Anfechtungsmöglichkeiten ausgerichtet ist, sodass ein als besonders qualifiziert angesehener erstinstanzlicher Spruchkörper zu entsprechend verdünnten Anfechtungsmöglichkeiten führt und umgekehrt. Demnach wurde der Angeklagte auch durch die im Verhältnis zur Anfechtung von schöffengerichtlichen Urteilen eingeschränkten Möglichkeiten der Bekämpfung des geschworenengerichtlichen Urteils nicht benachteiligt.

Zu den Sanktionsrügen (Z 13) beider Angeklagten:

Mit dem Einwand, das Erstgericht habe anlässlich der Ablehnung bedingter Strafnachsicht (US 6) das Vorleben des Rijad H***** und dessen Verhalten nach der Tat nicht hinreichend berücksichtigt, wird bloß ein Berufungsgrund zur Darstellung gebracht (vgl 12 Os 184/08p).

Das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB ist in Bezug auf den dritten (längerfristige Versetzung in einen qualvollen Zustand) und den vierten Fall (besondere Erniedrigung) dieser Bestimmung als alternatives Mischdelikt konzipiert (RIS-Justiz RS0095318). Das qualifizierende Moment dieser beiden Deliktsvarianten, die solcherart bloße Spielarten einer einzigen Qualifikation darstellen (EvBl 1990/119, 534; 14 Os 64/98), besteht darin, dass der Täter das Opfer in einen besonders belastenden Zustand versetzt, wobei sich die geschaffene Belastungssituation von derjenigen abhebt, die allein durch die Verwirklichung des Grundtatbestands des § 201 Abs 1 StGB herbeigeführt wird. Im Vordergrund steht dabei der höhere Handlungsunwert, der in der Art und Weise der - die gesteigerte Belastung des Opfers bewirkenden - Tatbegehung zum Ausdruck kommt. Demgegenüber stellt der erste Fall des § 201 Abs 2 StGB auf einen erhöhten Erfolgsunwert ab, indem er als Qualifikationsdeterminante eine schwere Körperverletzung der vergewaltigten Person nennt. Der qualifizierte strafrechtliche Tadel wird demnach hier an grundlegend andere Kriterien geknüpft als bei den beiden vorgenannten Varianten, womit § 201 Abs 2 StGB im Verhältnis zwischen seinem ersten Fall einerseits sowie seinem dritten und vierten Fall andererseits, als kumulativer Mischtatbestand zu verstehen ist (vgl auch 12 Os 75/91, 11 Os 182/96). Indem sich die Beschwerden gegen die Annahme eines für das Opfer qualvollen Zustands - neben jener einer schweren Körperverletzung - wenden, greifen sie sohin der Sache nach die Subsumtion an (Z 12). Hiebei verkennen sie aber, dass bei - wie damit angesprochenen - normativen Tatbestandsmerkmalen deren Bejahung oder Verneinung auf der Feststellungsebene angesiedelt und daher allein den Geschworenen zur Beantwortung vorbehalten ist, womit insoweit die Anfechtung mit Subsumtionsrüge ausscheidet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 618).

Soweit das diesbezügliche Vorbringen im Sinn einer Tatsachenrüge (Z 10a) zu verstehen ist, vermag der Einwand, dass das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. G***** (ON 45 S 17 bis 21 iVm ON 29) keinen Hinweis auf einen während der Taten bestehenden qualvollen Zustand enthalte, schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die relevierte Frage gar nicht Gegenstand der Exploration gewesen ist (siehe insbesondere ON 29 S 1).

Die Behauptung, der Entscheidung der Geschworenen fehle insoweit die „objektive Sachverhaltsgrundlage", und der Einwand des Beschwerdeführers Adin H*****, dass die Anklageschrift nur im Rahmen der Begründung auf die angesprochene Qualifikationsnorm eingehe (ON 35 S 6), lassen jeden Bezug zu den Anfechtungskategorien des § 345 Abs 1 StPO vermissen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344 StPO).

Festzuhalten bleibt, dass das Erstgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsirrig von einem nach unten unbegrenzten Strafrahmen ausgegangen ist (US 6). Nach § 36 dritter Satz StGB wird nämlich bei Personen, die - wie die Angeklagten - zur Zeit der Tat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ein ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigendes Mindestmaß (§ 201 Abs 2 StGB erster Strafsatz: fünf bis fünfzehn Jahre) auf dieses Maß herabgesetzt. Da die Staatsanwaltschaft das Ersturteil nicht bekämpft, hat der aufgezeigte Rechtsfehler auf sich zu beruhen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E92942

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00135.09S.0114.000

Im RIS seit

13.02.2010

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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