TE OGH 2010/1/19 4Ob212/09v

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Veröffentlicht am 19.01.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** S*****, vertreten durch Dr. Thomas Willeit, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagten Parteien 1. Stadt D*****, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, 2. Dr. N***** R*****, vertreten durch Achammer Mennel Weite Achammer Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen 131.377,82 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2009, GZ 4 R 186/09y-61, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Mai 2009, GZ 7 Cg 5/08t-57, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen wiesen die Schadenersatzklage der Klägerin wegen unvollständiger ärztlicher Aufklärung vor einer Kniescheibenoperation ab, als deren Folge bei der Klägerin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) auftrat. Die Entwicklung dieses Schmerzsyndroms im Anschluss an eine periphere Nervenschädigung sei bei Einbringung einer Kniescheibenteilprothese kein typisches Operationsrisiko. Unter Bedachtnahme auf das der Klägerin widerfahrene Schicksal (Arthroseleiden seit dem 18. Lebensjahr, Durchführung zweier Operationen, fortlaufende Verschlechterung des Zustands seit 2003, der immer stärker werdende Schmerzen trotz Durchführung von Physiotherapie und massiver Medikation zufolge hatte) sei anzunehmen, dass bei einem vernünftigen Patienten das überdies nur äußerst seltene Risiko eines CRPS keinen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung gehabt hätte, in die Operation einzuwilligen. Über das Risiko der Entwicklung eines CRPS habe daher nicht aufgeklärt werden müssen. Auch unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin habe die Aufklärung entfallen können. Ihr Leidensdruck sei angesichts der starken Schmerzbelastung enorm groß gewesen, außerdem habe sie im Hinblick auf die damals bestandene finanzielle Notsituation ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangen wollen. Ihr Operationswunsch sei derart ausgeprägt gewesen, dass sie auch gegenteiliger fachärztlicher Rat nicht davon abbringen habe können.

Rechtliche Beurteilung

Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Rechtsansicht des Berufungsgerichts liegt im Rahmen der Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht vor Operationen. Auf typische Risken einer Operation ist unabhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei allfälliger Seltenheit ihres Eintritts hinzuweisen (RIS-Justiz RS0026581). Die Aufklärungspflicht reicht allgemein um so weiter, je weniger dringlich der Eingriff aus Sicht eines vernünftigen Patienten geboten ist. Die ärztliche Aufklärungspflicht besteht dann auch in Ansehung zwar seltener, aber im Einzelfall erheblich nachteiliger möglicher Zwischenfälle (RIS-Justiz RS0026313, RS0026340, RS0026772).

Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer vorgesehenen Operation oder Heilbehandlung ist nur dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (RIS-Justiz RS0026230).

Das bei der Klägerin als Folge der Operation aufgetretene CPRS ist nach den getroffenen Feststellungen keine typische Operationsfolge im Sinn eines dem geplanten Eingriff speziell anhaftenden Risikos, das auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist (vgl RIS-Justiz RS0026340). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das CRPS typische Folge einer peripheren Nervenschädigung sei, welche ihrerseits eine typische Folge der hier zu beurteilenden Kniescheibenersatzoperation ist. Über die Gefahr einer peripheren Nervenschädigung wurde die Klägerin aufgeklärt, diese hat sie akzeptiert.

Der Umfang der geschuldeten Aufklärungspflicht ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, was regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RIS-Justiz RS0026529). Dass das Berufungsgericht in Anbetracht der besonderen medizinischen Vorgeschichte der Klägerin davon ausging, dass das seltene und untypische Risiko eines CRPS für einen vernünftigen Patienten in der Position der Klägerin keinen wesentlichen Einfluss auf ihre Entscheidung zu Gunsten der Kniegelenksoperation haben konnte, bildet keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Das außerordentliche Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E93071

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00212.09V.0119.000

Im RIS seit

18.02.2010

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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