Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Metzler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Georg S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Geschworenengericht vom 21. April 2009, GZ 9 Hv 1/09t-58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Angeklagten und dessen Verteidigers Mag. Schuszter zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in der Subsumtion der im Schuldspruch A./ festgestellten Taten (auch) unter die Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB ersatzlos und überdies im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Für die verbleibenden Schuldsprüche wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB, des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB sowie nach § 206 Abs 1 StGB, weiters des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB wird Georg S***** unter Anwendung von § 28 StGB nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Die weitere Vorhaftanrechnung bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil (das auch einen - fälschlich auf § 259 Z 3 StPO gestützten - Freispruch vom Vorwurf weiterer einschlägiger Delinquenz enthält) wurde Georg S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C./) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (D./) schuldig erkannt.
Danach hat er
A./ in S***** Janine S***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, und zwar
1./ im Frühling 2006, indem er hinter ihr sitzend ihre Hände gegen ihre Abwehr festhielt und ihr einen Finger tief in die Scheide einführte;
2./ im Sommer 2006, indem er sie in einem Badebecken in drei Angriffen in einen uneinsehbaren Bereich des Beckens zog, sie mit einer Hand am Körper festhielt und jeweils gegen ihre abwehrenden Fußtritte dreimal einen Finger tief in ihre Scheide einführte,
wobei jede der Taten mitursächlich für eine an sich schwere Körperverletzung des Opfers war, die überdies eine deutlich längere als 24-tägige Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit ängstlicher und dysphorisch-depressiver Ausprägung sowie vermehrten somatischen Beschwerden wie häufigen Albträumen, wiederholt auftretenden „Flashbacks" und Schlafstörungen, die eine psychotherapeutische Behandlung notwendig machte, zur Folge hatten;
B./ in S***** mit der am 16. Mai 1996 geborenen, sohin unmündigen Janine S***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende (geschlechtliche) Handlung unternommen, indem er
1./ wie zu A./1./ beschrieben handelte,
2./ wie zu A./2./ beschrieben handelte,
wobei jede der Taten mitursächlich für eine an sich schwere Körperverletzung des Opfers war, die überdies eine deutlich längere als 24-tägige Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich die zu A./ beschriebenen Zustände zur Folge hatten;
C./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, und zwar
1./ zwischen Anfang Juli und 12. Juli 2008 in R***** an der am 16. Juli 1997 geborenen, sohin unmündigen Sophie W*****, indem er sie wiederholt beim Verlassen eines Badeteichs von der Ausstiegsleiter zurückzog und an der Scheide betastete;
2./ an der am 16. Mai 1996 geborenen, sohin unmündigen Janine S*****, und zwar
a./ zwischen Anfang Juli und 12. Juli 2008 in R*****, indem er sie wiederholt beim Verlassen eines Badeteichs von der Ausstiegsleiter zurückzog und an der Scheide betastete;
b./ im Sommer 2006 in S***** wenige Tage nach dem im Schuldspruch A./2./ genannten Thermenbesuch im Garten der Familie S*****, indem er sie an der Brust und an der Scheide betastete;
c./ im Sommer 2008 in S*****, indem er sie an der Brust betastete;
D./ im Sommer 2006 in S***** Janine S***** durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper „oder der sexuellen Integrität" zu einer Unterlassung genötigt, indem er ihr nach dem im Schuldspruch A./2./ angeführten Thermenbesuch verbat, jemanden von den Übergriffen zu erzählen, „da ansonsten etwas passieren werde".
Unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 41 Abs 1 Z 3 StGB wurde nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 5, 8, 10ya, 11 lit a, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
In seiner Verfahrensrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte infolge Abweisung (ON 57 S 7) seines Antrags auf Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass das Hymen der Zeugin Janine S***** nicht verletzt worden sei und dass es bei einer Penetration durch tiefes Eindringen mit einem Finger zu einer Verletzung hätte kommen müssen (ON 57 S 5). Zu Unrecht, denn das Beweisbegehren enthielt kein Vorbringen, weshalb ein intaktes Hymen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sei (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO). Überdies hatte die auch als Ärztin für Allgemeinmedizin niedergelassene (ON 56 S 75) gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. E***** in der Hauptverhandlung am 20. April 2009 (im Einklang mit einschlägiger Gerichtserfahrung) angegeben, dass eine gynäkologische Untersuchung in diesem Zusammenhang „nichts aussagt", zumal bei einem zehnjährigen Mädchen durch das Einführen eines Fingers überhaupt keine sichtbare Verletzung entstehen muss (ON 56 S 74, 75). Angesichts dessen wäre ein weiterführendes Vorbringen iSv § 55 Abs 1 letzter Satz StPO geboten gewesen. Letztlich hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, aus welchem Grund anzunehmen sei, dass sich die Zeugin Janine S***** bzw ihr gesetzlicher Vertreter zu einer solchen traumatisierenden (siehe neuerlich ON 56 S 75 und auch ON 57 S 5 f) Untersuchung bereit finden werde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).
Entgegen der Behauptung der Instruktionsrüge (Z 8), die Rechtsbelehrung enthalte einen sinnstörenden Fehler zum Begriff der Fahrlässigkeit, macht der aufgezeigte, auch für einen Ungeschulten leicht erkennbare Schreibfehler bei Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 6 Abs 1 StGB („verpflichteten" statt „verpflichtet") die Rechtsbelehrung nicht unrichtig (RIS-Justiz RS0100961).
Die Tatsachenrüge (Z 10 a) vermag aus den Akten keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Der Beschwerdeführer kritisiert die qualifikationsrelevanten Urteilsfeststellungen betreffend die Herbeiführung einer schweren Körperverletzung - für die als Erfolgsqualifikationen (§§ 201 Abs 2 erster Fall, 206 Abs 3 erster Fall StGB) Fahrlässigkeit ausreicht (Schick in WK² § 201 Rz 30, § 206 Rz 15) - durch Hinweise auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S***** in der Hauptverhandlung vom 20. April 2009, wo dieser - entgegen dem verkürzenden Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl nämlich auch ON 56 S 62 f) - die Frage, ob der Sachverständige „glaube, dass der Angeklagte fähig war zu erkennen, dass man die im Gutachten von Frau Dr. E***** geschilderten posttraumatischen Folgen haben kann" (ON 56 S 65), verneinte. Davon bleibt nämlich völlig unberührt, dass Fahrlässigkeit (auch) in vorwerfbarer Unkenntnis bestehen kann (s etwa Fabrizy, StGB9 § 6 Rz 10 und § 7 Rz 4 f; SSt 53/76).
Die Rechtsrüge (Z 11 lit a, inhaltlich Z 12) zum Schuldspruch A./ behauptet, dass die festgestellten Handlungen nicht als Gewaltanwendungen im Sinn des § 201 Abs 1 StGB anzusehen seien, um gleich darauf einzuräumen, dass es sich beim „bloßen Festhalten" um Gewaltanwendungen „im untersten Bereich" handle. Letzteres trifft zu. Das angefochtene Urteil ist somit materiellrechtlich richtig (vgl Schick in WK² § 201 Rz 13 mwN va aus der Judikatur).
Mit dem gegen die Schuldsprüche A./ und B./ gerichteten Vorbringen (Z 11 lit a und 12, dSn nur Z 12), das (jeweils einmalige) Einführen eines Fingers in die Scheide stelle keine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung dar, orientiert sich der Beschwerdeführer nicht an den im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613). Er übergeht nämlich, dass er danach jeweils einen Finger tief in die Scheide der Unmündigen einführte (A./1./ und 2./, B./1./ und 2./), und er vermag nicht darzulegen, aus welchem Grund fallbezogen nach der Summe der Auswirkungen und Begleiterscheinungen des Sexualangriffs unter Berücksichtigung der Intensität der sexuellen Inanspruchnahme das tiefe Eindringen in die Scheide des zu den Tatzeiten erst 10-jährigen Mädchens nicht tatbestandsmäßig sein solle (vgl hiezu RIS-Justiz RS0095004).
Im bisher erörterten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Zutreffend jedoch zeigt der Rechtsmittelwerber (Z 13, dSn Z 12) einen Rechtsfehler infolge mehrfacher Zurechnung derselben Tatfolge in den Schuldsprüchen A./1./ und 2./ einerseits sowie B./1./ und 2./ andererseits auf. Bei - vorliegender - Idealkonkurrenz der Grundtatbestände nach § 201 Abs 1 und § 206 Abs 1 StGB ist nämlich dieselbe Tatfolge (schwere Körperverletzung), die für beide Tatbestände gleichermaßen qualifizierend wirkt (§§ 201 Abs 2 erster Fall und 206 Abs 3 erster Fall StGB), dem Täter nicht doppelt anzulasten. In einem solchen (hier gegebenen) Fall wird bei jeweils tateinheitlicher Begehung die Qualifikation jeweils nur entweder nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB oder nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB begründet (RIS-Justiz RS0115550; JBl 2002, 129).
Es war somit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in der rechtlichen Unterstellung der im Schuldspruch A./ festgestellten Taten (auch) unter die Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB ersatzlos zu kassieren und demzufolge der Strafausspruch aufzuheben.
Bei der Strafneubemessung für die verbleibende Delinquenz war erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (zum Nachteil zweier Opfer) mit einem Vergehen, mildernd das (Penetrationen und Gewaltanwendung bis zuletzt abstreitende, somit nur teilweise) Geständnis.
Unter Anlegung der Kriterien des § 32 Abs 2, Abs 3 StGB ist bei Bedacht auf das Alter des 1945 geborenen, im Jahr 2007 wegen § 298 StGB zu einer Geldstrafe verurteilten Angeklagten bereits die Mindeststrafe des gemäß § 28 StGB heranzuziehenden § 206 Abs 3 StGB unrechts- und schuldangemessen, ohne allerdings von außerordentlicher Strafmilderung Gebrauch machen zu können.
Der Beschwerdeführer und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E92994European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00145.09X.0119.000Im RIS seit
18.02.2010Zuletzt aktualisiert am
25.01.2013