Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Andreas M***** gegen die Antragsgegnerin K***** GesmbH & Co KG, wegen § 7 MedienG, AZ 092 Hv 83/07k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen zwei in diesem Verfahren ergangenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, sowie des Antragsgegnerinnenvertreters Dr. Ebert zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 092 Hv 83/07k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 11. Juni 2008, AZ 18 Bs 163/08i, und vom 7. Juli 2009, AZ 18 Bs 251/09g, § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO, ersterer insoweit auch § 39 Abs 1 iVm § 38a Abs 2 MedienG, als dem Erstgericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgetragen worden ist.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Andreas M***** gegen die Antragsgegnerin K***** Gesellschaft mbH & Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG trug das Landesgericht für Strafsachen Wien der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 27. Juni 2007, GZ 092 Hv 83/07k-2, gemäß § 8a Abs 5 MedienG die Veröffentlichung einer Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens auf.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. August 2007 (ON 8) verurteilte die Einzelrichterin die Antragsgegnerin gemäß § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung und gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung.
Mit Erkenntnis vom 18. Februar 2008, AZ 18 Bs 10/08i (ON 21 der Hv-Akten), hob das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht das Ersturteil auf und erkannte in der Sache selbst auf Abweisung der auf Zuerkennung einer Entschädigung und Urteilsveröffentlichung gerichteten Anträge des Antragstellers.
Mit Beschluss vom 10. April 2008 (ON 27) ermächtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Antragsgegnerin gemäß § 39 Abs 1 MedienG zur Veröffentlichung einer textlich vorgegebenen kurzen Mitteilung über den Ausgang des Verfahrens. Unter einem wies es das Begehren auf Zuspruch des „Einschaltungsentgelts" für die Veröffentlichung der Mitteilung nach § 8a Abs 5 MedienG im Ausmaß von 19.126,80 Euro ab und verpflichtete Antragsteller und Antragsgegnerin je zur Hälfte zur Kostentragung.
Der dagegen erhobenen Beschwerde der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2008, AZ 18 Bs 163/08i (ON 33 der Hv-Akten), Folge, indem es den angefochtenen Beschluss im abweisenden Teil ebenso aufhob wie im Kostenausspruch und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auftrug. Begründend führte es aus, dass es sich bei diesem Kostenersatzanspruch um einen zivilrechtlichen Anspruch handle; die Entscheidung darüber habe unter Beachtung der Verfahrensgarantien nach Art 6 MRK zu erfolgen. Grundsätzlich sei daher eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Im Übrigen wies es darauf hin, dass entsprechend dem nunmehr geänderten Wortlaut des § 39 MedienG (Kosten der Veröffentlichung statt bisher „das übliche Einschaltungsentgelt" [§ 39 Abs 2 MedienG aF]) der Ersatz nicht nach dem Inseratentarif, sondern vielmehr nur entsprechend den tatsächlich entstandenen Kosten zuzusprechen sein werde; diese Kosten werde die Antragsgegnerin - auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens - durch Vorlage einer nachvollziehbaren Kalkulation glaubhaft zu machen haben, wobei bei einem anderen Medium eine derartige Kostenaufstellung bereits ergeben habe, dass die tatsächlichen Kosten rund 10 % des Inseratentarifs ausmachen (BS 3 f).
Mit Beschluss vom 13. Mai 2009 (ON 43) legte das Erstgericht - nach öffentlicher mündlicher Verhandlung - gemäß § 39 Abs 1 MedienG die Höhe der vom Antragsteller für die Veröffentlichung der Mitteilung nach § 8a Abs 5 MedienG (erschienen in der K***** vom 4. Juli 2007) zu zahlenden Kosten sowie - wie zwischenzeitig beantragt (ON 34) - jene für die Veröffentlichung der Mitteilung nach § 39 Abs 1 erster Satz MedienG (erschienen am 25. Juli 2008) mit je 500 Euro fest. Der Antragsteller wurde zudem zum Ersatz der Kosten des Verfahrens nach § 39 MedienG verpflichtet.
Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde der Antragsgegnerin hob das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht diese - auch vom Antragsteller bekämpften - Entscheidung mit Beschluss vom 7. Juli 2009, AZ 18 Bs 251/09g (ON 53 der Hv-Akten), auf und trug dem Erstgericht neuerlich eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; das Erstgericht werde die von der Antragsgegnerin beantragten Beweise (Vernehmung von Zeugen) aufzunehmen und - auch dadurch - der Antragsgegnerin Gelegenheit zu geben haben, die Kosten der Veröffentlichung plausibel darzulegen, wobei sich die Glaubwürdigkeit dieser Darlegung insbesondere daran zu orientieren haben werde, dass die Kosten für die Veröffentlichung wohl nur einen Teil des Inseratentarifs - von dem regelmäßig noch Nachlässe gewährt werden - ausmachen. Sollte es der Antragsgegnerin nicht gelingen, glaubhaft die Kosten der Veröffentlichung darzulegen, verbiete sich aus Verhältnismäßigkeitsgründen die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Diesfalls werde das Erstgericht wohl unter Berücksichtigung realistischer wirtschaftlicher Verhältnisse eine Schätzung auf Basis des Inseratentarifs vorzunehmen haben (BS 4).
Rechtliche Beurteilung
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 11. Juni 2008 und 7. Juli 2009 stehen - wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
1./ Gemäß § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO hat das Beschwerdegericht stets in der Sache selbst zu entscheiden. Eine Ausnahme macht das Gesetz nur bei verspäteten Rechtsmitteln oder solchen, die von nicht legitimierten Personen eingebracht wurden (RIS-Justiz RS0123977; 12 Os 80/09w); diese sind zurückzuweisen.
Die fallbezogen vom Oberlandesgericht vorgenommene Kassation der Beschlüsse des Erstgerichts vom 10. April 2008 (ON 27) und 13. Mai 2009 (ON 43), verbunden mit dem Auftrag an das Erstgericht, neuerlich in der Sache über die Anträge der Antragsgegnerin auf Kostenersatz abzusprechen, ist hingegen im Gesetz nicht vorgesehen.
2./ Wurde eine Mitteilung nach § 8a Abs 5 MedienG veröffentlicht und wird das Verfahren beendet, ohne dass dem Antragsteller eine Entschädigung zuerkannt wird, so ist der Medieninhaber nach § 39 Abs 1 erster Satz MedienG auf Antrag zu ermächtigen, eine kurze Mitteilung darüber in einer dem § 13 MedienG entsprechenden Form zu veröffentlichen. Der Antrag ist binnen sechs Wochen nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens zu stellen. Der Medieninhaber hat gegen den Privatankläger oder Antragsteller Anspruch auf Ersatz der Kosten dieser Veröffentlichung sowie der Veröffentlichung der Mitteilung nach § 8a Abs 5 MedienG. Der Anspruch auf Kostenersatz für die Veröffentlichung nach § 8a Abs 5 MedienG ist binnen sechs Wochen nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens, jener für eine Veröffentlichung nach § 39 Abs 1 erster Satz MedienG binnen sechs Wochen nach Veröffentlichung der Mitteilung über den Verfahrensausgang geltend zu machen. Im Übrigen verweist § 39 Abs 1 MedienG im fünften Satz auf die Regelung des § 38a Abs 2 MedienG, wonach das Gericht den Antrag unverzüglich dem Privatankläger oder Antragsteller zuzustellen hat und unter Bestimmung einer Leistungsfrist von 14 Tagen die Höhe der Entschädigung (hier: Kosten) nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) mit Beschluss festzusetzen hat.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über den Grund und die Höhe des Kostenersatzanspruchs nach § 39 Abs 1 MedienG ordnet das Gesetz, das in dieser Bestimmung zuletzt durch BGBl I 2005/49 reformiert worden ist, nicht an. Dies im Unterschied zu § 41 Abs 5 vierter Satz MedienG, wonach - dem Urteil des EGMR vom 21. März 2002, Nr 32636/96, A.T. gegen Österreich, Rechnung tragend - in Fällen der Einstellung des Verfahrens a limine (§ 485 Abs 1 Z 4 bis 6 StPO in der damals geltenden Fassung des BGBl I 2005/49) nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden ist.
Die analoge Anwendung des § 41 Abs 5 vierter Satz MedienG auf die Fälle des § 39 Abs 1 MedienG würde die Annahme einer planwidrigen Lücke voraussetzen. Gegen eine solche spricht jedoch zum einen der Umstand, dass der Gesetzgeber beide Bestimmungen erst 2005 novelliert hat und seither keine diesbezüglich bedeutsame sonstige Veränderung der Rechtslage oder Rechtsprechung erfolgt ist.
Zum anderen führt auch eine Art 6 Abs 1 MRK einbeziehende verfassungskonforme Interpretation nicht zur Annahme einer planwidrigen, im Wege analoger Anwendung einer für den geregelten Fall nicht geltenden Bestimmung zu schließenden Lücke. Nach Art 6 Abs 1 erster Satz MRK hat zwar (ua) jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist unter Berücksichtigung der Anforderungen an Verfahrensökonomie und -effektivität ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung aber dennoch zulässig, und zwar insbesondere dann, wenn der Fall aufgrund der Akten und schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtkonvention4 § 24 Rz 89, 93, 94).
Das trifft hier zu. Denn unbeschadet des (iSd Konvention) zivilrechtlichen Charakters der gegenständlichen Ansprüche auf Ersatz der Kosten der Veröffentlichung von Mitteilungen handelt es sich bei diesen Entscheidungen um solche, die dem nach mündlicher Verhandlung in der Hauptsache ergangenen Urteil nachfolgen und - bei klarem Sachverhalt und nicht besonders komplexer Rechtsfrage (vgl EGMR 20. 11. 2003 Faugel/Ö) - weder in Ansehung des Grundes noch der Höhe des Anspruchs eine Beweisaufnahme erfordern. Eine Gesetzesverletzung durch das Auftragen einer Beweisaufnahme konnte der Oberste Gerichtshof hingegen nicht erkennen, weil eine solche auch im Verfahren nach § 273 ZPO nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 11. Juni 2008, AZ 18 Bs 163/08i (ON 33 der Hv-Akten), und vom 7. Juli 2009, AZ 18 Bs 251/09g (ON 53 der Hv-Akten), stehen demnach mit dem Gesetz insofern nicht im Einklang, als jeweils entgegen § 89 Abs 2 zweiter Satz StPO die abschließende Entscheidung in der Sache unterblieben ist und § 39 Abs 1 iVm § 38a Abs 2 MedienG zuwider die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht angeordnet worden ist.
Zu einem Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst (vgl 12 Os 80/09w; 11 Os 169/09a).
Textnummer
E93022European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0150OS00153.09B.0120.000Im RIS seit
19.02.2010Zuletzt aktualisiert am
25.01.2013