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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1997 §10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Mai 1999, Zl. 210.025/0-VI/17/99, betreffend § 5 AsylG (mitbeteiligte Partei: N M, geboren am 10. Juni 1968, T), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte ist jugoslawischer Staatsbürger, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er reiste am 5. November 1998 in das Bundesgebiet ein, beantragte am 6. November 1998 die Gewährung von Asyl und schilderte im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 23. November 1998 seinen Fluchtweg im Wesentlichen wie folgt:
Er sei am 1. November 1998 unter Verwendung eines verfälschten Reisepasses von Prishtina nach Zürich geflogen. Am Flughafen sei er vom Bruder seiner Frau erwartet worden, noch am selben Tag habe ihn ein Freund seines Schwagers mit dem Auto nach Frankfurt gebracht. Dort sei er am 2. November 1998 angekommen und bis 5. November 1998 verblieben. An diesem Tag sei er mit dem Zug von Frankfurt nach Linz gefahren.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1998 stellte das Bundesasylamt an das (deutsche) Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein "Aufnahmeersuchen gemäß Dubliner Übereinkommen", und zwar gestützt auf dessen Art. 6. Mit Schreiben vom 22. Februar 1999, beim Bundesasylamt eingelangt am 23. Februar 1999, gab diese Behörde bekannt, dass dem Übernahmegesuch vom 11. Dezember 1998 "gemäß Art. 6 DÜ" entsprochen werde. In der Folge wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. April 1999 den Asylantrag des Mitbeteiligten, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 6 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen), - im Folgenden: DÜ - Deutschland zuständig. Zugleich wurde der Mitbeteiligte aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
Mit Bescheid vom 25. Mai 1999 gab der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) der Berufung des Mitbeteiligten gegen den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt, behob den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Mitbeteiligte über Deutschland in das österreichische Bundesgebiet eingereist und dass seiner namentlich genannten Ehegattin mit Bescheid vom 21. Mai 1999 gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt worden sei. Rechtlich führte sie zu § 5 AsylG aus, dass die "völkervertraglich" ausbedungene Zuständigkeit eines anderen Staates (zur Prüfung eines Asylantrages) als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert sei. Der einzige derzeit existente Vertrag, auf den sich § 5 AsylG beziehen könne, sei das Dubliner Übereinkommen. Dieses normiere in seinen Art. 4 bis 8 die Kriterien über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages, wobei nach dem Prinzip der Spezialität die ersteren Vorschriften den letzteren vorgingen. Primär zuständig sei nach Art. 4 erster Satz DÜ der Staat, in dem ein als Flüchtling i.S.d.
Genfer Flüchtlingskonvention anerkannter Familienangehöriger des Asylwerbers seinen legalen Wohnsitz habe, wenn der Asylwerber zustimme oder dies wünsche. Gegenständlich habe eine als Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Familienangehörige des Mitbeteiligten, nämlich seine Ehefrau, ihren legalen Wohnsitz in Österreich, zudem habe der Mitbeteiligte zugestimmt bzw. gewünscht, dass die Prüfung seines Asylantrages in Österreich vorgenommen werde. Die belangte Behörde habe daher im Hinblick auf den Umstand, dass der Ehegattin des Mitbeteiligten zwischenzeitlich gemäß § 7 AsylG in Österreich Asyl gewährt worden sei (zu ergänzen: angesichts der somit auf Grundlage des Art. 4 DÜ gegebenen Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten), zu einem anderen Ergebnis als das Bundesasylamt kommen müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Inneres mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen
Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Einleitend sei darauf hingewiesen, dass die Beschwerdelegitimation des Bundesministers für Inneres ein von den Verfahrensparteien und den beteiligten Behörden losgelöstes Kontrollinstrument ist, welches der Prüfung dient, ob der angefochtene Bescheid in objektiver Weise rechtmäßig ist. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte seinen Asylantrag nach Einbringung der gegenständlichen Beschwerde zurückgezogen hat (mit Erklärung vom 26. Juli 1999), führt daher nicht zur Gegenstandslosigkeit des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 98/01/0326, mwN).
2. § 4 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn der Fremde in einem Staat, mit dem kein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).
§ 5 AsylG lautet:
"Unzulässige Asylanträge wegen vertraglicher Unzuständigkeit
§ 5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid ist mit einer Ausweisung zu verbinden.
(2) ...
(3) Eine Ausweisung gemäß Abs. 1 und 2 gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat."
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass das Dubliner Übereinkommen ein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages ist und dass sowohl Österreich als auch die Bundesrepublik Deutschland Vertragsparteien dieses Abkommens sind. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens haben - auszugsweise - folgenden Inhalt.
"Artikel 1
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens gilt als
a)
...
b)
Asylantrag: Antrag, mit dem ein Ausländer einen Mitgliedstaat um Schutz nach dem Genfer Abkommen unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus im Sinne von Artikel 1 des Genfer Abkommens in der Fassung des New Yorker Protokolls ersucht,
c) Asylbewerber: ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig befunden wurde,
...
Artikel 3
(1) Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt.
(2) Dieser Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat gemäß den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien geprüft. Die in den Artikeln 4 bis 8 aufgeführten Kriterien werden in der Reihenfolge, in der sie aufgezählt sind, angewendet.
(3) Der Antrag wird von diesem Staat gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften und seinen internationalen Verpflichtungen geprüft.
(4) Jeder Mitgliedstaat hat unter der Voraussetzung, dass der Asylbewerber diesem Vorgehen zustimmt, das Recht, einen von einem Ausländer gestellten Asylantrag auch dann zu prüfen, wenn er auf Grund der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig ist. Der nach den genannten Kriterien zuständige Mitgliedstaat ist dann von seinen Verpflichtungen entbunden, die auf den Mitgliedstaat übergehen, der den Asylantrag zu prüfen wünscht. Dieser Mitgliedstaat unterrichtet den nach den genannten Kriterien verantwortlichen Mitgliedstaat, wenn letzterer mit dem betreffenden Antrag befasst worden ist.
...
Artikel 4
Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem in einem Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Genfer Abkommens in der Fassung des Protokolls von New York zuerkannt worden ist und der seinen legalen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat, so ist dieser Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern die betreffenden Personen dies wünschen. Bei dem betreffenden Familienangehörigen darf es sich nur um den Ehegatten des Asylbewerbers, sein unverheiratetes minderjähriges Kind unter achtzehn Jahren oder, sofern der Asylbewerber ein unverheiratetes minderjähriges Kind unter achtzehn Jahren ist, dessen Vater oder Mutter handeln.
Artikel 6
Hat der Asylbewerber aus einem Drittstaat die Grenze eines Mitgliedstaates illegal auf dem Land-, See- oder Luftweg überschritten, so ist der Mitgliedstaat, über den er nachweislich eingereist ist, für die Antragsprüfung zuständig. Die Zuständigkeit dieses Staates erlischt jedoch, wenn sich der Ausländer nachweislich mindestens sechs Monate lang in dem Mitgliedstaat, in dem er den Asylantrag gestellt hat, aufgehalten hat, bevor er seinen Asylantrag einreichte. In diesem Fall ist der letztgenannte Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig.
Artikel 10
(1) Der Mitgliedstaat, der nach den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist, ist verpflichtet:
a)
...
b)
die Prüfung des Asylantrages bis zum Ende durchzuführen;
c)
...
d)
...
e)
...
(2) Stellt ein Mitgliedstaat dem Asylbewerber eine Aufenthaltserlaubnis für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten aus, so gehen die Pflichten gemäß Abs. 1 Buchstaben
a) bis e) auf diesen Staat über.
...
Artikel 11
(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung dieses Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Einreichung des Asylantrags, letzteren ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Wird das Aufnahmegesuch nicht innerhalb von sechs Monaten unterbreitet, so ist der Staat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
(2) ...
(3) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Staates wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
..."
Gemäß Art. 3 Abs. 2 DÜ kommen die Zuständigkeitstatbestände der Art. 4 bis 8 in dieser Reihenfolge zur Anwendung.
Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid - ausgehend von der Feststellung, dass der Ehegattin des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 21. Mai 1999 gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt worden sei -
den primären Zuständigkeitstatbestand des Art. 4 DÜ als verwirklicht angesehen. Im Hinblick darauf hat sie die Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten als gegeben erachtet. Dem hält der beschwerdeführende Bundesminister Art. 11 Abs. 3 DÜ entgegen, wonach bei der Bestimmung des nach den Kriterien des Dubliner Übereinkommens zuständigen Staates von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Wie Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), Rz 231 bzw. Rz 233, zutreffend formuliert, bewirkt diese Bestimmung eine Art "perpetuatio fori" bzw. eine "Zuständigkeitsversteinerung", die nur in jenen Fällen durchbrochen wird, in denen das Dubliner Übereinkommen ausdrücklich eine Verschiebung der Zuständigkeit auf Grund später eingetretener Umstände (wie etwa im Fall des Art. 10 Abs. 2 oder des Art. 11 Abs. 1) vorsieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0424). Das nachträgliche Eintreten der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 4 DÜ stellt keinen derartigen "Durchbrechungsfall" dar, weshalb die belangte Behörde angesichts dessen, dass der Mitbeteiligte bereits am 6. November 1998 seinen Asylantrag gestellt hatte, in der Tat nicht auf diesen Zuständigkeitstatbestand hätte rekurrieren dürfen.
Zu anderen Zuständigkeitstatbeständen hat die belangte Behörde keine ausreichenden Feststellungen getroffen, sondern nur ausgeführt, dass der Mitbeteiligte aus Deutschland kommend nach Österreich eingereist sei. Folgt man freilich den eingangs wiedergegebenen Angaben des Mitbeteiligten zu seinem Fluchtweg - diese Angaben haben sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde für unbedenklich erachtet - und unterstellt man weiter, dass der Mitbeteiligte weder eine "Aufenthaltserlaubnis" noch ein "Visum" im Sinn des Dubliner Übereinkommens besaß, so träfe die Ansicht des Bundesasylamtes und des beschwerdeführenden Bundesministers zu, dass gegenständlich auf Grundlage des Art. 6 DÜ die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten gegeben sei. Demgemäß hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 22. Februar 1999 gemäß Art. 6 DÜ zur "Übernahme" des Mitbeteiligten bereit erklärt.
3. Bei Zutreffen der Tatbestandsvoraussetzung (vertragliche Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages) sieht § 5 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung vor; ein Ermessen wird der Behörde durch diese Norm nicht eingeräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 2000, Zl. 2000/20/0052). Nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung ist Tatbestandvoraussetzung für die Zurückweisung eines nicht gemäß § 4 erledigten Asylantrages als unzulässig ausschließlich die vertragliche Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages. Daher entsteht aus dieser Bestimmung kein subjektiv-öffentliches Recht eines Asylwerbers darauf, dass ein anderer als der vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständige Staat ein aus dem Dubliner Übereinkommen erfließendes zwischenstaatliches Ermessen zwecks Übertragung der Zuständigkeit von dem vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständigen Staat auf einen anderen Mitgliedstaat ausübt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0419).
4. Gemäß § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG ist der Berufung gegen einen Zurückweisungsbescheid nach § 5 AsylG stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, es bestehe aus dem Grund des § 5 Unzuständigkeit, nicht zutrifft. Mit dem Ausdruck "Feststellung" ist die Annahme des Zurückweisungsgrundes als solchen gemeint, und zwar unabhängig davon, ob sie im Spruch des Bescheides oder nur in den Gründen zum Ausdruck kommt. Dass die so verstandene "Feststellung" "nicht zutrifft", wird nach allgemeinem Sprachverständnis dann anzunehmen sein, wenn - entgegen der Annahme des Bundesasylamtes - die "Unzuständigkeit" nicht "besteht" (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175).
In ihrer Gegenschrift rechtfertigt die belangte Behörde ihr Ergebnis, die "Feststellung" des Bundesasylamtes, es bestehe aus dem Grund des § 5 AsylG Unzuständigkeit, treffe nicht zu, mit folgenden Überlegungen:
Das Dubliner Übereinkommen setze den Grundsatz der Familieneinheit im Sinn des Art. 8 EMRK nur mangelhaft um; nach Interpretationsgrundsätzen des Völkerrechts dürfe man dem Dubliner Übereinkommen keinen Verstand beilegen, der zwangsläufig zu einem Bruch mit Art. 8 EMRK führen müsste; einen Ausweg aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Dubliner Übereinkommen und Art. 8 EMRK zeichne Art. 3 Abs. 4 DÜ vor, wonach jeder Mitgliedstaat unter der Voraussetzung, dass der "Asylwerber" diesem Vorgehen zustimmt, das Recht habe, einen von einem Ausländer gestellten Asylantrag auch dann zu prüfen, wenn er nach den Kriterien des Dubliner Übereinkommens nicht zuständig sei; nach dem Grundsatz "pacta sunt servanda" habe ein betroffenes Völkerrechtssubjekt Kollisionen zwischen mehreren völkerrechtlichen Verträgen, die dazu führen würden, dass ein Vertrag faktisch außer Kraft gesetzt werden würde, zu vermeiden; völkerrechtliche Verträge seien grundsätzlich so auszulegen, dass einander prima facie widersprechende Bestimmungen nach Möglichkeit miteinander vereinbar seien; vor diesem Hintergrund dürfe man in Art. 3 Abs. 4 DÜ keine zur Willkür ermächtigende Bestimmung sehen; besonders im gegenständlichen Fall sei erkennbar, dass die genannte Bestimmung auch eine Verpflichtung enthalten könne; im Lichte dessen sei davon auszugehen, dass die Republik Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet sei, die Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten unter den näheren Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 DÜ zu übernehmen, um einen Bruch mit Art. 8 EMRK zu vermeiden.
Auf diese Überlegungen der belangten Behörde braucht indes im vorliegenden Fall, in dem der Ehegattin des Mitbeteiligten vor Erlassung des bekämpften Bescheides gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt worden ist, nicht eingegangen werden. Der Berücksichtigung des Familienlebens wird jedenfalls in einer derartigen Konstellation nach dem österreichischen Asylgesetz nämlich durch das Institut der Asylerstreckung (§§ 10, 11 AsylG) Rechnung getragen. § 11 Abs. 1 AsylG nimmt ausdrücklich auf Art. 8 EMRK Bezug und normiert, dass die Behörde auf Grund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren hat, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist. (Die Zulässigkeit eines Asylerstreckungsantrages steht hier schon im Hinblick darauf außer Zweifel, dass dem Mitbeteiligten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. August 1999 Asyl durch Erstreckung gewährt worden ist.) Sieht das österreichische Asylrecht in einem Fall wie dem vorliegenden aber auf dem Weg der Asylerstreckung eine Berücksichtigung des Familienlebens vor, so kann nicht angenommen werden, es bedürfe darüber hinaus einer weiteren Bedachtnahme auf Art. 8 EMRK im Rahmen des § 5 AsylG.
Dass gemäß den Regeln des Dubliner Übereinkommens ein anderer Staat als Österreich zur Prüfung des Asylantrages zuständig wäre, steht der Stellung eines Asylerstreckungsantrages und seiner Entscheidung durch die österreichischen Asylbehörden nicht entgegen. § 5 AsylG bezieht sich nämlich nur auf "Asylanträge" und nicht auch auf "Asylerstreckungsanträge" im Sinn der §§ 10 und 11 AsylG (vgl. auch Art. 1 Abs. 1 lit. b DÜ, wonach als Asylantrag im Sinn des Übereinkommens nur ein solcher Antrag gilt, mit dem ein Ausländer einen Mitgliedstaat um Schutz nach dem Genfer Abkommen unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus im Sinne von Art. 1 des Genfer Abkommens in der Fassung des New Yorker Protokolls ersucht; im Rahmen eines Asylerstreckungsverfahrens wird aber gerade nicht um Schutz "unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus" ersucht, sodass das Asylerstreckungsverfahren schon vom Ansatz her von den Regelungen des Dubliner Übereinkommens nicht erfasst wird). Umgekehrt bleibt die Verpflichtung des zuständigen Vertragsstaates zur Prüfung des Asylantrages (vgl. abermals Art. 1 Abs. 1 lit. b und Art. 10 Abs. 1 lit. b DÜ) von der Stellung eines Asylerstreckungsantrages unberührt.
5. Nach dem Gesagten vermögen auch die Überlegungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift das im bekämpften Bescheid erzielte Ergebnis nicht zu tragen. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 21. Dezember 2000
Schlagworte
Allgemein Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Ermessen Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999010336.X00Im RIS seit
02.07.2001