Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erika R*****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Christina S*****, vertreten durch Dr. Helmut Grubmüller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.755,89 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2009, GZ 12 R 18/09t-27, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 27. April 2009, GZ 26 Cg 13/08b-23, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 838,44 EUR (darin 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Begründung:
Die Klägerin stürzte als Kurgast im Bereich des Frühstücksbuffets eines Kurhauses, wodurch sie verletzt wurde. Mit der Behauptung, die Beklagte sei beim Buffet hinter der Klägerin gestanden und habe ihr Bein zwischen die Beine der Klägerin geschoben und dadurch den Sturz der Klägerin grob fahrlässig herbeigeführt, begehrte die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung von 9.755,89 EUR sA, wovon 8.000 EUR auf Schmerzengeld, 1.160 EUR auf Haushaltshilfe und Pflege, der Rest auf Fahrtkosten, Zeitwert der Jacke, Heilbehelfe und pauschale Unkosten entfallen. Die Klägerin begehrte auch die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Spät- und Dauerfolgen aus dem Unfall.
Die Beklagte wandte ein, beim Frühstücksbuffet habe es ein gewisses Gedränge gegeben, es sei jedoch zwischen den Streitparteien zu keiner Berührung gekommen. Die Beklagte habe ihr Bein nicht zwischen die Beine der Klägerin geschoben, vielmehr sei die Klägerin gestolpert und zu Boden gestürzt. Die Beklagte habe mit dem Unfall nichts zu tun.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende entscheidungswesentlichen Feststellungen:
Das Buffet war täglich ab 7:00 Uhr geöffnet. Um 7:30 Uhr begannen die ersten Therapien im Kurhaus. Die Zeit zwischen Beginn des Frühstücks und Beginn der Therapien war daher für eine Vielzahl der Kurteilnehmer sehr eng bemessen. In dieser Zeit kam es daher im Bereich des Buffets immer zu Drängeleien und damit einhergehenden Körperberührungen. Es war für die dort Anwesenden üblich, etwa mit einem Teller angestoßen zu werden oder auch von hinten angerempelt zu werden. Am Unfallstag bildeten sich um die Tische herum zwei Gehströme der Kurteilnehmer, die sich jeweils gegenläufig um die Buffettische bewegten und (zumindest) an einem Punkt aneinander vorbeiführten.
Zum Unfallszeitpunkt um 7:10 Uhr war bereits eine Vielzahl von Kurgästen beim Buffet angestellt, so auch die Klägerin. Sie versuchte, zu ihrem Vordermann ein wenig Abstand zu halten, da sie das bereits vorhandene Gedränge störte. Der exakte Standort der Beklagten vor dem Sturzgeschehen der Klägerin kann nicht festgestellt werden. Die Beklagte stand jedoch im unmittelbaren Nahbereich der Klägerin, mit hoher Wahrscheinlichkeit seitlich knapp hinter der Klägerin. Die Klägerin machte mit dem rechten Fuß einen Schritt nach vorne und wollte den linken Fuß in der Schrittfolge nachziehen. Davor geriet jedoch ein Fuß der Beklagten zwischen die Beine der Klägerin. Wie und weshalb der Fuß der Beklagten zwischen die Beine der Klägerin gelangte, ob etwa die Beklagte im gleichen Moment wie die Klägerin einen Schritt vorwärts ging oder lediglich den Fuß etwas zur Seite stellte oder eine unwillkürliche Bewegung des Fußes der Beklagten erfolgte, kann nicht festgestellt werden. Die Klägerin bemerkte den Fuß der Beklagten nicht, stolperte und stürzte schließlich über das Bein der Beklagten.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zusammengefasst aus, die Kurteilnehmer und somit auch die Klägerin hätten sich, wenngleich unter zeitlichem Druck, durch das Einlassen auf die Menschenansammlung beim Buffet auf die Gefahr eines Sturzes oder eines Stolperns bewusst eingelassen. Die Vorwärts- oder sonstige Bewegung (gewollt oder ungewollt) mit einem Bein könne der Beklagten im Rahmen einer deliktischen Haftung nicht vorgeworfen werden. Von jedem Fußgänger werde nach der Rechtsprechung verlangt, vor die Füße zu schauen. Die Klägerin habe ihre Aufmerksamkeit in zu geringem Ausmaß ihrem nächsten Schritt zugewandt. Wenngleich der Sturz auch durch die Beklagte mitverursacht worden sei, habe die Klägerin den Schaden mangels eines rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten selbst zu tragen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Dem Anstellen bei einem Buffet sei zwar kein sportlich-spielerischer, aber zumindest doch ein sozialer Wert beizumessen. Ähnlich wie beim „Parallelsport" sei beim gegebenen notwendigen körperlichen Naheverhältnis der beim Buffet Angestellten der wechselseitigen Rücksichtnahme ein erhöhter Stellenwert beizumessen. Die in Rechtsprechung und Lehre zu sportlichen und spielerischen Betätigungen entwickelten, jedoch darauf nicht beschränkten Grundsätze des echten Handelns auf eigene Gefahr könnten auch im vorliegenden Fall angewendet werden. Die für den eingetretenen Erfolg maßgeblichen gefährlichen Umstände, nämlich das Gedränge, seien den Parteien, somit auch der Klägerin, hinreichend bekannt gewesen. Die Beklagte habe keine besondere Schutz- bzw Sorgfaltspflicht zu Gunsten der Klägerin getroffen. Nach den Grundsätzen des echten Handelns auf eigene Gefahr sei nur ein atypischer „Regelverstoß" haftungsbegründend; ein bloß leichter Verstoß gegen die objektive Sorgfaltspflicht sei hingegen nicht rechtswidrig. Dass bei einem großen Personenandrang und allgemein vorherrschender Eile infolge von Unachtsamkeit der Fuß des „Hintermanns" vor den Fuß des „Vordermanns" gerate, bilde ein typisches Risiko für eine solche Situation. Der Klägerin sei eine Selbstsicherung zuzumuten gewesen, indem sie auf ihre Schritte geachtet und vor die eigenen Füße geschaut hätte. Es habe sich hier gerade die Gefahr verwirklicht, in die sich die Klägerin als Geschädigte begeben habe und mit der sie unter den gegebenen Umständen auch habe rechnen müssen. Das festgestellte Verhalten der Beklagten sei somit nicht rechtswidrig.
Das Berufungsgericht ließ die Revision aus folgenden Erwägungen zu: Grundsätzlich hänge die Beurteilung der Frage, zu wessen Gunsten die Interessenabwägung ausfalle, die zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Gefährdenden im Fall des echten Handelns auf eigene Gefahr anzustellen sei, von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, sodass der Lösung dieser Frage in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme. Dennoch sei die ordentliche Revision zulässig, da zur Rechtsfrage, ob die Grundsätze des Handelns auf eigene Gefahr auch auf den Personenandrang bei einem Buffet angewendet werden könnten, noch keine gesicherte oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist unzulässig.
Im Bereich der hier allein in Frage kommenden Verschuldenshaftung nach dem ABGB setzt ein Schadenersatzanspruch eines Geschädigten ein für den Schaden ursächliches, adäquates, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schädigers voraus. Im hier vorliegenden deliktischen Bereich trifft den Geschädigten die Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen.
Die Klägerin hat in ihrer Berufung die Feststellung, wonach ein Grund dafür, dass der Fuß der Beklagten zwischen die Beine der Klägerin gelangt ist, darin liegen könnte, dass eine unwillkürliche Bewegung des Fußes der Beklagten erfolgt sei, bekämpft und den Entfall dieser Feststellung begehrt. Das Berufungsgericht hat sich aus rechtlichen Erwägungen mit dieser Beweisrüge nicht befasst. Selbst wenn man aber zu Gunsten der Klägerin eine unwillkürliche Bewegung des Fußes der Beklagten als mögliche Ursache dafür, dass dieser zwischen die Beine der Klägerin gelangte, außer Betracht lässt, bleibt es bei den übrigen Negativfeststellungen zum Sturzgeschehen.
Das Ergebnis beider Vorinstanzen, ein haftungsbegründendes Verhalten der Beklagten liege nicht vor, ist schon nach allgemeinen Grundsätzen, insbesondere nach der dargestellten Beweislastregel durchaus vertretbar. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage stellt sich somit nicht mehr. Auch dabei wären im Übrigen die Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
Da die Revisionswerberin keine sonstige erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E93162European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00237.09F.0128.000Im RIS seit
27.02.2010Zuletzt aktualisiert am
16.02.2012