Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Florian S*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller und andere, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Christian S*****, 2.) A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 38.741 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 20.145,90 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Juli 2009, GZ 1 R 105/09i-26, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2009, GZ 66 Cg 229/07i-20, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang aufgehoben und es wird insoweit die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 13. 7. 2006 gegen 21:00 Uhr ereignete sich auf der Stubaital-Bundesstraße B 183 in der Nähe von Straßenkilometer 3,3 auf Höhe eines Autohauses ein Verkehrsunfall, an dem der damals 15-jährige Kläger als Lenker und Halter eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugs und der Erstbeklagte als Lenker eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Der Kläger wurde bei diesem Verkehrsunfall erheblich verletzt.
Der Kläger begehrte zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 38.741 EUR sA zur ungeteilten Hand sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden, die der Kläger beim Unfall erleiden werde, die Zweitbeklagte beschränkt mit der Versicherungssumme. Das Zahlungsbegehren setzt sich aus einer Verunstaltungsentschädigung (5.000 EUR), Schmerzengeld (29.500 EUR) sowie weiteren kleineren Positionen (Therapiekosten, Besuchskosten, Fahrtkosten, Pflegeaufwand, Sachschaden am Fahrzeug des Klägers sowie Wertminderung) zusammen. Der Kläger brachte vor, er habe talauswärts fahrend vorschriftsmäßig den linken Blinker gesetzt, sich zur Fahrbahnmitte hin nach links eingeordnet und sei dann links in die Grundstückszufahrt eines Autohauses eingebogen. Dahinter habe der Erstbeklagte sein Fahrzeug in derselben Fahrtrichtung gelenkt. Jedenfalls aufgrund eines Beobachtungsfehlers und überhöhter Geschwindigkeit habe der Erstbeklagte das vor ihm fahrende Fahrzeug des Klägers zu spät bemerkt und sei nach Auffälligwerden nicht mehr in der Lage gewesen, sich rechtzeitig darauf einzustellen. Der Erstbeklagte habe versucht, zur Abwendung einer Kollision noch am Fahrzeug des Klägers links vorbeizufahren. Dies sei nicht gelungen, sodass es auf der in Fahrtrichtung der Unfallbeteiligten linken Fahrbahnhälfte zur Kollision beider Fahrzeuge gekommen sei. Die Zufahrt zum Autohaus sei keine Kreuzung, sodass der Abbiegevorgang nicht nach den Kriterien eines Abbiegens in eine Querstraße zu beurteilen sei. Hinsichtlich des Abbiegemanövers in kurzem Bogen fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil das entsprechende Gebot nicht im Hinblick auf den Nachfolge-, sondern den Querverkehr bestehe. Selbst bei einem andersartigen Abbiegevorgang wäre die Kollision unvermeidlich gewesen, zumal selbst bei minimal anderer Fahrlinie des Klägers Restgeschwindigkeit und Aufprallintensität aufgrund der vom Erstbeklagten überhöht eingehaltenen Geschwindigkeit keineswegs anders geartet gewesen wären. Der Kläger habe vor dem Abbiegevorgang zweimal in den Rückspiegel geschaut, dabei sei das Fahrzeug des Erstbeklagten jedoch nicht sichtbar gewesen. Der Kläger habe mit einem Überholmanöver auch nicht rechnen müssen, weil im Bereich der Unfallstelle in Fahrtrichtung der Beteiligten ein generelles Überholverbot bestehe. Der Kläger habe am 18. 4. 2006 den Mopedführerschein erlangt. Mangels zusätzlicher Fahrstunden habe er im Unfallszeitpunkt objektiv nicht über die gemäß § 31 Abs 3a FSG erforderliche Berechtigung zum Lenken eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugs verfügt. Die Unkenntnis über diesen Umstand sei dem Kläger jedoch nicht vorwerfbar, da ihm sowohl vom Verkäufer des Leichtkraftfahrzeugs als auch von sämtlichen Innsbrucker Fahrschulen die Auskunft erteilt worden sei, die Voraussetzungen für die Lenkerberechtigung seien ident mit denen zum Lenken eines Mopeds. Nach dem Unfall habe man vom zuständigen Fachjuristen der Bundespolizeidirektion Innsbruck sowie beim ÖAMTC die richtige Rechtsauskunft bekommen.
Die Beklagten wandten ein, der Unfall sei vom Kläger selbst durch mehrere Übertretungen verursacht und verschuldet worden. Der Kläger habe nicht über die gemäß § 31 Abs 3a FSG erforderliche Lenkerberechtigung verfügt. Die Verkehrswidrigkeiten des Klägers seien offenbar durch die unterlassene Ausbildung für die Lenkung eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugs verursacht. Er habe sich vor Durchführung seines Linksabbiegemanövers nicht ordnungsgemäß zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet. Der Kläger habe vor dem Nachlinkslenken den (zweiten) Blick in den Rückspiegel bzw das (nochmalige) Zurückschauen auf allfälligen Nachfolgeverkehr unterlassen. Andernfalls hätte er das Fahrzeug des Erstbeklagten wahrnehmen müssen. Dadurch, dass der Kläger vorschriftswidrig in kurzem Bogen nach links abgebogen sei, habe er dem Erstbeklagten dessen Bremsstrecke verkürzt. Der Kläger habe an einer Stelle nach links gelenkt, an der dies nach den örtlichen Gegebenheiten im Zuge rechtmäßig durchgeführter Fahrmanöver nicht zu erwarten gewesen sei. Wäre der Kläger pflichtgemäß tangential abgebogen, so wäre es nie zu einer Kollision gekommen. Der Kläger habe es auch unterlassen, sein Fahrmanöver ordnungsgemäß durch Linksblinken anzuzeigen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:
Die Stubaital-Bundesstraße verläuft im Unfallbereich weitgehend gerade von West nach Ost und weist zwei durch eine Leitlinie getrennte Fahrbahnhälften auf, die Gesamtfahrbahnbreite misst 7,8 m. Am nördlichen Fahrbahnrand befindet sich eine Einfahrt zum Betriebsgelände eines Autohauses mit einer Breite von 8 m. Etwa 120 bis 130 m östlich der Unfallstelle befindet sich eine Verkehrsinsel auf der Bundesstraße. Im Unfallbereich beträgt die höchstzulässige Geschwindigkeit 60 km/h, ein verordnetes Überholverbot in diesem Bereich ist nicht feststellbar. Die Sichtweite nach hinten vom Abbiegebeginn des Klägers beträgt gut 155 m. Am Unfallstag war schönes Wetter, die Asphaltfahrbahn war trocken, es herrschte mittelstarkes Verkehrsaufkommen.
Das Fahrzeug des Klägers ist ein „Quad-Fahrzeug" mit einem Eigengewicht von ca 250 kg. Der Kläger verfügte zum Unfallszeitpunkt lediglich über einen Mopedausweis, nicht jedoch über eine für das gelenkte Fahrzeug gültige Lenkerberechtigung. Beim Kauf des Fahrzeugs war dem Kläger und seinem Vater auf Anfrage vom Verkäufer mitgeteilt worden, es reiche für ein derartiges Fahrzeug ein „Mopedfahrschein" aus; auch bei einer Fahrschule in Innsbruck, wo sich die Mutter des Klägers vor dem Kauf des Quad-Fahrzeugs erkundigte, teilte man ihr mit, es reiche ein Mopedführerschein aus. Hätten die Eltern des Klägers bzw dieser selbst gewusst, dass es eines zusätzlichen Eintrags in den Führerschein und der Absolvierung von sechs weiteren Fahrstunden für eine gültige Lenkerberechtigung bedürfe, hätte sich der Kläger dem unterzogen.
Der Kläger war mit seinem Fahrzeug talauswärts, somit in Richtung Osten unterwegs, die Ausgangsgeschwindigkeit vor dem Abbiegebeginn betrug etwa 35 km/h. Der Kläger war zunächst weitgehend am rechten Fahrbahnrand unterwegs. Er beabsichtigte, in die nördlich der Fahrbahn gelegene Ausfahrt eines Autohauses zuzufahren, um dort umzudrehen. Etwa 1,5 bis 2 Sekunden vor der Kollision, das sind 15 bis 18 m vor der Unfallstelle, begann der Kläger leicht bremsend in einem sehr flachen Bogen nach links abzubiegen, das Überfahren der Fahrbahnmitte erfolgte mehr als 8 m vor Erreichen der insgesamt 8 m breiten Einfahrt des Autohauses. Am Fahrzeug des Klägers war beim Abbiegen der linke Blinker eingeschaltet. Nicht feststellbar ist, ob der Kläger diesen erst im Zuge des Abbiegens oder bereits davor und gegebenenfalls wie lange davor betätigt hatte.
Hinter dem Kläger war der Erstbeklagte mit seinem PKW in dieselbe Fahrtrichtung unterwegs, wobei eine höhere Ausgangsgeschwindigkeit als 60 km/h nicht feststellbar ist. Bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 60 km/h befand sich der Erstbeklagte 2,0 Sekunden vor der Kollision noch etwa 29 m vor der Unfallstelle entfernt. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt weniger als 15 m links hinter dem Kläger und beabsichtigte, das Klagsfahrzeug links zu überholen. Er hielt dabei eine Fahrlinie entlang der linken Seite seiner Fahrspur ein, die Fahrbahnmitte überfuhr er dabei nicht.
Hätte der Kläger unmittelbar vor seinem Abbiegebeginn einen Kontrollblick nach links seitlich rückwärts gemacht, hätte er das nachfolgende Fahrzeug des Erstbeklagten links hinter seinem Fahrzeug wahrnehmen können. Auch die Absicht des Beklagten, am Klagsfahrzeug vorbeizufahren, wäre bei kritischer Einschätzung der Situation erkennbar gewesen. Tatsächlich hatte der Kläger einen Kontrollblick nach links seitlich rückwärts unterlassen und deshalb das herannahende Fahrzeug des Erstbeklagten nicht wahrgenommen.
Der Erstbeklagte reagierte auf die tatsächliche Richtungsänderung des Klagsfahrzeugs nach links mehr als eine Sekunde vor der Kollision, verriss sein Fahrzeug leicht spurenzeichnend nach links. Eine verspätete Reaktion des Erstbeklagten bezogen auf die tatsächliche Richtungsänderung des Klagsfahrzeugs ist nicht feststellbar. Nicht feststellbar ist auch, ob zu einem früheren Zeitpunkt bereits der linke Blinker betätigt war und aus diesem Grund eine frühere Reaktion möglich gewesen wäre.
Vom Fahrzeug des Erstbeklagten wurde im Rahmen der von ihm gesetzten Ausweichlenkung nach links eine schwache Reifenspur des linken Vorderrads abgezeichnet, die aus Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen leicht rechts der gedachten Fahrbahnmitte begann und in einem scharfen Bogen in die spätere Endstellung des Beklagtenfahrzeugs führte, die Länge dieser bogenförmigen Reifenspur ergibt sich unter Einbezug einer Fahrbahnbreite im Unfallbereich von 7,8 m mit etwa 10,0 m.
Die beiden Fahrzeuge kollidierten leicht links der gedachten Fahrbahnmitte, gut 7 m westlich der westlichen Einfahrtsbegrenzung der Einfahrt zum Autohaus, beide in Schrägposition nach links bezogen auf die Fahrbahnlängsachse. Die Schrägstellung der beiden Fahrzeuglängsachsen war zum Kollisionszeitpunkt eher gering und hatte 30 Grad nicht überschritten, die Kollision ereignete sich streifend ohne Fahrzeugüberdeckung mit der rechten vorderen Fahrzeugseite eines PKWs des Erstbeklagten gegen die Mitte der linken Fahrzeugseite am Klagsfahrzeug.
Das Fahrzeug des Erstbeklagten blieb ca 10 m nach der Unfallstelle hart rechts des Leitpflocks, der sich 6,4 m westlich der westlichen Begrenzung der Einfahrt zum Autohaus befindet, am nördlichen Fahrbahnrand in einer starken Schrägstellung nach links mit dem linken Vorderrad bereits außerhalb der Fahrbahn stehen. Der Kläger stürzte im Zug der Kollision vom Fahrzeug und kam außerhalb des Fahrbahnbereichs nördlich der Fahrbahn zu liegen, sein Fahrzeug kam im Einfahrtsbereich des Autohauses zum Stillstand.
Dem Erstbeklagten wurde durch das Fahrverhalten des Klägers der Bremsweg nicht verkürzt, der Kläger bremste weder vor noch während seines Abbiegemanövers nach links sein Fahrzeug extrem stark ab. Hätte der Erstbeklagte nicht die Absicht gehabt, das Fahrzeug zu überholen, so hätte er jederzeit im Rahmen einer leicht dosierten Bremsung einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Fahrzeug des Klägers einhalten können.
Dem Erstbeklagten wäre es problemlos möglich gewesen, das Klagsfahrzeug, wäre dieses nicht nach links abgebogen, noch vor Erreichen der 120 m östlich gelegenen Verkehrsinsel zu überholen, er hätte dafür lediglich eine Wegstrecke von maximal 67 m benötigt.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dem Kläger sei der Beweis eines rechtswidrigen Fahrverhaltens des Erstbeklagten nicht gelungen. Dieser habe überholen dürfen, der Geschwindigkeitsunterschied der beiden Fahrzeuge von etwa 20 km/h wäre ausreichend gewesen, der Erstbeklagte hätte sich auch vor der Verkehrsinsel wieder auf den rechten Fahrstreifen einordnen können. Dem Kläger hingegen sei ein Verstoß gegen § 12 Abs 1 StVO anzulasten, da er nach links einzubiegen begonnen habe, ohne sich davon zu überzeugen, dass niemand zum Überholen angesetzt habe und ohne sich zur Fahrbahnmitte hin einzuordnen. Das Einordnen zur Straßenmitte hin diene auch dazu, für nachfolgende Fahrzeuglenker die Abbiegeabsicht zu verdeutlichen. Ein Kraftfahrzeuglenker, der dieses Einordnen unterlasse, sei daher zur erhöhten Vorsicht und einem zweiten Blick nach hinten verpflichtet, selbst wenn er die beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung ansonsten korrekt angezeigt habe. Aufgrund der Negativfeststellung zur Blinkdauer könne daraus ein Verschulden des Klägers nicht abgeleitet werden. Da den Kläger selbst ein erhebliches Verschulden am Unfall treffe und ein Verschulden des Erstbeklagten nicht erweislich sei, sei vom Alleinverschulden des Klägers auszugehen und daher das Klagebegehren abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 25.318,86 EUR sA und wies das Zahlungsmehrbegehren von 13.522,14 EUR sA ab. Dem Feststellungsbegehren gab es zur Gänze statt und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Abweichend vom Erstgericht stellte es fest, dass von Kilometer 2,4 bis 3,75, also auch im Unfallsbereich, von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ein Überholverbot für mehrspurige Kraftfahrzeuge (ausgenommen Zugmaschinen) erlassen wurde. Weiters stellte das Berufungsgericht von den erstgerichtlichen Feststellungen teilweise abweichend folgenden Sachverhalt fest:
„Der Kläger war in Annäherung an die spätere Unfallstelle zunächst weitgehend am rechten Fahrbahnrand unterwegs. Er beabsichtigte, in die nördlich der Fahrbahn der Bundesstraße gelegene Ausfahrt des Autohauses zuzufahren, um dort umzudrehen. Vor Einleitung des eigentlichen Abbiegevorgangs fuhr er zur Fahrbahnmitte hin und setzte den linken Blinker. Nicht festgestellt werden kann, wie lange er den linken Blinker setzte und über welche Wegstrecke hin er sich bereits vor Kollision zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hatte, bevor er mit seinem Linksabbiegemanöver begann."
In der Beweiswürdigung führte das Berufungsgericht aus, vom Sachverständigen sei allerdings klar gestellt worden, dass die vom Erstbeklagten geschilderte Unfallversion mit einem scharfen Abbiegemanöver unzutreffend sein müsse, vielmehr sei es als gesichertes Ergebnis anzusehen, dass der Kläger vor Kollision aus seiner ursprünglichen Fahrtrichtung in flachem Bogen nach links abgebogen sei.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, den Beklagten sei der Beweis, dass der Kläger ein Umkehrmanöver durchführen habe wollen, ebenso wenig gelungen wie der Nachweis, dass der Kläger beim Linksabbiegen ein Fehlverhalten gesetzt habe. Hinsichtlich der fehlenden Lenkerberechtigung sei dem Kläger der ihm obliegende Nachweis gelungen, dass ihn an der Übertretung des Schutzgesetzes keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit, somit kein Verschulden, getroffen habe. Es könne somit dahingestellt bleiben, ob sich die fehlende Lenkerberechtigung in irgendeiner Weise auf das eigentliche Unfallgeschehen ausgewirkt habe. Den Erstbeklagten, der ein verbotenes Überholmanöver unternommen habe, treffe das Alleinverschulden.
Die Teilabweisung gründet sich darauf, dass das Berufungsgericht das Schmerzengeld und die Verunstaltungsentschädigung der Höhe nach in geringerem Umfang als eingeklagt zu Recht erkannte.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass dem Kläger nur 8.406,28 EUR zugesprochen, das Mehrbegehren von 30.334,72 EUR sA abgewiesen und das Feststellungsbegehren als mit einem Drittel berechtigt, im darüber hinausgehenden Umfang als nicht berechtigt erkannt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Die Revisionswerber bringen zusammengefasst vor, das Berufungsgericht sei von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, weil die Rechtsunkenntnis des Klägers bzw seines gesetzlichen Vertreters hinsichtlich der im Gesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Lenken eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugs als schuldhaft zu qualifizieren sei. Das Berufungsgericht habe sich mit dem rechtswidrigen kurvenschneidenden Linkseinbiegen in eine Haus- bzw Grundstückseinfahrt durch den Kläger nicht auseinandergesetzt. § 13 Abs 1 StVO, wonach nach links in weitem Bogen einzubiegen sei, sei auch beim Einbiegen in eine Grundstückseinfahrt anzuwenden. Dagegen habe der Kläger verstoßen. Schließlich sei es dem Kläger als Verschulden zurechenbar, dass er einen Kontrollblick nach links seitlich rückwärts („zweiter Blick" auf den Nachfolgeverkehr) unterlassen habe. Die angeführten Umstände rechtfertigten gegenüber dem Verstoß des Erstbeklagten gegen das Überholverbot eine Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Klägers.
Hiezu wurde erwogen:
1.) Fehlende Lenkerberechtigung:
Dass der Kläger im Unfallszeitpunkt die nach § 31 Abs 3a FSG in der damals geltenden Fassung (BGBl I 2005/152) erforderlichen Voraussetzungen für das Lenken eines vierrädrigen Leichtkraffahrzeugs nicht erfüllte, ist nicht strittig und muss daher nicht mehr erörtert werden.
Gemäß § 2 ABGB kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm ein Gesetz nicht bekannt geworden ist, sobald es gehörig kundgemacht worden ist.
Dem Kläger ist zuzugestehen, dass aus § 2 ABGB nicht zu folgern ist, dass Gesetzesunkenntnis für sich allein schon ein Verschulden begründet (RIS-Justiz RS0008652). Jedermann ist aber nach der Rechtsprechung dazu verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RIS-Justiz RS0013253). Bei Beurteilung der Frage, ob dem Normunterworfenen die Kenntnis einer bestimmten Vorschrift unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar war, ist stets ein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0008663). Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum sind nur dann nicht vorwerfbar, wenn die (richtige) Gesetzeslage einem Betroffenen trotz zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erkennbar war (RIS-Justiz RS0118363).
Aufgrund dieser nach der Rechtsprechung gebotenen strengen Betrachtungsweise ist der Senat entgegen dem Berufungsgericht der Ansicht, dass trotz der vom Kläger bzw seinen Eltern eingeholten Erkundigungen die Rechtsunkenntnis im vorliegenden Fall vorwerfbar ist. Aus dem Klagsvorbringen selbst ergibt sich, dass bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck und beim ÖAMTC die richtige Rechtsauskunft zu erlangen war. Die Nachfrage bei einer dieser Stellen wäre auch zumutbar gewesen.
Von der Frage der Vorwerfbarkeit der Rechtsunkenntnis ist die Frage zu trennen, ob das Fehlen der Lenkerberechtigung bei der Verschuldensteilung (erschwerend) ins Gewicht fällt. Der Senat ist angesichts der Erkundigungsversuche der Ansicht, dass im vorliegenden Fall eine Vernachlässigung möglich ist.
2.) Einbiegen im flachen Bogen:
Aus den Feststellungen über die Kollisionsposition und Endstellung der Fahrzeuge ergibt sich, dass der Kläger, gemessen an den Geboten des § 13 Abs 1 (und 2) StVO, mit dem Linksabbiegemanöver zu früh begonnen hat. Die genannten Vorschriften sind nach der Rechtsprechung auch beim Einbiegen in eine Zufahrt zu beachten (ZVR 1984/33; 8 Ob 85/86; RIS-Justiz RS0073729; RS0073935). Der Rechtswidrigkeitszusammenhang in Bezug auf den Nachfolgeverkehr ist nach der Rechtsprechung gegeben (2 Ob 3/86; 8 Ob 85/86; RIS-Justiz RS0027551; RS0073321 [T4]).
Die Beklagten haben daher die Übertretung einer Schutznorm durch den Kläger bewiesen, sodass es an diesem wäre, sein mangelndes Verschulden oder denselben Verlauf auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0112234 [T5, T14]).
Der Kläger hat kein Vorbringen erstattet, es treffe ihn am Verstoß gegen das Gebot des Abbiegens im weiten Bogen gemäß § 13 Abs 1 StVO kein Verschulden. Wohl aber gibt es beiderseitiges Vorbringen zum rechtmäßigen Alternativverhalten: Der Kläger hat behauptet, die Kollision wäre auch bei einem andersgearteten Abbiegevorgang unvermeidlich gewesen. Demgegenüber haben die Beklagten behauptet, es wäre nie zu einer Kollision gekommen, wenn der Kläger pflichtgemäß tangential abgebogen wäre.
Zu diesem beiderseitigen Vorbringen fehlen jedoch Feststellungen, die entscheidungswesentlich sind: Falls dem Kläger der Beweis gelingt, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre, wäre ihm sein rechtswidriges Verhalten in Form des Einbiegens im flachen Bogen nicht anzulasten.
3.) Unterlassener Kontrollblick:
Nach den Feststellungen hat der Kläger den Kontrollblick auf den Nachfolgeverkehr unterlassen, welches Verhalten für den Unfall ursächlich war. Der Kläger war zu diesem Kontrollblick (und angesichts der konkreten Verhältnisse auch zu einem zweiten Kontrollblick) verpflichtet (vgl RIS-Justiz RS0079255 [T4, T13, T14]; RS0073581 [T2, T3, T4, T5, T6]; RS0027245 [T2]; RS0073681 [T2]; RS0073793), weil § 12 Abs 1 StVO hinsichtlich der Verpflichtung, sich davon zu überzeugen, dass niemand zum Überholen angesetzt hat, nicht danach differenziert, ob ein Überholverbot besteht oder nicht. Insbesondere bei den nicht eindeutig abgrenzbaren (nicht verordneten) Überholverboten gemäß § 16 Abs 1 StVO brächte ein Abweichen vom insoweit klaren Gesetzeswortlaut des § 12 Abs 1 StVO erhebliche Rechtsunsicherheit.
Der Kläger hat somit gegen diese Vorschrift verstoßen.
Eine Sachentscheidung durch den Obersten Gerichtshofs ist jedoch nicht möglich, da es zur vorzunehmenden Verschuldensteilung - wie ausgeführt - an nötigen Feststellungen zum rechtmäßigen Alternativverhalten im Zusammenhang mit dem flachen Einbiegebogen des Klägers fehlt.
Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im angefochtenen Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die entsprechende Verfahrensergänzung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E93157European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00205.09Z.0128.000Im RIS seit
27.02.2010Zuletzt aktualisiert am
16.02.2012