Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otmar K*****, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Rechtsanwaltskammer für Kärnten, Klagenfurt, Theatergasse 4/I, vertreten durch Huainigg Dellacher & Partner Rechtsanwälte OEG in Klagenfurt, wegen 75.874,41 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. September 2009, GZ 5 R 126/09b-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. Mai 2009, GZ 20 Cg 38/08b-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.025,36 EUR (darin 337,56 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger beauftragte einen Kärntner Rechtsanwalt mit der treuhändigen Abwicklung eines Kaufvertrags, wobei er dem Rechtsanwalt als Treuhänder im Jänner 2000 den (offiziellen) Kaufpreis von 1,6 Mio ATS überwies. Der Rechtsanwalt folgte diesen Betrag jedoch nicht an die Verkäufer aus, sondern verwendete ihn für eigene Zwecke. In dem in der Folge eingeleiteten Strafverfahren wurde der Rechtsanwalt unter anderem wegen der zu Lasten des Klägers begangenen Veruntreuung strafgerichtlich verurteilt. Der Kläger war dem Strafverfahren nicht als Privatbeteiligter beigetreten; seiner Ladung zum Untersuchungsrichter im Rahmen der Vorerhebungen war er mit der Begründung nicht gefolgt, zu diesem Termin geschäftlich ins Ausland reisen zu müssen. Der Rechtsanwalt hatte auch zu Lasten anderer Personen Veruntreuungen vorgenommen, nämlich als bestellter Masseverwalter in einem Konkursverfahren durch Behebung eines Geldbetrags von rund 1,8 Mio ATS in der Zeit vom 28. 11. 1997 bis 13. 7. 1999, durch Ansichbringen eines weiteren Treuhanderlags von 2 Mio ATS im Juni 2000 und durch Aneignung eines zugunsten eines Klienten überwiesenen Betrags von 90.000 ATS am 5. 9. 2000.
Ab Mitte 2006 kam der Kläger mit dem Rechtsanwalt wieder ins Gespräch. Dabei erzählte der Rechtsanwalt im Herbst 2007 von einer Anzeige einer früheren Klientin und erklärte, die Beklagte hätte binnen fünf Minuten erkannt, dass er Treuhandgelder veruntreut hat, wenn sie [aus Anlass dieser Anzeige] bei ihm Nachschau gehalten hätte.
Zu der erwähnten Anzeige war es gekommen, nachdem der Rechtsanwalt gegen die Klientin am 1. 3. 1999 eine Honorarklage eingebracht hatte (Das Verfahren endete am 11. 9. 2001 mit einem Vergleich.). Mit Schreiben vom 28. 11. 1999 beschwerte sich die Klientin in einer mit „Beschwerde, Anfrage" betitelten Eingabe bei der Beklagten über das Verhalten des Rechtsanwalts in dem sie betreffenden Fall, in dem sie diesen beauftragt hatte, die Interessen ihres minderjährigen Sohnes in bestimmten Zusammenhängen wahrzunehmen. Sie gab in dem Schreiben an, sich durch die Vorgangsweise des Rechtsanwalts geschädigt zu fühlen, und erklärte, die Vorwürfe lauteten auf „Unterdrückung von Urkunden sowie Veruntreuung, Verletzung von Treue- und Standespflichten, absichtliche Herbeiführung von Verjährung, u.a.". In weiterer Folge beschrieb sie, dass sie im Namen ihres mj Sohnes den Anwalt mit der Einbringung einer Unterlassungsklage und einer Schadenersatzklage, einen von ihrem Sohn geerbten Hof betreffend, beauftragt habe:
„[...] Es wurde vereinbart, dass ich für den Minderjährigen des Klagerisiko trage und die Prozesskosten vorfinanziere. Die Anwaltsrechnung (Honorarnote) sollte auf den Namen des Minderjährigen lauten, sodass sie in dessen Buchhaltung einfließen könne [...]. Da der 31. 12. 1997 verstrich, ohne dass die täglich erwartete Ladung für eine Gerichtsverhandlung eintraf, urgierte ich bei Rechtsanwalt T***** vorerst mehrmals telefonisch. Da dieser sich entweder verleugnen ließ oder mit Ausflüchten vertröstete, forderte ich Rechtsanwalt T***** auf, den Klagsentwurf in Kopie zuzusenden und forderte außerdem mehrmals schriftlich auf, die vereinbarte Klage einzubringen. Hinzu kam auch noch ein Antrag für eine Besitzstörungsklage wegen Verparkung eines errichteten Materialabstellplatzes, welche mit Fotos dokumentiert war.
T***** reagierte auch auf meine schriftlichen Aufforderungen nicht und entwickelte offensichtlich ein Eigenleben, das mit dem Auftrag überhaupt nichts mehr zu tun hatte bzw. diesem sogar widersprach.
Da ich von T***** völlig im Unklaren gelassen wurde, stellte sich erst im Sommer 1998 heraus, dass Dr. T***** anstatt auftragsgemäß zu klagen, genau das Gegenteil machte. Statt den konsenslosen Weg zu bekämpfen und für die angerichteten Schäden Ersatz einzufordern, liefen seine Bemühungen darauf hinaus, den Weg zum Nachbarort zu fördern! [...] T***** brachte zum Schaden des Kindes auch die aufgetragene Besitzstörungsklage nicht ein und ließ auch diese am Schreibtisch verjähren.
T***** bemühte sich, dass zu Lasten des Kindes (seines Mandanten) dem Nachbarn und weiteren Grundanrainern ein Servitut eingeräumt werde, obwohl ihm aus dem Grundbuch ersichtlich war, dass ein gerichtlich beschlossenes Veräußerungs- und Belastungsverbot besteht.
T***** bemühte sich um Förderungsgelder des Landes Kärnten, für einen Wegausbau zum Nachbarhof. Das Kind sollte sogar gigantische Baumaßnahmen an Baufirmen in Auftrag geben, um eine gewichtsmäßig praktisch unbeschränkte Befahrbarkeit zum Nachbarhof zu sichern. A***** sollte das Baurisiko (Finanzierungsrisiko) und die Haftungen tragen sowie Eigenleistungen in sechsstelliger Höhe erbringen! Außerdem sollte das Kind Bauarbeiten in Millionenhöhe vorfinanzieren. Gleichzeitig sollte damit auf die Schadenersatzforderung, Grundinanspruchnahme, Wirtschaftserschwernis verzichtet werden. Zum eigenen Hof dürfte aber A***** nicht mehr zufahren, da er den schmalen Hofraum dann dem Nachbarn bzw. dessen Anrainerverkehr überlassen müsste. Da es nicht im Interesse von A***** lag, dem Nachbarn eine Zufahrt zu errichten, weil er die Bewirtschaftung seines eigenen Hofes praktisch unmöglich macht und dem Kind statt Geld gigantische Bauverpflichtungen bringt, habe ich die Annahme der Förderung, die mir T***** als eine Entschädigungszahlung glaubhaft machen wollte, abgelehnt.
Da ich die von T***** ausgehandelte Förderung nicht annahm, beantragte nun der Nachbar über seinen Anwalt beim Pflegschaftsgericht, mir die Obsorge über A***** Vermögen zu entziehen mit der Begründung, dass ich 560.000,-- ATS Förderungsgeld nicht annehme und damit dem Kind schaden würde. Der Nachbar drohte, A***** auf Annahme der Förderung zu klagen. [...]
Die Klagedrohung des Nachbarn beweist eindrucksvoll, wie gut Dr. T***** dessen Interessen vertreten hat und nicht die von A***** - seines Mandanten.
Aufgrund der Klagedrohung dem Minderjährigen gegenüber betraute das Pflegschaftsgericht die Leiterin des Jugendamtes S***** [...] mit der Sachwalterschaft - mit dem Auftrag, die vermeintliche Entschädigungszahlung anzunehmen.
Erst in der Folge erkannte man seitens des Jugendamtes und des Pflegschaftsgerichtes, dass die Annahme von diesem Geld lediglich Bauverpflichtungen in Millionenhöhe und Haftungsverpflichtungen und Servitute einbringen - jedenfalls netto kein Geld, sondern höchstens eine Krida.
Darum hat auch die Sachwalterin das Geld bis dato nicht angenommen und von Seiten des Pflegschaftsgerichtes wurde meine Entscheidung nun doch für richtig befunden und ich wurde rehabilitiert.
Ich und auch Frau Dr. M***** forderte Dr. T***** mehrmals auf, die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen des Erblassers herauszugeben, um die Schadenersatzansprüche des Kindes doch noch geltend machen zu können. Dr. T***** weigert sich bis heute, die für eine erfolgreiche Schadenersatzklage unerlässlichen Dokumente herauszugeben, obwohl ich ihm bereits im Oktober des Vorjahres das Vertrauen und das Mandat entzogen hatte. Dadurch konnte weder das Jugendamt noch ein Klagenfurter Rechtsanwalt, der bereit gewesen wäre, die berechtigten Schadenersatzforderungen einzuklagen, die Interessen des Kindes vertreten (Bei den Unterlagen handelt es sich um handschriftliche Einsprüche des Erblassers, die unter anderem beweisen, dass der Weg von Anfang an bekämpft, Schadenersatz sowie Unterlassung verlangt wurde, sowie um behördliche Urkunden, Erkenntnisse des Agrarsenates usw.).
Mit Ende Oktober 1999 hat nun Dr. T***** die Chance auf Schadenersatz für das Kind mit seiner Weigerung, die Unterlagen herauszugeben, endgültig vernichtet, da mit diesem Datum die Ansprüche verjährt sind. Hiemit hat Dr. T***** absichtlich die Interessen des Gegners vertreten, indem er diesem dadurch unter anderem viel Geld erspart. Dem Kind sind dadurch sowohl unmittelbare als auch Folgeschäden in größerer sechsstelliger Höhe entstanden.
Ich stelle daher für den mj. A***** folgende Frage an die Kammer:
Besteht die Möglichkeit, von Rechtsanwalt T***** Schadenersatz zu fordern?
[...]
Sind Rechtsanwälte für Schäden, die sie verursachen, versichert? Wenn ja, wie können Forderungen an diese Versicherung gestellt werden?
Besteht die Möglichkeit, Rechtsanwalt Dr. T***** anzuzeigen (Veruntreuung, Urkundenunterdrückung ...)?
Ist es möglich, die nicht auftragsgemäß verwendete Anzahlung von Rechtsanwalt T***** zurückzufordern?
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat das Kind, um zu den zurückgehaltenen Unterlagen (Dokumenten) zu kommen?
Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es, um Rechtsanwalt T***** zu einer ordentlichen Rechnungslegung (Ausstellung einer Honorarnote) zu zwingen, z.B. für die geleisteten Akontozahlungen (34.000,-- ATS)?
Gibt es von Seiten der Rechtsanwaltskammer irgendwelche Unterstützungsmöglichkeiten für geschädigte Kinder?
Ich möchte noch hinzufügen, dass Rechtsanwalt T***** unverschämt hohe Honorarforderungen stellt, ohne wesentliche Leistungen erbracht zu haben. Er hat mich in seiner Kanzlei mehrfach aufgefordert, Bargeld zu bringen, wobei ich das Geld auf den Tisch legen und mich danach entfernen sollte. Auch für die geleisteten Akontozahlungen war er nicht bereit, wie es gesetzlich vorgesehen ist, eine Rechnung bzw. Honorarnote mit allen notwendigen Rechnungsmerkmalen auszustellen.
Ich befürchte, dass dortgelassenes Geld von Rechtsanwalt T***** nicht ordentlich verbucht wurde und er sich deshalb weigert, Honorarnoten auszustellen.
Es ist bekannt geworden, dass Rechtsanwalt T***** durch Spekulationsgeschäfte in Amerika Millionenbeträge verloren hat und dadurch angeblich auch sein Haus in V*****. Es stellt sich daher die Frage, ob seine finanziell prekäre Situation nunmehr Grund für seine unverschämt hohen Honorarforderungen ist?
In letzter Zeit war in den Medien sehr viel zu lesen, dass Anwälte aufgrund von Spekulationsgeschäften dann in Folge Veruntreuungen begangen haben.
Ich habe den begründeten Verdacht, dass Rechtsanwalt T***** die ihm zur Verfügung gestellten Dokumente und Urkunden veruntreut und diese möglicherweise gegen Bezahlung zurückgehalten oder weitergegeben hat."
Die Beklagte ersuchte den Rechtsanwalt umgehend, gemäß § 23 RAO bzw § 23 RL-BA zur Beschwerde innerhalb von 14 Tagen Stellung zu nehmen. Der Rechtsanwalt erstattete fristgerecht eine (sechsseitige) Stellungnahme, in der er die Anschuldigungen zurückwies. Mit Schreiben vom 16. 12. 1999 übermittelte die Beklagte der Anzeigerin die Stellungnahme des Rechtsanwalts und gab bekannt, dass für den Ausschuss der Beklagten kein Anlass für ein weiteres Einschreiten bestehe.
Mit seiner am 28. 2. 2008 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger aus dem Titel der Amtshaftung von der Beklagten 75.874,41 EUR samt Zinsen. Soweit dies im Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, brachte er dazu im Wesentlichen vor, die Beklagte habe es schuldhaft unterlassen, den in der Anzeige der Klientin vom 28. 11. 1999 erhobenen Vorwürfen nachzugehen. Insbesondere wäre die Beklagte aufgrund dieser Anzeige verpflichtet gewesen, eine Nachschau in den Kanzleiräumlichkeiten, eine Kontenkontrolle sowie eine Überprüfung der Fremdgeldgebarung durchzuführen. Auch nur bei der geringsten ernsthaften Reaktion der Beklagten im Jahr 1999 wäre es zur Verhängung disziplinarrechtlicher Maßnahmen gegen den Rechtsanwalt gekommen, sodass Veruntreuungen - auch zu Lasten des Klägers - im Jahr 2000 nicht mehr möglich gewesen wären. Nachdem der Kläger Prozesse gegen die Liegenschaftsverkäufer geführt habe, sei ihm letztlich ein Vermögensnachteil in Höhe des Klagebetrags verblieben. Er habe erst Ende 2007 von der gegen den Rechtsanwalt erhobenen Anzeige sowie davon erfahren, dass bei einer Überprüfung durch die Beklagte die vom Kläger bereits vorher vorgenommenen Veruntreuungen aufgedeckt worden wären.
Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, sie habe auf die Anzeige gegen den Rechtsanwalt in zweckmäßiger Weise reagiert. Die Anzeige habe im Wesentlichen eine überhöhte Honorarabrechnung betroffen. Ein konkreter Verdacht auf eine Veruntreuung von Klientengeldern habe sich aus der Beschwerde nicht ergeben. Weiters erhob die Beklagte die Einrede der Verjährung. Dem Kläger hätten die vom Rechtsanwalt begangenen Veruntreuungen spätestens im Dezember 2000 bekannt sein müssen. Eine Haftung der Beklagten sei von Anfang an im Raum gestanden. Der Kläger habe sich über die ganzen Jahre in Kontakt mit dem Rechtsanwalt befunden. Sowohl durch Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren als auch in einem der vom Kläger gegen die ehemaligen Vertragspartner angestrengten Zivilverfahren hätte für den Kläger die Möglichkeit bestanden, den Rechtsanwalt zu befragen, ob die Überweisung des Kaufpreises tatsächlich auf ein Anderkonto erfolgt sei. Überdies sei die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstands nach § 23 RAO seit jeher allgemeine Aufgabe der Rechtsanwaltskammern. Auf Basis dieser Argumentation hätte sich am Kenntnisstand betreffend Schaden und allfälliger Maßnahmen der Beklagten zumindest seit dem Strafverfahren gegen den Rechtsanwalt nichts mehr geändert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Verjährung allfälliger Amtshaftungsansprüche sei nicht eingetreten. Für den Beginn der Verjährungsfrist sei die Kenntnis des Geschädigten vom objektiven Sachverhalt maßgebend. Sämtliche rechtserzeugenden Tatsachen seien dem Kläger erst mit der Mitteilung des Rechtsanwalts im Herbst 2007 bekannt geworden, indem dieser die Anzeige der ehemaligen Klientin erwähnt habe. Erst durch dieses Sachverhaltselement habe eine Haftung der Beklagten begründet werden können. Nur wenn der Beklagten bereits vor dem gegenständlichen Fall der Veruntreuung zum Nachteil unter anderem des Klägers ein ähnlich gelagerter Sachverhalt bekannt gewesen wäre, käme überhaupt eine Haftung der Beklagten infolge Unterlassung gehöriger Maßnahmen im Zuge ihrer Aufsichtspflicht und Disziplinargewalt in Frage. Von diesem zusätzlichen Sachverhaltselement habe der Kläger jedenfalls erst im Herbst 2007 Kenntnis erlangt. Der Anspruch sei aber dem Grunde nach nicht berechtigt. Der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, schuldhaft amtswegig zu treffende Maßnahmen nicht vorgenommen zu haben. § 23 RAO (in der Fassung 1999) besage nur ganz allgemein, dass dem Kammerausschuss unter anderem die Wahrung von Ehre und Ansehen sowie die „Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstands" obliege; in die Kompetenz des Ausschusses fielen jedenfalls nicht Disziplinarvergehen. In Ausübung des Aufsichtsrechts stehe dem Ausschuss lediglich das Recht zu, dem Rechtsanwalt Ratschläge und Mahnungen zu erteilen. Damit sei jedoch keine Befugnis verbunden, neue Verhaltenspflichten im Einzelfall zu begründen und vorhandene verbindlich zu konkretisieren. Selbst wenn der Ausschuss in diesem Fall verbindliche Anordnungen hätte treffen können, wäre er hiezu nicht verpflichtet gewesen, sondern hätte lediglich das ihm vom Gesetz eingeräumte Ermessen ausüben können. Dem Ausschuss komme bei der Aufsichtsführung Ermessen zu. Rechtswidrigkeit des Verhaltens bzw Unterlassens läge nur dann vor, wenn das Ermessen falsch ausgeübt werde. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte aus Anlass der „Beschwerde/Anfrage" ihr Ermessen sorgfaltsgemäß ausgeübt und ohne jegliche Verzögerungen angemessene Veranlassungen getroffen. Dabei sei insbesondere auf den Inhalt der Beschwerde abzustellen, aus dem sich kein konkreter oder näher substantiierter Vorwurf an den Rechtsanwalt ergebe, tatsächlich in der Vergangenheit Fremdgelder veruntreut zu haben.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es ging auf das Bestehen des behaupteten Amtshaftungsanspruchs nicht ein, sondern stützte seine Entscheidung ausschließlich auf die seiner Ansicht nach eingetretene Verjährung. Für den Beginn der Verjährung eines Amtshaftungsanspruchs sei jener Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden irgendeines Organs des Rechtsträgers schließen könne. Die Verjährung beginne daher zu dem Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte ausreichend Gewissheit über ein Verschulden von Organen des Rechtsträgers habe oder wisse, dass er ohne eigene Aktivität seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen könne. Eine Erkundigungspflicht dürfe zwar nicht überspannt werden, sei aber zu bejahen, wenn Verdachtsmomente bestehen, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen könne, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden. Der Kläger habe von der widmungswidrigen Verwendung des bezahlten Kaufpreises durch den Treuhänder bereits im Dezember 2000 gewusst. Er habe aufgrund der Zeugenladung Kenntnis von dem gegen den Rechtsanwalt eingeleiteten Strafverfahren gehabt, dem er sich jedoch nicht als Privatbeteiligter anschloss. Er hätte durch die ihm als Geschädigtem zustehende Akteneinsicht bereits im November 2001 Kenntnis davon erlangen können, dass der Rechtsanwalt weitere Personen, und zwar bereits im Zeitraum November 1997 bis Juli 1999, geschädigt habe. Diesen Umstand hätte er ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen können. Daraus hätten sich für ihn Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beklagte „allenfalls" ihre Pflichten zur Überwachung des Rechtsanwaltsstands nach § 23 RAO verletzt habe. Außerdem hätte er wissen müssen, dass er bereits zu jenem Zeitpunkt (November 2001) seinen Wissensstand ohne eigene Aktivität nicht mehr erhöhen könne. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe die Verjährung zu laufen begonnen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil gesicherte Judikatur zum Beginn der Verjährungsfrist in Amtshaftungssachen vorliege und für die Erkundigungspflicht auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Der Revisionswerber führt aus, seine Klage stelle nicht auf die „allgemeine Aufsichtspflicht" der Beklagten ab, sondern auf eine durch eine Disziplinaranzeige ausgelöste, besondere Aufsichtspflicht. Die Beklagte treffe im Rahmen der allgemeinen Aufsichtspflicht hinsichtlich der kriminellen Tätigkeiten des Rechtsanwalts jedenfalls kein Verschulden, wohl jedoch an der konkreten Untätigkeit nach Erhalt der Disziplinaranzeige der ehemaligen Klientin. Damit ist klargestellt, dass der Kläger seinen Anspruch nur (mehr) aus dem Vorwurf ableiten will, die Beklagte habe auf die erwähnte Anzeige nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise reagiert und hätte bei Vornahme der gebotenen Maßnahmen die Schädigung des Klägers verhindern können.
Zutreffend wendet sich der Kläger in diesem Zusammenhang gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Verjährung allfälliger Amtshaftungsansprüche. Davon, dass er bereits im November 2001 konkrete Anhaltspunkte für ein aufsichtsbehördliches Fehlverhalten der Beklagten gehabt hätte oder hätte haben müssen, bestehen keine Anhaltspunkte, zumal ihm damals eben nur die ihn selbst betreffende Schädigungshandlung bekannt war. Davon, dass die Beklagte bereits vorher Anlass zu konkreten Maßnahmen gegen diesen Rechtsanwalt gehabt haben könnte und ein (schuldhaftes) Unterlassen dieser Maßnahmen den Schaden des Klägers vermieden hätte, konnte er aufgrund seines damaligen Wissensstands nicht ausgehen. Er war daher auch keineswegs gehalten, in Richtung einer allfälligen Haftung der Beklagten Erkundigungen zu pflegen, sich am Strafverfahren als Privatbeteiligter zwecks Ausforschung weiterer allenfalls Geschädigter zu beteiligen und Spekulationen darüber anzustellen, ob es allenfalls in der Vergangenheit Vorkommnisse gegeben haben könnte, deren Kenntnis die Beklagte zu bestimmten Handlungen hätte veranlassen können oder müssen. Angesichts des festgestellten Sachverhalts hatte der Kläger weder Kenntnis von den eine Haftung der Beklagten allenfalls begründenden Tatsachen, noch bestand eine derart starke Verdachtslage in diese Richtung, dass ihn Erkundigungsobliegenheiten getroffen hätten. Erst durch die Information des Rechtsanwalts im Herbst 2007 hat er (erstmals) darüber Kenntnis erlangt, dass durch eine ehemalige Klientin - etwas mehr als einen Monat vor der Überweisung des Treuhandbetrags an den Rechtsanwalt - bestimmte Vorwürfe an die Beklagte herangetragen worden waren.
Der Rechtsauffassung des Erstgerichts ist aber auch insoweit zu folgen, als sich aus der „Beschwerde/Anfrage" vom 28. 11. 1999 keine konkreten Hinweise auf tatsächlich vom Rechtsanwalt begangene Veruntreuungen ergeben haben. Die Anzeigerin verwendete den Begriff der „Veruntreuung" zwar wiederholt, erhob jedoch in ihrer Beschwerde in erster Linie die Vorwürfe, der Rechtsanwalt habe nicht auftragsgemäß gehandelt und darüber hinaus überhöhte Honorarforderungen gestellt. Soweit die Anzeigerin von „Unterdrückung von Urkunden sowie Veruntreuung" bzw davon spricht, dass der Rechtsanwalt die ihm zur Verfügung gestellten Dokumente und Urkunden „veruntreut" und diese möglicherweise gegen Bezahlung zurückgehalten oder weitergegeben habe, verwendet sie den Begriff der „Veruntreuung" in einem ganz untechnischen Sinn und wollte damit ersichtlich nichts anderes aussagen, als dass ihrer Ansicht nach der Rechtsanwalt von ihr zur Verfügung gestellte Urkunden zu Unrecht nicht herausgebe bzw gar an Dritte weitergegeben habe. Abgesehen davon, dass der Kläger selbst nicht behauptet, der Vorwurf, Urkunden an Dritte weitergegeben zu haben, sei berechtigt gewesen, bestand für die Beklagte jedenfalls nicht der geringste Anlass dafür, aus diesen Behauptungen der Anzeigerin auf eine tatsächlich vorgefallene Veruntreuung von Klientengeldern zu schließen.
Ähnliches gilt für den in der Anzeige enthaltenen Passus, es sei bekannt geworden, dass der Rechtsanwalt durch Spekulationsgeschäfte in Amerika Millionenbeträge verloren habe, weshalb sich die Frage stelle, ob seine finanziell prekäre Situation nun der Grund für seine unverschämt hohen Honorarforderungen sei. Auch in diesem Zusammenhang behauptet der Kläger nicht, dass die Behauptung, der Rechtsanwalt habe durch Spekulationsgeschäfte in Amerika Millionenbeträge verloren, den Tatsachen entspricht. Handelt es sich demnach aber nur um die Wiedergabe eines Gerüchts, kann der Beklagten keinesfalls der Vorwurf gemacht werden, diesem Gerücht nicht nachgegangen zu sein. Entsprechendes gilt für den Hinweis der Anzeigerin darauf, dass in letzter Zeit in den Medien zu lesen gewesen sei, dass Anwälte aufgrund von Spekulationsgeschäften in der Folge Veruntreuungen begangen hätten. Auch die daran anschließende Vermutung, der Rechtsanwalt habe möglicherweise aus Geldmangel die ihm zur Verfügung gestellten Urkunden gegen Bezahlung zurückgehalten oder weitergegeben, hat mit dem vom Kläger erhobenen Vorwurf, die Beklagte hätte ausreichende Anhaltspunkte für die Veruntreuung von Klientengeldern durch den Rechtsanwalt gehabt und sei diesen in rechtswidriger und schuldhafter Weise nicht nachgegangen, nichts zu tun. Letztlich geht auch der Vorwurf der Anzeigerin, der Rechtsanwalt habe möglicherweise bestimmte Akontozahlungen „nicht ordentlich verbucht", in eine ganz andere Richtung und begründet keineswegs den Verdacht, er habe sich von der Klientin auf seine Honoraransprüche geleistete Geldbeträge angeeignet und bestreite nun deren Erhalt. Nachdem die Anzeigerin ihre „Beschwerde/Anfrage" einige Monate nach Erhalt der Honorarklage erhoben hat, war sie durchaus in der Lage, zu beurteilen, ob der Rechtsanwalt alle an ihn bezahlten Akontobeträge berücksichtigt hatte. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte sie zweifellos einen entsprechenden konkreten Vorwurf geäußert.
Angesichts des Inhalts der Anzeige und der umgehend abgegebenen Rechtfertigung des Rechtsanwalts kann keinesfalls gesagt werden, das Unterlassen konkreter Nachforschungen in Richtung einer allfälligen Veruntreuung von Klientengeldern sei der Beklagten als unvertretbares und damit schuldhaftes Fehlverhalten anzulasten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E93039European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00228.09Z.0129.000Im RIS seit
28.02.2010Zuletzt aktualisiert am
14.02.2012