TE OGH 2010/2/9 10ObS68/09m

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Veröffentlicht am 09.02.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann Josef G*****, vertreten durch Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.938,84 EUR und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2008, GZ 12 Rs 118/08x-10, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Juni 2008, GZ 32 Cgs 271/07z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der als Kontroller beschäftigte Kläger leidet seit seiner (Früh-)Geburt (am 24. 8. 1972) an spastischer Tetraplegie. Er beantragte am 21. 3. 2006 bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung eines Rehabilitationsaufenthalts. Dabei äußerte er den Wunsch, die Rehabilitation in der Klinik für Biokinematik (Blauen-Klinik) in B***** (Deutschland) zu absolvieren, weil sein erster Aufenthalt dort den gewünschten Erfolg gebracht habe. Auch im ärztlichen Gutachten der beklagten Partei vom 11. 5. 2006 wurde dieser Rehabilitationsaufenthalt befürwortet, weil der Antragsteller dort bereits eine einwöchige stationäre Therapie absolviert und davon nach eigenen Angaben sowie der Dokumentation im Arztbericht deutlich profitiert hatte. Aus ärztlicher Sicht sollte deshalb zur weiteren Verbesserung der Mobilität sowie zu einer Verbesserung der Beschwerdesymptomatik ein stationäres Kurheilverfahren in B***** (Deutschland) gewährt werden.

Im Zuge der chefärztlichen Bestätigung wurde die Empfehlung der deutschen Klinik jedoch in „RZ-Bad H*****" (Österreich) abgeändert. Mit Schreiben vom 12. 6. 2006 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, dass aufgrund seines Antrags ein Rehabilitationsaufenthalt in der Sonderkrankenanstalt der beklagten Partei in Bad H***** bewilligt werde. Daraufhin gab der Kläger mit E-Mail vom 27. 6. 2006 bekannt, dass er den bewilligten Kuraufenthalt in Bad H***** nicht in Anspruch nehmen werde. Er habe einen Aufenthalt in der Blauen-Klinik in B***** (Deutschland) beantragt und dieser sei ihm auch zugesichert worden. Mit Schreiben vom 6. 7. 2006 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, dass auch nach neuerlicher chefärztlicher Entscheidung seinem Ersuchen um Abänderung der Erledigung vom 12. 6. 2006 nicht nachgekommen werden könne. Mit Schreiben vom 17. 10. 2006 wiederholte die beklagte Partei die Bewilligung des Heilverfahrens gemäß § 302 ASVG (Rehabilitation) durch den Aufenthalt in der Sonderkrankenanstalt der beklagten Partei in Bad H*****.

Am 13. 11. 2006 ersuchte der Kläger schriftlich (im Weg seines damaligen Rechtsvertreters) neuerlich um eine Abänderung der Entscheidung. Er erklärte, dass er gewillt sei, die Behandlung in Deutschland durchführen zu lassen und die Kosten bei der beklagten Partei einzufordern. Er ersuchte um eine formelle Entscheidung, ob die Behandlung in der Blauen-Klinik genehmigt werde oder nicht. Im Falle der Ablehnung wäre auch anzugeben, „welches gerichtsförmige Verfahren zur Anfechtung dieser Entscheidung vorgesehen sei". Darauf antwortete die beklagte Partei mit Schreiben vom 28. 11. 2006, dass nach wie vor nur eine Genehmigung für einen Aufenthalt in Bad H***** vorliege. Bei medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation habe die Anstalt nach pflichtgemäßem Ermessen vorzugehen; ein Bescheid sei jedoch im Hinblick auf die Entscheidung 10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35 nicht zu erlassen. Dieses Schreiben stelle keinen klagefähigen Bescheid dar. Der Vertreter des Klägers nahm dies mit Schreiben vom 20. 12. 2006 zur Kenntnis und meinte, die erwähnte Entscheidung verstoße gegen das Europarecht, auch wenn sie der österreichischen Rechtslage entspreche.

Der Kläger absolvierte vom 25. 3. 2007 bis 31. 3. 2007 einen Rehabilitationsaufenthalt in der Blauen-Klinik (Klinik für Biokinematik) in B***** (Deutschland), wofür er aus eigenen Mitteln 2.938,84 EUR bezahlte. Mit Schreiben seines nunmehrigen Rechtsvertreters vom 6. 7. 2007 begehrte er den Ersatz dieser Kosten und verlangte weiters die „prinzipielle Zusage der Übernahme von Behandlungskosten in der Blauen-Klinik in Deutschland". Dieses Begehren lehnte die beklagte Partei mit Schreiben vom 16. 7. 2007 ab. Darin verwies sie „auf die bisherige Korrespondenz" und sprach aus, sie könne weder die Kosten des ohne ihre Zustimmung vorgenommenen Aufenthalts des Klägers in der Blauen-Klinik in Deutschland übernehmen, noch eine Zusage der Übernahme der Behandlungskosten für diese Einrichtung abgeben.

Mit der am 5. 9. 2007 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass ihm die Beklagte „weitere Rehabilitationsmaßnahmen in der Klinik für Biokinematik, Bad K***** (Deutschland), bei medizinischer Notwendigkeit bei Kostentragung" zu gewähren habe. Gleichzeitig erhob er ein Leistungsbegehren auf Zahlung von 2.938,84 EUR samt 6 % Zinsen seit 1. 4. 2007. Aus seinem Leiden ergebe sich eine Überlastung des Stützapparats und der Muskulatur. Um die Mobilität und Arbeitsfähigkeit aufrecht zu erhalten seien spezifische Therapien nötig, die (nur) in der Klinik für Biokinematik früher mit Sitz in B*****, nunmehr in Bad K***** (Deutschland) angeboten werden. Die beklagte Partei habe ein Aliud zum ursprünglich beantragten Aufenthalt bewilligt und sei daher mit der Entscheidung säumig. Bei pflichtgemäßer Ermessensausübung hätte die beklagte Partei den Rehabilitationsaufenthalt in Deutschland gewähren müssen, weil die vom Kläger benötigten spezifischen Rehabilitationsmaßnahmen nur in der Klinik für Biokinematik angeboten würden und keine inländische Einrichtung dieser Art zur Verfügung stehe. Auch Ermessensentscheidungen des Sozialversicherungsträgers seien durch das Arbeits- und Sozialgericht überprüfbar. Die Entscheidung 10 ObS 28/94, mit der die beklagte Partei die Nichterlassung eines Bescheids und die mangelnde Überprüfbarkeit von Rehabilitationsentscheidungen im Leistungsstreitverfahren begründe, sei durch die Entscheidung 10 ObS 258/02t überholt.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage zurück- in eventu abzuweisen. Über die Bewilligung eines Antrags auf Maßnahmen der Rehabilitation sei kein Bescheid zu erlassen. Der Leistungswerber werde darüber nur mittels Verständigung informiert. Es bestehe keine Möglichkeit, die Erbringung von Rehabilitationsleistungen im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen, und auch kein Rechtsanspruch auf Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen in einer gewünschten Einrichtung. Für den Fall, dass dem Schreiben vom 12. 6. 2006 Bescheidcharakter zukomme, sei die Klage jedenfalls verspätet.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Die Rechtsprechung, wonach bei Rehabilitationsmaßnahmen kein Bescheid zu erlassen sei und daher auch keine Möglichkeit bestehe, die Rehabilitation im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen (10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35), könne im Licht der neueren Judikatur nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Oberste Gerichtshof habe nunmehr ausgesprochen, dass bei Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch in Ansehung dieser Leistungen gegen eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers Klage wegen gesetzwidriger Ermessensausübung erhoben werden könne (RIS-Justiz RS0117386). Offen bleibe die Frage der Bescheidpflicht und der Klagefrist gegen derartige Ermessensentscheidungen, weil in den bisher entschiedenen Fällen jeweils ein Bescheid vorgelegen sei. Die Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 12. 6. 2006 und 17. 6. 2006 seien materiell als Bescheide zu qualifizieren. Für die am 5. 9. 2007 eingebrachte Klage sei die dreimonatige Klagsfrist gemäß § 67 Abs 2 ASGG jedenfalls abgelaufen und die Klage daher wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts habe die beklagte Partei im Rehabilitationsverfahren keinen Bescheid erlassen; unabhängig davon, ob in den Schreiben der beklagten Partei einzelne Bescheidelemente erkennbar seien, dürfe nämlich nicht ignoriert werden, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung (10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35) ausdrücklich betont habe, dass bei medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation kein Bescheid zu erlassen sei. Ein Bescheidwille könne daher nicht unterstellt werden.

Dies führe zur Frage, ob überhaupt ein Bescheid zu erlassen sei:

Für den Bereich der medizinischen Rehabilitation in der Krankenversicherung (§ 154a ASVG), die zwar zu den freiwilligen Leistungen gehöre (§ 121 Abs 2 ASVG), aber als Pflichtaufgabe, wenngleich ohne individuellen Rechtsanspruch des Versicherten zu erbringen sei, habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 258/02t ausgesprochen, dass der Versicherte zwar keinen individuellen Rechtsanspruch auf Leistung habe; bedingt durch die öffentliche-rechtliche Leistungserbringung bestehe aber ein Anspruch des Versicherten auf gesetzmäßige Ermessensausübung, der auch verfahrensmäßig überprüfbar sein müsse. Auch über die Nichtgewährung freiwilliger Leistungen aus der Krankenversicherung sei mit Bescheid zu erkennen.

Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung seien hingegen Pflichtleistungen, wenngleich auch ohne individuellen Rechtsanspruch. Gleich wie in der Krankenversicherung seien sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen (§ 301 Abs 1, § 154a Abs 1 ASVG). Angesichts der nunmehr für Rehabilitationsmaßnahmen in der Krankenversicherung anerkannten gerichtlichen Kontrolle der Ermessensübung lasse sich eine Verweigerung dieses Rechtsschutzes für die Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung nicht aufrecht erhalten, ohne in einem Wertungswiderspruch zu geraten. Nach dem Wortlaut des § 367 Abs 1 Satz 2 ASVG zeige sich, das hier für den Bereich der Pensionsversicherung nur jene Leistungen aufgezählt seien, für die „jedenfalls" ein Bescheid zu erlassen sei. Dies könne auch so verstanden werden, dass auf Antrag des Leistungswerbers doch ein Bescheid zu erlassen sei. Außerdem sei nach § 367 Abs 2 ASVG unter anderem auch bei Versagung eines Leistungsanspruchs ein Bescheid zu erlassen. Eine Bescheidpflicht könne daher auch auf diese Bestimmung gestützt werden (so auch Jabornegg/Resch, Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 ff [71]). Im Lichte der nunmehrigen Rechtsprechung zur Rechtskontrolle der Ermessensübung müsse daher auch für Rehabilitationsmaßnahmen im Bereich der Pensionsversicherung eine Bescheidpflicht angenommen werden, die sich auch aus dem Wortlaut des § 367 Abs 1 und 2 ASVG ableiten lasse.

Hier liege jedoch kein Bescheid vor. Deshalb komme für die Rechtswegzulässigkeit der Klage nur ein Säumnistatbestand in Betracht (§ 67 Abs 1 Z 2 ASGG). Die Nichterlassung eines Bescheids eröffne nur dann die Möglichkeit zur Säumnisklage, wenn ein diesbezüglicher Antrag gestellt worden sei (RIS-Justiz RS0111337). Der Kläger habe zwar am 13. 11. 2006 um eine „formelle Entscheidung" ersucht, ob eine Behandlung in der Blauen-Klinik genehmigt werde, was als Bescheiderlassungsantrag gewertet werden könne. Dieser Antrag beziehe sich jedoch auf ein Begehren, das mit dem in der Klage erhobenen nicht ident sei. Gegenstand der Klage sei ein Zahlungsbegehren und ein (durch das ASVG nicht gedecktes) Feststellungsbegehren auf generelle Vorausbewilligung zukünftiger Rehabilitationsmaßnahmen. Ein entsprechender Antrag, den der Kläger bei der Beklagten am 6. 7. 2007 gestellt habe, sei mit Schreiben vom 16. 7. 2007 abgelehnt worden. Die Erlassung eines Bescheids über diesen Anspruch sei bisher nicht beantragt worden. Daher lägen auch die Voraussetzungen für eine Säumnisklage nicht vor. Im Ergebnis habe es daher bei der Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zu bleiben.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil aus Gründen der Rechtssicherheit ein Bedürfnis nach Klarstellung der Bescheidpflicht bei Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung bestehe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Zulässigkeit des Rechtswegs für den geltend gemachten Anspruch auszusprechen und dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; hilfsweise wird die Zurückverweisung des Verfahrens an das Rekurs- bzw an das Erstgericht begehrt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei, über den gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter zu entscheiden war, ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber pflichtet der Beurteilung des Rekursgerichts bei, dass die beklagte Partei für die Rehablitationsmaßnahmen - auch im Bereich der Pensionsversicherung - eine Bescheiderlasssungspflicht treffe. Er beruft sich jedoch darauf, dass zu Unrecht angenommen worden sei, hier werde ein Anspruch geltend gemacht, der mit dem Antrag des Klägers nicht übereinstimme. Eingeklagt habe er die von ihm bezahlten Kosten des Rehabilitationsaufenthalts in Deutschland (mittels Leistungsbegehren) und eine pflichtgemäße Ermessensübung (mittels Feststellungsbegehren). Der Antrag auf Fällung der Ermessenensentscheidung sei mit dem Klagebegehren inhaltlich ident.

Demgegenüber vertritt die beklagte Partei in ihrer Rechtsmittelbeantwortung den Standpunkt, entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei die ältere Judikatur zur Bescheiderlassungspflicht bei Leistungen der Rehabilitation seitens des Pensionsversicherungsträgers (10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35) durch die Entscheidung 10 ObS 258/02t, die einen Krankenversicherungsträger betreffe, nicht überholt. Den vom Rekursgericht zitierten Bestimmungen sei keine Pflicht zur Bescheiderlasssung bezüglich der Frage zu entnehmen, ob und in welcher Form eine konkrete Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren sei.

Dazu wurde Folgendes erwogen:

1. Gemäß § 67 Abs 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG - vorbehaltlich des § 68 ASGG - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden oder den Bescheid nicht innerhalb der in § 67 Abs 1 Z 2 ASGG genannten Fristen erlassen hat. Voraussetzung für eine Klageerhebung nach § 67 ASGG ist daher entweder das Vorliegen eines Bescheids im Zeitpunkt der Klagseinbringung oder das Vorliegen eines Säumnisfalls. Der Säumnisfall erfordert, dass der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet ist (Neumayr in ZellKomm § 67 ASGG Rz 12 mwN). Wenn der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids nicht verpflichtet ist, steht dem Versicherten eine Säumnisklage nicht zu (Kuderna, ASGG² Anm 6 zu § 67).

2. Es ist daher im Folgenden die zwischen den Parteien strittige Frage zu prüfen, ob der beklagte Sozialversicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids über die vom Kläger beantragte Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung gemäß § 302 ASVG (Bewilligung eines Heilverfahrens) verpflichtet war.

2.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass medizinische Maßnahmen der Rehabilitation sowohl in der Krankenversicherung (§ 154a ASVG), in der Unfallversicherung (vgl § 172 Abs 2 ASVG) als auch in der Pensionsversicherung (§ 302 ASVG) vorgesehen sind, wobei hinsichtlich der Ausgestaltung des Leistungsanspruchs Unterschiede bestehen. So können die Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation einerseits als Pflichtleistung mit einem individuell durchsetzbaren Rechtsanspruch, andererseits aber auch als Pflichtaufgabe ausgestattet sein. Zweiteres zwingt den Versicherungsträger lediglich zur Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens und eröffnet dem Leistungsempfänger keinen individuellen Rechtsanspruch (vgl Albert, Schnittstellenmanagement bei medizinischer Rehabilitation in Österreich in Jabornegg/Resch/Seewald, Medizinische Rehabilitation [2009] 171).

2.2. Die medizinischen Rehabilitationsleistungen der Unfallversicherung sind vom Gesetzgeber als Pflichtleistungen, somit mit individuellem Rechtsanspruch und Bescheidrecht des Versicherten konzipiert. Es besteht daher Übereinstimmung darüber, dass es sich bei den medizinischen Rehabilitationsleistungen der Unfallversicherung um Pflichtleistungen handelt, gegen deren Ablehnung ein Bescheid- und Klagerecht des Versicherten vor dem zuständigen Arbeits- und Sozialgericht besteht.

2.3. Bei den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung nach § 154a ASVG handelt es sich um eine Pflichtaufgabe des Krankenversicherungsträgers, die jedoch nicht als Pflichtleistung (mit individuellem Rechtsanspruch), sondern als freiwillige Leistung (ohne individuellen Rechtsanspruch) normiert ist. Gemäß § 367 Abs 1 ASVG ist unter anderem über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Krankenversicherung ein Bescheid zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt. Diese Einschränkung der Bescheiderlassungspflicht soll den Verwaltungsbetrieb durch Verzicht auf den Bescheiderlass in jenen Fällen vereinfachen, in denen durch die tatsächliche Gewährung einer begehrten Leistung eine eventuelle Beschwer des Leistungsbegehrenden entfällt. Hingegen sieht die zitierte Bestimmung des § 367 Abs 1 ASVG in der Frage der Bescheiderlassungspflicht für Leistungen aus der Krankenversicherung keine Unterscheidung in Pflichtleistungen und freiwillige Leistungen vor. Insbesondere ist § 367 ASVG eine Beschränkung auf Pflichtleistungen in der Krankenversicherung nicht zu entnehmen, sodass auch über die Nichtgewährung freiwilliger Leistungen aus der Krankenversicherung mit Bescheid zu erkennen ist (vgl 10 ObS 258/02t = SSV-NF 17/17 = DRdA 2004/22, 263 [zust Naderhirn] = ZAS 2004/31, 183 [abl Haslinger] mwN). Ausgehend von diesen Erwägungen hatte der beklagte Krankenversicherungsträger in diesem damals zu beurteilenden Fall den Antrag des Versicherten auf Weitergewährung eines Krankenfahrstuhls als Leistung der medizinischen Rehabilitation in der Krankenversicherung nach § 154a ASVG ausdrücklich mit Bescheid abgelehnt. Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Entscheidung in Abkehr von der früheren Rechtsprechung für das Begehren auf Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung nach § 154a ASVG den Rechtsweg für zulässig erklärt (RIS-Justiz RS0085543 [T3]; RS0117386). Der Versicherte hat demnach im Bereich dieser Maßnahmen zwar keinen individuellen Rechtsanspruch auf Leistung, wohl aber einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung, der auch verfahrensmäßig nachprüfbar sein muss. An diesen Grundsätzen hat der erkennende Senat in seinen Entscheidungen 10 ObS 10/04z (= SSV-NF 18/67), 10 ObS 7/05k (= SSV-NF 19/34) und 10 ObS 45/08b (= SSV-NF 22/35) ausdrücklich festgehalten.

2.4.1. Auch die Pensionsversicherungsträger treffen gemäß § 300 Abs 1 ASVG Vorsorge für die Rehabilitation ihrer Versicherten und Leistungsempfänger. Nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle umfasst die Rehabilitation medizinische und berufliche Maßnahmen und, soweit dies zu ihrer Ergänzung erforderlich ist, soziale Maßnahmen mit dem Ziel, Behinderte bis zu einem solchen Grad ihrer Leistungsfähigkeit herzustellen oder wiederherzustellen, der sie in die Lage versetzt, im beruflichen und wirtschaftlichen Leben und in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd einnehmen zu können. Nach § 301 Abs 1 ASVG dienen die medizinischen Maßnahmen (§ 302 ASVG), die beruflichen Maßnahmen (§ 303 ASVG) und die sozialen Maßnahmen (§ 304 ASVG) zur Erreichung dieses Ziels. Die Pensionsversicherungsträger gewähren diese Maßnahmen nach pflichtgemäßen Ermessen unter Berücksichtigung der Neigung, Eignung und der bisherigen Tätigkeit des Behinderten, bei den Leistungsempfängern auch unter Berücksichtigung des Alters, des Zustands, des Leidens oder Gebrechens sowie der Dauer des Pensionsbezugs, sofern und solange die Erreichung dieses Ziels zu erwarten ist.

2.4.2. Auch bei den Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung nach den §§ 301 ff ASVG handelt es sich somit um eine Pflichtaufgabe des Pensionsversicherungsträgers, die jedoch - wie bei den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung - nicht als Pflichtleistung (mit individuellem Rechtsanspruch), sondern als freiwillige Leistung (ohne individuellen Rechtsanspruch) normiert ist. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 28/94 (= SSV-NF 8/35) darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des rechtlichen Charakters der medizinischen Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung einen ungewöhnlichen Weg gegangen ist. So werde der Versicherungsträger zwar verpflichtet, die Leistungen der Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen, er habe darüber jedoch keinen Bescheid zu erlassen. Mangels eines klagbaren Bescheids habe der Leistungswerber aber keine Möglichkeit, die Erbringung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen. Unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zur 32. ASVG-Novelle (181 BlgNR XIV. GP 50) führte der Oberste Gerichtshof weiters aus, dass ein individueller Rechtsanspruch allerdings auf das im Rahmen einer beruflichen Ausbildung bzw im Zuge von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung vorgesehene Übergangsgeld bestehe. Aus diesem Grund sehe § 367 Abs 1 ASVG nunmehr ausdrücklich eine Bescheidpflicht bei Antragstellung auf Gewährung des Übergangsgeldes vor. Der Oberste Gerichtshof gelangte daher in der Entscheidung 10 ObS 28/94 (= SSV-NF 8/35) zu der Auffassung, dass der Versicherte auf Maßnahmen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) keinen klagbaren Rechtsanspruch habe und er den Rechtsanspruch auf Übergangsgeld erst infolge Gewährung der Rehabilitationsmaßnahmen gewinne.

2.4.3. Was die Leistungen aus der Pensionsversicherung betrifft, ist nach § 367 Abs 1 ASVG über den Antrag auf Gewährung von Übergangsgeld aus der Pensionsversicherung ein Bescheid zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt. Weiters ist über den Antrag auf eine Leistung gemäß § 222 Abs 1 und 2 ASVG aus der Pensionsversicherung sowie auf Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens (§ 247 ASVG) jedenfalls (dh auch ohne entsprechendes Verlangen) ein Bescheid zu erlassen. Diese Bestimmung wurde, wie bereits erwähnt, in der Rechtsprechung bisher dahin verstanden, dass der Versicherungsträger verpflichtet ist, die Leistungen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) nach pflichtgemäßen Ermessen zu erbringen, er jedoch keinen Bescheid zu erlassen hat. Mangels eines klagbaren Bescheids hat aber der Leistungswerber keine Möglichkeit, die Erbringung von Leistungen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen (vgl 10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35 = RIS-Justiz RS0084894; 10 ObS 55/88 = SSV-NF 2/50). Auch in der Lehre wird weitaus überwiegend die Auffassung vertreten, dass über die Gewährung sämtlicher Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung (§ 222 Abs 3 ASVG) kein Bescheid zu erlassen ist, da es sich dabei um keine Pflichtleistungen handelt und die zitierte Bestimmung des § 367 Abs 1 ASVG eine Bescheidpflicht ausdrücklich nur über den Antrag auf eine Leistung gemäß § 222 Abs 1 und 2 ASVG aus der Pensionsversicherung vorsieht, sodass - im Umkehrschluss - für die Leistungen der Pensionsversicherung gemäß § 222 Abs 3 ASVG (Rehabilitation, Gesundheitsvorsorge) keine bescheidmäßige Erledigung vorgesehen ist (vgl Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 156 mwN und 241; Teschner/Widlar/Pöltner, MGA ASVG 69. Erg-Lfg Anm 1 zu § 301; Teschner in Tomandl, SV-System 14. Erg-Lfg 418 f; Oberndorfer/Muzak in Tomandl aaO 22. Erg-Lfg 654; Tomandl, Sozialrecht6 Rz 322; Schrammel, Verfügungen über Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Bd 17, 76 ff; Rebhahn, Mitverantwortung des Leistungsempfängers im Sozialrecht, DRdA 1997, 352 ff [357]; aA Jabornegg/Resch, Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 ff [69 ff]). Der gesetzliche Ausschluss der Bescheidpflicht wird als „Herausnahme dieses Leistungsbereichs aus der Hoheitsverwaltung" in die Privatwirtschaftsverwaltung gedeutet (vgl Fink, Die sukzessive Zuständigkeit aaO 157).

Auch B. Karl, Rehabilitation und Pension in DRdA 1999, 12 ff (18), vertritt die Auffassung, dass nach der geltenden Gesetzeslage der Pensionsversicherungsträger über einen gesonderten Antrag des Versicherten auf Rehabilitation nach wie vor nicht mit Bescheid zu entscheiden habe. Die Rechtslage habe sich nämlich durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) nur insofern geändert, als gemäß § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG ein Antrag auf Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, über den der Sozialversicherungsträger jedenfalls mit Bescheid zu entscheiden hat (§ 367 Abs 1 ASVG), nunmehr zugleich als Antrag auf Rehabilitation gilt. Dies bedeute nach Ansicht von Karl aaO 18, dass der Behinderte über den Weg eines Pensionsantrags nunmehr die Möglichkeit habe, seinen Anspruch auf Rehabilitation geltend zu machen. Auch wenn man dieser Ansicht folgt, kann nach Auffassung des erkennenden Senats nur von einer allenfalls bestehenden Bescheidpflicht des Versicherungsträgers über die Gewährung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung im Zusammenhang mit einem Pensionsantrag (auch nur in diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber das Erfordernis der Zustimmung des Behinderten zur Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen aufgehoben), nicht jedoch von einer Bescheidpflicht im Zusammenhang mit einer sonstigen (nur mit Zustimmung des Behinderten möglichen) Rehabilitationsmaßnahme ausgegangen werden. Weder die gesetzliche Verankerung des Grundsatzes des Vorrangs der Rehabilitation vor der Pension durch die Bestimmung des § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG noch die Gesetzesmaterialien (vgl 72 BlgNR XX. GP 248 f) bieten irgendeinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe damit eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage hinsichtlich der fehlenden Bescheidpflicht bei Anträgen auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung vornehmen wollen. So erfolgte auch keine Änderung der diesbezüglichen Bestimmung des § 367 Abs 1 ASVG, welche eine Bescheidpflicht in der Pensionsversicherung nur für die Leistungen gemäß § 222 Abs 1 und 2 ASVG und nicht für Abs 3, der die Maßnahmen der Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge enthält, normiert. Gegen die Entscheidung des Gesetzgebers, die Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung grundsätzlich der Privatwirtschaftsverwaltung des Sozialversicherungsträgers zuzuordnen, bestehen nach Ansicht des erkennenden Senats auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.4.4. Aufgrund der dargelegten Erwägungen hält der erkennende Senat weiterhin an seiner bereits zitierten Rechtsprechung (10 ObS 28/94 = SSV-NF 8/35 = RIS-Justiz RS0084894; 10 ObS 55/88 = SSV-NF 2/50) fest, wonach für die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über einen - jedenfalls unabhängig von einem Pensionsantrag gestellten - Antrag auf Gewährung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung keine Bescheidpflicht besteht.

3. Die beklagte Partei hat in ihrem Schreiben vom 28. 11. 2006 an den Kläger auf diese soeben dargestellte Rechtslage ausdrücklich hingewiesen. Ihre durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Vorkorrespondenz auch im Schreiben vom 16. 7. 2007 wiederholte Erklärung, dass über den Antrag des Klägers kein Bescheid erlassen werde, ist eine Erledigung, der gerade keine Bescheidqualität zukommt (vgl 10 ObS 202/98y = SSV-NF 12/160 mwN). Von einem Bescheid kann nämlich nur dann die Rede sein, wenn der Wille der Behörde darauf gerichtet ist, dadurch hoheitliche Befugnisse in Anspruch zu nehmen, dass sie in förmlicher und der Rechtskraft fähiger Weise über subjektive Rechtsverhältnisse individuell bezeichneter Personen abspricht und sie diesen Willen auch entsprechend zum Ausdruck bringt (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 56 Rz 16 mwN). Im vorliegenden Fall lässt die Aussage, die beklagte Partei wolle keinen Bescheid erlassen, keine Zweifel an der mangelnden Bescheidqualität ihrer beiden Schreiben vom 28. 11. 2006 und 16. 7. 2007 (vgl Hengstschläger/Leeb aaO § 58 Rz 8 mwN). Schon aus dieser Erwägung muss eine dagegen erhobene Bescheidklage scheitern.

Die Ablehnung der Erlassung eines Bescheids würde nur die Möglichkeit einer Säumnisklage (nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG) eröffnen, deren Voraussetzungen hier aber jedenfalls nicht vorliegen. Der Säumnisfall erfordert nämlich, dass der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet ist (vgl Neumayr aaO § 67 ASGG Rz 12 mwN ua). Ist der Versicherungsträger - wie im vorliegenden Fall - zur Erlassung eines Bescheids nicht verpflichtet, steht dem Versicherten auch die Möglichkeit einer Säumnisklage nicht offen.

4. Daraus folgt, dass dem Begehren des Klägers nach der somit jedenfalls im Ergebnis zutreffenden Rechtsansicht der Vorinstanzen die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegensteht. Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Textnummer

E93321

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00068.09M.0209.000

Im RIS seit

29.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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