TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/21 98/01/0211

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Veröffentlicht am 21.12.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des AF in T, geboren am 15. Jänner 1967, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in 2540 Bad Vöslau, Anton Bauer-Straße 2a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 1998, Zl. 200 521/0- III/07/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 8. März 1997 nach Österreich ein. Er ist Staatsangehöriger der jugoslawischen Föderation, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 10. März 1997 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. März 1997 gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er sei nie Mitglied einer politischen Partei gewesen sei und habe seinen Militärdienst in der Zeit von 1986 bis 1987 geleistet. Zwischen 1990 und 1997 habe er beim Theater für albanische Kinder in Mitrovica gearbeitet. Er sei Gründer dieses Theaters gewesen und darüber hinaus auch als Produzent und Schauspieler tätig gewesen. Er habe für die albanischen Kinder der Grundschulen Kindervorstellungen organisiert, welche in der Zeit vom 7. Mai bis 11. Mai 1996 stattgefunden hätten. Am 11. Mai 1996 habe der Beschwerdeführer eine Rede gehalten, in welcher er unter anderem ausgeführt habe: "Dank Gottes können wir vielleicht im nächsten Jahr diese Veranstaltung im 'freien' Kosovo vorführen."

Gleich nach der Veranstaltung sei er auf Grund dieser Äußerung zur Polizeidienststelle in Mitrovica gebracht worden, wo er vier Stunden lang angehalten worden sei. Dabei sei er befragt worden, welchen Inhalt die von ihm veranstalteten Theaterstücke hätten, ob das Theater von der Regierung unterstützt werde und ob er für das serbische Theater tätig sein wolle. Der Beschwerdeführer habe dies abgelehnt, daraufhin sei er angeschrieen und beleidigt worden, mit Fäusten verprügelt und mit einem Gewehrkolben ins Gesicht geschlagen worden. Dieser Schlag habe zu Schwellungen seiner linken Gesichtshälfte geführt. Er habe noch bis März des Folgejahres  manchmal Schmerzen verspürt und etwas schlechter gehört. Vor seiner Entlassung hätten die Beamten ihn noch bedroht und gewarnt, dass sie ihn erneut festnehmen und einsperren würden, falls sie ihn noch einmal im Theater "erwischen" würden. Ab Jänner des Jahres 1997 habe die serbische Polizei alle Kosovoalbaner festgenommen, die sich politisch betätigten oder mit der albanischen Kultur befasst gewesen seien. Am 24. Februar 1997 seien mehr als 20 Polizisten zum Haus des Beschwerdeführers gekommen, hätten die Türe aufgebrochen und seien in sein Zimmer gestürmt. Er habe die Vorweisung eines Hausdurchsuchungsbefehls verlangt, daraufhin sei er mit Handschellen gefesselt und an die Wand gestoßen worden. Die Polizisten hätten nach Plänen der "Organisation für die Befreiung Kosovos" gesucht, solche Unterlagen bei ihm aber nicht gefunden. Sie hätten aber Theaterstücke des Beschwerdeführers, Videokassetten von Theateraufführungen und albanische Zeitschriften beschlagnahmt. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung, die ungefähr eine halbe Stunde gedauert hätte, habe ihn die Polizei auf die Polizeistation gebracht, während die übrigen Familienangehörigen von der Polizei in ein Zimmer eingesperrt worden seien. Der Beschwerdeführer sei dort zwei Stunden in einem gesonderten Raum alleine festgehalten worden. Im anschließenden Verhör habe man ihn aufgefordert, das Programm der "Organisation für die Befreiung Kosovos" abzugeben. In der Folge sei er entlassen worden, er hätte sich jedoch am nächsten Tag erneut melden sollen und das Programm der "Organisation für die Befreiung Kosovos" mitbringen sollen. Die sichergestellten Gegenstände seien ihm nicht wieder übergeben worden. Er gab weiters an, dass er fürchte, bei einer Rückkehr in den Kosovo festgenommen, eingesperrt und angeklagt zu werden, ein Mitglied der oben bezeichneten Organisation zu sein.

Mit Bescheid vom 17. März 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine bereits in erster Instanz gemachten Angaben.

Mit Bescheid vom 17. März 1998 wies der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab. Begründend führte der unabhängige Bundesasylsenat aus, der Vorfall am 11. Mai 1996 sei zwar asylrelevant gewesen, da der Beschwerdeführer aber erst am 24. Februar 1997 die Flucht angetreten habe, fehle es an der Aktualität der Verfolgungsgefahr. Die nicht als exzessiv zu qualifizierende Hausdurchsuchung und die unmittelbar anschließende Einvernahme des Beschwerdeführers sowie die Beschlagnahme von Gegenständen stellten keine asylrelevante Verfolgung dar, da diese erlittenen Maßnahmen nicht die erforderliche Intensität aufweisen würden, um Verfolgungsqualität zu erlangen und dadurch einen Verbleib des Beschwerdeführers im Heimatstaat unzumutbar oder unmöglich zu machen. Weiters erweise sich die Befürchtung des Beschwerdeführers, seitens der serbischen Behörden verdächtigt zu werden, ein Mitglied der "Organisation für die Befreiung Kosovos" zu sein, als objektiv nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, dass die Behörden keinen Grund gehabt hätten, ihn der Mitgliedschaft zu dieser Organisation zu verdächtigen. Im Übrigen habe auch die Beschlagnahme kein belastendes Material zum Vorschein gebracht. Bei der Befürchtung des Beschwerdeführers, aus diesen Gründen verurteilt und eingesperrt zu werden, handle es sich demnach um eine bloße Mutmaßung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2

VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 7 AsylG lautet:

"Die Behörde hat Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt."

Ausschlaggebend für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist, ob dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Bescheiderlassung (die Zustellung erfolgte am 20. März 1998) im Herkunftsstaat Verfolgung drohte.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hatte. Diese Auseinandersetzungen gingen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung in den hievon betroffenen Gebieten und auf solche Personen, die aus anderen Gründen - etwa weil ihnen ein Naheverhältnis zu den "albanischen Separatisten" vorgeworfen bzw. unterstellt wurde - bereits ins Blickfeld der serbischen Behörden geraten waren, einher. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0386). Ausführungen zu der Frage, inwieweit durch die - bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung - aktuellen Ereignisse, insbesondere die mit den Kampfhandlungen verbundenen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, zumindest für bestimmte Teile der albanischen Zivilbevölkerung eine asylrelevante Verfolgungssituation bestand, sind im angefochtenen Bescheid nicht enthalten. Dazu hat die belangte Behörde auch kein Ermittlungsverfahren durchgeführt.

Dieser Verfahrensmangel ist jedoch wesentlich. Es ist zwar notorisch, dass sich zum maßgeblichen Zeitpunkt die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze erstreckten. Auch stammt der Beschwerdeführer aus dem Verwaltungsbezirk Mitrovica, für den verstärkte Aktionen der genannten Art zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht notorisch sind. Allerdings war er wegen des Verdachtes, ein Mitglied der "Organisation für die Befreiung Kosovos" zu sein, in das Blickfeld behördlicher Ermittlungen gelangt. Der Beschwerdeführer gehört daher bei Zutreffen seines Vorbringens zu den Personen, die auf Grund eines ihnen unterstellten Naheverhältnisses zu den "albanischen Separatisten" von den genannten Aktionen besonders betroffen waren (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0339). Aus diesen Gründen ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei einer amtswegigen Bedachtnahme auf die Vorfälle im Februar und März 1998 zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre.

Da die belangte Behörde ihren Bescheid somit mit einem relevanten Verfahrensmangel belastete, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren im Ausmaß von S 200,-- war abzuweisen, weil ein Ersatz von Gebühren nur in dem vom Beschwerdeführer entrichteten gesetzlich vorgesehenen Ausmaß (§ 24 Abs. 3 VwGG) in Frage kommt.

Wien, am 21. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998010211.X00

Im RIS seit

13.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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