Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Hurch sowie den Hofrat Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und antragstellenden Partei Alim G***** K*****, vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei K*****/Türkei, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden H***** S*****, ebendort, wegen 34.000 EUR sA, über den Antrag des Klägers auf Bestimmung eines zuständigen Gerichts nach § 28 JN den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Nach den Angaben in der Klage ist der Kläger österreichischer Staatsangehöriger mit dem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich und die Beklagte eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Türkei.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von 34.000 EUR sA. Er bringt dazu im Wesentlichen vor, ein Repräsentant der Beklagten habe ihn im Jahre 1999 in Österreich zum Abschluss eines Anlagevertrags verleitet und ihm dabei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen über den Charakter der zu erwerbenden Beteiligung, insbesondere deren jederzeitige Rückforderbarkeit, 84.150 DM herausgelockt. Trotz Rückzahlungsaufforderung schulde ihm die Beklagte immer noch 34.000 EUR.
Das vom Kläger angerufene Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Infolge eines vom Kläger gestellten Antrags nach § 230a ZPO hob dieses Gericht seinen Zurückweisungsbeschluss auf und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien.
Das Handelsgericht Wien legt nunmehr die Akten zur Entscheidung über den vom Kläger in seiner Klage (hilfsweise) gestellten Ordinationsantrag nach § 28 JN vor. Darin macht der Kläger - zusammengefasst - geltend, dass er in der Türkei aufgrund der langen Dauer und der Kosten des Verfahrens benachteiligt sei. Die Rechtssache müsse wegen drohender Verjährung rasch entschieden werden. Die Beklagte sei mit der Regierungspartei eng verflochten, was die Rechtsverfolgung erschwere. Der Kläger sei österreichischer Staatsbürger und habe auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Rechtliche Beurteilung
Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.
1. Der Kläger selbst hat in seiner Klage gestützt auf § 99 JN einen Gerichtsstand in Österreich behauptet. Sollte diese Ansicht zutreffen, stünde bereits dieser Umstand einer Ordination entgegen, weil eine - vom Antragsteller zu behauptende - negative Voraussetzung jeder Ordination das Fehlen eines inländischen Gerichtsstands ist (9 Nc 109/02g = SZ 2003/55 mwN).
2. Der Kläger stützt sich mit dem Vorbringen zu seinem Ordinationsantrag erkennbar auf die Regelung des § 28 Abs 1 Z 2 JN, welche die Bestimmung eines österreichischen Gerichts als örtlich zuständig vorsieht, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Diese Bestimmung soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (10 Nc 19/05h = EvBl 2006/5, 29; 2 Ob 32/08g = EvBl 2009/40, 270 [J. Mair]; Matscher in Fasching2 I § 28 JN Rz 40). Gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu behaupten und zu bescheinigen (RIS-Justiz RS0124087; Rechberger/Simotta, ZPR7, Rz 89).
3. Das von § 28 Abs 1 Z 2 JN geforderte Naheverhältnis des Klägers zum Inland liegt hier - nach den Klagsbehauptungen - infolge seiner österreichischen Staatsbürgerschaft und seines inländischen Wohnsitzes vor.
4. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Rechtsprechung und Lehre insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder im Ausland äußerst kostspielig wäre (RIS-Justiz RS0046148; Mayr in Rechberger ZPO3, § 28 JN Rz 4, Rechberger/Simotta, ZPR7, Rz 89 je mwN). Diese Kriterien sind nach den eingangs wiedergegebenen Angaben des Klägers, der vornehmlich größere Kostspieligkeit und längere Dauer eines Verfahrens in der Türkei geltend macht, nicht erfüllt:
4.1.1. Art 1 Abs 1 des zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei geltenden Zusatzabkommens zum Haager Übereinkommen vom 1. 3. 1954 betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, BGBl 1992/570, gewährt Angehörigen beider Vertragsstaaten wechselseitig zum Zweck der Verfolgung und Verteidigung ihrer Rechte freien Zugang zu den Gerichten (Bajons in Fasching2 I Anh B §§ 38-40 JN Rz 374). Eine Sicherheitsleistung für Prozesskosten ist in der Türkei nicht vorgesehen (Bajons aaO Rz 374). Gemäß Art 2 des Abkommens ist den Staatsangehörigen jedes Vertragsstaats vor den Gerichten des anderen Vertragsstaats die Verfahrenshilfe unter denselben Bedingungen wie Inländern zu gewähren. Bereits diese Vertragsbestimmungen sprechen, namentlich unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Kostenbelastung gegen die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Republik Türkei (vgl 2 Ob 32/08g = EvBl 2009/40, 270 [J. Mair]; ferner RIS-Justiz RS0109288).
4.1.2. Das vom Kläger ins Treffen geführte Prozesskostenargument ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überdies nur in Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen. Im Regelfall stellt sich nämlich die Kostenfrage bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (RIS-Justiz RS0046420 [T1 und T2]). Konkrete Umstände des Einzelfalls, die auf eine besondere Kostspieligkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei hindeuten würden, hat der Kläger nicht dargetan.
4.2. Aus den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil- und Handelssachen, BGBl 1992/571, ergibt sich ferner, dass die Entscheidung eines türkischen Gerichts grundsätzlich (zu den Ausnahmen vgl Art 4 des Abkommens) auch in Österreich vollstreckbar ist, wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder - im Falle einer juristischen Person oder Handelsgesellschaft - seinen Sitz oder die Hauptniederlassung in der Türkei hat (vgl Art 6 Z 1 iVm Art 3 des Abkommens). Die beklagte Partei hat nach dem Vorbringen des Klägers ihren Sitz in der Türkei, sodass eine gegen sie ergangene Entscheidung eines türkischen Gerichts in Österreich anerkannt werden würde und grundsätzlich in beiden Vertragsstaaten vollstreckt werden kann. Im Übrigen ist dem Klagsvorbringen aber ohnehin nicht konkret zu entnehmen, dass im Fall eines klagsstattgebenden Urteils Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Österreich geboten erschienen (vgl dazu auch 4 Nd 505/94).
4.3. Wartet der Kläger mit der Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche solange zu, dass gegebenenfalls deren Verjährung droht, dann stellt dies - sofern die Verfahrensdauer darauf überhaupt Einfluss hätte - keinen in § 28 Abs 1 Z 2 JN anerkannten Ordinationsgrund dar (zur mangelnden Eignung materiellrechtlicher Nachteile als Ordinationsgrund s RIS-Justiz RS0117751).
Die Ausführungen des Klägers in seinem Ordinationsantrag vermögen somit insgesamt die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN nicht darzustellen. Der Antrag war daher abzuweisen (so auch 8 Nc 27/09a [ebenfalls Türkei]).
Textnummer
E93179European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0050NC00021.09X.0210.000Im RIS seit
12.03.2010Zuletzt aktualisiert am
07.09.2010