Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jauk als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Thomas S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. September 2009, GZ 24 Hv 29/09x-67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Thomas S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
Danach hat er am 8. Oktober 2008 in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer chronisch paranoiden Schizophrenie mit religiösen Wahnideen, Vergiftungsideeen und Denkstörungen, beruht, Michael L***** durch einen Messerstich im Bereich des rechten Schulterblattrandes eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht, und dadurch das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB begangen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 5a, und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen geht fehl. Entgegen dem Standpunkt der Mängelrüge ist die Ableitung der Feststellung zur subjektiven Tatseite aus einer vernetzten Betrachtung des objektiven Täterverhaltens, insbesonders der Art der Tathandlung, die in mehrfachen Versuchen, mit einem Messer gezielt auf den Brustbereich des Opfers einzustechen, bestand und nach der - auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen (ON 28) gegründeten Ansicht des erkennenden Gerichts - solcherart geeignet war, schwere Verletzungen zu verursachen, sowie dem Motiv des Betroffenen (der Wahnidee, von Michael L***** vergiftet zu werden), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.
Das weitere Vorbringen, demzufolge eine isoliert herausgegriffene Urteilspassage (wonach „der Stich nur mit geringer Wucht ausgeführt wurde"; US 3), im Widerspruch zur Konstatierung stünde, „die Tathandlung" sei geeignet gewesen, eine schwere Verletzung zu verursachen, nimmt - abgesehen davon, dass es keine entscheidende Tatsache anspricht - prozessordnungwidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370). Das Erstgericht legte nämlich ausführlich dar, dass der Beschwerdeführer nach dem (mit geringer Wucht geführten) ersten Angriff, durch den das Tatopfer leicht verletzt wurde, weiter versuchte, auf Michael L*****, und zwar gezielt auf dessen Brustbereich, einzustechen, um ihn schwer am Körper zu verletzen, was lediglich aufgrund der Gegenwehr des Opfers und dessen Schutzkleidung unterblieb (US 3 f) und schlossen - keineswegs widersprüchlich - mit Blick auf das gesamte Täterverhalten auf dessen vom Beschwerdeführer in Frage gestellte grundsätzliche Eignung, den angestrebten Erfolg zu erreichen.
Der Vorwurf aktenwidriger (Z 5 fünfter Fall) Begründung (die im Übrigen zwar durch die - hier gar nicht behauptete - unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln, nicht aber durch nach dem Beschwerdestandpunkt unrichtige Schlussfolgerungen begründet werden kann [RIS-Justiz RS0099431]), weil im Urteil die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zur geringen Wucht der ersten Stichführung unerwähnt blieben, ist angesichts der just solches zum Ausdruck bringenden Urteilsannahmen schlicht unverständlich.
Dem Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider, haben sich die Tatrichter mit Divergenzen in den Aussagen des Tatopfers in Betreff der Darstellung des Geschehensablaufs gar wohl auseinandergesetzt und unter Berufung auf dessen - als nachvollziehbar und glaubwürdig eingestuftes - Eingeständnis in der Hauptverhandlung, sich nicht mehr an jedes Detail des Vorfalls erinnern zu können, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und aus welchem Grund sie von der Richtigkeit seiner ursprünglichen Angaben (und damit auch von drei Angriffen des Betroffenen) ausgingen (US 5 f).
Im Übrigen begründeten sie ihre Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Tatseite (unter anderem) bloß mit „mehrfachen" Versuchen des Beschwerdeführers, mit einem Messer auf das Opfer einzustechen, womit die Frage, ob zwei oder drei Angriffe erfolgten, für die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens entscheidender Tatsachen ebenso unerheblich war wie das Verhalten des Betroffenen nach der Tat, das das Erstgericht keineswegs als notwendige Bedingung für die Annahme absichtlicher Tatbegehung ansah (US 7; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409 f).
Die im Zusammenhang mit der Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite gebrauchte Wendung, das Tatmotiv „lege den Schluss nahe", dass es dem Beschwerdeführer gerade darauf ankam, Michael L***** schwer zu verletzen, lässt der an den oben zitierten übrigen diesbezüglichen Erwägungen der Tatrichter vorbeigehenden Beschwerde zuwider ebenso wenig unklar, von welchen Vorstellungen des Betroffenen diese tatsächlich ausgingen, wie die - wenn auch für sich alleine betrachtet zirkuläre - Formulierung, ihm „musste völlig klar sein", dass Messerstiche gegen den Brustbereich zu schweren Verletzung führen, mit der bei rechtem Verständnis des Sinnzusammenhalts der Ausführungen die davor angestellten Überlegungen bloß argumentativ unterstützt wurden.
Der Einwand, die zuletzt zitierte Urteilspassage stünde im Widerspruch zu den tatsächlichen Folgen der Tat (einer bloß leichten Verletzung) nimmt erneut nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, wonach der vom Betroffenen intendierte Erfolg bloß aufgrund der Gegenwehr des Opfers und dessen Schutzkleidung nicht eintrat (weshalb ihm auch bloß versuchte Tatbegehung angelastet wurde).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der überwiegend wörtlichen Wiederholung von Teilen des Vorbringens der Mängelrüge und der darauf aufbauenden Behauptung, das Erstgericht habe „die Beweiswürdigungsfreiheit im Hinblick auf die Feststellungen zur Absichtlichkeit der Körperverletzung überschritten", keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken und versucht die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eigene Schlussfolgerungen aus dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen und aus der festgestellten geringen Wucht der ersten Stichführung unterhalb der vom geltend gemachten, formalen Nichtigkeitsgrund geforderten Erheblichkeitsschwelle zu erschüttern (RIS-Justiz RS0100555). Ein näheres Eingehen auf dieses nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung erstattete Vorbringen hat zu unterbleiben, um über den Umfang der Eingriffsbefugnisse des Obersten Gerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
Die Sanktionsrüge (Z 11) hält zunächst zutreffend fest, dass die Einweisung eines Rechtsbrechers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB (unter anderem) die Befürchtung der Begehung einer oder mehrerer mit Strafe bedrohter Handlungen mit schweren Folgen durch den Betroffenen voraussetzt, wobei unter „befürchten" im Sinn des § 21 Abs 1 StGB die Bejahung hoher Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist, während bloß geringe Wahrscheinlichkeit nicht genügt (Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21-25 Rz 4; RIS-Justiz RS0090401).
Indem sie aber insoweit fehlende Feststellungen aus einer - isoliert betrachteten, urteilsfremd interpretierten - Entscheidungspassage (US 4 f) ableitet, ohne dabei an der Gesamtheit der erstrichterlichen Konstatierungen Maß zu nehmen, verfehlt sie die prozessordnungskonforme Ausführung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394). Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass die Urteilsannahmen, wonach ein erneuter Krankheitsausbruch aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft wahrscheinlich sei und in diesem Fall die hohe Wahrscheinlichkeit bestünde, der Betroffene werde unter dem Einfluss seiner Erkrankung weitere - im Urteil ausreichend determinierte - Prognosetaten begehen, jedenfalls im Zusammenhalt mit dem zu deren Verdeutlichung heranzuziehenden (RIS-Justiz RS0117247) Urteilstenor und den im Rahmen der Beweiswürdigung disloziert getroffenen Feststellungen (US 7 f) den - unter dem Aspekt materiellrechtlicher Nichtigkeit maßgeblichen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) - Willen der Tatrichter, die für eine Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB erforderliche Gefährlichkeit des Beschwerdeführers festzustellen, hinreichend zum Ausdruck bringen.
Die Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde (um weitere Nichtigkeitsgründe) im Rahmen der Äußerung des Beschwerdeführers zur Stellungnahme der Generalprokuratur ist schließlich unbeachtlich, weil sie gegen die von § 285 Abs 1 erster Satz StPO verlangte Einmaligkeit der Ausführung der Beschwerdegründe verstößt (RIS-Justiz RS0100152).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung wegen der Anordnung der vorbeugenden Maßnahme kommt daher dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Anmerkung
E9323312Os3.10yEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00003.10Y.0211.000Zuletzt aktualisiert am
24.03.2010