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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 11. März 1996, Zl. VwSen- 420090/21/Gf/Km, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (mitbeteiligte Partei: R G in L, vertreten durch Dr. Klaus Dorninger, Rechtsanwalt in Linz, Figulystraße 27), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 4.885,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 11. März 1996 gab die belangte Behörde unter Heranziehung der §§ 67c Abs. 4 und 79a AVG als Rechtsgrundlage der ebenfalls auf § 67c leg. cit. gestützten Beschwerde des Mitbeteiligten statt und erklärte die auf den Befehl : "Halt, oder ich schieße!" hin erfolgte Abgabe eines gezielten Schusses aus der Dienstpistole auf das Bein des Mitbeteiligten durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Linz am 1. Dezember 1995 als rechtswidrig (Spruchabschnitt I.). Gleichzeitig wurde der Bund (Bundespolizeidirektion Linz) verpflichtet, dem Mitbeteiligten Kosten zur zweckentsprechenden "Rechtsverteidigung" in Höhe von S 18.400,-- zu ersetzen (Spruchabschnitt II). Sachverhaltsbezogen ging die belangte Behörde dabei davon aus, dass es am 1. Dezember 1995 in der im zweiten Stock gelegenen Wohnung des Mitbeteiligten zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen diesem und einem Zeugen, der die geschiedene Gattin des Mitbeteiligten in diese Wohnung begleitet habe, gekommen sei. Hiebei seien vom Hemd dieses Zeugen Knöpfe abgetrennt und ein Ärmel zerrissen worden. Da der Zeuge vermutet habe, der Mitbeteiligte wolle mit einem Küchenmesser ihn bzw. seine Gattin angreifen, habe er fluchtartig die Wohnung verlassen und einen in unmittelbarer Nähe mit der Aufnahme eines Verkehrsunfalles beschäftigten Polizeibeamten mit den Worten "Kommen Sie schnell, da passiert ein Familiendrama" aufgefordert, ihm zu folgen. Der Beamte sei nur insoweit über die näheren Umstände des Falles informiert worden, als ihm gesagt worden sei, dass eine Frau überfallen werde und jemand völlig "durchdrehe". Der Beamte habe daraufhin die Wohnung aufgesucht, die geschiedene Gattin des Mitbeteiligten dort unverletzt angetroffen und sei in der Folge dem sich zum Verlassen des Hauses anschickenden Mitbeteiligten über die Treppe hinunter nachgelaufen. Der Mitbeteiligte habe einen Schlag gegen das Gesicht des Sicherheitswachebeamten geführt, der durch die in diesem Zusammenhang ausgeführte Ausweichbewegung das Gleichgewicht verloren habe und sich erst in der an die Treppe anschließenden Ebene wieder habe aufrichten können. Hiebei habe der Beamte wahrgenommen, dass ihn der Mitbeteiligte habe tätlich angreifen wollen, weshalb der Beamte seine Dienstpistole gezogen und etwa die Worte "Halt, oder ich schieße!" gerufen habe. Da der Mitbeteiligte nicht unmittelbar in seiner Bewegung inne gehalten, sondern sich bei gleichzeitigem Heben der Arme etwas zur Seite gedreht habe, was vom Beamten als Ansetzen zu einem Sprung auf ihn gedeutet worden sei, habe der Beamte aus etwa einem Meter Entfernung einen gezielten Schuss auf den Mitbeteiligten abgegeben, der am linken Bein getroffen worden sei.
In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde ausgehend von den Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes die Auffassung, der Beamte hätte durch gelindere Mittel (Ausweichen, Zurückweichen, Anwendung von Körperkraft, Einsatz des Gummiknüppels oder des Tränengassprays, Abgabe eines Warnschusses) als durch die Abgabe eines gezielten Schusses aus der Dienstwaffe den unmittelbar drohenden Angriff auf seine körperliche Integrität abwenden können. Der lebensgefährdende Waffengebrauch in der dargestellten Situation verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip des § 3 Abs. 1 zweiter Satz StGB bzw. der §§ 4 bis 6 Waffengebrauchsgesetz und erweise sich daher als durch das letztangeführte Gesetz nicht gedeckt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf § 91 Sicherheitspolizeigesetz gestützte, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der beschwerdeführende Bundesminister bringt zur Zulässigkeit der (Amts)Beschwerde gemäß § 91 SPG vor, dass § 88 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), gegenüber der Regelung des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG die speziellere Rechtsgrundlage für die gegenständliche Beschwerde des Mitbeteiligten an die belangte Behörde sei. Die Anwendbarkeit des § 88 SPG ergebe sich klar daraus, dass der einschreitende Sicherheitswachebeamte RevInsp L. mit dem Schusswaffengebrauch in Anwendung des § 33 SPG einen gefährlichen Angriff abgewehrt habe. Der Beschwerdeführer sei daher zur Erhebung der auf § 91 SPG gestützten Beschwerde berechtigt.
Das AVG kennt das Rechtsinstitut der Amtsbeschwerde nicht.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), haben folgenden Wortlaut:
"Amtsbeschwerde
§ 91. (1) Der Bundesminister für Inneres kann gegen
1. Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden gemäß den §§ 88 und 89 oder
2. Entscheidungen der Datenschutzkommission über Beschwerden gemäß § 90 sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des Betroffenen Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung an die Behörde.
Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§ 88. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs 1 Z 2 B-VG)."
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt § 88 Abs. 1 SPG zufolge der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (148 Blg NR, 18. GP) im Hinblick auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG keine eigenständige normative Bedeutung zu; diese Gesetzesstelle gebe "nur die durch das B-VG getroffene Regelung sicherheitspolizeispezifisch formuliert wieder". Der Verwaltungsgerichtshof erblickt daher in der in § 88 Abs. 1 SPG geregelten Beschwerdemöglichkeit kein selbständiges Rechtsinstitut, sondern nur einen Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen sogenannten Maßnahmenbeschwerde, die es ohne ausdrückliche Erwähnung im SPG auch in Ansehung spezifisch sicherheitspolizeilicher Maßnahmen in gleicher Weise gebe. In solchen Maßnahmenbeschwerden ist die ausdrückliche Berufung auf bestimmte Rechtsgrundlagen, wie sich aus § 67c Abs. 2 AVG und § 88 Abs. 4 SPG ergibt, nicht erforderlich. Die ausdrückliche Berufung eines Beschwerdeführers auf eine der angeführten Gesetzesstellen ändert somit am Rechtscharakter der Maßnahmenbeschwerde nichts.
Es ist daher ohne rechtliche Bedeutung, auf welche rechtliche Bestimmung der Mitbeteiligte seine Beschwerde an die belangte Behörde stützte und welche Norm die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid herangezogen hat, wenn sich die Entscheidung inhaltlich (auch) als solche gemäß § 88 Abs. 1 SPG darstellt.
Allerdings erlangt die Unterscheidung, ob es sich um einen Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen Maßnahmenbeschwerde handelt, oder um den in § 88 Abs. 1 SPG geregelten Unterfall betreffend Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Bedeutung für die Zulässigkeit einer auf § 91 SPG gestützten Amtsbeschwerde. Denn das SPG räumt dem Bundesminister für Inneres lediglich ein Beschwerderecht gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden gemäß den §§ 88 und 89 SPG oder Entscheidungen der Datenschutzkommission über Beschwerden gemäß § 90 SPG ein.
Die Abgrenzung ist im gegenständlichen Fall unter Heranziehung von § 22 Abs. 2 SPG vorzunehmen. Danach haben die Sicherheitsbehörden gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern ein solcher Angriff wahrscheinlich ist (vgl. zum Ganzen den hg. Beschluss vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0339, mit weiteren Nachweisen).
Im gegenständlichen Fall konnte der Beamte zufolge der Situation im Stiegenhaus durchaus zu dem Schluss kommen, der Mitbeteiligte wolle ihn in seiner körperlichen Integrität verletzen, sodass die vom Sicherheitswacheorgan gegen den Mitbeteiligten gesetzten Handlungen als Maßnahmen der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zur Abwehr eines drohenden gefährlichen Angriffes anzusehen sind. Damit kann kein Zweifel daran bestehen, dass hinsichtlich des Vorgehens des Beamten § 22 Abs. 2 SPG ("gefährlichen Angriffen ..... vorzubeugen") zum Tragen kommt, woraus folgt, dass diese Maßnahmen in Vollziehung des SPG gesetzt wurden. Somit handelt es sich beim gegenständlichen Fall um einen jener Fälle des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG, in denen sich die Entscheidung inhaltlich auch als solche gemäß § 88 Abs. 1 SPG darstellt. Wenn auch die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid ausschließlich auf § 67c Abs. 4 AVG und nicht auf § 88 Abs. 1 SPG gestützt hat, vermag dieser Umstand nichts daran zu ändern, dass mit diesem Bescheid über eine in § 88 Abs. 1 SPG vorgesehene Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in einer Angelegenheit des SPG entschieden wurde. Daraus folgt, dass der beschwerdeführende Bundesminister gemäß § 91 Abs. 1 Z 1 SPG zur Erhebung einer Amtsbeschwerde gegen den angefochtenen Bescheid berechtigt war.
Die belangte Behörde hat der Beurteilung der Beschwerde insbesondere das Waffengebrauchsgesetz 1969 zugrunde gelegt. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des (durch § 50 Abs. 3 SPG rezipierten) Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. Nr. 149, idF des Strafrechtsanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 422/1974, lauten:
"§ 2. Organe der Bundespolizei, der Bundesgendarmerie und der Gemeindewachkörper dürfen in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes von Dienstwaffen Gebrauch machen:
1.
im Falle gerechter Notwehr;
2.
zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes;
3.
zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme;
4.
zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person;
5. zur Abwehr einer von einer Sache drohenden Gefahr.
§ 4. Der Waffengebrauch ist nur zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.
§ 6. (1) Zweck des Waffengebrauches gegen Menschen darf nur sein, angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. In den Fällen des § 2 Z 2 bis 5 darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.
(2) Jede Waffe ist mit möglichster Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann.
§ 7. Der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen ist nur zulässig:
1.
im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen;
2.
zur Unterdrückung eines Aufstandes oder Aufruhrs;
3.
zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, die für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet;
4. Zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens eines Geisteskranken, der für die Sicherheit der Person oder des Eigentums allgemein gefährlich ist.
§ 8. (1) Der lebensgefährdende Waffengebrauch gegen Menschen ist ausdrücklich, zeitlich unmittelbar vorangehend und deutlich wahrnehmbar anzudrohen. Gegenüber einer Menschenmenge ist die Androhung zu wiederholen. Als Androhung des Schußwaffengebrauches gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.
(2) Der lebensgefährdende Waffengebrauch ist nur dann zulässig, wenn dadurch Unbeteiligte voraussichtlich nicht gefährdet werden, es sei denn, dass er unvermeidlich scheint, um eine Menschenmenge von Gewalttaten abzuhalten, durch die die Sicherheit von Personen mittelbar oder unmittelbar gefährdet wird.
(3) Im Falle gerechter Notwehr finden die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 keine Anwendung."
§ 29 Sicherheitspolizeigesetz normiert wie folgt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit:
"(1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28 Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.
(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
1. von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;
2. darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist;
3. darauf Bedacht zu nehmen, daß der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;
4. auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen;
5. die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, daß er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann."
Zunächst ist festzuhalten, dass in der insoweit sich widerspruchslos aus den Verwaltungsakten ergebenden Situation der Sicherheitswachebeamte - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - zu Recht der begründeten Ansicht sein konnte, sich in einer Notwehrsituation zu befinden. So konnte der Beamte durchaus davon ausgehen, dass der Mitbeteiligte, der schon vorher einen Faustschlag gegen das Gesicht des Beamten geführt hatte, auch nunmehr gewillt sei, ihm gegenüber körperliche Gewalt einzusetzen.
Für die Frage, ob der Waffengebrauch auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprach, war zu prüfen, ob der Beamte insbesondere von den mehreren ihm zur Verfügung stehenden zielführenden Befugnissen jene ausgewählt hatte, welche den Mitbeteiligten am wenigsten beeinträchtigen würden. In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde - unter Heranziehung der Kriterien des § 3 StGB - festgestellt, dass der Sicherheitswachebeamte und der Mitbeteiligte die gleiche Körpergröße aufwiesen, der Sicherheitswachebeamte aber einen kräftigeren Körperbau als der Mitbeteiligte erkennen lasse. Der Beamte habe im Zuge seiner Ausbildung eine Zweikampfschulung erfahren, die seither ständig trainiert werde; der Mitbeteiligte habe glaubhaft versichert, keinerlei Zweikampftechniken zu beherrschen. Der Mitbeteiligte sei offensichtlich unbewaffnet gewesen, während dem Sicherheitswachebeamten außer seiner Dienstpistole noch ein Gummiknüppel und ein Tränengasspray zur Verfügung gestanden seien. Auf Seiten des Mitbeteiligten wertete die belangte Behörde lediglich dessen hochgradigen Erregungszustand und seine höhere Position im Stiegenhaus als Vorteile gegenüber dem Sicherheitswachebeamten. Der als lebensgefährlich eingeschätzte Waffengebrauch erweise sich deshalb als unverhältnismäßig, weil durch Aus- oder Zurückweichen (und anschließendes Verfolgen des Mitbeteiligten), durch Anwendung von Körperkraft, durch Einsatz des Gummiknüppels oder des Tränengassprays der drohende Angriff des Mitbeteiligten in ausreichender Weise hätte abgewendet werden können. Insbesondere hätte zunächst zumindest versucht werden müssen, diese Mittel einzusetzen, bevor mit der eingriffsintensivsten Alternative hätte vorgegangen werden dürfen.
Dem setzt der beschwerdeführende Bundesminister entgegen, dass abgesehen von der für den Sicherheitswachebeamten bestehenden Notwehrsituation dieser auch gemäß §§ 33 und 35 SPG in Verbindung mit § 50 leg. cit. befugt und verpflichtet gewesen sei, allenfalls auch unter Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt den gefährlichen Angriff zu beenden und die Identität des Beschwerdeführers festzustellen. Da der Mitbeteiligte durch den gegen das Gesicht des Sicherheitswachebeamten geführten Faustschlag auch das Tatbild des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) in Verbindung mit einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 2 Z 4 StGB) erfüllt habe, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes der Dienstpistole auch auf § 7 Z 3 Waffengebrauchsgesetz Bedacht zu nehmen. Die von der belangten Behörde angeführten Alternativen, die dem Sicherheitswachebeamten zur Verfügung gestanden wären (Aus- oder Zurückweichen, Anwendung von Körperkraft, Einsatz des Gummiknüppels oder des "zu Erprobungszwecken mitgeführten Reizstoffsprays", Abgabe eines Warnschusses) seien alle nicht geeignet gewesen, den Angriff sofort und mit genügender Sicherheit abzuwehren und die Festnahme zu erzwingen bzw. das Entkommen des Täters zu verhindern. Der Sicherheitswachebeamte habe jedenfalls verhindern müssen, dass der Mitbeteiligte im Fall des Unterliegens des Beamten in den Besitz dessen geladener Dienstpistole gelange.
Dem Beschwerdeführer ist insoweit beizupflichten, als bei der gegebenen Situation (Ausführen eines Faustschlages gegen das Gesicht des Beamten) der Haftgrund des § 175 Abs. 1 Z 1 StPO gegeben war, der den Beamten als Organ der Sicherheitsbehörde gemäß § 177 Abs. 1 Z 1 leg.cit. zur Festnahme und vorläufigen Verwahrung des Mitbeteiligten berechtigte (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 1985, VfSlg. 10427, mit weiteren Nachweisen). Den Verwaltungsakten kann aber kein Hinweis entnommen werden, dass das Handeln des Beamten auch tatsächlich auf eine Festnahme des Mitbeteiligten abzielte. Vielmehr hat der Sicherheitswachebeamte selbst angegeben, er habe ausschließlich den von ihm vermuteten bevorstehenden Angriff des Mitbeteiligten auf seine körperliche Integrität abwehren wollen. Dafür, dass er etwa vor Abgabe des Schusses die Festnahme des Mitbeteiligten ausgesprochen oder ihm das Verlassen des Hauses verboten hätte, findet sich im gesamten Aktenmaterial kein Hinweis. Damit kann aber der belangten Behörde kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Sicherheitswachebeamten nicht auch unter Berücksichtigung des § 7 Z 3 Waffengebrauchsgesetz geprüft hat. Unabhängig davon unterliegt aber auch ein auf § 7 Z 3 Waffengebrauchsgesetz gestützter Waffengebrauch jedenfalls dem in § 4 dieses Gesetzes normierten Grundsatz der Anwendung des gerade noch zielführenden gelindesten Mittels.
Die belangte Behörde hat die Frage der Verhältnismäßigkeit des gegen den Mitbeteiligten ausgeführten Waffengebrauchs an Hand der Bestimmung des § 3 StGB untersucht und hiebei auch die Bestimmungen der §§ 4 bis 6 des Waffengebrauchsgesetzes herangezogen. All diese Bestimmungen zielen vom materiellen Gehalt her in die gleiche Richtung ab: nämlich dass die zur Vermeidung eines gefährlichen Angriffes bzw. in Notwehr gesetzten Handlungen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Angriffes stehen müssen und dass nur das jeweils gelindeste Mittel, welches noch zur Abwehr des Angriffes zielführend erscheint, angewendet werden darf. Ausgehend von diesem Verständnis kann der belangten Behörde aber nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie im Hinblick auf die gegebene Situation, in der der Mitbeteiligte offensichtlich unbewaffnet war und nicht von vornherein als dem Sicherheitswachebeamten körperlich überlegen angesehen werden konnte, die Auffassung vertreten hat, der Sicherheitswachebeamte wäre verpflichtet gewesen, zur Abwehr des von ihm vermuteten bevorstehenden Angriffs ihm zur Verfügung stehende gelindere Mittel bzw. Befugnisse wie etwa Körperkraft, Gummiknüppel, Tränengasspray oder Abgabe eines Warnschusses einzusetzen.
Da die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, dass durch die Abgabe eines gezielten Schusses auf das Bein des Mitbeteiligten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde, erweist sich der angefochtene Bescheid als frei von Rechtswidrigkeit. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996010351.X00Im RIS seit
25.04.2001