Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** B*****, vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagte Partei Fonds *****, vertreten durch Weissborn & Wojnar Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen (eingeschränkt) 5.940,71 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Juni 2009, GZ 38 R 296/08y-22, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 26. September 2008, GZ 89 C 144/07w-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 556,99 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 92,83 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin betrieb in einem vom beklagten Fonds gemieteten Lokal eine Pizzeria. Nach dem Vertrag konnte sie das Mietverhältnis mit sechsmonatiger Frist zum Jahresende kündigen, ein Weitergaberecht hatte sie nicht. Im Juni 2006 informierte sie den Beklagten, dass sie das Lokal nicht länger betreiben wolle; sie habe auch schon einen Nachmieter gefunden. Der Geschäftsführer des Beklagten verwies auf das fehlende Weitergaberecht. Die Klägerin müsse den Mietvertrag daher aufkündigen und ihr Nachfolger einen neuen schließen. Zu diesem Zweck übermittelte der Beklagte dem voraussichtlichen Nachmieter im Juli 2006 einen Vertragsentwurf, der abgesehen von einer Indexanpassung dem mit der Klägerin bestehenden Vertrag entsprach.
Am 11. Juli 2006 unterzeichneten die Klägerin und ihr Nachmieter einen Kaufvertrag über das Inventar des Lokals. Darin hielten sie ausdrücklich fest, dass sie keinen Unternehmenskauf beabsichtigten. Vier Tage später übergab die Klägerin das Lokal dem Käufer. Den Kaufvertrag legten sie dem Beklagten vor.
Am 2. Oktober 2006 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie das Mietverhältnis zum 30. September 2006 an den Käufer „abtreten" wolle. Der Geschäftsführer des Beklagten verlangte daraufhin telefonisch eine „Aufkündigung" des Vertrags und bestand nach deren Einlangen auf der Einhaltung der im Vertrag vorgesehenen Kündigungsmodalitäten, die eine Beendigung des Vertrags erst mit Ende 2007 erlaubten. Am 4. Oktober 2006 einigte sich die Klägerin mit dem Beklagten auf eine vorzeitige Auflösung des Vertrags mit Ende September 2006, dies gegen Zahlung von drei Monatsmieten (6.878,52 EUR). Der Beklagte verrechnete diese Forderung mit dem Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der in gleicher Höhe erliegenden Kaution. Am 3. oder 4. Oktober schloss er den Mietvertrag mit dem Nachmieter.
Zweck des beklagten Fonds ist es, Zuwanderern aus dem In- und Ausland unbürokratisch Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der Kaution (abzüglich einer anerkannten Gegenforderung). Die Auflösungsvereinbarung sei sittenwidrig, weil ein Unternehmenskauf vorgelegen sei, sodass der Beklagte den Eintritt des Nachmieters ohnehin hätte dulden müssen. Abgesehen davon liege Wucher iSv § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vor, weil die von der Klägerin versprochene Zahlung in einem objektiven Missverhältnis zur Leistung des Beklagten stehe. Diesem sei bei Abschluss des Vereinbarung bereits klar gewesen, dass er mit dem Nachmieter einen Mietvertrag zu den gleichen Bedingungen schließen würde. Weiters habe er die Zwangslage der Beklagten ausgenutzt, die sonst den Kaufvertrag hätte rückabwickeln müssen. Als gemeinnütziger Fonds unterliege der Beklagte erhöhten Anforderungen in Bezug auf das Verhalten gegenüber seinen Vertragspartnern.
Der Beklagte wendet ein, dass kein Unternehmenskauf vorgelegen sei und die Klägerin auch nicht über ein vertragliches Weitergaberecht verfügt habe. Gegenleistung für den von der Klägerin versprochenen Geldbetrag sei der Verzicht des Beklagten auf die Einhaltung der vertraglichen Bindung bis Ende 2007 gewesen, die sich aus den vereinbarten Kündigungsmodalitäten ergäben hätte. Eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin habe für den Beklagten nicht bestanden, weil sein Fondszweck ausschließlich im Zurverfügungstellen von Wohnraum bestehe; die Vermietung von anderen Objekten diene lediglich der Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zwar sei kein Unternehmenskauf vorgelegen. Allerdings sei der Beklagte bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung bereits „in Begriff" gewesen, den Mietvertrag mit dem Nachmieter abzuschließen „bzw hatte sogar bereits unterzeichnet." Das Festhalten an der Kündigungsfrist habe die Beklagte angesichts der bereits erfolgten Veräußerung des Inventars in eine Zwangslage versetzt. Leistung und Gegenleistung stünden in einem objektiven Missverhältnis, da dem Beklagten bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung bereits klar gewesen sei, dass er keinen Mietzins- oder Kautionsausfall erleiden werde.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Die Zahlung der Klägerin sei Gegenleistung für den Verzicht des Beklagten auf die Einhaltung der Kündigungsfrist gewesen. Ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe nicht, weil die vorzeitige Auflösung der Klägerin ermöglicht habe, den Kaufpreis aus dem Vertrag mit dem Nachmieter zu lukrieren. Durch das Versäumen der Kündigungsfrist habe sie selbst eine unsichere Rechtslage herbeigeführt, die durch die Vereinbarung beseitigt worden sei. Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil allenfalls doch ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Leistungen bestanden haben könnte, zumal der „Beklagte auch sozialen Zwecken verpflichtet" erscheine.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs unzulässig.
1. Soweit die Revision neuerlich darauf zurückkommt, dass in Wahrheit ein unter § 12a MRG fallender Unternehmenskauf vorgelegen sei, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach schlossen Vor- und Nachmieter lediglich einen Vertrag über das Inventar. Zudem musste der Geschäftsführer des Beklagten aufgrund des ihm vorgelegten Kaufvertrags, der einen Unternehmensübergang ausdrücklich ausschloss, keinesfalls die Anwendbarkeit von § 12a MRG vermuten. Die Auflösungsvereinbarung wäre daher auch dann nicht sittenwidrig, wenn die Klägerin und der Neumieter in Wahrheit einen Unternehmenskauf beabsichtigt hätten. § 12a MRG schließt es nicht aus, dass im Einvernehmen aller Beteiligten der bestehende Mietvertrag aufgelöst und ein neuer geschlossen wird (RIS-Justiz RS0070498; Würth in Rummel3, § 12a MRG Rz 4).
2. Ob Wucher iSv § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Regelfall keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0016861).
Eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor: Die Verpflichtung zur Zahlung von drei Monatsmieten stand im Austauschverhältnis mit dem Verzicht des Beklagten auf die Erfüllung des Mietvertrags bis zu dessen Beendigung durch eine fristgerechte Kündigung. Dies ermöglichte der Klägerin das (sofortige) Erzielen eines beträchtlichen Erlöses aus der Veräußerung des Inventars. Einen vergleichbaren Fall hatte der Oberste Gerichtshof bereits in 1 Ob 560/86 zu beurteilen. Dort verneinte er ebenfalls das Vorliegen eines erheblichen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, weil der Abschlagszahlung der Altmieterin der Erlös aus der dadurch ermöglichten Veräußerung gegenübergestanden sei.
Die damit übereinstimmende Auffassung des Berufungsgerichts ist daher durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt. Dass dem Beklagten - wie offenkundig auch dem Vermieter in 1 Ob 560/86 - eine Weitervermietung gelang, führt nicht dazu, dass er seine Rechte gegenüber der Klägerin unentgeltlich hätte aufgeben müssen. Zwar entstand dadurch für ihn kein Mietausfall. Das ändert jedoch nichts daran, dass er nicht verpflichtet war, die Klägerin vorzeitig aus dem Mietvertrag zu entlassen und das Risiko einer Neuvermietung an einen ihm bis dahin unbekannten Dritten zu übernehmen. Im Verzicht auf die Einhaltung der Kündigungsfrist liegt auch ein tragender Unterschied zur bloßen Abgeltung einer Zustimmung zum Mieterwechsel, die nach herrschender Rechtsprechung unter § 27 Abs 1 Z 5 MRG fällt (5 Ob 552/88 = wobl 1988/79 [krit Würth]; 5 Ob 65/94 = wobl 1994/59; beide mwN).
3. Auf die Frage, ob ein gemeinnütziger Fonds zu besonderer Fürsorge gegenüber den nach dem Fondszweck begünstigten Personen verpflichtet ist, kommt es nicht an. Denn Zweck des Beklagten ist es, Zuwanderern aus dem In- und Ausland unbürokratisch Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Vermietung eines Geschäftslokals ist davon nicht erfasst, sondern dient lediglich dem Aufbringen von Mitteln zur Erfüllung des eigentlichen Fondszwecks. Jedenfalls insofern ist der Fonds daher (auch) bei der Beurteilung des Wuchertatbestands nicht anders zu behandeln als jeder andere Vermieter.
4. Andere Gründe für die Annahme einer erheblichen Rechtsfrage zeigt die Revision nicht auf. Sie ist daher zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen; daher ist die Klägerin zum Ersatz der Kosten der Rechtsmittelbeantwortung verpflichtet.
Textnummer
E93400European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00199.09G.0223.000Im RIS seit
04.05.2010Zuletzt aktualisiert am
19.04.2012