TE OGH 2010/2/23 4Ob9/10t

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Veröffentlicht am 23.02.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** M*****, 2. G***** M*****, beide vertreten durch DDr. Fürst Rechtsanwalts GmbH in Mödling, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. A***** K*****, 2. Univ.-Prof. DI Dr. H***** K*****, beide vertreten durch Mag. Michael Lang, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 16.500 EUR), über die Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. März 2009, GZ 12 R 67/08y-68, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 28. Jänner 2008, GZ 24 Cg 84/05a-63, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Beide Revisionen sind - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts - nicht zulässig.

Zur Revision der Kläger:

1. Die Geltendmachung einer Nichtigkeit begründet eine erhebliche Rechtsfrage nur dann, wenn der Nichtigkeitsgrund auch tatsächlich gegeben ist (RIS-Justiz RS0043067). Dies ist hier nicht der Fall. Eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, wie sie die Kläger behaupten, liegt nämlich nur dann vor, wenn die Fassung des Urteils so mangelhaft ist, dass sich dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vornehmen lässt oder das Urteil mit sich selbst in Widerspruch steht oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind (2 Ob 301/05m mwN). Eine mangelhafte Begründung oder das Fehlen einer rechtlichen Begründung zu einzelnen Fragen begründet keine Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0042133, RS0042203). Das bloße Fehlen der Begründung für die im Spruch vorgenommene Einschränkung auf die Kinder im Kindergarten begründet demnach keine Nichtigkeit, die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung bleibt möglich.

2. Das Gericht darf die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS-Justiz RS0037300). Die Revisionswerber müssten aber dartun, dass der Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann; dies kann nur durch Anführung jenes Vorbringens erfolgen, das sie erstattet hätten, wären sie über die relevante Rechtsansicht informiert worden (1 Ob 215/05g; 16 Ok 7/07). Ein derartiges Vorbringen unterließen die Kläger in ihrer Revisionsschrift.

3. Die weiters von den Klägern als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage nach der Legitimation (auch) des Zweitklägers zur Geltendmachung des Rechts auf Schutz der Privat- und Intimsphäre der Kinder (und ihrer Erziehungsberechtigten) ist vorliegend nicht zu beantworten. Das Klagebegehren ist eindeutig auf das Verbot unmittelbaren Ansprechens und der Beeinflussung der Kinder sowie Störung deren Privat- und Intimsphäre und der für sie verantwortlichen Erziehungspersonen gerichtet. Dass hiebei nicht die Kläger selbst und allenfalls ihre eigenen nicht den Kindergarten besuchenden Kinder gemeint sind, ergibt sich eindeutig aus dem gesamten Vorbringen der Kläger, welche die Gefährdung des Kindergartenbetriebs und damit die wirtschaftliche Existenz der Erstklägerin hervorheben. Dem entspricht auch die Präzisierung der Unterlassungstitel durch das Berufungsgericht. Die Rechtfertigung für die Unterlassungsbegehren in diesem Zusammenhang sahen die Vorinstanzen im Verbot des Rechtsmissbrauchs. Auf die Persönlichkeitsrechte der Kinder und ihrer Erziehungsberechtigten und die Frage, inwieweit diese von den Klägern als Dritte geltend gemacht werden können, musste daher nicht eingegangen werden. Dass das Vorbringen der Kläger in diesem Sinn zu verstehen ist, betrifft die Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei im Einzelfall, was regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RIS-Justiz RS0042828). Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts ist nicht zu sehen.

Zur Revision der Beklagten:

1. Das Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB besteht dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen, wobei die örtlichen Verhältnisse in beiden Belangen zu beachten sind (stRsp, RIS-Justiz RS0010587). Ob eine Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigt und die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0010558; 10 Ob 46/04v).

Die Frage, ob eine Immission (noch) als ortsüblich zu beurteilen ist, ist nicht allein aufgrund rein empirischer Ergebnisse, sondern auch anhand normativer Wertungen zu prüfen; die Ortsüblichkeit ist somit auch ein wertungsabhängiger Rechtsbegriff (7 Ob 286/03i mwN). Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abstellt und daher von der Natur und der Zweckbestimmung des beeinträchtigten Grundstücks (hier: für Wohnzwecke und Kindergarten) abhängig ist. Maßgeblich ist nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet (RIS-Justiz RS0010607, RS0010557 und RS0010583).

Die dem Berufungsurteil zu Grunde liegende Rechtsansicht, dass die Lärmentwicklung von motorisch betriebenen Gartengeräten bei nicht für diese Geräte vorgesehenem Betrieb, also zum Zweck der Lärmentwicklung, ebenso wenig ortsüblicher Liegenschaftsnutzung entspricht wie aggressives überraschendes wiederholtes und andauerndes Schreien, wodurch eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung des Nachbargrundstücks herbeigeführt wird, bildet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Dass die tatsächliche Abgrenzung der den allgemeinen Gepflogenheiten entsprechenden Gartenbetreuung unter Geräteeinsatz von bloß der Lärmerzeugung dienenden Veranstaltungen im Einzelfall schwierig sein mag, ändert nichts daran, dass ein Liegenschaftsnachbar iSd von den §§ 364 ff ABGB angestrebten Interessenausgleichs im Sinn des friedlichen Zusammenlebens der Nachbarn (RIS-Justiz RS0010501) zwar den mit dem Einsatz heute üblicher Gartengeräte bei zweckentsprechender Verwendung verbundenen Lärm ebenso dulden muss wie gelegentliche Wahrnehmungen menschlicher Stimmen, nicht aber den Geräteeinsatz zur Lärmerzeugung oder wiederholtes aggressives und andauerndes Schreien.

2. Die Unterlassungsklage nach § 364 Abs 2 ABGB setzt voraus, dass eine Wiederholung der unzulässigen Immission zu erwarten ist (RIS-Justiz RS0010553); hat sich der Beklagte bereits rechtswidrig verhalten, so ist zu vermuten, dass er sich auch in Zukunft nicht an das Gesetz halten werde (6 Ob 27/09w). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr darf nicht engherzig vorgegangen werden. Sie ist daher auch anzunehmen, wenn der mit der Unterlassungsklage Belangte sein Unrecht nicht einsieht (RIS-Justiz RS0010497). Die Annahme, dass das Einschalten von Gartengeräten primär zum Zweck der Lärmerzeugung - so die getroffenen Feststellungen - deren Gebrauch zu betriebsfremden Zwecken ganz allgemein befürchten lässt, bildet gleichfalls keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

3. Für die Begründung der Haftung nach § 364 Abs 2 ABGB ist nicht erforderlich, dass der Nachbar selbst die störende Handlung setzt. Verursacht sie ein anderer, so wird die Haftung des Grundnachbarn dann als gerechtfertigt erachtet, wenn er die Einwirkung duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und dazu auch im Stande gewesen wäre (8 Ob 111/06s mwN; vgl RIS-Justiz RS0053260). Die Unterlassungspflicht schließt auch die Verpflichtung in sich, auf solche Dritte im Sinne der Unterlassung einzuwirken, auf welche der zur Unterlassung Verpflichtete Einfluss zu nehmen in der Lage ist (RIS-Justiz RS0011737). Diesen Grundsätzen der Rechtsprechung trägt die angefochtene Entscheidung Rechnung. Auch die Erstbeklagte setzte einzelne Störungshandlungen, den Feststellungen ist auch in keiner Weise zu entnehmen, dass sie den vom Zweitbeklagten gesetzten Störungshandlungen entgegengetreten wäre. Aus ihrem Verhalten im Verfahren ergibt sich vielmehr, dass sie die Vorgangsweise des Zweitbeklagten, ihres Ehemanns, billigt. Dass sie versucht hätte, ihn von seinen Störungshandlungen abzuhalten, behauptete sie nicht. Die bloß unsubstantiierte Bestreitung einer Einflussmöglichkeit steht daher der berufungsgerichtlichen Annahme der passiven Klagelegitimation auch der Erstbeklagten nicht entgegen.

Das besondere im Eigentumsschutz übliche Unterlassungsbegehren ist kein Handlungsverbot, sondern ein „Erfolgsverbot"; bei Erfolgseintritt wird aus ihm nach § 355 EO vollstreckt, um den Verpflichteten zu einem - der Art nach ihm zu überlassenden - Handeln zu zwingen, das bewirken soll, dass die verbotene Immission unterbleibt (RIS-Justiz RS0010566).

4. Ob durch eine Neuformulierung des Spruchs das Begehren unter Berücksichtigung des dazu erstatteten Vorbringens in unzulässiger Weise überschritten wird, ist keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung, sondern betrifft ausschließlich den Einzelfall (RIS-Justiz RS0041192). Das Gericht ist berechtigt, dem Urteilsspruch eine klare und deutliche, vom Begehren abweichende Fassung zu geben, wenn sie sich im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (RIS-Justiz RS0039357). Für die Beantwortung der Frage, ob das Gericht über die seinem Urteilsspruch in § 405 ZPO gezogenen Schranken hinausgegangen ist, ist nicht allein das Klagebegehren, sondern auch der übrige Inhalt der Klage maßgebend (RIS-Justiz RS0041078).

Sowohl was das „Schreiverbot" als auch das „Fotografierverbot" anlangt, liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung in Ansehung des § 405 ZPO vor.

5. Wie bereits bei Behandlung der Revision der Kläger ausgeführt, stellt sich die Frage der Aktivlegitimation der Kläger für Verletzungen der Privatsphäre der Kinder und ihrer Betreuungspersonen hier nicht. Sowohl das „Ansprechverbot" als auch das „Beobachtungs- und Fotografierverbot" beruht auf dem von den Vorinstanzen angenommenen Rechtsmissbrauch. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, ob allgemein das Beobachten und Fotografieren von Nachbarn erlaubt ist, sondern um die Beeinträchtigung des Kindergartenbetriebs der Erstklägerin durch das Verhalten der Beklagten. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0110900). Das Recht des Grundstückseigentümers wird durch das Verbot schikanöser Rechtsausübung beschränkt (RIS-Justiz RS0010395).

Es trifft nicht zu, dass keinerlei Feststellungen zu Vorfällen getroffen worden seien, die von einem bestimmten Grundstück ausgegangen wären, weshalb in Ansehung dieses Grundstücks nicht zur Unterlassung verurteilt werden hätte dürfen. Das Erstgericht stellte in Bezug auf dieses bestimmte Grundstück fest, dass die Erstbeklagte von den Vorgängen und Personen auf dem Grundstück der Kläger Lichtbildaufnahmen gemacht hat. Auch in diesem Zusammenhang vermag die Revision der Beklagten keinen Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufzuzeigen.

Beide Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Da beide Streitteile jeweils auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hinwiesen, haben sie einander die Kosten der jeweiligen Revisionsbeantwortungen zu ersetzen (§§ 43 Abs 1 und 50 ZPO).

Textnummer

E93413

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00009.10T.0223.000

Im RIS seit

04.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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