TE OGH 2010/2/24 3Ob199/09z

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.02.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Parteien Denise P*****, geboren am *****, und mj. Lisa P*****, geboren am ********** letztere vertreten durch urbanek lind schmied reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die verpflichtete Partei Harry K*****, wegen 9.319,88 EUR und 9.567,27 EUR sowie laufenden Unterhalts (monatlich je 266 EUR), über den Revisionsrekurs der betreibenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. März 2009, GZ 47 R 51/09m-13, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 10. November 2008, GZ 17 E 4999/05v-9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Revisionsrekurs wird, soweit im Namen der erstbetreibenden Partei eingebracht wurde, zurückgewiesen.

2. In Ansehung der zweitbetreibenden Partei wird ihm dahin Folge gegeben, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

3. Die Kosten der zweitbetreibenden Partei im Revisionsrekursverfahren werden mit 85,85 EUR (darin 14,30 EUR USt) als weitere Exekutionskosten bestimmt.

Text

Begründung:

Die betreibenden, damals minderjährigen Unterhaltsberechtigten wurden in erster Instanz durch den Jugendwohlfahrtsträger vertreten. Das Erstgericht hatte ihnen mit Beschluss vom 7. November 2005 zur Hereinbringung von Unterhaltsrückständen und laufenden Unterhalts sowie zur Sicherstellung nach § 372 EO die Forderungsexekution nach § 294 EO gegen ihren Vater bewilligt.

Über Antrag der Betreibenden sprach das Erstgericht aus, dass die Forderungen des Verpflichteten gegen zwei Drittschuldner zusammenzurechnen seien. Die unpfändbaren Grundbeträge seien für die ihm gegenüber dem AMS zustehende Forderung zu gewähren. Fänden die Grundbeträge (allgemeiner und Unterhaltsgrundbetrag) darin keine Deckung, seien die restlichen vom jeweils nächsten Drittschuldner (konkret ein Sozialversicherungsträger), „und zwar in der angeführten Reihenfolge", zu gewähren. Der Beschluss enthält den Hinweis, dass sich die Drittschuldner hinsichtlich der Ermittlung der zu berücksichtigenden Grundbeträge sowie der Berechnung der Höhe der pfändbaren Bezugsteile miteinander ins Einvernehmen zu setzen hätten.

Über Rekurs des Vaters änderte das Gericht zweiter Instanz diese Entscheidung dahin ab, dass es den Zusammenrechnungsantrag abwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Die Zusammenrechnung nach § 292 Abs 3 EO setze voraus, dass die Bezüge insgesamt den Freibetrag überstiegen. Sei dies nicht der Fall, sei der Zusammenrechnungsantrag auch dann abzuweisen, wenn sich der Verpflichtete (wie hier) nicht dazu äußere. Sowohl die Versehrtenrente des Verpflichteten von 220,41 EUR monatlich als auch die Notstandshilfe von 17,42 EUR täglich (= 522,60 EUR monatlich) lägen unter dem unpfändbaren Existenzminimum; auch die Summe von 743,01 EUR liege unter diesem von 1.080 EUR (Tabelle 1am, zwei Unterhaltspflichten).

Zur Frage, ob die Zusammenrechnung voraussetzt, dass die Bezüge insgesamt die unpfändbare Forderung übersteigen, fehle es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

Diese Entscheidung wurde auch für die seit 3. März 2009 volljährige Erstbetreibende dem Jugendwohlfahrtsträger am 21. April 2009 zugestellt. Eine Zustellung an die Erstbetreibende erfolgte bisher nicht.

Dem Auftrag des Erstgerichts zur Verbesserung ihres vorerst durch den Jugendwohlfahrtsträger eingebrachten Revisionsrekurses kamen die betreibenden Parteien dadurch nach, dass eine Rechtsanwaltsgesellschaft das Rechtsmittel unterfertigt. Diese berief sich auf die durch den Jugendwohlfahrtsträger erteilte Vollmacht.

Der vom Erstgericht über Auftrag des Obersten Gerichtshofs durchgeführte befristete Verbesserungsversuch blieb erfolglos; die Rechtsanwaltsgesellschaft erbrachte innerhalb der vom Erstgericht gesetzten Frist keinen Nachweis der Bevollmächtigung durch die Erstbetreibende.

Schon vor dem Verbesserungsversuch (aber nach Vorlage des Revisionsrekurses an den Obersten Gerichtshof) hatte die Republik Österreich (Bund), vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts, erklärt (ON 23, eingelangt beim Erstgericht am 18. Dezember 2009), gemäß § 31 Abs 2 UVG von Gesetzes wegen bis zur Höhe von 14.163,39 EUR (nicht rückersetzte Unterhaltsvorschüsse) anstelle der Erstbetreibenden in das laufende Exekutionsverfahren einzutreten.

Rechtliche Beurteilung

Der namens der Erstbetreibenden erhobene Revisionsrekurs ist unzulässig, derjenige der Zweitbetreibenden dagegen aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

1. Schriftliche Revisionsrekurse nach der EO bedürfen wie Rekurse gemäß § 78 EO iVm § 520 ZPO der Unterschrift eines Rechtsanwalts. Eine solche wies der für beide betreibende Parteien eingebrachte Schriftsatz zwar auf; die einschreitende RechtsanwaltsgmbH berief sich aber lediglich auf die Vollmacht des Jugendwohlfahrtsträgers. Deren Vertretungsbefugnis für die volljährig Gewordene war mittlerweile aber erloschen (3 Ob 199/09z vom 30. September 2009). Auch der nunmehr aktenkundige Hinweis auf eine gesetzliche Vertretung der Betreibenden durch den Jugendwohlfahrtsträger nach § 9 UVG ändert an dieser Beurteilung nichts. Auch insofern endet die Vertretungsbefugnis mit Erreichen der Volljährigkeit, und zwar ohne dass es einer formellen Enthebung bedürfte; ab diesem Zeitpunkt ist der Volljährige dem Verfahren persönlich beizuziehen (4 Ob 146/08m).

Da die erstbetreibende Partei bereits vor der Fassung des nunmehr angefochtenen Beschlusses ihr 18. Lebensjahr vollendet hatte, war die Jugendwohlfahrtsbehörde von da an nicht mehr ihr gesetzlicher Vertreter; diese konnte daher auch nicht mehr als solcher für sie einem Rechtsanwalt Prozessvollmacht erteilen. Das vom Erstgericht unter Fristsetzung durchgeführte Verbesserungsverfahren blieb erfolglos. Demnach steht fest, dass die einschreitende Rechtsanwaltsgesellschaft ohne Vollmacht für die Erstbetreibende gehandelt hatte. In Wahrnehmung dieses Mangels ist daher der Revisionsrekurs zurückzuweisen (§ 78 EO iVm § 37 ZPO).

Wie sich aus dem dargestellten Verfahrensablauf ergibt, wurde aber die angefochtene Entscheidung bisher weder der Erstbetreibenden noch der nach §§ 30, 31 UVG (im Ausmaß eines Teils der von ihr betriebenen Forderung, daher als weitere betreibende Partei) ins Verfahren eingetretenen Republik Österreich (wirksam) zugestellt, was vom Erstgericht nachzuholen sein wird.

2. Die Zweitbetreibende macht in ihrem Rechtsmittel geltend, nach der Drittschuldnererklärung des AMS sei der Verpflichtete nur den beiden Betreibenden sorgepflichtig, das nachträgliche Anführen einer weiteren Sorgepflicht in seinem Rekurs verstoße gegen das Neuerungsverbot. Damit habe dem Verpflichteten nach der maßgeblichen Existenzminimums-Tabelle 1am bei Unterhaltspflicht für (jeweils) eine weitere Person bis zu monatlich 779,99 EUR alles zu verbleiben. Das Unterhaltsexistenzminimum betrage entsprechend Tabelle 2am 694,50 EUR, weshalb bei einem monatlichen Nettoeinkommen von insgesamt 743,01 EUR ein pfändbarer Bezug von 48,51 EUR bleibe. Es werde auch auf § 292b EO verwiesen.

Dazu wurde erwogen:

Ungeachtet der Frage, ob das Rekursgericht, das sich dazu nicht äußerte, das Neuerungsverbot (§ 78 EO iVm §§ 482, 504 ZPO analog; RIS-Justiz RS0042091) missachtete, indem es die vom Verpflichteten erstmals in seinem Rekurs (bloß) behauptete weitere Sorgepflicht berücksichtigte, oder ob es bei Berechnung des Existenzminimums irrtümlich zwei (weitere) Sorgepflichten in Anschlag brachte, zeigt die Revisionsrekurswerberin zu Recht nicht nur diesen Fehler, sondern auch den Umstand auf, dass eine falsche Tabelle verwendet wurde.

Da die ZPO die Rekursgründe nicht taxativ aufzählt, kann - anders als nach der früher herrschenden Rechtsprechung zur Revision - im Revisionsrekursverfahren (wie in Rekursen gegen berufungsgerichtliche Aufhebungsbeschlüsse) ein Verstoß gegen das Neuerungsverbot erfolgreich geltend gemacht werden (Zechner in Fasching/Konecny, ZPO² Vor §§ 514 ff Rz 93; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 482 Rz 6, je mwN). Ein solcher liegt hier vor, weil sich aus § 292k EO eindeutig („auf Antrag") ergibt, dass es Sache der Parteien und Beteiligten ist, entsprechende Anträge zur Klärung der Zahl zu berücksichtigenden Unterhaltspflichten zu stellen. Eine weitere Sorgepflicht war daher nicht zu berücksichtigen. Das steht dem Verpflichteten, der in erster Instanz die Gelegenheit zur Äußerung nicht wahrgenommen hatte, ohnehin weiterhin offen.

Da es sich bei der betriebenen Forderung nach dem Exekutionstitel eindeutig um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch handelt, kommt, wie im Revisionsrekurs richtig dargelegt wird, das auf das gegenüber § 291a EO auf 75 % verminderte Existenzminimum des § 291b EO zum Tragen. Richtigerweise ging die zweite Instanz - insofern zu Lasten des Verpflichteten - vom niedrigeren Existenzminimum beim Vorliegen von Sonderzahlungen aus, auch wenn der Vater solche nur von einem seiner beiden Bezüge, noch dazu dem niedrigeren, erhält. Die Erhöhung des Grundbetrags nach § 291a Abs 2 Z 1 EO steht eben nur dann zu, wenn der Verpflichtete keine solche Zahlungen iSd § 290b EO erhält. Demnach wird die Erhöhung des Existenzminimums nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits durch den Bezug solcher Leistungen auch nur bei einem geringen Teil seiner Einkünfte verhindert (zu einer möglichen Gleichheitswidrigkeit der Regelung bei dreizehn Monatsbezügen s Oberhammer in Angst, EO² § 290b Rz 1). Das führt zur Anwendung der Tabelle 2am (eine Umrechnung der in unterschiedlichen Intervallen gebührenden Bezüge ist erforderlich). Demnach käme man - will man nicht aus Gleichheitserwägungen § 291a Abs 2 Z 1 EO im Umfang der ohne Sonderzahlungen bezogenen Notstandshilfe oder im Umfang deren Anteils am Gesamteinkommen analog anwenden - zur von der Zweitbetreibenden angestellten Berechnung. Damit wäre jedenfalls dem Argument der zweiten Instanz, die Bezüge des Verpflichteten überstiegen insgesamt den Freibetrag nicht, der Boden entzogen.

Darüber hinaus teilt aber der Oberste Gerichtshof deren Rechtsansicht, in einem solchen Fall wäre ein Zusammenrechnungsantrag jedenfalls abzuweisen, nicht:

Die im Wesentlichen auf § 7 Z 2 LPfG zurückgehende Regelung des § 292 Abs 2 ff EO soll erkennbar die Abwicklung der Lohnpfändung erleichtern, wenn dem Verpflichteten gegen mehrere Drittschuldner beschränkt pfändbare Ansprüche zustehen. Falls es solche Bezüge gegenüber nur einem Drittschuldner gibt, überlässt das Gesetz (Abs 1 leg cit) die Berechnung allein diesem. Die Entscheidung nach § 292 Abs 2 und 3 EO stellt für die Drittschuldner klar, wer inwieweit die pfändungsfreien Beträge zu gewähren bzw umgekehrt pfändbare Beträge den betreibenden Gläubigern zu überweisen hat. Auch in einem solchen Beschluss braucht das Exekutionsgericht keine Berechnungen anzustellen (3 Ob 318/02i).

In der Lehre und in der Rechtsprechung wird die Frage, ob eine Zusammenrechnung anzuordnen ist, wenn die Bezüge insgesamt den pfändungsfreien Betrag nicht übersteigen, unterschiedlich beurteilt (ua bejahend Fink/Schmidt/Kurzböck, Handbuch der Lohnpfändung3 87; Zechner, Forderungsexekution 121; Feil/Marent, EO § 292 Rz 2; Resch/Schernthanner/Laschober in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 292 Rz 17; verneinend Landesgericht Salzburg, AZ 53 R 363/97g = EFSlg 91.185; Landesgericht Feldkirch, AZ 4 R 82/07z, RIS-Justiz RFE0000169; Oberhammer aaO § 292 Rz 5; Fritscher, Die Gehaltsexekution in der Praxis² 140, je mwN).

Der Oberste Gerichtshof schließt sich - jedenfalls, wenn sich die Bezüge zumindest annähernd in den Bereichen des pfändungsfreien Betrags bewegen - der ersten Ansicht an. Abgesehen davon, dass das Gesetz keine derartige Voraussetzung nennt, ist es schon aus rein pragmatischen Gründen vorzuziehen, allenfalls mitunter derartige Anordnungen zu treffen, die zwar noch keine praktische Auswirkung haben, aber bei einer gegenüber dem Existenzminimum überproportionalen Erhöhung der Einkünfte in Zukunft haben könnten, als unter Anstellung von ansonsten vom Gesetzgeber wie dargelegt in diesem Verfahren nicht verlangten, akribischen Berechnungen letztlich einen derartigen Antrag abzuweisen. Weitere derartige Anträge des Betreibenden wären absehbar. In der Lehre werden für die gegenteilige Auffassung - soweit ersichtlich - auch keine grundsätzlichen Argumente vorgetragen. Entgegen der Ansicht des Landesgerichts Feldkirch (4 R 82/07z) wird die Zusammenrechnung nicht dadurch praktisch unmöglich, dass der nach § 292 Abs 2 EO in erster Linie zu bezeichnende Bezug nicht für die Grundbeträge des § 291a Abs 2 EO ausreichen sollte. Für diesen schon im Gesetzgebungsverfahren vorausgesehenen Fall ist eben - wie auch in diesem Verfahren geschehen - anzuordnen, dass diese Beträge vom nächst höheren Bezug zu gewähren sind (RV zur EONov 1991, 181 BlgNR 18. GP, abgedruckt bei Mohr, Die neue Lohnpfändung 77 f).

Demnach ist in Stattgebung des Revisionsrekurses der Zweitbetreibenden ihr gegenüber der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 EO.

Textnummer

E93377

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00199.09Z.0224.000

Im RIS seit

30.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten