TE OGH 2010/2/24 3Ob213/09h

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Veröffentlicht am 24.02.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Dr. Franz Seidl, Kottingbrunn, Schloss 4/1 als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P***** GmbH, *****, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Birgmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 22.405,84 EUR sA, Feststellung und 3.322,86 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Juni 2009, GZ 3 R 32/09m-72, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Handelsgericht vom 17. Jänner 2009, GZ 28 Cg 7/08m-67, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.304,64 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten 1.234 EUR Barauslagen, 678,44 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der P***** GmbH (in der Folge: Gemeinschuldnerin) wurde mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 17. Februar 2005 Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt.

Die beklagte Partei war aufgrund einer Vollmacht vom 29. Jänner 2003 mit der Alleinvertretung der (späteren) Gemeinschuldnerin in allen steuerlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Angelegenheiten betraut. Die beklagte Partei hatte zuvor bereits Alfred P***** als Einzelunternehmer steuerlich beraten, über dessen Vermögen am 19. Dezember 2002 das Konkursverfahren eröffnet wurde.

Vorstand der beklagten Partei war Mag. S***** (in der Folge immer: Vorstand), der zum maßgeblichen Zeitpunkt auch Geschäftsführer von zwei Betriebsgesellschaften der beklagten Partei, nämlich der G*****gesellschaft mbH (in der Folge bezeichnet als: B-GmbH) und der G*****GmbH (in der Folge bezeichnet als: W-GmbH) war. Der Vorstand ist Alleinaktionär der beklagten Partei und war Vorstand jener Holding, die Gesellschafterin der nunmehrigen Gemeinschuldnerin war und ist.

Die der beklagten Partei von der Gemeinschuldnerin erteilte Vollmacht lautete ua wie folgt:

„Ferner sind Sie berechtigt, den Auftrag auf einen anderen Wirtschaftstreuhänder ganz oder teilweise zu übertragen (Substitution) und/oder die Vollmacht weiter zu geben (Untervollmacht). Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die oben bevollmächtigte ... (beklagte Partei) mit der ... (B-GmbH) einen Geschäftsbesorgungsvertrag abgeschlossen hat, wodurch die ... (B-GmbH) berechtigt ist, die an die Bevollmächtigte erteilten Aufträge aufgrund des bestehenden Werkvertrags zu bearbeiten."

Die B-GmbH erledigte die Buchhaltung der Gemeinschuldnerin. Ein Mitarbeiter der W-GmbH betreute die Gemeinschuldnerin im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren und der Geltendmachung von Forderungen. Der Vorstand der Beklagten kam, wenn man ihn rief.

Die Überschuldung der Gemeinschuldnerin trat spätestens mit Ende des 3. Quartals 2004 ein. Der Eintritt der materiellen Insolvenz sowohl aufgrund der Zahlungsunfähigkeit als auch aufgrund einer nicht mehr behebbaren Überschuldung der Gemeinschuldnerin war für die beklagte Partei spätestens Mitte November 2004 erkennbar.

Die beklagte Partei stellte am 15. Jänner 2005 beim Finanzamt B***** den Antrag, das auf dem Steuerkonto der Gemeinschuldnerin befindliche Umsatzsteuerguthaben von 22.405,86 EUR auf das Konto der W-GmbH zu überrechnen. Das Finanzamt führte die Überrechnung am 8. Februar 2005 durch.

Ob eine Abtretungsvereinbarung zwischen den beiden Gesellschaften (gemeint: beklagte Partei und W-GmbH) existiert, konnte nicht festgestellt werden.

Die beklagte Partei meldete im Konkursverfahren Forderungen in Höhe von 317.537,27 EUR an.

Unter Heranziehung der Anfechtungstatbestände des § 28 Z 1 und 2 KO, des § 30 Abs 1 Z 3 KO und des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO begehrt der Kläger - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - die Zahlung des Finanzamts vom 8. Februar 2005 entsprechend dem Antrag der beklagten Partei gegenüber den Gläubigern im Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin für unwirksam zu erkennen und die beklagte Partei zur Zahlung von 22.405,84 EUR sA an die Konkursmasse zu verpflichten.

Zum Verständnis klarzustellen ist, dass die Vorinstanzen rechtskräftig mit Wirkung zwischen dem Kläger und der beklagten Partei und gegenüber den Gläubigern im Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin feststellten, dass die Generalzessionsvereinbarung zwischen der Gemeinschuldnerin und der beklagten Partei vom 10. Jänner 2003 unwirksam ist (Punkt 3 des erstgerichtlichen Urteilsspruchs), dass die Zahlungen näher bezeichneter Gesellschaften an die beklagte Partei gegenüber den Gläubigern im Konkurs unwirksam sind (Punkt 4 des erstgerichtlichen Urteilsspruchs) und dass die beklagte Partei schuldig ist, dem Kläger 3.322,86 EUR sA zu bezahlen (Punkt 5 des erstgerichtlichen Urteilsspruchs).

In Ansehung des im Revisionsverfahren allein relevanten Anfechtungsbegehrens bezüglich der Zahlung des Finanzamts vom 8. Februar 2005 brachte der Kläger zusammengefasst vor, der beklagten Partei sei die Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung der Gemeinschuldnerin zum Zeitpunkt des Überrechnungsantrags bekannt gewesen. Der Überrechnungsantrag sei der beklagten Partei zurechenbar. Die beklagte Partei habe treuwidrig die Überrechnung eines der Gemeinschuldnerin zustehenden Geldbetrags an die mit dieser nicht in einem Rechtsverhältnis stehenden W-GmbH beantragt. Da die beklagte Partei selbst den Überrechnungsantrag gestellt habe, sei sie passiv legitimiert. Die angefochtene Zahlung sei der beklagten Partei geldwert zugekommen; jedenfalls sei mit Überweisung eine Forderung der beklagten Partei gegenüber der Gemeinschuldnerin verringert worden, sodass sich die beklagte Partei nicht auf einen mangelnden „Barerhalt" der Zahlung berufen könne.

Die beklagte Partei wendet ihre mangelnde Passivlegitimation ein: Die Überrechnung sei nicht auf ein ihr zustehendes Konto, sondern auf ein Konto der W-GmbH erfolgt. Die der beklagten Partei gegen die Gemeinschuldnerin zustehende (Honorar-)Forderung sei an die W-GmbH abgetreten worden. Diese Forderung habe gegenüber der Gemeinschuldnerin bereits einige Jahre bestanden. Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin sei erst nach Stellung des Überrechnungsantrags vorgelegen.

Das Erstgericht erklärte in Punkt 1 seines Urteils die Zahlung des Finanzamts vom 8. Februar 2005 entsprechend dem Antrag der beklagten Partei gegenüber den Gläubigern im Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin für unwirksam und verpflichtete mit Punkt 2 seiner Entscheidung die beklagte Partei zur Zahlung von 22.405,84 EUR sA.

Über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht weitere, für das Revisionsverfahren nicht mehr relevante Feststellungen betreffend die (erfolgreich) angefochtene Generalzessionsvereinbarung zwischen der beklagten Partei und der Gemeinschuldnerin vom 10. Jänner 2003 und traf überdies - wenngleich im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung - die Feststellung, dass sich durch die angefochtene Überrechnung Verbindlichkeiten der beklagten Partei gegenüber der W-GmbH verringerten bzw sich die Verbindlichkeit der Gemeinschuldnerin gegenüber der beklagten Partei verringerte.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Überrechnungsantrag nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gestellt worden sei. Der Empfang der Zahlung sei wirtschaftlich der beklagten Partei zuzurechnen. Dem Anfechtungsbegehren sei daher auch in diesem Umfang stattzugeben.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung teilweise Folge und änderte Punkt 1 und 2 des Ersturteils im Sinne einer Klageabweisung ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts mit Ausnahme der in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts enthaltenen „disloziierten" Feststellung, dass sich durch die Überrechnung Außenstände gegenüber der beklagten Partei gegenüber der W-GmbH verringerten, welche Feststellung das Berufungsgericht - ohne Durchführung einer Beweiswiederholung - entfernte, weil nach Auffassung des Berufungsgerichts für diese Feststellung jegliche Begründung fehle.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass die beklagte Partei zwar in Kenntnis der materiellen Insolvenz der späteren Gemeinschuldnerin und offenkundig aufgrund der ihr erteilten Vollmacht den Antrag an das Finanzamt auf Überrechnung gestellt habe, dass aber die beklagte Partei deshalb nicht legitimiert sei, weil der bevollmächtigte Vertreter des Gemeinschuldners ebenso wie der Gemeinschuldner selbst nicht als Anfechtungsgegner in Betracht komme. Die Überrechnung sei nicht der beklagten Partei, sondern der W-GmbH zugekommen. Die beklagte Partei könne daher nicht erfolgreich als Anfechtungsgegnerin in Anspruch genommen werden. Für die entsprechende Behauptung des Klägers im Verfahren erster Instanz, dass sich durch die Überrechnung Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin gegenüber der beklagten Partei verringert hätten, habe der Kläger keine Beweise angeboten.

Mit seiner dagegen erhobenen außerordentlichen Revision strebt der Kläger eine Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Wiederherstellung des Ersturteils an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, „die Revision nicht zuzulassen".

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der bevollmächtigte Vertreter des Gemeinschuldners komme als Anfechtungsgegner nicht in Betracht, für den Fall nicht zutrifft, dass der Anfechtungsgegner selbst als Vertragspartner des Gemeinschuldners Zahlungen erhält.

Die Revision ist auch berechtigt.

1. Richtig ist, dass nicht nur der Gemeinschuldner selbst, sondern auch der Vertreter des Gemeinschuldners nicht als Anfechtungsgegner in Betracht kommt, wenn er im Rahmen des ihm erteilten Auftrags Rechtshandlungen setzt (RIS-Justiz RS0019638; 3 Ob 515/95 = SZ 68/114). Das gilt jedoch nicht für den Fall, dass die angefochtene Rechtshandlung (im Anlassfall: Überrechnungsantrag) bzw die dieser Handlung zugrunde liegende Verfügung (Auszahlung des Guthabens durch das Finanzamt auf das bekannt gegebene Konto) zu Gunsten des Vertreters, also etwa weil der Vertreter selbst Vertragspartner des Gemeinschuldners ist, vorgenommen wurde. Andernfalls könnte, wie die Revision zutreffend aufzeigt, der Vertreter des Gemeinschuldners sanktionslos in seiner Eigenschaft als Vertreter Zahlungen an ihn selbst veranlassen, die anfechtungsfest wären.

Unterstellt man daher, dass die Zahlung der beklagten Partei wirtschaftlich zugeflossen ist, wäre jedenfalls der Anfechtungstatbestand des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO verwirklicht: Sowohl der Überrechnungsantrag als auch die aufgrund des Überrechnungsantrags erfolgte Zahlung des Finanzamts wurde nach Eintritt der materiellen Insolvenz der Gemeinschuldnerin vorgenommen, wobei im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist, dass der beklagten Partei die materielle Insolvenz spätestens Mitte November 2004 erkennbar war.

2. Es ist daher allein zu prüfen, ob der Umstand, dass die Auszahlung des Umsatzsteuerguthabens entsprechend dem Überrechnungsantrag der beklagten Partei als Vertreterin der Gemeinschuldnerin nicht auf ihr Konto, sondern auf ein Konto ihrer Betriebsgesellschaft erfolgte, der beklagten Partei die Passivlegitimation nimmt.

3. Als Anfechtungsgegner ist - ausgehend von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise - derjenige anzusehen, zu dessen Gunsten die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen wurde und der aus ihr einen Vorteil erlangt hat (RIS-Justiz RS0064554). Der Personenkreis der Anfechtungsgegner ist mit Blick auf den wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang nicht eng zu ziehen (3 Ob 116/08t; König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung4 § 38 Rz 4/2 mwN). Primärer Anfechtungsgegner ist auch derjenige, der etwas mittelbar durch einen Strohmann erlangt hat (Koziol/Bollenberger in Buchegger, InsR I § 38 Rz 2 mwN).

Der Kläger hat ausdrücklich vorgebracht, mit der W-GmbH in keinerlei Rechtsbeziehung gestanden zu sein. Der Überrechnungsantrag sei von der beklagten Partei treuwidrig zu Gunsten der W-GmbH erfolgt (S 2 in ON 5).

Dass eine Vertragsbeziehung zwischen der W-GmbH und dem Kläger nicht bestand und daher daraus auch keine Forderung resultieren konnte, hat die beklagte Partei niemals bestritten.

Die beklagte Partei hat auch das Vorbringen des Klägers in erster Instanz, wonach mit der Überrechnung eine Forderung der beklagten Partei gegenüber der Gemeinschuldnerin verringert wurde (S 2 in ON 8), nicht bestritten (siehe die Protokollierung S 1 zu ON 9). Sie hat sich vielmehr selbst ausdrücklich darauf berufen, dass sie der W-GmbH eine der beklagten Partei gegenüber der Gemeinschuldnerin seit Jahren bestehende Forderung (aufgrund einer Forderung der W-GmbH gegen die beklagte Partei) abgetreten habe (S 3 in ON 3). Diese Abtretung erachtete das Erstgericht nicht feststellen zu können. Es ist aber nach dem eigenen Vorbringen der beklagten Partei nicht zweifelhaft, dass die W-GmbH nur gegen die beklagte Partei, nicht aber gegen die Gemeinschuldnerin, eine Forderung hatte, die durch Zufluss des Überrechnungsbetrags an die W-GmbH - unter gleichzeitiger Verminderung der Honorarforderungen der beklagten Partei gegenüber der Gemeinschuldnerin - getilgt wurde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schadete es daher dem Kläger mangels konkretem Bestreitungsvorbringen der beklagten Partei nicht, dass er kein Beweisanbot zu seinem Vorbringen erstattete. Aufgrund des Zugeständnisses der beklagten Partei (§ 267 Abs 1 ZPO), dass der Überrechnungsbetrag wirtschaftlich ihr zugeflossen ist, war dem Anfechtungsbegehren auch im Umfang der angefochtenen Überrechnung stattzugeben.

Insgesamt war daher das Ersturteil in seinen Punkten 1 und 2 wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E93379

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00213.09H.0224.000

Im RIS seit

04.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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