Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen Hannes G*****, geboren am 5. Jänner 1999, *****, über den Revisionskurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 15. Juni 2009, GZ 4 R 190/09x-U27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 27. Februar 2009, GZ 1 P 110/04h-U18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung vom 2. 8. 2007 wurden dem Minderjährigen (über Antrag der Mutter) gemäß §§ 21, 25 Kärntner Mindestsicherungsgestz (K-MSG) „Behindertenhilfe (Hilfe zur Erziehung und Schulbildung)“ durch Unterbringung im C*****heim & Schule in *****, vollintern, und Übernahme der ab 23. 7. 2007 entstehenden Kosten gewährt, „solange diese Maßnahme erforderlich und erfolgversprechend ist“. Der Minderjährige hält sich in der Regel von Montag bis Freitag im Internat auf; an den Wochenenden, in den Ferienzeiten und im Krankheitsfall wird er hingegen im Haushalt seiner Mutter betreut (an vier Wochenenden zwischen September 2008 und Juli 2009 auch für längere Zeit [bis zu vier Tage]).
Mit Beschluss vom 27. 2. 2009 hat das Erstgericht dem Minderjährigen für den Zeitraum vom 1. 2. 2009 bis 31. 1. 2012 auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters antragsgemäß Unterhaltsvorschuss nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 145,35 EUR monatlich gewährt.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs des Bundes gegen die Entscheidung des Erstgerichts nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei. Zu dem vom Rekurswerber eingewendeten, in § 2 Abs 2 Z 2 UVG normierten Ausschluss des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss (wegen Fremdunterbringung) wies es darauf hin, dass kein Anlass bestehe, von seiner eigenen Beurteilung eines völlig vergleichbaren Falls, der lediglich ein anderes konkretes Heim [einen Förderkindergarten] betroffen habe (vgl 10 Ob 51/09m), abzugehen.
Demnach seien [auch] die beiden [dort betroffenen] Minderjährigen nicht aufgrund einer Maßnahme der vollen Erziehung untergebracht gewesen, ihnen sei jedoch im bescheidmäßig zuerkannten Umfang Sozialhilfe gewährt worden. Ein freiwillig zuerkannter Zuschuss, der eine Zuerkennung von Unterhaltsvorschuss nicht hindern würde, liege nicht vor: Gemäß § 21 K-MSG hätten nämlich Menschen, die infolge Behinderung (ua) in ihrer Fähigkeit, eine angemessene Erziehung Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, dauernd beeinträchtigt seien, Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und Schulbildung im Sinn des § 25 K-MSG, also auf die bescheidmäßig zuerkannte Vermittlung einer entsprechenden Erziehungs- und Ausbildungsstätte sowie auf die Übernahme der „durch die Behinderung bedingten“ Kosten für die Erziehung und Schulbildung.
Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen sei aber jedenfalls, dass die Unterbringung „aufgrund einer Maßnahme“ der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe) und damit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolge erfolge; die Unterbringung müsse also selbst aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe angeordnet worden sein. Neben dem Fehlen schon dieses, für den Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen wesentlichen Elements sei in den Bescheiden des Amtes der Kärntner Landesregierung auch klargestellt, dass die durch die Unterbringung der Kinder entstehenden Kosten nur so lange gewährt würden, als diese Maßnahme „erforderlich und erfolgversprechend“ sei. Es handle sich also (ausschließlich) um die Tragung von durch die Behinderung bedingten Mehrkosten der Schulbildung und Erziehung durch das Land, nicht aber um solche, die im Weg der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt würden. Eine Maßnahme im Sinn des § 2 Abs 2 Z 2 UVG, die einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse ausschließen würde, sei daher nicht getroffen.
Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den §§ 21, 25 K-MSG in Bezug auf § 2 Abs 2 Z 2 UVG sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Antrags des Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen.
Der Minderjährige, vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (JWT), beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben. Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber vertritt den Standpunkt, die Unterbringung des Kindes im Rahmen der Behindertenhilfe stelle jedenfalls eine Maßnahme der Sozialhilfe und daher einen Versagungsgrund nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar, wobei das Land Kärnten nach dem genannten Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung auch die Kosten trage. Die EB zur RV 172 BlgNR 17. GP 24 stellten klar, dass Vorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dann nicht zu gewähren seien, wenn - verkürzt gesagt - der Unterhalt des Kindes durch Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen seien, abgedeckt werde. Hier sei der Minderjährige während des Schuljahres in der Regel von Montag bis Freitag vollintern untergebracht, wobei die Mutter Vorschusszahlungen zur Abdeckung des Geldunterhaltsbedarfs erhalte. Sofern dennoch kein Versagungsgrund im Sinn des § 2 Abs 2 Z 2 UVG vorliege und der Vorschussanspruch dem Grunde nach zu bejahen sei, erscheine es fraglich, ob der Vorschuss in der vollen Titelhöhe gebühre, weil sich das Kind nur an den Wochenenden und in den Ferien im Haushalt der Mutter aufhalte.
Die Revisionsrekursbeantwortung des durch den JWT vetretenen Minderjährigen verweist demgegenüber auf den Umstand, dass ihm mit dem über Antrag der Mutter erlassenen Bescheid Behindertenhilfe durch Unterbringung im C*****heim & Schule und Übernahme der dadurch entstehenden Kosten gewährt, jedoch keine hoheitliche Anordnung einer Maßnahme erfolgt sei. Auch die vom Revisionsrekurswerber angesprochene Doppelalimentierung sei nicht gegeben, weil die vom Land Kärnten getragenen Kosten, die im Bescheid ausdrücklich als solche der Hilfe zur Erziehung und Schulbildung bezeichnet seien, nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten abdeckten. Ein entsprechender Geldunterhaltsbedarf sei gegeben, weil sich der Minderjährige während des Schuljahres nur während der Woche vollintern im Internat aufhalte; während der Wochenenden, der gesamten Ferien und auch im Krankheitsfall würde er hingegen von der Mutter zu Hause gepflegt und erzogen, sodass ein entsprechender Geldunterhaltsbedarf gegeben sei. Eine Kostenüberwälzung vom Land auf den Bund treffe hier nicht zu, weil das Land bei Gewährung der Vorschüsse (nach dem unterhaltspflichtigen Vater) den gleichen Kostenaufwand wie bisher trage und sich dieser nicht verringere. Seit Inkrafttreten des K-MSG seien überdies auch keine Kostenbeitragsverpflichtungen mehr vorgesehen. Ein Geldunterhaltsbedarf in derzeitiger Titelhöhe von 145,35 EUR monatlich sei - angesichts eines Regelbedarfssatzes für einen 10-jährigen von 333 EUR bis 30. 6. 2009 - jedenfalls auch dann gegeben, wenn der Minderjährige während des Schuljahres unter der Woche vollintern untergebracht sei und „nur“ an den Wochenenden (teilweise auch vier Tage), in den Schulferien und im Krankheitsfall von der Mutter betreut werde.
Dazu wurde Folgendes erwogen:
Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse dann nicht, wenn das Kind aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Gesetzesmaterialien (JAB 199 BlgNR 14. GP 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt wird (RV 172 BlgNR 17. GP 24). Der Grund für den generellen Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG liegt also darin, dass das Kind „aus öffentlichen Mitteln voll versorgt“ wird (stRsp; 1 Ob 348/99d; 10 Ob 307/99s und 7 Ob 58/04m jeweils mwN; Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 23).
Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist neben der Fremdunterbringung, dass diese „aufgrund einer Maßnahme” der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe erfolgt, dh es ist eine entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erforderlich (RIS-Justiz RS0112860; RS0112819 [T2] = 2 Ob 274/99d mwN). Geht es - wie hier - um Maßnahmen der Sozialhilfe, dann genügt es daher nicht, dass Sozialhilfeleistungen erbracht werden, sondern es muss „die Unterbringung selbst“ aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe angeordnet worden sein (stRsp; RIS-Justiz RS0076026); auch hier ist also eine entsprechende Anordnung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe mit Kostenfolgen für den Sozialhilfeträger erforderlich (Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 27).
Ebenso wie bei Maßnahmen der vollen Erziehung nach dem Jugendwohlfahrtsrecht kommt eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen wegen Unterbringung aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe nur dann in Betracht, wenn das Land als Sozialhilfeträger rechtlich zur Gewährung der Unterbringung verpflichtet war und eine entsprechende Anordnung getroffen hat, nicht aber, wenn die Unterbringung im Rahmen der Sozialhilfe ohne Rechtsanspruch erfolgte oder wenn bloß die durch eine Behinderung des Kindes bedingten Mehrkosten der Unterbringung in einem Heim getragen werden (Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 28 mwN).
Der Umstand, dass der Sozialhilfeträger die durch eine Behinderung des Kindes bedingten Mehrkosten der Unterbringung in einem Heim trägt, hindert die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen somit nicht (RIS-Justiz RS0076032 = 2 Ob 557, 558/92). In der zitierten Entscheidung wird dazu Folgendes ausgeführt:
Im Bescheid der oö Landesregierung, mit welchem dem Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Schulbildung und Erziehung stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf zugestimmt wurde, ... wird lediglich auf § 8 leg cit [oö Behindertengesetz 1971] Bezug genommen. Nach dieser ... Vorschrift, wird die Hilfe als Abgeltung der durch die Behinderung bedingten Mehrkosten der Schulbildung und Erziehung gewährt; was ohne Rücksicht auf die Behinderung für Unterhalt, Schulbildung und Erziehung aufgewendet werden müsste, haben der Behinderte bzw die für ihn Unterhaltspflichtigen jeweils selbst zu tragen, und zwar mindestens den Betrag, der der Familienbeihilfe einschließlich des Zuschlages aus dem Grund der Behinderung entspricht. Die Kosten, die das Land Oberösterreich trägt, werden - mögen sie auch relativ hoch sein - im Bescheid ausdrücklich als solche der Hilfe zur Schulbildung und Erziehung bezeichnet, es handelt sich somit lediglich um die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten, nicht aber um eine Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des § 10 oö Behindertengesetz. Aufgrund des Bescheides ist daher davon auszugehen, dass durch die Leistung des Landes Oberösterreich nicht der volle Unterhalt gedeckt werden sollte. Überdies wurde im Bescheid dem Antrag der Mutter stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf zugestimmt, es handelt sich daher nicht um eine Anordnung der Unterbringung durch die zuständige Sozialhilfebehörde und damit nicht um eine von dieser selbst gesetzte Maßnahme der Unterbringung des Minderjährigen in einem Heim.
Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten.
Der den 4. Abschnitt (mit dem Titel: „Soziale Mindestsicherung zur Eingliederung von Menschen mit Behinderung“) des am 1. 7. 2007 in Kraft getretenen Kärntner Mindestsicherungsgesetzes (LGBl Nr 15/2007) einleitende § 21 K-MSG legt in seinem ersten Absatz fest, dass Menschen mit Behinderung - nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts - soziale Mindestsicherung zu leisten ist. Als Menschen mit Behinderung gelten Personen, die „infolge Behinderung in ihrer Fähigkeit eine angemessene Erziehung Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, oder ... dauernd beeinträchtigt sind“ (§ 21 Abs 2 lit a K-MSG). Gemäß § 25 K-MSG umfasst die Hilfe zur Erziehung und Schulbildung - neben aufgezählten Beratungsleistungen - ua auch die „Vermittlung“ eines Menschen mit Behinderung in eine seiner Behinderung und Befähigung entsprechende Erziehungs- und Ausbildungsstätte sowie die Übernahme der „durch die Behinderung bedingten“ Kosten für die Erziehung und Schulbildung.
Nach diesen Bestimmungen wurde dem Kind im vorliegenden Bescheid - ebenfalls auf Antrag der Mutter - Behindertenhilfe (nämlich Hilfe zur Erziehung und Schulbildung) durch Unterbringung im C*****heim & Schule sowie Übernahme der dadurch entstehenden (behinderungsbedingten) Kosten „gewährt“. Es handelt sich also auch hier nicht um eine von der Sozialhilfebehörde angeordnete Unterbringung und damit nicht um eine von dieser Behörde selbst gesetzte Maßnahme. Außerdem decken die vom Land Kärnten getragenen Kosten (die auch nach dem vorliegenden Bescheid nur die Kosten der Hilfe zur Erziehung und Schulbildung betreffen) ohnehin nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten ab, wobei der Minderjährige an den Wochenenden (teilweise auch bis zu vier Tage), in den Ferien und im Krankheitsfall weiterhin im Haushalt der Mutter betreut wird. Es kann daher auch davon keine Rede sein, dass das Kind aus öffentlichen Mitteln „voll versorgt“ würde, und daher dieser Grund für einen generellen Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG bestünde.
Zuletzt weist die Revisionsrekursbeantwortung in diesem Zusammenhang zutreffend noch darauf hin, dass an einem Geldunterhaltsbedarf in derzeitiger Titelhöhe von 145,35 EUR monatlich, der weit unter dem Regelbedarf für einen 10-jährigen liegt (333 EUR bis 30. 6. 2009), schon angesichts der dargelegten tatsächlichen Umstände nicht zu zweifeln ist. Es bestehen daher auch keine Bedenken gegen die Höhe des gewährten Unterhaltsvorschusses.
Diese Erwägungen führen zur Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
Textnummer
E93478European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00067.09I.0302.000Im RIS seit
23.04.2010Zuletzt aktualisiert am
21.03.2012