Kopf
Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred P***** wegen Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 22. September 2009, GZ 41 Hv 119/09w-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen II und III und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.
Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde den Schuldspruch IV betrifft, wird sie zurückgewiesen.
Mit seiner Sanktionsrüge und der Berufung wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred P***** zweier Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I und II), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) sowie zweier Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.
Danach hat er in Salzburg
(I und II) Maria Z***** in zwei Fällen mit Gewalt zur Duldung der Abnahme ihrer Handtasche genötigt, indem er sie am 20. Mai 2009 von hinten am Hals packte und sie gegen eine Hausmauer drückte (I), ihr am 3. Juni 2009 mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzte, wodurch sie mit dem Kopf gegen die hinter ihr befindliche Hausmauer schlug (II), und ihr sodann jeweils ihre Handtasche entriss;
(III) am 3. Juni 2009 Maria Z***** durch die zu II beschriebene Handlung eine Körperverletzung, nämlich eine Kopfprellung samt einer Rissquetschwunde im linken Bereich des Hinterkopfes, vorsätzlich zugefügt;
(IV) am 17. Juni 2009 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz anderen fremde bewegliche Sachen mit Gewalt wegzunehmen versucht, indem er ihnen jeweils Faustschläge gegen den Kopf versetzte, und zwar
a) Melanie G***** einen Rucksack samt darin befindlicher Wertgegenstände, eine Halskette im Wert von 200 Euro sowie eine Sonnenbrille im Wert von 40 Euro;
b) Sabine K***** eine Handtasche samt darin befindlicher Wertgegenstände und einer Geldbörse sowie Bargeld.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4, 5, 8 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt:
Zutreffend weist die Rüge - ausdrücklich bloß in Bezug auf den Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) - aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO auf einen Verstoß gegen § 262 StPO durch das Erstgericht hin.
Vorliegend vermochten die Tatrichter für die Unterstellung unter § 142 StGB erforderliche Feststellungen mangels Vorliegens auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes nicht zu treffen, hielten jedoch - neben versuchter Nötigung zur Duldung der Wegnahme der Handtasche - eine vorsätzliche Verletzung des Tatopfers durch den Angeklagten für erwiesen. Demzufolge beurteilten sie den vom Anklagefaktum I/b umfassten Sachverhalt - abweichend von der auf das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB gerichteten Anklage - als Vergehen der Nötigung (II) sowie das (bei anklagekonformer Verurteilung verdrängte; vgl Fabrizy, StGB9 § 83 Rz 5; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 61; vgl zum Ganzen auch 14 Os 84/06v) Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III), sodass es nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Sicherstellung der Verteidigungsrechte nach Art 6 Abs 3 lit a und b MRK der - hier indes nicht erfolgten - Einhaltung der Vorschrift des § 262 StPO bedurft hätte (RIS-Justiz RS0121419, RS0113755; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 545 mwN). Dass die Verteidigung mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt bei entsprechender Information eine andere gewesen wäre, wird im Rechtsmittel mit dem Vorbringen, der Beschwerdeführer hätte sich im Fall gesetzmäßiger Vorgangsweise des Erstgerichts damit verantworten können, dass die - nicht gänzlich bestrittene (ON 17 S 15) - Gewaltausübung oder allfällige Faustschläge bloß Mittel der Nötigung nach § 105 StGB waren und zu keinem Zeitpunkt auch nur der bedingte Vorsatz vorlag, Maria Z***** am Körper zu verletzen, plausibel gemacht. Damit ist das Urteil in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch II umfassten Tathandlung auch unter § 83 Abs 1 StGB (III) wegen Anklageüberschreitung nichtig. Dies führt zu dessen Aufhebung in seinem Schuldspruch III (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 546), sowie weiters - um dem im zweiten Rechtsgang erkennenden Gericht die gebotene Gesamtbeurteilung des Anklagesachverhalts I/b zu ermöglichen (vgl zum nur den Sanktionenbereich betreffenden Verschlechterungsverbot: RIS-Justiz RS0098900; Ratz, WK-StPO § 293 Rz 22 mwN; § 16 StPO) - im Schuldspruch II (§ 289 StPO) und demzufolge auch im Strafausspruch und insoweit zur Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht, ohne dass es eines Eingehens auf das übrige, gegen den Schuldspruch III gerichtete Beschwerdevorbringen bedurfte.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass - dem auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten (der Sache nach Z 10) Rügeeinwand zuwider - zwischen Nötigung und einer dadurch hervorgerufenen leichten Körperverletzung nach ständiger Rechtsprechung stets echte Konkurrenz vorliegt (RIS-Justiz RS0115230; vgl demgegenüber bei den Delikten, bei denen - anders als im Fall des § 105 StGB - der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu einem höheren Strafsatz führt, erneut: Fabrizy, StGB9 § 83 Rz 5; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 61).
Nicht im Recht ist die gegen den Schuldspruch wegen Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (IV/a und b) gerichtete Mängelrüge (Z 5).
Mit dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) und Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) in Betreff der Feststellungen zum Nötigungsmittel der Gewalt bezieht sie sich nämlich - auch mit Blick auf die in der Beschwerde angesprochene Bestimmung des § 142 Abs 2 StGB - fallbezogen nicht auf einen für die Feststellung entscheidender Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände) erheblichen Umstand.
Nach den hier wesentlichen Urteilsannahmen hat der Angeklagte der sich gegen seine Angriffe zur Wehr setzenden Melanie G***** zunächst einen Faustschlag gegen die sensible Gesichtsregion versetzt und ihr im Zuge der daran anschließenden Rauferei ihre Halskette vom Hals und ihre Sonnenbrille vom Kopf gerissen sowie ihre Handtasche zu entreißen versucht (IV/a) und sodann der stark alkoholisierten Sabine K*****, die sich mit vorgebeugtem Oberkörper auf den Boden gekauert hatte, um ihre Handtasche zu schützen, mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzt (IV/b; US 10). Unabhängig von der in der Beschwerde thematisierten Frage, welche Intensität die den beiden Tatopfern versetzten Schläge aufwiesen, und ob Melanie G***** mit der Faust oder der flachen Hand geschlagen wurde, kann diese eingesetzte Gewalt insgesamt keinesfalls als unerheblich im Sinn des § 142 Abs 2 StGB gewertet werden (zum Erfordernis deliktsspezifischer Auslegung des Gewaltbegriffs vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 10, 30). Denn der Angeklagte setzte solcherart bei seinen Angriffen durchaus beachtliche psychische Gewalt in vehementer Weise gegen seine Opfer ein, wobei deren Belastung im Vergleich zu den Durchschnittsfällen eines Raubes nicht mehr als geringfügig einzustufen ist (RIS-Justiz RS0094427), zumal insbesondere (Faust-)Schläge gegen den Kopf stets mit einer erhöhten Gefährdung des Opfers einhergehen und sich die Vehemenz der gegen Melanie G***** angewendeten Gewalt auch in der festgestellten Rauferei, die heftige Gegenwehr des Opfers indiziert, widerspiegelt.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Mit seiner Sanktionsrüge (Z 11) und der Berufung (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO) war der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf den kasstorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E93537European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0140OS00161.09X.0302.000Im RIS seit
07.05.2010Zuletzt aktualisiert am
07.05.2010