Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Dominik R*****, geboren am 9. April 2000, vertreten durch das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Amt für Soziales, Jugend und Familie, Hauptstraße 1-5, 4041 Linz), über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Oktober 2009, GZ 15 R 339/09t-44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 24. Juli 2009, GZ 36 Pu 215/09g-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass das auf Vorschussgewährung in voller Höhe des Richtsatzes nach § 6 UVG gerichtete Mehrbegehren des Kindes abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Der am 9. 4. 2000 geborene Dominik R***** ist der Sohn von Mariana P***** und Danut R*****; der Vater hat die Vaterschaft am 20. 4. 2000 anerkannt. Sowohl die Eltern als auch das Kind sind rumänische Staatsbürger.
Im August 2003 stellte das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind den auf den Anspannungsgrundsatz gestützten Antrag, den Vater zu einem monatlichen Unterhalt in Höhe von 198 EUR ab 1. 8. 2003 zu verpflichten. Der Vater sprach sich gegen eine Unterhaltsfestsetzung in der begehrten Höhe aus: Er lebe bei seinen Eltern in Rumänien und verdiene dort 100 EUR im Monat, weshalb er nur zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 25 EUR bereit sei. Mit Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers hat das Erstgericht mit Beschluss vom 23. 2. 2004 den vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhaltsbeitrag ab 1. 8. 2003 mit 25 EUR festgesetzt (ON 15). Auf der Grundlage dieses Titels wurden dem Kind mit Beschluss vom 29. 1. 2007 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum vom 1. 1. 2007 bis 31. 12. 2009 in Titelhöhe (25 EUR) gewährt (ON U2).
Am 17. 7. 2009 brachte das Kind einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG für die Zeit vom 1. 7. 2009 bis 30. 6. 2012 mit der Begründung ein, dass der Vater unbekannten Aufenthalts sei. Er scheine weder im Zentralen Melderegister noch im Versicherungsdatenauszug des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger als gemeldet auf. Gründe, weswegen der Vater nicht in der Lage sein sollte, ein monatliches Einkommen zu erzielen, um Unterhalt in Höhe des Richtsatzes leisten zu können, seien nicht vorhanden. Eine Unterhaltserhöhung sei aus Gründen auf Seite des Unterhaltspflichtigen zur Zeit nicht möglich (ON U32).
Das Erstgericht bewilligte dem Kind Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG in der Höhe nach § 6 Abs 2 UVG von derzeit 253 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 7. 2009 bis 30. 6. 2012 und stellte gleichzeitig die bewilligten Titelvorschüsse mit Ablauf des Juni 2009 ein. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Unterhaltsschuldner derzeit unbekannten Aufenthalts und daher nicht erreichbar sei. Aufgrund der Aktenlage würden sich keine Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ergeben, weshalb die Minderjährigen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG hätten (ON U35).
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der für den Vater bestellten Zustellkuratorin Folge und bewilligte Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG in Höhe von jeweils 25 EUR monatlich (das ist in Höhe des bestehenden Unterhaltstitels). Eine ausdrückliche Abweisung des Mehrbegehrens der beiden Minderjährigen auf Vorschussgewährung in voller Höhe des Richtsatzes nach § 6 UVG unterblieb. Das Rekursgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich die (Einkommens-)Verhältnisse des Unterhaltsschuldners gegenüber den der seinerzeitigen Unterhaltsfestsetzung zugrundeliegenden Umständen offenbar nicht derart verbessert hätten, dass seine materielle Unterhaltspflicht die Titelhöhe betragsmäßig übersteigen würde. Der Unterhaltsschuldner habe nach der Aktenlage zum Zeitpunkt der (letzten) Titelschaffung in Rumänien gelebt, sei arbeitslos gewesen und habe vorgebracht, dass ein Maler oder Maurer in Rumänien 100 EUR monatlich verdienen würde, weshalb er sich zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 25 EUR bereit erklärt habe; diesem Anbot habe der Jugendwohlfahrtsträger damals zugestimmt.
Der nunmehrige Aufenthaltsort des Vaters sei nicht bekannt. Hinweise auf eine Rückkehr nach Österreich oder in einen anderen EU-Mitgliedsstaat mit höherem Lebensstandard lägen nicht vor. Aus der Aktenlage ergebe sich jedoch, dass der Unterhaltsschuldner auch für den am 6. 6. 2001 geborenen Darian Danut P***** und die am 23. 10. 2003 geborene Dorotaea P***** sorgepflichtig sei. Angesichts dieser Umstände sei davon auszugehen, dass der Unterhaltsschuldner zu einer höheren Unterhaltsleistung als der mit 25 EUR monatlich titelmäßig festgesetzten Unterhaltsverpflichtung offenbar nicht imstande sei, weshalb die Voraussetzungen für die beantragte Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht gegeben seien. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Gesetzesstelle in Höhe von jeweils 25 EUR monatlich sei jedoch unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.
Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Antrag des Kindes in seiner Zulassungsvorstellung änderte es seinen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG doch zulässig sei, weil die Beurteilung der Frage, ob eine Offenkundigkeit nicht verbesserter Umstände gegenüber der seinerzeitigen Unterhaltsfestsetzung bei beantragter Unterhaltsvorschussgewährungnach § 4 Z 2 zweiter Fall UVG nach der Aktenlage beurteilt werden könne oder eines Ausschlussbeweises bedürfe, eine erhebliche Rechtsfrage darstelle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes sinngemäß mit dem Antrag auf Wiederherstellung der antragstattgebenden Entscheidung des Erstgerichts.
Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, der Vater als Unterhaltsschuldner, vertreten durch die Zustellkuratorin, und die Mutter als Zahlungsempfängerin haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber macht geltend, der Unterhaltsschuldner sei unter der von ihm bekannt gegebenen Adresse in Rumänien nicht erreichbar. Da Rumänien seit 1. 1. 2007 ein Mitgliedstaat der EU sei, sei davon auszugehen, dass der Unterhaltsschuldner die Möglichkeit, im Raum der EU Arbeit zu finden, genutzt habe, zumal er vom 23. 11. 1998 bis 3. 8. 2000 und vom 7. 5. 2004 bis 18. 1. 2006 mit Hauptwohnsitz in Linz gemeldet gewesen sei und hier noch familiäre Bindungen bestünden. Diese Fakten sprächen dafür, dass sich der Unterhaltsschuldner entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht mehr in Rumänien aufhalte.
Diese Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
Wie bereits das Rekursgericht unter Hinweis auf die beiden Entscheidungen 1 Ob 262/03s und 8 Ob 29/07h des Obersten Gerichtshofs zutreffend dargelegt hat, regelt § 4 Z 2 UVG zwei unterschiedliche Fälle:
Einerseits soll ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss dann bestehen, wenn „die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt ... nicht gelingt", also die Schaffung eines Unterhaltstitels zu Gunsten des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsschuldner nicht möglich ist; dann ist die Vorschussgewährung nur ausgeschlossen, wenn der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zu einer, also zu irgendeiner, wenngleich nur geringfügigen Unterhaltsleistung nicht imstande ist. Diese Voraussetzungen liegen hier im Hinblick auf die bestehenden Unterhaltstitel nicht vor.
Die hier maßgebende zweite Fallgruppe des § 4 Z 2 UVG erfasst Unterhaltsberechtigte, die zwar über einen mehr als drei Jahre alten Unterhaltstitel verfügen, jedoch eine Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung „aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners" nicht erreichen können; zu diesen Gründen zählt insbesondere ein unbekannter Aufenthalt des Unterhaltsschuldners, verbunden mit der daraus resultierenden Unmöglichkeit, dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse festzustellen. In diesen Fällen soll grundsätzlich Unterhaltsvorschuss gebühren.
Diese Rechtsfolge ist allerdings im Hinblick auf den in § 4 Z 2 UVG vorgesehenen Ausnahmefall (... außer der Unterhaltsschuldner „ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung bzw einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande") dann nicht gerechtfertigt, wenn sich die (Einkommens-)Verhältnisse des Unterhaltsschuldners - bzw seine Erwerbsmöglichkeiten im Sinne einer „Anspannung" - gegenüber den der seinerzeitigen Unterhaltsfestsetzung zugrunde liegenden Umstände offenbar nicht verbessert haben (8 Ob 29/07h; 1 Ob 262/03s = RIS-Justiz RS0118524; Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 4 UVG Rz 28). Den Beweis für die offenbare Leistungsunfähigkeit hat der Bund zu erbringen. Zweifel an der Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu einer Unterhaltsleistung nicht „offenbar", es sind vielmehr positive Beweise für die Leistungsunfähigkeit erforderlich (Neumayr in Schwimann³ § 4 UVG Rz 44 f mwN). Es kommt daher zu einer entsprechenden Einschränkung der Richtsatzhöhe, wenn dem vorschusspflichtigen Bund der Nachweis gelingt, dass der Unterhaltsschuldner offenbar nicht zur Leistung des vollen, der Richtsatzhöhe entsprechenden Betrags imstande wäre, etwa durch den Nachweis, dass sich unter Zugrundelegung der zuletzt bekannten Einkommens- und Lebensverhältnisse des nunmehr unbekannten Aufenthalts befindlichen Unterhaltsschuldners nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge keine entsprechende Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage annehmen ließe (vgl 6 Ob 690/90 = SZ 63/219).
Die Auffassung des Rekursgerichts, im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass sich die (Einkommens-)Verhältnisse des Unterhaltsschuldners gegenüber den der letzten Unterhaltsfeststellung zugrundeliegenden Umstände offenbar nicht derart verbessert haben, dass seine materielle Unterhaltspflicht den Titel betragsmäßig übersteigen würde, entspricht der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall - anders als im Fall der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 Ob 42/09p - eine nur eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners schon einmal festgestellt wurde, weil er zum Zeitpunkt der Titelschaffung in Rumänien lebte, arbeitslos war und daher nur auf ein erzielbares Einkommen von etwa 100 EUR monatlich angespannt werden konnte. Der nunmehrige Aufenthaltsort des Unterhaltsschuldners ist nicht bekannt. Hinweise auf eine Rückkehr nach Österreich oder auf eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat der EU liegen nicht vor. Wenn das Rekursgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, dass der Vater zu einer höheren Unterhaltsleistung als der mit 25 EUR monatlich titelmäßig festgesetzten Leistung nicht imstande ist, weshalb die Voraussetzungen für die beantragte Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht gegeben seien, kann darin keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.
Es war daher der angefochtene Beschluss mit der Maßgabe zu bestätigen, dass das allein noch verfahrensgegenständliche Mehrbegehren der beiden Minderjährigen auf Vorschussgewährung in voller Höhe des Richtsatzes nach § 6 UVG ausdrücklich abgewiesen wird.
Textnummer
E93312European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00008.10I.0302.000Im RIS seit
29.04.2010Zuletzt aktualisiert am
20.03.2012