Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Pascal Rene H*****, geboren am 30. Juni 2002 und Francesco Riccardo H*****, geboren am 12. August 2005, beide: *****, über den Revisionskurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 12. Mai 2009, GZ 4 R 151/09m, 4 R 154/09b-U31, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 3. März 2009, GZ 2 P 43/06s-U18 und -U19, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit Bescheiden des Amtes der Kärntner Landesregierung vom 14. 10. 2008 und 23. 10. 2006 wurde den Minderjährigen Francesco bzw Pascal (über Antrag der Mutter) gemäß §§ 21, 25 Kärntner Mindestsicherungsgestz (K-MSG) bzw (zuvor) §§ 14, 22 [richtig: §§ 14 und 18] Kärntner Sozialhilfegesetz (K-SHG) „Behindertenhilfe (Hilfe zur Erziehung und Schulbildung)" durch Unterbringung im Förderkindergarten M***** in *****, vollintern, und Übernahme der ab 10. 9. 2008 bzw 16. 10. 2006 entstehenden Kosten gewährt, (jeweils) „solange diese Maßnahme erforderlich und erfolgversprechend ist". Die Kinder befinden sich von Montag bis Freitag im Internat; an den Wochenenden (teilweise auch für längere Zeit), in den Ferienzeiten und im Krankheitsfall werden sie hingegen im Haushalt ihrer Mutter betreut.
Mit Beschlüssen vom 3. 3. 2009 hat das Erstgericht den Minderjährigen für den Zeitraum vom 1. 2. 2009 bis 31. 1. 2012 auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 150 EUR monatlich gewährt. Die Unterbringung der Minderjährigen stelle keine den Unterhaltsvorschuss ausschließende Maßnahme iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar, weil es sich dabei nicht um eine Anordnung durch die zuständige Sozialhilfebehörde handle, und sich die Kinder immer wieder an den Wochenenden (teilweise auch für längere Zeit) und auch in den Schulferien zu Hause aufhielten und von der Mutter gepflegt und erzogen würden.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht den Rekursen des Bundes gegen diese Entscheidungen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei. Zu dem vom Rekurswerber eingewendeten, in § 2 Abs 2 Z 2 UVG normierten Ausschluss des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss (wegen Fremdunterbringung) führte es aus, dass die beiden Minderjährigen nicht aufgrund einer Maßnahme der vollen Erziehung im Förderkindergarten untergebracht seien, ihnen jedoch im bescheidmäßig zuerkannten Umfang Sozialhilfe gewährt werde. Ein freiwillig zuerkannter Zuschuss, der eine Zuerkennung von Unterhaltsvorschuss nicht hindern würde, liege nicht vor: Gemäß § 21 K-MSG hätten nämlich Menschen, die infolge Behinderung (ua) in ihrer Fähigkeit eine angemessene Erziehung Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, dauernd beeinträchtigt seien, Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und Schulbildung iSd § 25 K-MSG; also auf die bescheidmäßig zuerkannte Vermittlung einer entsprechenden Erziehungs- und Ausbildungsstätte sowie auf die Übernahme der „durch die Behinderung bedingten" Kosten für die Erziehung und Schulbildung.
Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen sei aber jedenfalls, dass die Unterbringung „aufgrund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe) und damit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolge erfolge; die Unterbringung müsse also selbst aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe angeordnet worden sein. Neben dem Fehlen schon dieses, für den Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen wesentlichen Elements sei in den Bescheiden des Amts der Kärntner Landesregierung auch klargestellt, dass die durch die Unterbringung der Kinder entstehenden Kosten nur so lange gewährt würden, als diese Maßnahme „erforderlich und erfolgversprechend" sei. Es handle sich also (ausschließlich) um die Tragung von durch die Behinderung bedingten Mehrkosten der Schulbildung und Erziehung durch das Land, nicht aber um solche, die im Weg der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt würden. Eine Maßnahme iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG, die einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse ausschließen würde, sei daher nicht getroffen worden.
Da höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den §§ 21, 25 K-MSG in Bezug auf § 2 Abs 2 Z 2 UVG fehle, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung der Anträge der Kinder auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen.
Die Minderjährigen, vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (JWT), beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben. Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber vertritt den Standpunkt, die den Kindern gewährte Behindertenhilfe nach §§ 14 und 22 K-SHG bzw (nunmehr) §§ 21 und 25 K-MSG (durch vollinterne Unterbringung der Kinder im Förderkindergarten und Übernahme der ab 16. 10. 2006 bzw 10. 9. 2008 entstehenden Kosten) stelle jedenfalls eine Maßnahme der Sozialhilfe und daher einen Versagungsgrund nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar, trage doch das Land Kärnten nach den genannten Bescheiden des Amtes der Kärntner Landesregierung jeweils auch die Kosten. Die EB zur RV 172 BlgNR 17. GP 24 stellten klar, dass Vorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dann nicht zu gewähren seien, wenn - verkürzt gesagt - der Unterhalt des Kindes durch Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen seien, abgedeckt werde.
Die Revisionsrekursbeantwortung der durch den JWT vertretenen Minderjährigen verweist demgegenüber auf den Umstand, dass den Kindern mit den über Antrag der Mutter erlassenen Bescheiden Behindertenhilfe durch Unterbringung im Förderkindergarten M***** und Übernahme der dadurch entstehenden Kosten gewährt wurden, jedoch keine hoheitliche Anordnung einer Maßnahme erfolgt sei. Auch eine Doppelalimentierung sei nicht gegeben, weil die vom Land Kärnten getragenen Kosten, die im Bescheid ausdrücklich als solche „der Hilfe zur Erziehung und Schulbildung" bezeichnet sind, nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten abdeckten. Ein entsprechender Geldunterhaltsbedarf sei gegeben, weil sich die Minderjährigen während des Schuljahres nur während den Woche vollintern im Internat aufhielten; während der Wochenenden, der gesamten Ferien und auch im Krankheitsfall würden sie hingegen von der Mutter zu Hause gepflegt und erzogen. Eine Kostenüberwälzung vom Land auf den Bund liege hier nicht vor, weil das Land bei Gewährung der Vorschüsse (auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters) den gleichen Kostenaufwand wie bisher trage und sich dieser nicht verringere. Seit Inkrafttreten des Mindestsicherungsgesetzes seien überdies auch keine Kostenbeitragsverpflichtungen mehr vorgesehen.
Dazu wurde Folgendes erwogen:
Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse dann nicht, wenn das Kind aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Gesetzesmaterialien (JAB 199 BlgNR 14. GP 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt wird (RV 172 BlgNR 17. GP 24). Der Grund für den generellen Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG liegt also darin, dass das Kind „aus öffentlichen Mitteln voll versorgt" wird (stRsp; 1 Ob 348/99d; 10 Ob 307/99s und 7 Ob 58/04m jeweils mwN; Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 23).
Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist neben der Fremdunterbringung, dass diese „aufgrund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe erfolgt, dh es ist eine entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erforderlich (RIS-Justiz RS0112860; RS0112819 [T2] = 2 Ob 274/99d mwN). Geht es - wie hier - um Maßnahmen der Sozialhilfe, dann genügt es daher nicht, dass Sozialhilfeleistungen erbracht werden, sondern es muss „die Unterbringung selbst" aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe angeordnet worden sein (stRsp; RIS-Justiz RS0076026); auch hier ist also eine entsprechende Anordnung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe mit Kostenfolgen für den Sozialhilfeträger erforderlich (Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 27).
Ebenso wie bei Maßnahmen der vollen Erziehung nach dem Jugendwohlfahrtsrecht kommt eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen wegen Unterbringung aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe nur dann in Betracht, wenn das Land als Sozialhilfeträger rechtlich zur Gewährung der Unterbringung verpflichtet war und eine entsprechende Anordnung getroffen hat, nicht aber, wenn die Unterbringung im Rahmen der Sozialhilfe ohne Rechtsanspruch erfolgte oder wenn bloß die durch eine Behinderung des Kindes bedingten Mehrkosten der Unterbringung in einem Heim getragen werden (Neumayr in Schwimann I³ § 2 UVG Rz 28 mwN).
Der Umstand, dass der Sozialhilfeträger - wie hier - die durch eine Behinderung des Kindes bedingten Mehrkosten der Unterbringung in einem Heim trägt, hindert die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen somit nicht (RIS-Justiz RS0076032 = 2 Ob 557, 558/92). In der zitierten Entscheidung wird dazu Folgendes ausgeführt:
Im Bescheid der oö Landesregierung, mit welchem dem Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Schulbildung und Erziehung stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf zugestimmt wurde, ... wird lediglich auf § 8 leg cit [oö Behindertengesetz 1971] Bezug genommen. Nach dieser ... Vorschrift wird die Hilfe als Abgeltung der durch die Behinderung bedingten Mehrkosten der Schulbildung und Erziehung gewährt; was ohne Rücksicht auf die Behinderung für Unterhalt, Schulbildung und Erziehung aufgewendet werden müsste, haben der Behinderte bzw die für ihn Unterhaltspflichtigen jeweils selbst zu tragen, und zwar mindestens den Betrag, der der Familienbeihilfe einschließlich des Zuschlages aus dem Grund der Behinderung entspricht. Die Kosten, die das Land Oberösterreich trägt, werden - mögen sie auch relativ hoch sein - im Bescheid ausdrücklich als solche der Hilfe zur Schulbildung und Erziehung bezeichnet, es handelt sich somit lediglich um die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten, nicht aber um eine Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des § 10 oö Behindertengesetz. Aufgrund des Bescheides ist daher davon auszugehen, dass durch die Leistung des Landes Oberösterreich nicht der volle Unterhalt gedeckt werden sollte. Überdies wurde im Bescheid dem Antrag der Mutter stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf zugestimmt, es handelt sich daher nicht um eine Anordnung der Unterbringung durch die zuständige Sozialhilfebehörde und damit nicht um eine von dieser selbst gesetzte Maßnahme der Unterbringung des Minderjährigen in einem Heim.
Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten.
Der den 4. Abschnitt (mit dem Titel: „Soziale Mindestsicherung zur Eingliederung von Menschen mit Behinderung") des am 1. 7. 2007 in Kraft getretenen Kärntner Mindestsicherungsgesetzes (LGBl Nr 15/2007) einleitende § 21 K-MSG legt in seinem ersten Absatz fest, dass Menschen mit Behinderung - nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts - soziale Mindestsicherung zu leisten ist. Als Menschen mit Behinderung gelten Personen, die „infolge Behinderung in ihrer Fähigkeit, eine angemessene Erziehung Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, oder ... dauernd beeinträchtigt sind" (§ 21 Abs 2 lit a K-MSG). Gemäß § 25 K-MSG umfasst die Hilfe zur Erziehung und Schulbildung - neben Beratungsleistungen - ua auch die „Vermittlung" eines Menschen mit Behinderung in eine seiner Behinderung und Befähigung entsprechende Erziehungs- und Ausbildungsstätte sowie die Übernahme der „durch die Behinderung bedingten" Kosten für die Erziehung und Schulbildung. Wortgleiche Regelungen zur Hilfe für derart behinderte Personen enthielt das zuvor in Geltung stehende Kärntner Sozialhilfegesetz (LGBl Nr 30/1996) in den §§ 14 und 18 K-SHG.
Nach diesen Bestimmungen wurde den beiden Kindern in den vorliegenden Bescheiden - ebenfalls aufgrund der Anträge der Mutter - Behindertenhilfe (nämlich Hilfe zur Erziehung und Schulbildung) durch Unterbringung in einem Förderkindergarten und Übernahme der dadurch entstehenden (behinderungsbedingten) Kosten „gewährt". Es handelt sich also auch hier nicht um eine von der Sozialhilfebehörde angeordnete Unterbringung und damit nicht um eine von dieser Behörde selbst gesetzte Maßnahme. Außerdem decken die vom Land Kärnten getragenen Kosten (die auch nach den vorliegenden Bescheiden nur die Kosten der Hilfe zur Erziehung und Schulbildung betreffen) ohnehin nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten ab, wobei die Minderjährigen an den Wochenenden, in den Ferien und im Krankheitsfall weiterhin im Haushalt der Mutter betreut werden. Es kann daher auch davon keine Rede sein, dass die Kinder aus öffentlichen Mitteln „voll versorgt" würden, und daher dieser Grund für einen generellen Ausschluss von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG bestünde.
Diese Erwägungen führen zur Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
Textnummer
E93311European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00051.09M.0302.000Im RIS seit
29.04.2010Zuletzt aktualisiert am
21.03.2012