TE OGH 2010/3/2 11Os204/09y (11Os205/09w, 11Os206/09t)

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Veröffentlicht am 02.03.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael V***** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss nach § 285a Z 2 StPO, seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie über seine Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Juni 2009, GZ 81 Hv 27/09x-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die (Ausführung der) Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael V***** des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er sich in Wien ihm anvertrautes Gut in einem insgesamt 50.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich Erlöse aus Versteigerungen von (Brief-)Marken und anderen Philateliewaren mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Geldbeträge nicht vereinbarungsgemäß nachgenannten Personen herausgab, sondern für sich behielt und für andere Verbindlichkeiten verwendete, und zwar zu jeweils nicht genauer feststellbaren Zeitpunkten

1./ zwischen 9. Dezember 2005 und Juni 2007 Mag. Helmut Sch***** 5.970,80 Euro;

2./ zwischen Juni 2006 und August 2007 Dr. Pal L***** 13.789,60 Euro;

3./ zwischen 15. Dezember 2007 und Anfang Mai 2008 Peter H***** 991,67 Euro;

4./ zwischen Ende 2007 und Anfang 2008 Dr. Hannes P***** 5.643,44 Euro;

5./ zwischen 2005 und Juni 2007 Alfred L***** und Ingeborg F***** 25.317,60 Euro.

Gegen dieses Urteil, das auch Zusprüche (§§ 366 Abs 2, 369 StPO) von Entschädigungsbeträgen an mehrere Geschädigte enthält, meldete der Angeklagte am 15. Juni 2009 durch seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. Markus T***** rechtzeitig „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gemäß § 280 StPO" an, ohne konkrete Nichtigkeitsgründe zu nennen oder auszuführen, ob sich die Berufung gegen den Strafausspruch oder das Adhäsionserkenntnis richtet (ON 45).

Nach Zustellung der Urteilsausfertigung (ON 42) sowie einer Protokollsabschrift (ON 41) an den Verteidiger am 28. August 2009 (Rückschein ON 1 S 13) gab dieser am 21. September 2009 dem Gericht schriftlich bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis zum Angeklagten „mit sofortiger Wirkung" aufgelöst sei (ON 46).

Die Frist des § 285 Abs 1 StPO lief mit Ablauf des 25. September 2009 ab, ohne dass eine schriftliche Ausführung der Rechtsmittel, eine Vollmachtsbekanntgabe eines anderen Rechtsanwalts oder auch ein Verfahrenshilfeantrag des Angeklagten bei Gericht eingelangt wäre.

Der Angeklagte wurde mit (von ihm am 15. Oktober 2009 behobenem) Schreiben vom 12. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts unter Hinweis auf den Verteidigerzwang aufgefordert, binnen acht Tagen einen Verteidiger namhaft zu machen oder einen Antrag auf Verfahrenshilfe zu stellen. Dr. Markus T***** wurde mit Note vom 19. Oktober 2009 um Bekanntgabe ersucht, ob das Vollmachtsverhältnis seitens der Rechtsanwaltskanzlei oder vom Angeklagten gekündigt wurde und ob ihm weitere Prozesshandlungen untersagt worden seien (ON 1 S 15). In seinem Antwortschreiben vom 23. Oktober 2009 wurde von Dr. T***** mitgeteilt, dass das Vollmachtsverhältnis von seiner Seite gelöst worden sei (ON 49).

Mit Beschluss vom 18. November 2009 wies das Landesgericht für Strafsachen Wien die mit Schriftsatz vom 15. Juni 2009 angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen innerhalb der gemäß § 285 Abs 1 StPO offenstehenden vierwöchigen Frist zur Ausführung des Rechtsmittels zurück (ON 51). Zugleich wurde dem Angeklagten „zur Vertretung im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof und dem Oberlandesgericht aufgrund der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung (§ 61 Abs 1 Z 6 StPO)" eine Amtsverteidigerin beigegeben (ON 52), bei der der Zurückweisungsbeschluss am 24. November 2009 einlangte (ON 1 S 17).

Mit am 9. Dezember 2009 überreichtem Schriftsatz erhebt der Angeklagte Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. November 2009, beantragt in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel und führt die Nichtigkeitsbeschwerde (gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO) sowie die Berufung (gegen den Ausspruch über die Strafe) aus (ON 54).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Die vierwöchige Frist zur Einbringung der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 285 Abs 1 StPO) hatte mit Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 28. August 2009 zu laufen begonnen und endete demgemäß mit Ablauf des 25. September 2009, bei dem es sich um einen Werktag handelte.

Die Mitteilung von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses hatte zufolge § 63 Abs 2 erster Satz StPO (wonach der Lauf einer durch Zustellung an den Verteidiger ausgelösten Frist nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt wird, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird) keinen Einfluss auf die bereits laufende Frist des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Verteidiger in diesem Fall gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO weiterhin die Interessen des Beschuldigten (Angeklagten) zu wahren (§ 48 Abs 2 StPO) und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, es sei denn, dieser hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (Fabrizy, StPO10 § 63 Rz 2; vgl § 11 Abs 2 RAO). Auch ein solches Verbot hätte allerdings bloß den Entfall dieser Verpflichtung des Anwalts zur Folge, aber keinen Einfluss auf den Lauf der Frist (14 Os 42/09x, EvBl-LS 2009/170, 1020).

Das Gericht war weder dazu verhalten, die Einhaltung der dem Wahlverteidiger gemäß § 63 Abs 2 letzter Satz StPO, § 11 Abs 2 RAO obliegenden Verpflichtung durch diesen zu überprüfen noch dazu, innerhalb laufender Frist einen Amts- oder Verfahrenshilfeverteidiger zu bestellen oder den Angeklagten auf die Bestimmung des § 63 Abs 1 StPO hinzuweisen (wonach die Beigebung eines Verfahrenshelfers fristunterbrechend beantragt werden kann), weil diese Bestimmung nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an einen Wahlverteidiger gilt (RIS-Justiz RS0116182; Achammer, WK-StPO § 63 Rz 4, 8; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 2).

Eine - vom EGMR nur in Betreff grober Versäumnisse des Pflichtverteidigers bejahte (vgl Pühringer, RZ 2009, 230 [233]) - Verpflichtung nationaler Behörden, in derartigen Fällen zu Gunsten des Angeklagten einzugreifen, besteht nicht, weil das Verhältnis zwischen Angeklagtem und einem Wahlverteidiger nicht unter dem Schutz des Art 6 Abs 3 MRK steht (RIS-Justiz RS0116182).

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grads zur Last liegt. Damit hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt (RIS-Justiz RS0101272). Überdies ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung fristgebunden, somit binnen 14 Tagen ab Aufhören des Hindernisses, das die Versäumung bewirkt hat, zu erheben.

Der Angeklagte begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung, er habe bis Zustellung des Beschlusses gemäß § 285a Abs 2 StPO an die Amtsverteidigerin am 24. November 2009 keine Kenntnis vom Lauf und Ablauf der Frist, von der Vollmachtsauflösung und dem Unterbleiben einer Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel gehabt.

Dem Antragsvorbringen folgend war der Angeklagte von der Kündigung der Vollmacht durch seinen Wahlverteidiger - während laufender Frist zur Ausführung der Rechtsmittel - nicht informiert. Unter dieser Prämisse und Anlegung des Maßstabs eines gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalts (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 25) stellte sich das Versäumnis des Wahlverteidigers (insbesondere unter Berücksichtigung der ihn gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO, § 11 Abs 2 RAO treffenden Pflichten) als grob sorgfaltswidrig dar, sodass bereits aus diesem Grund die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausscheidet. Darüber hinaus war der Angeklagte aber (durch das angeführte Schreiben des Erstgerichts) jedenfalls spätestens ab 15. Oktober 2009 über die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses in Kenntnis, blieb aber auch selbst untätig.

Wusste er aber davon ab dem Zeitpunkt der Auflösung durch seinen Wahlverteidiger, hätte er innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Frist des § 285 Abs 1 StPO entweder einen anderen Rechtsanwalt betrauen können oder - bei erst späterer Kenntnis (sohin zwischen 25. September und 15. Oktober 2009) - innerhalb von 14 Tagen ab diesem Zeitpunkt bereits einen Wiedereinsetzungsantrag stellen müssen. Auch diese eigene gänzliche Untätigkeit übersteigt den Grad bloß minderen Versehens.

Daher war auch die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war somit die verspätet eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (mit Rücksicht darauf, dass bei ihrer Anmeldung keiner der in § 281 Abs 1 Z 1 bis Z 11 oder in § 281a StPO angegebenen Gründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurde [§ 285a Z 2 StPO]) zurückzuweisen. Dies gilt ebenso für die - gleichfalls verspätet ausgeführte - Berufung, weil der Angeklagte auch bei deren Anmeldung (ON 45) nicht deutlich erklärte (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO - RIS-Justiz RS0100042; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10 und § 296 Rz 5), ob er den Sanktions- oder den Adhäsionsausspruch bekämpfe (§§ 285d Abs 1 Z 1, 294 Abs 4 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl RIS-Justiz RS0100229).

Textnummer

E93325

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00204.09Y.0302.000

Im RIS seit

30.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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